Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

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    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

    Talley - 13.11.2006, 09:44

    Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina
    Im schweizerischen Tagesanzeiger schreibt Aref Hajjaj (Deutscher palästinensischer Herkunft und langjähriger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes) über Entwicklungspotentiale der palästinensischen Organisationen und Parteien.

    Auch wenn seine Schlüsse überaus optimistisch ausfallen und er das Thema Gewalt überhaupt nicht tangiert, so sind doch seine Informationen über das Palästina jenseits von Terror und Horrormeldungen interessant zu lesen.

    Zitat: Ein modernes Palästina braucht auch moderne Parteien
    Ausgerechnet die Zersplitterung der grossen politischen Blöcke von Hamas und Fatah könnte dem innerlich zerrissenen Palästina neue Stabilität bringen. ...

    Gewiss mag der Islam aus der Sicht säkular denkender Menschen kaum als geeignete Ideologie zur Lösung aktueller Probleme im wirtschaftlichen Bereich, vor allem auch im aussen- und sicherheitspolitischen Kontext erscheinen. Tatsache ist indessen, dass es gegenwärtig in den überwiegenden Teilen der islamischen Welt (bedauerlicherweise) keine realistischen Alternativen dafür gibt.

    Allerdings, es besteht die Hoffnung, dass diese Bewegungen sich im Rahmen eines Reifungsprozesses moderat und pragmatisch weiterentwickeln werden. Deshalb ist das Instrument des Boykotts und der Ächtung, das heute z. B. gegen die Hamas eingesetzt wird, im gesamtregionalen Kontext folgenschwer. Denn dies stärkt vor allem die ideologischen und gewaltbereiten Betonköpfe innerhalb der islamischen Bewegungen, verhindert so die Reformfähigkeit der Bewegung von innen und paralysiert weiterhin alle Kräfte, die ausserhalb dieses islamischen Spektrums agieren, da ihre ablehnende Haltung gegenüber den Islamisten leicht als «prowestlich» verunglimpft werden könnte.

    Nicht nur gewaltbereite Gruppierung
    Gleichwohl dürfen islamorientierte Bewegungen nicht von vornherein nur als blosse gewaltbereite und politikunfähige Gruppierungen abgetan werden.

    So stacheln etwa die Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung in Marokko, die Partei der nationalen Reform in Algerien, die Partei der Wiedergeburt in Tunesien und die in der Türkei regierende Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung nicht zum «Kampf der Kulturen» auf, sondern sie leisten vor allem im sozialen und karitativen Sektor und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einen beachtlichen Beitrag. ...

    Und so würde auch die Hamas allzu gern in einer neuen möglichen Koalitionsregierung die Sozial- und Finanzkompetenz übernehmen. Der Fatah-Bewegung würde man dann die «gröberen» Teile der Kabinettspolitik überlassen, so vor allem die Kommunikation und den Verhandlungsprozess mit Israel. Allerdings würde das so sicher nicht gehen. Niemandem ist verborgen geblieben, dass ohne die finanzielle Unterstützung durch die EU und die USA noch nicht einmal die Gehälter von Staatsbediensteten bezahlt werden könnten. ...

    Doch sieht man von den rein israelspezifischen Aspekten der politischen Lage in Palästina ab, würde eine Zersplitterung der bestehenden politischen Gruppierungen in moderne politische Parteien den Prozess der inneren Stabilität allerdings vorantreiben. Paradoxerweise erfüllen zurzeit nur kleinere und so gut wie chancenlose Splitterparteien wie der «dritte Weg» von Hanan Ashrawi und die «Mubadara» («Initiative») von Mustafa Barghouti am ehesten die Kriterien einer modernen politischen Partei.

    Beide Parteien sprechen eine bestimmte gesellschaftliche Klientel durch ein konkret formuliertes Programm (Wahrung der Menschenrechte, Verteidigung der Rechte von Frauen, Schutz der Minderheiten, Meinungs- und Pressefreiheit, Transparenz der Verwaltung) an. Hanan Ashrawi definiert ihre Ziele etwa so: «Sicherheit, Bildung, Kampf gegen die Armut, Arbeitsplätze, Friedensverhandlungen und einen eigenen Staat ... Natürlich geht es um einen Staat Palästina, aber es geht ebenso um die Verbesserung des Alltags.» Der Arzt und Bürgerrechtler Mustafa Barghouti gilt als einflussreicher und unbestechlicher Oppositionspolitiker, der eine karitativ tätige NGO leitet. Er ist ein gemässigter Nationalist und kompromissloser Verfechter der Gewaltenteilung. Protagonisten der «Mubadara» waren der inzwischen verstorbene US-palästinensische Professor Edward Said und der Arzt und Reformer Haider Abdul Shafi. ...

    Die beiden grossen Bewegungen Fatah und Hamas sind dagegen ein Sammelsurium von Programmagenden, Gestaltungsvorstellungen und Absichtserklärungen zu allen denkbaren Feldern der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

    Drei Strömungen in der Fatah
    Neben dem Befreiungsgedanken, der letztlich von allen gesellschaftspolitischen Gruppierungen geteilt wird, schöpft Fatah ihre Ideologie aus drei Hauptströmungen. Das sind der Patriotismus, Panarabismus und ein moderates Islamverständnis, das, zumindest theoretisch, als Leitfaden für moralisches Handeln bedient wird.

    In wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht konkurrieren innerhalb der Fatah-Bewegung Anhänger der Markt- und der Planwirtschaft miteinander. Es wäre daher folgerichtig und glaubwürdig, wenn aus dem Fatah-«Block» mehrere Parteien hervorgingen: so z. B. eine gemässigt islamische Partei mit dem Bekenntnis sowohl zur Einheit der arabischen Nation als auch zu einer vom Staat mitgelenkten Wirtschaftsordnung, eine weitere Partei national-liberaler Orientierung im politischen und wirtschaftlichen Kontext und schliesslich eine dritte Partei, die etwa unter der Führung des in Israel zu einer fünfmaligen lebenslangen Haftstrafe verurteilten Marwan Barghouti die künftige regionale Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft und Sicherheit unter Einbeziehung Israels thematisieren könnte.

    Zwei Parteien aus der Hamas?
    Hamas ihrerseits weist in ihren Strukturen zwei verschiedene Hauptmerkmale auf. Daher wäre es opportun, wenn aus ihren Reihen zwei politische Parteien hervorgingen.

    Das wäre zum einen eine Partei, die sich entsprechend ihrem eigentlichen grossen Vorbild, der Muslimbrüderschaft in Ägypten und Syrien, zum puristischen Islamverständnis bekennt. Authentisch und ehrlich wäre daher die Bezeichnung «Muslimbrüder-Partei» («Ikhwan») auch für diese Partei.

    Die andere Partei würde sich genauso auf den Islam stützen wollen, wenngleich sie sich einer pragmatischeren Diktion bedienen würde. Allerdings würde diese Partei ihr Hauptaugenmerk auf die Durchsetzung sozialer und gesellschaftlicher Gerechtigkeit für die breiten Massen der Bevölkerung richten. Als Vorbild dürfte hier die in der Türkei regierende, moderat islamische Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung von Premierminister Tayyip Erdogan dienen. Die Partei agierte im Rahmen eines für sie äusserst schmerzvollen Prozesses auf den Weg nach Europa und in Richtung gesellschaftlicher und rechtlicher Reformen bisher fortschrittlicher und konsequenter als die meisten säkularen Parteien des Landes. Diese aus der Hamas hervorgegangene «Fortschrittspartei» wäre für eine Reihe anderer politischer Parteien koalitionsfähig.

    Fast alles hängt an Israel
    Allerdings hängt in diesem Kontext vieles von der Entwicklung des palästinensisch-israelischen Konflikts und der israelischen Politik in den besetzten Gebieten ab. So würde das Festhalten Israels an seiner Politik der eisernen Hand, der Drangsalierung der palästinensischen Bevölkerung und der Schaffung vollendeter Tatsachen automatisch eine weitere Stärkung der undemokratisch denkenden Gruppierungen bewirken.

    Rechtsstaatlich agierende und pluralistisch denkende Parteien hätten in einem solchen Klima dagegen kaum eine Chance. Für viele im Elend lebenden Menschen in Palästina würde die Priorität verständlicherweise nicht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit heissen, sondern weiterhin überleben bzw. über die Runden kommen. Das bedeutet, dass - solange der Zustand von Verarmung und Perspektivlosigkeit anhält - Begriffe wie «Demokratie» und «Pluralität» von der Mehrheit der Bevölkerung nicht nur als abstrakt verstanden würden, sondern als prowestlich und somit auch gegen die Interessen der Palästinenser gerichtet.



    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

    arad - 13.11.2006, 12:43

    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina
    Talley hat folgendes geschrieben: . Für viele im Elend lebenden Menschen in Palästina würde die Priorität verständlicherweise nicht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit heissen, sondern weiterhin überleben bzw. über die Runden kommen. Das bedeutet, dass - solange der Zustand von Verarmung und Perspektivlosigkeit anhält - Begriffe wie «Demokratie» und «Pluralität» von der Mehrheit der Bevölkerung nicht nur als abstrakt verstanden würden, sondern als prowestlich und somit auch gegen die Interessen der Palästinenser gerichtet. [/quote]

    Hi Talley,
    Ich muss nicht Dir sondern dem Verfasser widersprechen. Es ist wieder die typische romantische Verklärung, die in diesem Gebiet alltag ist.

    ´über die Runden kommen´, ´Verarmung und Perspektivlosigkeit´sind nicht unbeding die treibende Kräfte für die absolute Mehrheit bei den letzten Wahlen für die Hamas, sondern die romantische Verklärung des ´heroischen Widerstandkampfes´. Und dies, bis zum bitteren Ende, egal ob man über die Runden kommt (am besten sogar nicht).



    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

    Hausdrache - 13.11.2006, 12:57


    Ein herzliches Willkommen, arad! wink1

    Ja, der vorletzte Absatz ist mir auch unangenehm aufgestoßen und er nimmt dem ansonsten interessanten Artikel die Ausgewogenheit, die Seriosität und damit die Glaubhaftigkeit. Ich kann dieses ständig "Ja, wenn Israel nur wollte, dann wäre doch alles Bestens... ", "die armen Palästinenser, die können ja gar nicht anders..." wirklich nicht mehr hören. Entweder hätte der Autor hier besser geschwiegen oder er hätte wenigstens von BEIDEN Seiten ein Entgegenkommen fordern sollen. Aber so... sceptic

    Gruß
    Susanna



    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

    Talley - 13.11.2006, 15:41

    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina
    arad hat folgendes geschrieben:
    Hi Talley,
    Ich muss nicht Dir sondern dem Verfasser widersprechen. Es ist wieder die typische romantische Verklärung, die in diesem Gebiet alltag ist.

    ´über die Runden kommen´, ´Verarmung und Perspektivlosigkeit´sind nicht unbeding die treibende Kräfte für die absolute Mehrheit bei den letzten Wahlen für die Hamas, sondern die romantische Verklärung des ´heroischen Widerstandkampfes´. Und dies, bis zum bitteren Ende, egal ob man über die Runden kommt (am besten sogar nicht).
    Lieber Arad,

    zunächst einmal bin ich stolz, derjenenige gewesen zu sein, der dich zum ersten Posting gelockt zu haben.

    Immerhin habe ich es geschafft, dich und Susanna relativ bis zum Schluss bei Laune gehalten zu haben. Die vorhergehenden antiisraelischen Statements verbergen sich hinter den diversen Auslassungszeichen "...".

    Freilich, es ist ein palästinensischer Beitrag aus der palästintinensischen Sichtweise. In Bezug auf Israel ist ein solcher oft ein wenig schief und einseitig. Dass er mir von arg optimistischen Vorzeichen ausgeht, habe ich eingangs schon erwähnt. Doch seine Differenzierung der palästinensischen politischen Organisation waren es mir Wert, über den wohl nicht ganz realistischen Schluss (und anderes) hinwegzusehen. Wohl haben die Israelis es mit in der Hand, wie es in den besetzten Gebieten weitergehen wird, doch ist es zunächst an den Palästinensern, sich klarzuwerden, ob die künftige Ordung mit oder ohne Bürgerkrieg erreicht werden soll. Unter anderem.

    Trotzdem ist dieser Beitrag dahingehend angebracht, dass man nicht umgehend mit einem "HAMAS/TERROR"-Stempel bei der Hand sein sollte, sobald es um palästinensische Angelegenheiten geht.



    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina

    Betsi - 13.11.2006, 17:49

    Re: Hintergrund: Zukunft der Parteien in Palästina
    Talley hat folgendes geschrieben: Doch seine Differenzierung der palästinensischen politischen Organisation waren es mir Wert, über den wohl nicht ganz realistischen Schluss (und anderes) hinwegzusehen.
    ...
    Trotzdem ist dieser Beitrag dahingehend angebracht, dass man nicht umgehend mit einem "HAMAS/TERROR"-Stempel bei der Hand sein sollte, sobald es um palästinensische Angelegenheiten geht.

    Mir fiel eher das Ansinnen des Artikels auf, der für mich bereits am Anfang, insbesondere in diesem Absatz deutlich wird Zitat:
    Allerdings, es besteht die Hoffnung, dass diese Bewegungen sich im Rahmen eines Reifungsprozesses moderat und pragmatisch weiterentwickeln werden. Deshalb ist das Instrument des Boykotts und der Ächtung, das heute z. B. gegen die Hamas eingesetzt wird, im gesamtregionalen Kontext folgenschwer. Denn dies stärkt vor allem die ideologischen und gewaltbereiten Betonköpfe innerhalb der islamischen Bewegungen, verhindert so die Reformfähigkeit der Bewegung von innen und paralysiert weiterhin alle Kräfte, die ausserhalb dieses islamischen Spektrums agieren, da ihre ablehnende Haltung gegenüber den Islamisten leicht als «prowestlich» verunglimpft werden könnte.

    Ansonsten wirkt die Schilderung auf mich eher ernüchternd, denn der Autor selber stellt schließlich fest, dass zur Zeit nur kleine und so gut wie chancenlose Splitterparteien die Kriterien "moderner politischer" Parteien erfüllen.

    Für mich leider ein weiteres Beispiel, die Verantwortung bei Anderen zu suchen.

    Betsi



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