Krümels-Bücherwelt ...

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Claudel, Philippe - An meine Tochter




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Claudel, Philippe - An meine Tochter

Beitragvon Salome » 05.10.2006, 15:23

Kurzbeschreibung :

Ein Mann schreibt an seine Tochter. Es ist ein Abschiedsbrief. Seine Frau ist bei der Geburt des Kindes gestorben, seitdem hat das Leben jeden Sinn für ihn verloren. Doch während des Schreibens begreift er, dass er weiterleben muss – für seine Tochter.

Meine Meinung:

Wenn mich "Die grauen Seelen" von Claudel auch schon zutiefst bewegt hat,dieses hier hat mich an meiner empfindlichsten Stelle getroffen und umgehauen.Diese Stelle sind meine Kinder und meine Gefühle für sie.
"An meine Tochter" ist eine Liebeserklärung,wie ich sie nie vorher gelesen habe.Ohne Schnörkel,ohne Pathos,einfach ganz viel ehrliches Gefühl und Gänsehautgarantie.
Es hat nur hundert Seiten,aber mit so viel Gehalt,daß man glaubt einen 1000 Seiten-Wälzer gelesen zu haben.
Ich habe noch bei keinem Autor so ein Gefühl von Seelenverwandtschaft empfunden,wie bei Claudel.
Fantastisch!

Bild

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern: Mit Extra :stern:
Zuletzt geändert von Salome am 15.04.2007, 06:34, insgesamt 1-mal geändert.
Salome
 

von Anzeige » 05.10.2006, 15:23

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Beitragvon Pippilotta » 05.10.2006, 16:40

Diesen Autor möchte ich jetzt auch endlich für mich entdecken!
Es ergeht mir bei Zeruya Shalev schon so, dass sie mich direkt anspricht, fast schon beängstigend nahe geht und ich nur mehr in kleinen Etappen weiterlesen kann ... Claudel geht wohl auch in die Richtung, wenn nicht noch intensiver, oder?
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon wolves » 12.10.2007, 07:58

@Pippi: Ich kann mittlerweile nur schreiben: Einfach mal versuchen und entdecken.

Auch diesmal konnte mich Claudel wieder packen. Dieses Buch ist ganz anders als "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" und doch wage ich schon beim zweiten Buch von ihm zu schreiben "typisch" Claudel. Mit wenigen Worten viel Aussagen.
Hart und brutal ist die Umwelt des Ich-Erzählers. Seit dem Tod seiner Frau hatte er keine große Freude mehr an diesem Leben und sieht vieles aus einer kritischen und manchmal pessimistischen Ausgangslage. Streckenweise möchte man ausrufen: Denk doch nicht so schlecht! Und dann hinterfrägt man selbst. Denkt nach. Vieles steht zwischen den Zeilen.

Und doch gibt es da jemand, der ihn wie ein "heller Stern" wieder ans Leben glauben läßt. Seine kleine 21-monatige Tochter. Da wird er weicher. Da glaubt er wieder an das Leben.

Um nicht zu viel zu verraten höre ich mal auf. Für mich ganz klare :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

@Salome: :bussi: Danke für dieses Buch!
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Salome » 12.10.2007, 09:26

@ Wolves: Nichts zu danken, dass habe ich von Herzen gerne getan! :D
Salome
 

Beitragvon tom » 25.11.2007, 23:18

Ich habe das Buch fast in einem Rutsch gelesen, war leider nur durch einen Termin und den Schlaf unterbrochen worden. Dabei wirkt gerade hier das Lesen besonders wenn man es zusammenhängend hinkriegt. Ist das Buch auch in gewisser Hinsicht in kleine Unterabschnitte der verschiedenen Erzählperspektiven aufgeteilt, ist es doch auf beeindruckende Weise ein Ganzes, wo diese verschiedenen Niveaus in enger Beziehung stehen.

Ich las es auf Französisch. Im Original heißt der Titel "J'abandonne", ein sehr vielschichtiges Wort, das mal "ich gebe auf, ich schmeisse das Handtuch", aber auch "ich überlasse mich" bedeuten kann. Sehr geschickt erzählt Claudel, wie der Ich-Erzähler am Verlust seiner Frau, aber auch an den verschiedensten Vermarktungen und Unmenschlichkeiten seiner Umwelt, DER WELT, verzweifelt und auch schon in gewissem Sinne "nicht mehr mitmacht" im angebotenen System (was sich schon durch das ganze Buch hinzog als Erfahrung, die zur definitiven Trennung von der Tochter führen sollte). Doch genau in dem Moment, wo er seine Stellung fahren lässt, und dieses "J'abandonne" ausgesprochen wird, findet er geheimnisvoll zurück zu einem Ja, mit dem er die kleine Tochter begleiten will bis zum selbst nicht ausgewählten Tod.

Keine Ahnung, inwieweit alle typischen französischen Anspielungen für den Nichtfranzosen verständlich sind, aber eigentlich haben alle Personen, alle Bilder etc. einen greifbaren Hintergrund, so dass ich mich schon fast wundere, dass das Buch nicht von diesem oder jener angegriffen worden ist. Diese Querverweise sind überaus treffend!!! Einfach toll gesehen!

Der deutsche Titel legt den Akzent auf den Brief an die Tochter. Okay. Es ist die "Form" des Buches. Aber die Hauptperson, die die Wende eigentlich herbeibricht, ist die Mutter, die von den Beauftragten herbeigerufen wird, um "bearbeitet" zu werden in Hinsicht einer Erlaubnis einer Organentnahme an der gerade verstorbenen Tochter. Da trifft auf unglaubliche Weise Tod und Leben aufeinander: IN dieser Frau sieht der Ich-Erzähler seine Tochter. Diese Frau ruft ihn zurück ins Leben. FÜR seine Tochter.

Spitzenklasse!

:stern: :stern::stern::stern::stern:
tom
 

Beitragvon Salome » 26.11.2007, 06:50

@ Tom: Dieses Buch ist auch einer meiner Favoriten von Claudel. Es ist ein Buch, das mir sehr nahe gegangen ist und aus dem ich viel positive Kraft geschöpft habe. Ein Buch nach dem man das Leben um so mehr liebt! :D
Salome
 

Re: Claudel, Philippe - An meine Tochter

Beitragvon Pippilotta » 17.03.2010, 12:10

Ich kann mich den VorrednerInnen nur anschließen: dieses Buch ist ein Meisterwerk!

Nach "Die grauen Seelen", "M. Linh..." und "Brodecks Bericht" mein 4. Buch von Claudel, und - wie ich finde - das intensivste.

Ich hatte auch das Glück, das Buch in einem Rutsch durchlesen zu können, und somit in der Welt des Protagonisten zu versinken, eine Welt, die seit dem Tod seiner Frau in ihrer Trostlosigkeit nicht zu überbieten ist. Ihn kann auf der Welt nichts mehr halten, er sieht nur mehr Dummheit, Oberflächlichkeit, Eitelkeit, Egoismus und Obszönitäten. Für das Schöne, das Erfreuliche hat er keinen Blick.
Es ist nicht Hass, der ihn so auf die Welt blicken lässt, es ist vielmehr eine Mischung aus Phlegmatik und Sinnleere. Bis ein Stück Hoffnung in Person einer Frau, die gerade ihre 17-jährige Tochter verloren hat, in sein Leben tritt, und aus den vermeintlichen Abschiedsbrief zu einer ergreifenden Liebeserklärung macht.

Dies alles liest man auf knapp 100 Seiten, mit wenigen Worten - bzw. den richtigen Worten - wird alles gesagt, vieles zwischen den Zeilen.

eine ganz, ganz klare Empfehlung von mir!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :thumleft:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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