(0) notbetten für randständige

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    Re: (0) notbetten für randständige

    charlie - 09.12.2004, 16:53

    (0) notbetten für randständige
    so, endlich bringts meine wenigkeit auch noch zu was anständigem. jetzt könnt ihr an meinem gekritzel rumnörgeln. ich hoffe, es ist nicht allzu sentimental, pathetisch, was auch immer geworden; diese begegnung hat mich jedenfalls ziemlich durchgerüttelt.
    noch eine bemerkung zum titel: find ihn selber ziemlich scheisse, aber mir fällt grad nix besseres ein. über zwischentitel könnte man nachdenken. namen sind übrigens geändert. bitte diskret behandeln (mit einem lächeln, aber ernsthaft)
    ... viel vergnügen ... ach, übrigens, du wärst sowieso nicht reingekommen thomas *g* aber danke fürs angebot!

    Kokain und Kondome auf dem Kaffeetisch: Ein Besuch bei den Notbetten für Randständige

    „Hast du mir was für die Notschlafstelle?“ Und zufälligerweise trägt man gerade in diesem Moment entweder kein Kleingeld oder gar nichts mehr bei sich, man schüttelt den Kopf, als würde man vor Bedauern vergehen. Kaum sind die Worte über die Lippen gebracht, das Schütteln beendet, drehen sich die Gedanken mit dem Kopf und die Szene ist in den ewigen Jagdgründen verschwunden. Das elende Mitleid hält gerade mal zwei Minuten.
    An einem Tag siegt die Neugier, ich frage nach, und zwei Wochen später sitze ich im Tram und lasse mich unter künstlichen Sternenhimmeln durch die Bahnhofstrasse gleiten, biege um die Ecke, wo sich die Konsummärkte etwas weniger himmlisch und leuchtend weiterziehen und werde schliesslich vor einem schummrigen Restaurant ausgespuckt. Eine Seitengasse macht es aus, eine schräge Seitengasse ist der Tunnel zu einer Parallelwelt, die wir nur im Bettelton wahrnehmen.
    So finde ich zu den Notbetten für Randständige, einer Unterkunft für drogenabhängige und sich prostituierende Frauen, die in einem kleinen, gemütlichen Häuschen untergebracht ist. Im Vorgarten warten dreckige Plastikmöbel auf sonnigere Zeiten und spielen eine Idylle vor, die mir im Nachhinein sehr trügerisch vorkommt. Nur ein kleines Schild am Briefkasten beweist, dass ich am richtigen Ort bin. Diese Unterkunft ist Fluchtpunkt, soll ein weisser Fleck auf der Karte gewisser Leute sein, hier suchen Frauen von der Strasse Schutz und sollen ihn finden, ohne selbst gefunden zu werden.

    Die Notbetten für Randständige sind die unbekannten Schwestern der Notschlafstelle Zürich. Vier festangestellte Sozialarbeiterinnen, sowie acht Teilzeit arbeitende Frauen mit gleicher oder ähnlicher Ausbildung bieten Betreuung an. Eintritt wird gegen fünf Franken zwischen 22 und sechs Uhr gewährt, am Morgen gibt es bis 11 Uhr Frühstück, Kleider können gewaschen und eingetauscht, saubere Spritzen, Desinfektions- und Verhütungsmittel bezogen werden. Einige müssen um die fünf Franken betteln gehen, denn das Geld, das sie verdienen, ist schnell eingetauscht gegen die alles kontrollierende Droge. Frauen, die vergewaltigt wurden oder krank sind, werden ohne Bezahlung eingelassen. Aber auch in der Festung gelten gewisse Regeln, sonst muss mit Sanktionen wie Verboten für eine Nacht gerechnet werden.
    Die meisten Frauen kommen regelmässig, man lernt sich kennen. Ich sitze keine halbe Stunde im Büro, in dem sich in den Regalen milchige Plastikschachteln mit Injektionsmaterial und Kleider, Duschmittel und Handtücher stapeln, als das Telefon klingelt: Sara ruft an, um auszurichten, dass sie nicht kommt – hätte sie gewusst, dass Anna heute betreut, wäre sie gekommen. Anna ist die Älteste der Betreuerinnen und geniesst ein gewisses Vertrauen unter den Frauen. Solche Momente wie der Anruf sind selten, er gehört zu den schönen Erlebnissen, wenn sich die Flüchtenden bedanken oder Komplimente machen, aussprechen, dass sie sich hier wohlfühlen, dankbar sind, wenn ein bekanntes Gesicht Dienst schiebt. Diese Frauen können sich eine solche Sensibilität gar nicht mehr leisten, der Überlebenskampf, den sie auf der Strasse mit Lügen und Stehlen führen, wird selbst hier untereinander geführt. „Aber gefühllos sind sie deswegen nicht“ sagt Anna. „Ich liebe diese Frauen.“ Vielleicht ist es das, was ihr Ansehen aus macht: Der Respekt, den die Frauen sonst nicht erleben. Sie nimmt die Frauen, wie sie sind. Sie bietet ihnen für eine Nacht eine Möglichkeit, sich auszuruhen, geschützt zu sein. Sie hebt weder den Moralfinger, noch lässt sie den Frauen alles durchgehen: „Wenn ich sage, jetzt ist Ruhe, dann ist Ruhe.“

    Die Notbetten sind kein Therapiebüro. Wer Hilfe benötigt, erhält sie, wer reden will, wird immer ein offenes Ohr finden. Aber die Hilfe, die hier geboten wird, ist für einen Moment, ist eine Auszeit. Frauen, die den ersten Schritt tun und eine Entziehungskur beginnen wollen, werden weitergewiesen an die betreffenden Stellen. In den drei Jahren, seit es die Notbetten gibt und Anna dabei ist, hat sie drei Frauen kennen gelernt, die diese Prozedur durchgestanden haben und heute sauber sind. Manche werden ermordet, andere verschwinden einfach, ohne dass jemals wieder eine Nachricht auftaucht. Die Droge, hauptsächlich Kokain und Heroin, hat die Frauen fest im Griff, nach ihr wird gelebt, alles ausgerichtet. Wenn dann eine mitten im Rausch auftaucht und Paranoia- und Schizophrenieanfälle bekommt, wird man schnell hilflos: „Das sind die schlimmsten Momente, wenn du neben einer ohnmächtig stehst, die stirbt.“

    Ein Schlafplatz sind die Notbetten eigentlich auch nicht. Woher die Frauen die Energie nehmen, wo sie doch den ganzen Tag, das ganze Jahr über vor der Zielscheibe laufen, frage ich mich leise. Auch hier ist die einzige Antwort die Droge. Um halb elf Uhr klingelt es und zwei Frauen wird geöffnet. Ich müsste sie beide auf um die dreissig schätzen, aber irgendetwas macht sie alterslos. Ihre Figur entspricht einer Frau Meier mit zwei Kindern um 11 Uhr in der Migros, nicht besonders schlank, keine ins Auge fallende Attraktivität, sondern Müdigkeit. Die Kleider sind sauber, über der Schulter hängt ein kleiner Rucksack oder eine Tasche. Beide haben lockige, wirre Haare, und das einzige was auf den ersten Blick klar macht, dass sie gezeichnet sind, ist ihr Gesicht, ihre Haut. Ich denke an die Körper und das Bewusstsein davon, dass das Eigene mehr anderen gehört als einem selbst. Meine Begrüssung erwidern sie eher kühl, prüfend, unsicher. Mit Anna stürzen sie sich in ein lachendes, sprühendes Gespräch auf italienisch, in das perfekte Brocken von Schweizerdeutsch kullern. Die Zimmer werden aufgeschlossen und wir haben uns keine fünf Minuten wieder gesetzt und geredet, da poltert eine die Treppe runter und ruft, sie müsse noch ihre Tasche holen, bevor die Tür zufällt. Zehn Minuten später ist sie wieder da. Auf die Frage, wo sie die Tasche holen musste, erhält Anna keine Antwort. „Ich bin sicher, sie hat sich wieder was geholt.“

    Zerbricht man nicht an dieser Ungerechtigkeit, die einem alle paar Minuten, spätestens um 12 Uhr mittags, wenn man zurück in sein eigenes Leben kommt, mit aller Wucht in den Magen schlägt? „Diese Frauen haben einen eigenen Willen. Ich habe meinen Weg, und sie den ihren. Ich mag etwas mehr Glück gehabt haben. Aber sie haben die Möglichkeit, sich zum Aussteigen zu entscheiden. Das einzige was sie blockiert, ist die Droge.“ Erst später, als ich all diese adrett gekleideten jungen Frauen mit leuchtender Haut und lachenden Augen im Tram betrachte, begreife ich, dass es nicht um Ungerechtigkeit geht. Frauen, die an einem solchen Ort wie den Notbetten Schutz suchen müssen, gab es immer und wird es, nach der bisherigen Entwicklung des menschlichen Verstandes zu beurteilen, auch immer geben. Viel weniger auszuhalten ist die Existenz mehrer Realitäten von ebenbürtiger Stärke. Denn eine gewinnt.



    Re: (0) notbetten für randständige

    tomaso - 09.12.2004, 23:38


    Liebe Sekretärin a.i.

    Ohne jetzt in nichts sagendes Wie-du-mir-so-ich-dir abzudriften: Dein Text gefällt mir sehr sehr gut! Wunderbare, wohl durchdachte Formulierungen und bewusst gestaltete Bilder, die deinen Text weitab vom klischierten und altbackenen "Ja-das-sind-schon-arme-Menschen" wähnen lassen. (Bitte entschuldige mein Zehnuhrabenddeutsch!) Zum Schluss wirds dann philosophisch, was passt. Betreffend "pathetisch": Missstände kann man, wenns nach mir geht, entweder mit Satire, reinem Tatsachenrapport oder Pathos auf Papier bannen. Satire passt hier wohl weniger, Tatsachen sind langweilig und auch gefährlich, denn schliesslich gehts besonders hier um Menschen und nicht um Zahlen auf alphabetischen Listen. Also lass deiner verletzten Künstlerseele freien Lauf *g*!

    Meinst du mit deinem sehr schön klingenden Schluss, dass es in unserer Welt viele verschiedene Lebensweisen (Realitäten = Welten quasi) gibt, die gleich stark auf dich wirken oder allgemein gleich starke Existenzmerkmale aufweisen (dass unsere normierte Welt genau gleich stark existiere wie z.B. die der Leute in der Notschlafstelle)? Spitzfindig, aber das "ebenbürtig" tönt spannend.

    "Viel weniger auszuhalten ist die Existenz mehrer Realitäten von ebenbürtiger Stärke. Denn eine gewinnt."

    Bravo Charlotte, echt stark!
    ps: nimmt mich nur noch wunder, was da alles für Verbotsschilder rumgehängt haben müssen. "Kein Eintritt für Zwielichtige oder verwöhnte Bubis vom rechten Züriseeufer!"



    Re: (0) notbetten für randständige

    charlie - 15.12.2004, 18:25


    allgemeiner fresszettel

    bild fehlt (was für eine schizophrenie, die antwort kommt sofort: wird besorgt)
    wo ist die kritik? (siehe umfrage ...)



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