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Begley, Louis - Lügen in den Zeiten des Krieges




Begley, Louis - Lügen in den Zeiten des Krieges

Beitragvon Katia » 26.10.2006, 21:29

[center]Begley, Louis - Lügen in den Zeiten des Krieges
[/center]
[center]OT: Wartime Lies[/center]


Inhalt: Die Kindheit eines polnischen Juden im Dritten Reich, Maciek, viel mehr braucht man zum Inhalt fast gar nicht zu sagen ... Maciek, Halbwaise, wächst behütet von Vater, Tante, Großeltern und geliebtem Kindermädchen auf, bis im September 1939 ein deutscher Offizier klingt und die Familie ihr Haus verlassen muß. Was folgt ist Flucht, Verstecken, Angst, gefälschte Pässe und die titelgebenden Lügen ... die Familie wird auseinandergerissen, Maciek schlägt sich mit seiner Tante Tanja durch, die mit unermüdlicher Energie und Fantasie immer wieder neue Strategie für beider Überleben ausheckt.

Autor: Louis Begley, geboren 1933 in Polen, lebt in New York. Als Autor ist er "Spätberufener", eigentlich Anwalt ist "Wartime Lies" sein Erstling, 1994 erschienen.

Meine Meinung:
Ich bin absolut beeindruckt von diesem Buch. Es erzählt aus der Ich-Perspektive Macieks und man merkt sehr deutlich, dass der Autor hier viel von seiner eigenen Geschichte erzählt. Die Sprache ist dem angemessen eher einfach gehalten und an vielen Stellen lakonisch - der Autor hat es nicht nötig das Grauen pathetisch zu umschreiben, er erzählt unkommentiert die Tatsachen und erreicht damit eine sehr tiefe Betroffenheit. Er erzählt wenig was man so nicht schon einmal in ähnlichen Bücher ("Roman eines Schicksalslosen" von Kertesz hat einen ähnlichen Tonfall) oder Filmen ("Der Pianist" z.B) gelesen oder gesehen hätte - und fesselt mich trotzdem sehr stark. Sehr berührend schon der Prolog indem ein Ungenannter (wohl der erwachsene Maciek=Begley) über seine Schuldgefühle überlebt zu haben spricht - und den die vielen Rollen, die er wegen der falschen Identitäten im Krieg spielen mußte, vergessen haben lassen, wer er eigentlich ist.
Sehr, sehr empfehlenswert! :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Katia

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Beitragvon Pippilotta » 28.10.2006, 18:28

Ich würde dieses Buch auch als ein wichtiges Stück Zeitdokument sehen. Wie nachzulesen ist, verarbeitete Louis Begley hier seine eigene Geschichte und das verleiht dem Buch natürlich ungeheure Authentizität.

Was es heißt, aus einer sehr behüteten Kindheit herausgerissen zu werden, von einem Ort zum anderen zu flüchten, nirgends Zuhause und nirgends sicher zu sein, immer in Angst zu leben, nicht zu wissen wen bzw. ob überhaupt man noch jemanden trauen kann, die ständige Angst vor Denunzierung und den Gestapo-Leuten, nichts zu essen, keine Kleidung, täglich mitansehen zu müssen, wie Mitmenschen gefoltert, gequält und bedroht werden, das alles versucht, dieses Buch zu schildern.

Mich hat auch der Stil recht angesprochen, es bedarf keiner rohen Worte, keiner detaillierten Beschreibungen, um diese furchtbaren Ereignisse und Verbrechen dem Leser unter die Haut gehen zu lassen.

Allerdings kommt das Buch meiner Meinung nach nicht ganz an "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertesz heran, deshalb gibts von mir

:stern: :stern: :stern: :stern:

PS: "Jakob der Lügner", unmittelbar nach der Lektüre von "Roman eines Schicksallosen" gekauft aber leider noch auf dem SUB, kommt baldmöglichst dran. Ich werde es wohl in den SUB-Listen-Wettbewerb 2007 aufnehmen!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Karthause » 04.11.2006, 13:35

Meine Meinung

Louis Begley erzählt die Geschichte des jüdischen Jungen Maciek, der in gut situierter Familie in Ostpolen aufwächst. Sein Vater ist Arzt, seine Mutter ist im Kindbett gestorben. An deren Stelle trat seine Tante Tanja. Mit Beginn des Krieges wird der Vater eingezogen. Mit der Verfolgung der Juden wird die Familie vor immer größere Probleme gestellt. Es gibt zunehmend Einschnitte in das Leben und den Lebensstandard. So bauen sie sich ein Gerüst aus Lügen und Heimlichkeiten auf, das helfen soll, zu überleben. Da gibt es zum Beispiel falsche Namen und „neue“ Papiere sowie eine katholische Familiengeschichte. Das Schicksal verschlägt Tanja und Maciek nach Warschau, mitten in den Aufstand im Ghetto.

Die Geschichte ist aus der Sicht des heranwachsenden Macieks in der Ich-Form geschrieben. Lediglich im Prolog und im VIII. Teil wird davon abgewichen.
Die Sprache ist einfach gehalten und auch die schlimmsten Gräuel werden ohne jedes Pathos geschildert. Das hat zur Folge, dass dieser eher nüchterne Stil eine Eindringlichkeit beinhaltet, die Tage nachdem ich dieses Buch beendet hatte, immer noch in mir nachklang.

Ich war tief berührt und trotz der Kenntnis der Geschichte stark beeindruckt vom Überlebenskampf von Tanja und Maciek. So traurig auch der Hintergrund dieses Romans auch war, beim Lesen war ich nie hoffnungslos, obwohl der Ausgang des Buches für mich lange Zeit nicht vorhersehbar war.

Den tiefsten Eindruck aber hinterließ bei mir ein Satz von der ersten Seite des Buches:

„…was ihn am meisten quälte: die Scham am Leben geblieben, mit heiler Haut, ohne Tätowierung davongekommen zu sein, während seine Verwandten und fast alle anderen im Feuer umgekommen waren, unter ihnen so viele, die das Überleben eher verdient hätten als gerade er.“


Dieser Satz verfolgte mich durch das gesamte Buch. Er kam mir in den schlimmsten Situationen in den Sinn, so dass ich über die Bedeutung dieser Zeilen oft und lange nachgedacht habe.

Diesen ruhigen und bedrückenden, aber auch hoffnungsvollen Roman sollte man unbedingt gelesen haben.

Er kommt aber meiner Meinung nach nicht ganz an "Jakob der Lügner" von Jurek Becker heran. Den "Roman eines Schicksllosen" von Imre Kertesz werde in meinem SUB ganz nach oben einsortieren.

Ich bewerte "Lügen in Zeiten des Krieges" mit: :stern: :stern: :stern: :stern:
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Siebenstein » 01.02.2007, 21:48

Ich habe das Buch gestern beendet und wie immer, wenn ich Bücher über die NS-Zeit lese, bin ich zutiefst erschüttert. Das Buch hat mir wieder einmal deutlich gemacht, dass man nicht genug über das Thema lesen kann, da jedes Mal das Augenmerk auf etwas anderes gelenkt wird. Hier ist es die fatale Auswirkung die das ständige Verstecken und Lügen auf die Identitätsfindung eines Kindes hat. Maciek hat sich so oft verstellen, sich so viele verschiedene Lebensläufe zu eigen machen müssen, dass er am Ende kaum noch weiß, wer er wirklich ist. Besonders erschreckend fand ich, dass es ihm und seiner Familie auch nach Kriegsende sicherer erschien, die jüdische Identität nicht wieder anzunehmen, so groß war die Angst vor erneuten Pogromen.

Ein wichtiges Buch und eine unbedingte Empfehlung!

:stern: :stern: :stern: :stern:

Herzliche Grüße
Siebenstein
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