Sneak Previews

Rokna Blue: The Spade Age
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  • Forum: Rokna Blue: The Spade Age
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    Re: Sneak Previews

    Yog - 29.08.2006, 15:44

    Sneak Previews
    Der eine oder andere hier gehört ja gewiss auch zu den Leuten, die montags öfters mal im Filmtheater am Friedrichshain in die Sneak Preview gehen. Da könnte man doch hier immer nachträglich schreiben, wie man die einzelnen Filme so fand.

    Ich verweise exemplarisch auf meine gerade verfasste Review zu "Adams Apfel" gestern in meinem Blog: http://www.plomlompom.de/cineplom/1092/

    Quote: Adams Apfel / Adams aebler
    <em>Dänemark/BRD 2005, Anders Thomas Jensen, 94 Minuten.</em>

    Ein zuchthausentlassener Neonazi wird zur Resozialisierung auf eine schrullige Pfarrerei geschickt und wandelt sich nach viel Gegenwehr und Konflikt inmitten der anderen verkorksten Figuren, die dort auch so mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen haben, zum guten Menschen.

    <em>Eigentlich</em> genügen bereits die ersten Minuten, um "Adams Apfel" als sophisticated Wohlfühlfilmchen für den mainstreamigeren Arthaus-Crowd zu identifizieren; man kennt das ja, da wird hier und da ein bisschen Groteske und Derbheit beigemischt und irgendein Klischee bewusst gebrochen, um dem maturierten Publikum seine Erhabenheit über einfaches Melodram und reaktionäre Codes zu versichern; so dass es sich schambefreit in der letztlich gleichen blöden Erlösungssoße suhlen darf, auf die eben auch dieses Kino ohne Erbarmen stets zusteuert, nur halt etwas verlogener und intelligenter zugepackt.

    Erfreulicherweise scheint jedoch mit "Adams Apfel" diese Vorgabe -- ein bisschen Wahn und Bosheit einfließen lassen, um Kitsch und Versöhnlichkeit auch dem Bourgeois gefahrlos konsumierbar zu machen -- längst zum Selbstzweck verkommen; ein Freibrief, verliehen von der sicheren abschließenden Versöhnung, sich <em>auf dem Weg zu ihr</em> eigentlich jede Derbheit, Geschmacklosigkeit, Hinterhältigkeit, Aggression und Deformation zu leisten, die aus dem angenehm perversen Gehirn von Filmautor Anders Thomas Jensen mal eben lustig heraussprudelt. Da wird nicht einfach nur mal eine Katze erschossen, da spritzt menschliche Gehirnmasse, da werden Hauptfiguren genüsslich entstellt und da wird das Böse und Falsche maßlos vergnüglich gemacht. Wie sich das gehört.

    Ein früherer Film von Anders Thomas Jensen (mit halbwegs der gleichen Besetzung: u.a. Mads Mikkelsen, Ulrich Thomsen, Ole Thestrup) deutete bereits in diese Richtung: In "<em>Blinkende lygter"/"Flickering Lights</em>" (2000) finden zwei Figuren ihre versöhnelnde Erlösung etwa im liebenswerten Hobby, wahllos Tiere totzuschießen. Faszinierend, wie weit Jensen dieses Dehnen des sophisticated Wohlfühlfilms treiben kann, ohne dass er zur Selbstdekonstruktion gelangt: Denn trotz allem gelingt sowohl "Flickering Lights" als auch "Adams Apfel" der Würgegriff, letztlich zutiefst das Herz für seine verkorksten Figuren und ihre erlösenden Selbstfindungen zu erwärmen. Wenn dafür ein paar Tiere getötet, Behinderten- und Vergewaltigungswitze gerissen und altersschwache Ex-KZ-Wärter bemitleidenswert gemacht werden, ach, warum eigentlich nicht?



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 29.08.2006, 16:48


    Prima Idee, ab sofort hat die Sneak also ihr eigenes Topic! Tragischerweise bleiben mir persönlich zum Mitshreiben und Diskutieren nur noch fünf Wochen. So, what?
    Wundervolle Review, Yog. "Sophisticated Wohlfühlfilmchen" - stammt diese wirklich schnieke Formulierung von dir?

    Im Übrigen fiel "Sympathie" für einen Quasi-Neonazi filmerisch je einfacher - dieser pastor übertrifft einfach alles bisher Dagewesene, in bezug auf Schrulligkeit und Extravaganz_



    Re: Sneak Previews

    Yog - 05.09.2006, 18:01


    Rezension zum gestrigen "Water" in meinem Blog ( http://www.plomlompom.de/cineplom/1104/ ):

    Quote: <strong>Water</strong>
    <em>Indien/Kanada 2005, Deepa Mehta, 117 Minuten oder so ähnlich.</em>

    Sorgenreiches Sozialmelodram über die gesellschaftliche Drecksposition von Hindu-Witwen, in schönen Bildern und schönem Score von Mychael "Egoyan" Danna. Spielt im Indien des Jahres 1938, passabel pittoresk eingefangen, aber nix Bollywood-Spaß, sondern westliche Mainstream-Drama-Norm.

    Freilich formuliert der Abspann das Anliegen, auf die offenbar nach wie vor miserable Position indischer Witwen auch im Heute zu verweisen; ebenso sucht die hiesige Presse, den Film zu adeln durch Verweis auf massive reaktionäre Widerstände gegen ihn drüben in Indien. Doch aus der historisierenden Zeitkoloritwatte, in die er eingewickelt ist, taugt er ebenso wenig als Kritik an aktuellen Zuständen wie als Kritik überhaupt, so dialektisch seicht, wie er ist. (Didaktischer Höhepunkt? Ratlose Witwe fragt aufgeklärten Mann nach der Quelle ihres Leids, der antwortet mit: Ein Mund weniger zu füttern am Familientisch -- es ist das Geld!)

    Nur konsequent, dass ein gesellschaftliches Darf-nicht-Sein so endet, wie politisch feige Sozialmelodramen schon seit der Stummfilmzeit ihre Heldinnen enden lassen: mit dem Gang ins Wasser. Wie tragisch! Weitermachen. Erlösung wird nur durch Projektion auf Volksretter Gandhi versprochen, der am Ende noch persönlich einreiten darf. Tja, aber scheint ja langfristig nicht viel geholfen zu haben, der Gute, wenn's den Witwen immer noch dreckig geht.

    Wie man sowas alles emanzipativ auch anders angehen kann, zeigt als positives Gegenbeispiel Ousmane Sembenes "<a><em>Moolaadé</em></a>".

    Das "produced by David Hamilton" im Vorspann ist übrigens übler Betrug. Wir freuten uns im Sneak-Publikum schon und erspähten auch gleich (fraglos mehr reingedeutelt als empirisch objektiv) Weichzeichneroptik und etwaige Softpornodarsteller, wurden jedoch leider langfristig enttäuscht. Es war auch gar nicht <em>der</em> David Hamilton, <a>klärt die IMDb auf</a>.

    <em>"Water" kommt am 7. September in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 06.09.2006, 16:22


    Mhm. Muss an dieser Stelle zugeben, dass ich den Film aufgrund des ähnlichen Titels mit dem japanischen Psychostreifen "Dark Water" verwechselte - schließlich wurd ich bitter enttäuscht und schlief ein_
    Glücklicherweise bin ich die nächsten Montage nicht in der Stadt - somit entgeh ich jeder Versuchung, Kohle für derart miserable Filmchen rauszuwerfen_ Well. Die guten verpass ich ja doch wieder /X



    Re: Sneak Previews

    Yog - 17.10.2006, 18:47


    Und hier noch schnell nachgereicht meine Besprechung von "Sommer '04" letzte Woche (online auch hier -- http://www.plomlompom.de/cineplom/1158/ --, wo über selbige gerade eine Kommentarschlacht tobt):

    Quote: <strong>Sommer '04</strong>
    <em>BRD 2006, Stefan Krohmer, 97 Minuten.</em>

    Mein Verständnis der "Neuen (?) Berliner Schule"[*] mag recht klein sein, aber "Sommer '04" scheint mir doch wieder einigermaßen in diese Ecke zu torkeln.

    Da sind schon die deutlichen Parallelen zu "<a>Montag kommen die Fenster</a>": Auch hier werden wir wieder eingeführt in ein neubürgerliches privatistisches Kleinstfamilienmilieu, das in Sprache und Gehabe einigermaßen unspießig-aufgeklärt-emanzipiert daherkommt; das aber nichtsdestotrotz unbefriedigt <em>Angekommen ist</em> im netten teuren (stets halb selbstgebauten) Landhaus, unfähig, tatsächlich irgendeine Form von Selbstverwirklichung in diesem letztlich bloßen Rückzugsraum vor der Welt zu leben, ohne sich selbst oder Andere zu verletzen (in beidem notwendig: der Tod eines Außenstehenden); und das Ganze eingefangen in einer sich zwar komplex, aber betont unforciert, unpsychologisierend gebenden Figurenzeichnung (unvermeidlicher IMDb-Comment: "The real problem with this film is that the characters motivations don't make sense"); strukturell gespiegelt in einer auf übernüchterte Weise kunstvollen äußeren Form, die zwar denkend erscheint, aber vor jeder Konklusion, jeder klaren Pointe sich fürchtet -- weshalb die Einstellungslängen nie zu knapp auf ihren vordergründigen Inhalt eingeengt sein dürfen -- und allzuoft seltsam unsinnlich daherkommt.

    Dabei wirkt "Sommer '04" längst nicht so enigmatisch und intimesk wie "Montag kommen die Fenster" (aber auch in seinen Figurenzeichnungen nicht so subtil) und gönnt sich Ansätze gekonnter Spannungskonstruktionen, die zwar -- z.B. im anfänglichen Umherirren Martina Gedecks im Haus des Amerikaners -- ins Leere führen, aber dennoch den Zuschauer ab und zu interessiert halten am Schicksal der Figuren und nicht nur ihrer abstrakten Rolle im intellektuellen Konzept des Drehbuchs. Das Ende dann, die letzte Szene, ist ein bösartiges Glanzstück, in dem sich tatsächlich, und entgegen allem Mangel an Nachvollziehbarkeit der hierhin lenkenden Figurenmotivationen, die ganze Anordnung zu einer nach wie vor uneindeutigen, aber nichtsdestotrotz hoch wirkungsvollen Pointe entfaltet. Wider Erwarten geht hier doch noch das ganze ästhetische Konzept in Kraft auf.

    <em>"Sommer '04" kommt am 19. Oktober in die deutschen Kinos.</em>

    [*] Was ist jetzt eigentlich die offizielle Sprachregelung? Berliner Schule oder Neue Berliner Schule?



    Re: Sneak Previews

    Yog - 17.10.2006, 18:49


    Und dann noch zu gestern, "Shortbus" ( http://www.plomlompom.de/cineplom/1161/ ):

    Quote: <strong>Shortbus</strong>
    <em>USA 2006, John Cameron Mitchell, 101 Minuten.</em>

    <a>Seltsame Unsinnlichkeit</a> kann man dagegen John Cameron Mitchells "Shortbus" ganz gewiss nicht vorwerfen: Der beginnt gleich mit einer furiosen wie heiteren Orgamus-Crescendo-Montage sexueller Tätigkeiten, zusammengehalten von wilden Kameraflügen durch ein phantastisch farbiges Modellbau-Pappmaché-New York, das den Traumsequenzen aus Gondrys "The Science of Sleep" zur Ehre gereicht hätte. Klar, dass dieses Reiz-Maß nach der bald erreichten Klimax nicht durchgängig für die folgenden anderthalb Stunden beibehalten werden kann; recht schnell entpuppt sich hernach das Werk als gutmütiger, moderat verspielter Ensemble-Film um die Sexualitäts- und Beziehungsprobleme der in der Eingangsszene etablierten Figuren, mit einem hauptsächlichen Fokus auf ein schwules Dreiecksszenario, eine präorgasmische <del>Sexual</del>Paartherapeutin und eine lebensunzufriedene Dominatrix. Gemeinsamer Kristallisationspunkt ist der Sexclub "Shortbus", in dem nicht nur fröhlich bisexuell geswingt, sondern auch eine ans Schleimige grenzende gemütliche Heimeligkeit in einer hippen New Yorker Queerness-Semi-Underground-Lebenskulturnische zelebriert wird, unter den mütterlichen Fittichen der allgeliebten Drag-Chanteuse <a>Kiki/Justin Bond</a>.

    Zugute halten mussen man "Shortbus", dass er diesen Komplex zwar im Geiste mainstreamkompatibel, aber dabei keineswegs Hardcore-bereinigt vorführt: Bereits in den ersten Minuten hat man ja massig Penetration und ein akrobatisches Lutschen-des-eigenen-Schwanzes ohne Scheuklappen zu sehen bekommen, und auch später gibt es noch so Manches, vor allem massig schwulen Dreier-Sex in allen Stellungen, was keineswegs kunstfilmerisch verschämt, sondern freudig offen präsentiert wird. So etwas wie ein Einen-Tabubruch-als-Tabubruch-Durchführen glänzt vielleicht höchstens mal auf in Justin Bonds Beschreibung seiner Benutzung von Menstruationsblut als Schminke und Lippenstift, damit konnte er auch noch das tolerante Berliner Sneak-Publikum ins Würgen bringen. Darüber hinaus freilich ist "Shortbus" eigentlich ein ganz solider, unterhaltsamer, netter, "life-affirming" Kitschfilm, unreflektiert und ohne subversive Qualitäten, von seinen ähnlich stylish formal verspielten modernen Brüdern und Schwestern eigentlich nur dadurch hervorstechend, dass er Hardcore-Sexszenen als gleichberechtigtes Attraktionsmittel neben dem übrigen etablierten Repertoire auf der Reiz-Orgel einführt. Ein im Rahmen seiner Genre-Voraussetzungen durchaus ehrenwertes Vorhaben.

    <em>"Shortbus" kommt am 19. Oktober in die deutschen Kinos.</em>
    <br>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 31.10.2006, 20:22


    Zu gestern, "Snow Cake": http://www.plomlompom.de/cineplom/1202/

    Quote: <strong>Snow Cake</strong>
    <em>Kanada/GB 2006, Marc Evans, 112 Minuten.</em>

    <em>Snow Cake</em> bemüht sich redlich, das allerlächerlichste und allererbärmlichste <a>Liberal-guilt</a>-Melodram des Jahres zu sein. Dies Vorhaben gelingt Marc Evans zwar nicht ganz so prachtvoll wie dereinst Paul Haggis mit seinem epochalen Camp-Fest <em><a>Crash</a></em> (2004), aber dennoch in einem durchaus respektablen Maße.

    Man strengt sich ja ab Anfang eifrigst an: Sympathie für und Chemie zwischen den Figuren einer betont verrückten plapper- und lebensfreudigen Anhalterin und einem unwillig-schweigsam-griesgrämigen Autofahrer sollen erstmal etabliert werden, forciert-vorangepeitscht durch leider recht plump drehbücherne Konversationskonstruktion, die es gar nicht erwarten kann, dass er seinen Widerstand breche und ihr endlich sein tragisches Herz ausschütte. Nach, was, vielleicht fünf Minuten?, glaubt der Film dann auch seine Affektkonstruktionsbemühungen schon weit genug fortgeschritten, um zu einem <em>schweren dramatischen Schlag</em> ausholen zu können -- ein Autounfall, der die Anhalterin zu Tode kommen lässt --; der freilich trotz aller pompös elegischen Inszenierung gemütsmäßig wirkungslos bleibt. Das derart vorgeführte naive, unbegründete Vertrauen des Films in die eigene manipulative Penetranz indes -- ja, das hat Größe und ist in seiner Unangemessenheit fraglos anrührend; man wünscht sich umgehend mehr davon.

    Der Autofahrer, Alan Rickman (der die ganze Zeit in seiner Mimik Timothy Busfield imitiert, den Danny Concannon aus <a><em>The West Wing</em></a>), besucht hernach die Mutter der Anhalterin: <em>wacky</em> Autistin Sigourney Weaver, die vorzeigbar unberührt eingeführt wird, wie sie sich gerade mit kindischer Freude von Lichtkugeln verzaubern lässt. Es folgte ein weiterer glanzvoller Moment des Films, hier aus dem Gedächtnis (bzw. unentzifferbarem Gekritzel aus meinem Notizbuch) zitiert:

    <strong>Weaver</strong> (über ihre Tochter, in dem sonderbar abgehakten Redestil, den Weaver oder Evans oder die Synchro Autisten zuschreiben): "<em>Sie erzählte immer - sie wolle Schriftstellerin werden ..., und deshalb wollte sie als Anhalterin - immer mit den Menschen mitfahren - die am einsamsten aussahen</em>"

    <strong>Schnitt</strong> auf <strong>Rickman</strong> mit traurigem Gesicht, dazu der Klang einer düsteren <strong>Klaviertaste</strong>.

    <strong>Weaver</strong>, weiter (in ihrem abgehakten Sprechstil): "<em>Weil die - die besten Geschichten - erzählen ...</em>"

    <strong>Schnitt</strong> auf <strong>Rickman</strong> mit noch traurigerem Gesicht, dazu nochmal und noch lauter die Klaviertaste. Irgendwann fängt er dann zu aufsteigender <strong>Musik</strong> zu heulen an, schluchzt schließlich auf: "<em>Die Schuld! Die Schuld!</em>"

    Im Weiteren bildet sich eine bereits über die Tochter eingeführte verlogene <em>Andersartigen-Romantik</em> zum Hauptspielplatz des Filmes heraus. Vor allen anderen Figuren hat natürlich hier die Weaver-Autistin die Hauptlast zu tragen: Ihr <em>anderer Umgang mit</em> der Welt erlaubt ihr eine <em>lustige</em> Direktheit, die doch so viel <em>wahrhafter</em> über die Welt zu sprechen verstatte, als der Normal-Sozialisierte es kann; die filmische Demonstration ihres <em>anderen Zuganges zur</em> Welt erschöpft sich indes in <em>zauberhaften</em> esoterischen Kitschbildern (die titelgebende Schneeflocke wird bereits als Faszinationsobjekt hemmungslos hohl kitschkonventionalisiert, wo sich doch ihre kristallinen Strukturkomplexitäten wundervoll als mathematisches Attraktionsmoment inszenieren ließen, aber dafür hätte fraglos nur ein ganz anderer Film herhalten können). Sie stellen die Ausformulierung eines vom Film als unvermeidlich, essentiell behaupteten spezifischen Kitsch-Standards menschlicher Gefühle auf einer bloß anderen Ausdrucksebene dar. Dessen Aufdeckung auch im Herzen der <em>wacky</em> Autistin ist im Gesamtverlauf die narrative Entwicklungsaufgabe.

    Auf dem Weg dahin gibt es vielerlei <em>herrliche Schrägheiten</em> von ihr und vielerlei <em>weise Sätze aus Narrenmund</em> bzw. Manifestationen überlegener Phantasiefähigkeit bzw. eines Erblickens von Schönheit im Banalen, für das der Blick der Gewöhnlichen zu blind sei (in der Tradition der American-Beauty-Plastetüte), zu ertragen, letzterer Komplex gern auch eingefangen in langsam sich der Weaver annähernden Kamerazooms und langsam einsetzender Empfindsamkeitsmusik, oder aber als nachträglich Bedeutung hinterhertragendes Voice Over über lyrisierten Landschaftsbildern. Hinzu ein Indie-Score von Broken Social Scene, deren <em>Anthems for a Seventeen Year-Old Girl</em> in der Erlösungs-Szene kontextuell äußerst unerträglich ausgespielt wird, und fertig ist das Produkt. Ich tippe ja auf ein zwei Oscars wenigstens.

    <em>"Snow Cake" kommt am 2. November in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 02.11.2006, 10:33


    Klingt wirklich nciht sehr berauschend... Original oder Synchro?

    Well, wieviel Loitz seid ihr zur Zeit inner Sneak, Yog?
    Und vielen Dank fuer dein fleissiges+regelmaessiges Posten, ich les deine Filmkritiken jedesmal mit freudiger Erwartung_



    Re: Sneak Previews

    Yog - 02.11.2006, 10:46


    Hydra: Synchro; und ich glaub, 10+ Leute oder so dürften schon noch so regelmäßig zusammenkommen ...

    'n paar Andere könnten ja auch mal Sneak-Reviews posten *umguck*! ;-)



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 02.11.2006, 11:34


    Zeitgleich online trotz 10 Stunden Zeitverschiebung, wie nett! (X

    Mhm... +Yogs Blicken folg+ Ihr faulen Saeue, ihr (ist das furchtbar ohne Umlaute)! (:



    Re: Sneak Previews

    Yog - 02.11.2006, 11:37


    Hydra: Na wie issn das Wetter bei euch? Auch so schön kuschelig kalt und nass und klirrend wie hier? ;)



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 02.11.2006, 11:45


    Du wirst lachen, aber momentan regnet's und is ziemlich windig... dennoch so etwa um die 20 Grad_ Aaaaber es wird waermer, der Sommer bewegt langsam seinen Arsch aus den Startloechern!

    Bald sind wir aber auf Tasmania, dann koennen wir mit euerm Sauwetter glatt mithalten (X



    Re: Sneak Previews

    Yog - 02.11.2006, 11:54


    Cool :-D



    Re: Sneak Previews

    Yog - 07.11.2006, 17:03


    Zu gestern, "The Last Kiss": http://www.plomlompom.de/cineplom/1217/

    Quote: <strong>The Last Kiss / Der letzte Kuss</strong>
    <em>USA 2006, Tony Goldwyn, 115 Minuten.</em>

    Wie klingt das Selbstmitleidslied von Endzwanzigern der gehoben bürgerlichen US-Mittelklasse auf dem Weg zum baldigen Eheleben? Keine Frage, die <strong>cine:plom</strong> allzusehr in unruhigen Nächten drangsaliert. Und dazu scheint auch kein Anlass zu bestehen, in Anbetracht der Plattitüden und Banalitäten und Erbärmlichkeiten, mit denen <em>The Last Kiss</em> die Antwort ausfüllt. In Unkenntnis der hier amerikanisierten italienischen Filmhitvorlage, <em><a>L'ultimo bacio</a></em>, schiebe ich die Schuld nebem dem <em>subject matter</em> einfach mal Drehbuchautor Paul Haggis zu, der ja bereits mit <a><em>Crash</em></a> seine eigentümlichen Ideen über das soziale Miteinander von Menschen mit Mut zum albernen Dumpfsinn ausbreitete.

    <em>The Last Kiss</em> ist dagegen allerdings eher fade und leider alles in allem nicht blöd genug, um erträglich zu werden. Er nimmt sich zwar in all seiner Einfältigkeit grundlegend ernst, anstelle des belustigend pompösen Bedeutsamkeitsgestus von <em>Crash</em> überwiegt hier jedoch ein sehr mildes Gehabe vorgetäuschten Sich-locker-Nehmens und harmlos-reflektionsärmster Selbstironie, das nach oben hin nie die Treppe zur Cleverness bezwingt, aber wenigstens nach unten hin einige Male auf mild amüsante Weise ins Infantile abrutscht: etwa wenn Hauptdarsteller Zach Braff auf die Anregung seiner Verlobten, doch das heraus zu lassen, was ihn im Innersten quäle, kräftig furzt, oder ihm später im Beziehungsstreit nach Ausgehen seines Vokabulars selbiges sich auf das bloße wiederholte weinerliche Ausrufen ihres Namens reduziert. Doch solche Entgleisungen sind dünn gesäht, so dass der <em>redeeming value</em> sich größtenteils auf die Freude an plumpesten Product Placements -- die bilddominierenden iMacs sind allerdings auch ansehnlicher als die Hauptdarsteller -- sowie einem kleinen Gastauftritt von Harold Ramis, dem Dr. Egon Spengler aus den <em>Ghostbusters</em>, beschränkt.

    <em>'The Last Kiss' / 'Der letzte Kuss' kommt am 16. November in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 16.11.2006, 01:35


    Zu diesmal, "Scoop": http://www.plomlompom.de/cineplom/1231/

    Quote: <strong>Scoop</strong>
    <em>UK/USA 2006, Woody Allen, 96 Minuten.</em>

    Nach den prototypischen Sneak-Preview-Grausamkeiten, die das Filmtheater am Friedrichshain die letzten zwei Wochen bot (<a><em>Snow Cake</em></a>, <a><em>The Last Kiss</em></a>), war der neue Woody Allen eine zum positiven Ausgleich wohl unumgängliche Notwendigkeit. Durch ein Meer an überambitioniert-übersteuertem Edel-Schuldschleim gewatet zu sein, ist wohl die beste Voraussetzung, um das vollends unangestrengte <em>very nice</em> Dahinplättschern einer neuen kleinen Woody-Allen-Kriminalkomödie, wie <em>Scoop</em> sie ist, würdigen zu können.

    Woody Allen haut hier einfach ohne großen Wurf ein weiteres Schächtelchen von Film raus, das er für anderthalb Stunden so wohnlich und gemütlich einrichtet, wie es ihm gerade leicht von der Hand geht. Er hockt in England, also bieten sich ein paar ansehnliche Anwesen und Ländereien an; er guckt auf sein unbeschwert bildungsbürgerliches musikalisches Repertoire und findet ein paar wohlklingende Tschaikowsky-Standards; er sät das Ganze mit entspannten, nur selten irritierenden Zoten; und stellt ein paar Schauspieler mit ausreichender Screenpräsenz in die Mitte, allen voran natürlich die allseits beliebte Scarlett Johansson und sich selbst.

    Große Freude bereitet aber auch die Unterbringung von Ian McShane; der primär (obgleich auf eine weit über vier Jahrzehnte umfassende Filmschauspielerkarriere zurückblickend) für seine Quasi-Hauptrolle als schulterzuckend über Leichen gehender Bordellkapitalist aus der HBO-Westernserie "Deadwood" überaus beliebte McShane darf als vergeisterter Profi-Journalist aus dem Jenseits immer noch hinreichend abgebrüht und überlegen auftreten, um ihm ein wenig Deadwoods Al Swearengen abzunehmen. Leider sind seine wenigen Erscheinungen kurz, aber vielleicht integriert Allen ihn ja noch in sein Darstellerstandardrepertoire.

    "Scoop" lässt schöne Menschen schöne Dinge tun[1], in schöner Umgebung und zu schöner Musik, recht entspannt und ungepeitscht, aber in ausreichendem Maße für einen netten Kinoabend oder ein Nebenherlaufenlassen im Fernseher. Nett, nett.

    [1] Ich habe gerade erfolglos versucht, rauszukriegen, von wem der Spruch ist, dass dies Kino sei. Ich spekuliere Godard oder irgendein anderer Franzose. Jemand eine Idee?

    <em>"Scoop" kommt am 16. November in die deutschen Kinos.</em><br><br>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 21.11.2006, 16:37


    Zu diesmal, "Goyas Geister"/"Goya's Ghosts": http://www.plomlompom.de/cineplom/1241/

    Quote: <strong>Goya's Ghosts / Goyas Geister</strong>
    <em>Spanien/USA 2006, Miloš Forman, 114 Minuten.</em>

    Der Maler Goya (Stellan Skarsgard) ist hier nur eine Nebenfigur, primär Werkzeug zur Vorantreibung der Handlung. So nimmt sich Forman von ihm erfreulicherweise auch kaum Gelegenheit, in triefende Künstlerromantik abzugleiten (ein, zwei Ausnahmen, pompös musikalisierte Herstellung eines Druckes sowie eine Montage von Goya-Bildern mit realen Greueln, übersehen wir mal geflissentlich; ansonsten gibt es noch die musikalischen Montagen von Goya-Werken im Vor- und im Abspann, die jedoch ziemlich für sich selbst stehen und darin durchaus erträglich sind), und auf ermüdende Pastiche-Spielereien wie der Nachstellung eines vermutend rückprojizierten Goya-Stiles über die Kamera-Arbeit, Bild-Komposition, Beleuchtung o.ä. verzichtet er erholsamerweise ebenso. Was die Kritik allerdings, die sich einen weiteren Amadeus-period-piece-Künstler-Biopic erwartet hat, nun breit zu bejammern und Forman vorzuwerfen weiß.

    Eine sehr viel interessantere Figur als seinen Film-Goya -- der in erster Linie sorglos und unrebellisch zwischen seinen lieben Geldgebern in Inquisition, Königshaus und reichem Bürgertum umherhüpfen darf -- findet der Film im Inquisitor Lorenzo (Javier Bardem). Der wird in einem Zug eingeführt als einerseits sympathisch intelligenter und mutiger Verteidiger, wider die empörten Zensur-Rufe seiner Genossen, von Goyas freiem künstlerischen Ausdruck einer unglücksdurchzogenen realen Welt; und zugleich deduziert er hieraus energisch die Forderung einer Wiederaufnahme älterer unzimperlicherer Gangarten der Inquisition, zur erneuten Reinigung dieser realen Welt vom durch Goya dargestellten spirituellen Unglück, das sich auf das Treiben heimlicher Freigeister, Juden und Protestanten zurückführen lasse. Da muss die liberale Sympathiesuche des Zuschauers erstmal schlucken.

    Dies ist eine der Schönheiten dieses Filmes: Er erlaubt sich diskursive Konsequenz. Er knickt die diskursiven Positionen der Figuren nicht unter Psychologie oder Moral oder persönlicher Verlogenheit ein, wie sie als Diskussionsgrundlage doch sonst so gern im Mainstream-Kino beschworen werden; bis auf einen kleinen Sexualtriebs-Ausrutscher lässt sich insbesondre die zwielichtige Figur des Lorenzo von alledem nicht aus einem zivilisierten Streitgespräch mit konträren Meinungen, in dem Argumente ernsthaft und konsequent ausgetauscht und durchdekliniert werden, zurückhalten.

    Im Folgenden als Beispiel ein Spoiler zum ersten Teil des Filmes: Goyas Muse Ines (Natalie Portman) gerät nach Lorenzos feuriger Wiedererweckung des guten alten Inquisitions-Apparats in eben dessen Fänge und wird der <a>peinlichen Befragung</a> (Folter) unterzogen, bis sie eingesteht, eine <a>Krypto-Jüdin</a> zu sein. Ihr Vater bittet daraufhin Lorenzo zu sich, und es entbrennt ein Streitgespräch über die Validität unter Inquisitions-Folter gewonnener Aussagen; Lorenzo besteht festen Glaubens darauf, dass Gott einem gottesfürchtigen Gefolterten die Kraft verleihe, unter den schlimmsten Qualen noch die Wahrheit zu sagen. Die dem absoluten Wahrheitsanspruch dieses Dogmas entgegengerichteten Einsprüche des Vaters und Goyas sind natürlich in ihrer Berufung auf bloß behauptete empirische Möglichkeiten -- <em>ich</em> <em><strong>wäre</strong></em> <em>nicht</em> dazu fähig -- argumentativ viel zu schwach. Was tut der Vater also? Er setzt Lorenzo ein Geständnis vor, dieser sei Sohn eines Orang-Utans und böswilliger Affen-Unterwanderer der Kirche, und zwingt ihn mittels spontan improvisierter Folteranordnung, zu unterzeichnen. Man sieht Lorenzo sein ehrliches Bemühen an, vom Kronleuchter baumelnd dennoch gottesfürchtig zu widerstehen, aber natürlich signiert nach Zusammenbruch jeder Widerstandskraft seine zittrige Hand das Papier. Q.E.D.

    Nun ist dies vielleicht die wunderbarste Szene des Films. Die Absurdität, mit der die vornehme Abendgesellschaft, in der vorsichtigsten Ausdrucks der gutmütige Kaufmann an den mächtigen, gefährlichen Inquisitor appelliert, umschlägt zur spontan aus der barocken Inneneinrichtung improvisierten Folterkammer für die Malträtierung des letzteren im Rahmen einer logischen Beweisführung, wird durch die nachträgliche Einordnung in ein Erpressungsvorhaben kaum gedämpft. Man darf hier wohl den Einfluss von Jean-Claude Carrière, der das Drehbuch mitverfasste, nicht unterschätzen: Der Geist seiner blasphemisch-surrealistischen Kollaborationen mit Luis Buñuel ein Dritteljahrhundert zuvor glänzt subtil an mancher Stelle in "Goya's Ghosts" auf, in der zynischen Verspieltheit, mit der die Greuel der Inquisition und das Gemetzel napoleonischer Befreiungsideologien gleichmütig hin und her jongliert werden, in der Freude an absurden Bildern und Grausamkeiten -- der in jeder seiner Szenen komische König Karl IV. (ein aufgequollener Randy Quaid) auf Geierjagd, oder der Übergang von lustiger Büßermütze zu Garotte, das nekrophil-romantische Schlussbild mit Leichenwagen --, vor allem aber in wahnwitzigen inhaltlichen Sprüngen und Totalumschlägen, wenn aus einer die Idee einer Natalie Portman darstellenden Natalie Portman mittels eines Schnitts von fünfzehn Jahren ein (dank Inquisitionsgefängnis) prachtvoll verunstaltetes debiles Krümelmonster wird oder Bruder Lorenzo unter der Flagge Napoleons als auch hierin nun ehrlich überzeugter <em>Liquidator</em> der Inquisition im Namen der Aufklärung angeritten kommt. Hier verkneift sich "Goya's Ghosts" auch jeden entschärfenden psychologischen Entwicklungsroman (Lorenzo darf immerhin kurz erzählen, dass er zwischendurch Voltaire und Rousseau gelesen habe, aber psychologisch befriedigt das natürlich nicht) und setzt einfach vergnügt Gegensatz auf Gegensatz. (Auch das wieder etwas, was den Kritikern, die feingliedrig-graduelles character development erwarten, nicht gefallen hat. Dabei erspart es viel Langeweile.)

    <em>"Goyas Geister" kommt am 23. November in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 30.11.2006, 13:41


    Zu "Little Miss Sunshine": http://www.plomlompom.de/cineplom/1261/

    Quote: FaF-Sneak: <strong>Little Miss Sunshine</strong>
    <em>USA 2006, Jonathan Dayton, Valerie Faris, Michael Arndt, 101 Minuten</em>

    Der hoffnungsvoll-prekäre Gegenwarts-Auto-Trek einer amerikanischen Familie nach Westen/Kalifornien, eine filmische Ur-Anordnung von John Fords <em><a>The Grapes of Wrath</a></em> bis zu den Griswolds in <em><a>National Lampoon's Vacation</a></em> ("<em>Die schrillen vier auf Achse</em>"), findet hier mitsamt seinen unerlässlichen Zutaten -- Unzuverlässigkeit des Reisegefährts, monetärer Bankrott, Tod eines Familienangehörigen -- seine neueste Durchdeklination. Selbst die <em>family unit</em> wird wieder, allen demographischen Trends zum Trotz, von der Kernfamilie zumindest um einen Großvater und einen Onkel rückerweitert, schamvoll gerechtfertigt vermittels einer Betreuungs/Überwachungsnotwendigkeit derselben (ein altersheiminkompatibler Heroinschnüffler und der Überlebende eines Suizidversuchs). Die hoffnungslose Hoffnung Kalifornien ist indes dieses Mal ein dortiger Schönheitswettbewerb, "Little Miss Sunshine", in dem die Kleinste, Tochter Olive (Abigail Breslin), zu partizipieren wünscht.

    Der Trailer mag die Befürchtung einer Komödie über eine "dysfunktionale" Familie herausgekehrt schrulliger Exzentriker wecken ("Oh my God, I'm getting pulled over. Everyone, just... pretend to be normal"), die einer gleichschaltenden Zusammenschleimung durch den Filmgott harren. Diese Befürchtung ist unbegründet. Die Figuren werden zwar allesamt als eigen gezeichnet, jedoch in keiner betonten Verrücktheit, die es dem Zuschauer erlauben würde, sich in eine Vorstellung gesünderer eigener Normalität über sie zu erheben. Viel mehr behauptet der Film ganz entspannt die Normalität und Qualität des Eigenen und des Individualismus. Tatsächlich kommen die einzelnen Familienmitglieder trotz ihrer teils extremen Selbstverortungen und Selbstentfaltungen, vom nietzscheanischen Zyniker-Sohn über den erfolgsideologisierten Lebensratgeber-Vater bis zum vulgär-hedonistischen Großvater, von Anfang an solide miteinander aus; nicht frei von Abneigung und Sarkasmus zwar, aber in einer Zivilisiertheit, die als <em>positiver</em> filmischer Gegenstand selten vorzufinden ist.

    Der Humor spielt sich folgerichtig in einigen seiner Höhepunkte auf dieser Zivilisierungsebene ab; in dem familiären Tischgespräch am Anfang zum Beispiel: nicht in selbstdenunzierenden Sprechpointen, denn der Film lässt seine Figuren durchaus würdevoll in ihren Persönlichkeiten ruhen, sondern in den Reaktionen und Dialogpausen dazwischen, in den einander irritiert bzw. um eine angemessene Antwort verlegen zugeworfenen Blicken, denen die Mühen diplomatischer Vermittlung deutlich abzulesen sind. In solchen Momenten ist "Little Miss Sunshine" subtiles und zugleich pointiertes komödiantisches Schauspielerkino par excellence und kann sich dabei zurückgelehnt auf die souveränen Talente seines gleichberechtigten Casts verlassen. Wobei die Leistungen von Greg Kinnear und Steve Carell vielleicht ein wenig stärker noch glänzen als die übrigen; Carell, der den suizidären Bruder Toni Collettes und "most eminent Marcel Proust scholar in America" spielt, hat sich vom Ex-Daily-Show-Außenreporter inzwischen zu einer beeindruckenden schauspielerischen Präsenz gemausert, der kaum zu glauben ist, dass sie bisher nur eine einzige wesentliche Kinohauptrolle getragen hat.

    Knapp anderthalb Stunden brummt "Little Miss Sunshine" entspannt, mehr um Solidität als Gagdichte bemüht, vor sich her, als eine leicht stoische Passionsgeschichte des Loser- und Außenseitertums (dem ungewöhnlicherweise die Institution der Familie hier als Schutzhülle konstruiert wird) und mit kleinen subversiven Spitzen hie und da gegen bürgerlichen Anpassungsdruck, die durchaus <em>heart-felt</em> wirken. Und legt dabei kaum merklich das Fundament für einen konsequenten Hammer von Finale, das in einem derart unerhörten Unter-die-Gürtellinie-Gestus die filmtitelgebende Institution dort dekonstruiert, wo es tatsächlich <em>sehr</em> weh tut, dass einem ungespoilerten, vielleicht auch leicht harmonisch eingelullten Zuschauer die Sprache versagen dürfte. Das Sneak-Publikum jedenfalls konnte vor begeistertem Unglauben nicht anders als einen massiven, minutenlang durchgängigen Szenen-Applaus zu geben, wie ich ihn in noch keiner FaF-Sneak-Preview zuvor erlebt habe. Am Ende steht der Eindruck, in "Little Miss Sunshine" einem der kraftvollsten ganz <em>old-fashioned</em> humanistisch-individualistischen Statements der amerikanischen Komödie der letzten Jahre begegnet zu sein.



    Re: Sneak Previews

    Yog - 16.12.2006, 02:07


    Hossa! Ganz vergessen, hier die Review zur letzten Sneak Preview, den Schweizer Film "Vitus", reinzustellen: http://www.plomlompom.de/cineplom/1282/

    Quote: <strong>Vitus</strong>
    <em>Schweiz 2006, Fredi M. Murer, 122 Minuten.</em>

    Cleveres Wunderkindfilmchen, das sich zuerst gekonnt mit einigen falschen Fährten dem Verdacht auszusetzen weiß, eine weitere banalsentimentalische Durcharbeitung des reaktionären Motivs des von der Welt missverstandenen Genius-Sonderlings zu sein, der doch am liebsten nur ein ganz normales Kind wie alle anderen wäre; doch bereits die unter diesem Stern stehende erste Hälfte deutet einige erstaunliche Aspekte, Bezüglichkeiten und Potentiale an den Rändern an, die sich in der zweiten Hälfte ausformuliert finden werden:

    Der Vater von Vitus zum Beispiel steht als Entwickler von Hörhilfen an der vordersten Front zeitgenössischer Anfänge des Cyborg-Zeitalters und möchte die Hörhilfe tatsächlich als begehrenswerte, fähigkeitenoptimierende Erweiterung statt als bloßen Anpasser an die Wahrnehmungsnorm der Allgemeinheit durchsetzen; bereits dass er auch Vitus mit seinen Experimenten ausstattet, drängt den Film in die transhumanistische Ecke, die Fortentwicklung des bisherigen Menschen durch inhärente (Vitus von Geburt an) wie extern-maschinelle Aufwertung seiner Potentiale.

    Dementsprechend erweist sich Vitus' Problem seiner Sonderposition im Weiteren auch nicht als Bedürfnis, der Normalität anzugehören (auch wenn das Drehbuch, in Vorbereitung der falschen Fährte, ihn dies selbst irgendwann, in Lüge, behaupten lässt), sondern als Inkompatibilität seines Überschusses an Talenten und Interessen mit der konformismusgeleiteten Eindimensionalität, die eine bürgerliche Lebens- und Karriereplanung des überkommenen Angestelltenzeitalters nahelegt. Was anderswo bereits das Happy End wäre, das Erlangen von Normalität, wird hier von Vitus nur gefaked, um im Geheimen freier für sich weiter werkeln zu können und so seine Talente als Übermensch vollends zu entfalten, wie es der von der alten Gesellschaft der leitungsbedürftigen Schwachen angebotene Lebensweg nie verstattet hätte.

    Auch strukturell folgt der Film nun ganz Vitus' Initiativcharakter; anstatt ihn zum hilfsbedürftigen Objekt verständnisvoller Toleranz und Einfühlung seiner Mitmenschen zu machen, macht er umgekehrt seine erwachsenen Mitmenschen zu seinen Spielfiguren, mit deren Schicksalen er bald geschickt zur Erzeugung seines eigenen Happy Ends herumhantiert: Schön, wie er da seinem Großvater Bruno Ganz aus der finanziellen Misere hilft, zynisch, wie er dafür erstmal den Niedergang der bürgerlichen Karrieren und Lebensaussichten seiner Eltern ausnutzt, auch wenn er es natürlich im besten überlegenen Wissen um auch ihr abschließendes Wohl tut. In jedem Fall jedoch gerät Vitus in der zweiten Hälfte zum zwar nicht omnipotenten (das Mädchen immerhin kriegt er nicht ... so ganz, oder gar nur jetzt noch nicht, darf man wohl mutmaßen beim abschließenden Blumenstrauß), aber doch alleinigen aktiven Pol.

    Und das Rumoren dieses Pols wird bemerkenswert optimistisch und frei von schlechtem Gewissen erfolgsbejahend durchexerziert, wie es das Sentimentalkino sonst kaum vermag: Arroganz gegenüber Gleichaltrigen und Lehrern wird unkritisch als berechtigter Humorlieferant genommen, die Cleverness im Austricksen der besorgten Mitmenschen gefeiert, die Überlegenheit über die alte Gesellschaft und Menschheit gepriesen. Seine positiven Bilder findet der Film bald in durch Intelligenz und Insiderwissen getriebene Erfolge Vitus' im Finanzkapitalismus, der Börsenspekulation auf dem Rücken von Massenentlassungen (aus der Firma seines unglücklichen Vaters) und im protzigen Technospaß-Gerät, dem Flugsimulator, den sich ein nun dank Vitus Millionär gewordener Großvater Bruno Ganz in die Scheune stellen kann. Als dieser sich dann auch noch ein Sportflugzeug kauft und damit verunglückt, bereut er nicht etwa christlich, im Sinne eines Zu-Hoch-Hinausgewollt-Seins, sondern weiß zu berichten: er sei geflogen, habe sich einen Lebenstraum erfüllt. Nun mag er zufrieden sterben.

    Die hymnische Abschluss-Sequenz schließlich montiert dann alle Enderfolge Vitus', Erlangung höchster gesellschaftlicher und finanzieller Stellung seiner Familie, anarchisches Ausleben des Fliegereitriebes, Ausarbeitung des Pianogenies, Würdigung der eigenen Potenz durchs begehrte andere Geschlecht, zu einer bürgerlich-protestantisch unerhörten Omnipotenz-/Gottwerdung auf Erden ohne Verzicht auf Irgendetwas, die sich mit dem allgemeinen Bild der Schwäche des Menschen nicht mehr vereinen lässt und so <em>positiv</em> nur noch begreifbar wird als, bewusste oder unbewusste, Vorschau -- über den Umweg des (rational noch nicht begründeten) Wunderkindes -- auf einen transhumanistischen Übermenschen der Zukunft.

    <em>"Vitus" kommt am 21. Dezember in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    the_hydrA - 21.12.2006, 11:33


    Molto grazie auch fuer diese Review! Bin jedesmal fleissig am Mitlesen und freu mich ueber die Infos... hier in Victorias Norden kommt nur Schund in den Dorfkinos... Zeit, nach Melbourne zurueckzukehren XD

    Anyway, I didn't forgot, mate: HEBBY BEE-DAY afterwards! I simply felt to miserable to write you yesterday right in time - RB went offline again, read more in the other topic...
    Are you gonna partying at the weekend?!

    babatshi!



    Re: Sneak Previews

    Yog - 15.01.2007, 03:07


    the_hydra: Huch, da ich jetzt so lange nicht in der Sneak war und daher nichts zu Posten hatte, hab ich hier auch ein Weilchen nicht reingeschaut und erst jetzt diesen freundlichen Geburtstagsgruß gelesen, vielen Dank noch einmal etwas nachträglicher :-) Hab nix Party gemacht, keine Zeit gehabt. Vielleicht ja nun Dezember '07 zum 23er-Jubiläum, dassja schon eine speziellere Zahl, die sich lohnen täte ...



    Re: Sneak Previews

    Yog - 15.01.2007, 03:08


    Und nun zur Sneak letzter Woche, "The Queen": http://www.plomlompom.de/cineplom/1357/

    Quote: Sneak: <strong>The Queen / Die Queen</strong>
    EU 2006, Stephen Frears, 97 Minuten.

    Als die ersten Einblendungen den Überraschungsmovie des Abends eindeutig als Stephen Frears Spielfilmdramatisierung der realen britischen Königin identifizieren, reagiert das Sneak-Publikum kollektiv geschlossen mit den Rufen "Nein!", "Oh nein!", "Nein! Nein-Nein!"

    Tatsächlich und erwartbar nutzt sich der anfängliche Spaß an der mehr oder minder perfekten Politprominenten-Mimikry recht bald ab; nett zwar, wie Alex Jennings sich zu seinem Prince Charles mit einem fortdauernd qualvoll verkrampft-verkniffenen Gesichtsausdruck vorzuarbeiten sucht, und spürbar, welchen Spaß James Cromwell als bekanntermaßen verrückter Queen-Gatte mit Schottenrock und kernigen verbalen Entgleisungen gehabt haben dürfte, aber schon Helen Mirren als Filmzentrum ist leider so langweilig <em>perfekt</em> in ihrer Queeny-Imitation, dass die Freude an ihrem Schauspiel rasch flöten geht.

    Davon abgesehen beansprucht der Film freilich als konkretes Thema den Umgang des britischen Königshauses sowie auch des seinerzeit gerade angetretenen Premiers Tony Blair (Michael Sheen, wieso werden Regierungschefs eigentlich <a>immer</a> von Sheens gespielt?) mit dem tödlichen Unfall der populären Lady Di und der nachfolgenden Erregung im englischen Volk. Ein Thema, das der Film auf ziemlich banale Weise <em>figurenpsychologisch</em> abzuhandeln sucht. Die königliche Familie ist, unter Vorwand altersstarrer protokollarischer Tradition, unfähig, vorm Geliebten namens Volk ihre Gefühle zu zeigen (d.h. die "people's princess", obgleich offiziell nicht mehr königlich, dennoch öffentlich als Familienmitglied zu würdigen); der jungfrisch-aufgeschlossene Tony Blair muss und wird sie therapieren.

    Die Frage nach politischen oder ideologischen Zusammenhängen hält der Film dabei größtenteils von sich. Die Monarchie wird als vom Volkszorn bedroht gezeichnet, die Bedrohung versteht sich jedoch nicht als politische Kritik an der Institution Monarchie, sondern an mangelnder Bereitschaft dieser Institution, öffentlich rumzumenscheln. Die einzige unabhängig vom Lady-Di-Fall antimonarchistische Position ist die von Tonys Gattin Cherie Blair, der jedoch auch nur einfach ein persönlicher Hass aufs Königshaus unterstellt wird, ohne diesem eine politische Formulierung zu geben. Pro-monarchistisch ist der Film allerdings auch nicht; er hat einfach kaum Interesse an der Institution, nur an der -- aber eben auch nicht allzu interessant gefassten -- Person, die sie ausfüllt.

    Aber auch (oder gerade) wenn er politisch nichts fragt, ideologisch ist er schon, ja. Anfänglich zeigt er noch durchaus lobenswert, wie nach dem Lady-Di-Unfall Tony Blair und seine Redenschreiber ein bisschen produktive Geburtshilfe an der höchst dubiosen Diana-Volksideologie leisten. Wenn die Diana-Ideologie aber im Weiteren wieder und wieder vom Mann auf der Straße reproduziert wird, weiß er auch nur noch, sie durch seine filmischen Mittel zu affirmieren. Man fühlt sich am Ende als Zuschauer geradezu genötigt, die sich öffentlicher emotionaler Anteilnahme verweigernde Queen gegen diesen schmollenden Gefühls-Mob zu verteidigen. Nur steht man da nicht nur gegen den Mob, sondern auch gegen den Film. Denn die mangelnde Bereitschaft der Monarchin, ihre öffentliche Rolle aufzumenscheln, stellt ja gerade das durch Held Tony Blair (und Held des Films ist er strukturell fraglos, im Gegensatz zum vom Film analysierten Objekt Queen) zu beseitigende Plot-Übel dar.

    Die Öffentlichkeit muss intimisiert werden. Das ist es, was der Film eigentlich meint mit der erwünschten "Modernisierung", die er Blair und der Labour-Party zuschreibt, und mit der das Königshaus sich anfänglich nicht so recht anfreunden kann. Als es dann doch gelungen ist, die Queen für die intimisierte Gesellschaft zu domestizieren, spaziert sie mit Tony romantischen Schulterschlusses im königlichen Garten und öffnet seinen vorgeblichen "Modernisierungs"-Vorschlägen die Ohren. Tony beginnt zu reden, irgendwas von Modernisierung des Schul- oder Renten- oder Wer-weiß-was-Systems, aber mit solchen uninteressanten politischen Sphären mag der Film uns nicht belasten, die Kamera und der Ton entfernen sich zum enthobenen romantischen Genuss des Pärchen-Bildes im Garten und der Abspann rollt runter.<br><br>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 15.01.2007, 03:12


    (Oh, und bei der Gelegenheit möchte ich gleich noch einmal evtl. filminteressierte Mitlesende an meine filmische Veranstaltung im TiK Nord in der Rigaer Straße 77 zum Kino der Attraktionen diesen Mittwoch 20 Uhr erinnern, die diesmal unter der Überschrift "Tier-Terror" stattfinden wird. Das wird gewiss lustig. Mal schaun, wenn ich's morgen zur Sneak schaffe werde ich allen Anwesenden gewiss auch noch einmal hoffentlich produktiv damit auf die Nerven gehen ;-) )

    So, hab ich jetzt meine 50 Postings zusammen? Für die nächste Ebene? Woohoo!



    Re: Sneak Previews

    Yog - 18.01.2007, 23:20


    Und nun zu "Schwere Jungs": http://www.plomlompom.de/cineplom/1370/

    Quote: Sneak-Preview: <strong>Schwere Jungs</strong>
    <em>BRD 2007, Marcus H. Rosenmüller, 94 Minuten</em>

    Am Anfang glaube ich, eine weitere Iteration von <em>Das Wunder von Bern</em> erwarte mich: Da deutet sich scheinbar Historienpathos- und Nationalidentitäts- und Sportdrama-Ballast in einem an, schon allein die Jahreseinblendung "1936" und die teuer ausschauenden Glanzbilder von (sport-)spielenden Kindern, bald auch ein paar von ihnen mit Nazi- statt nur den Olympiade-Armbändern, ich fürchte schon, irgendwann kommt bestimmt der gleichaltrige Dorfjude zum Mitspielen reingeschneit, um an ihm etwas kollektive Unschuld abzuarbeiten, aber stattdessen vollzieht sich ein Zeitsprung: "16 Jahre später" und "Nach einer wahren Begebenheit", und der Fokus scheint sich jetzt, erst recht <em>Bern</em>-kompatibel, auf die frühen Fünfziger Jahre zu richten, diesmal nur nicht Ruhrpott, sondern halt Garmisch-Partenkirchen.

    Und hier sieht dann doch alles sehr wohl ganz anders aus als im dreckigen Nachkriegsruhrpott des <em>Wunders von Bern</em> mit seinen ausgemergelten Wehrmachtkriegsheimkehrern aus der russischen Gefangenschaft, hier sitzen wohlgenährte Bayern und trinken Bier und haben zwar auch ihre Problemchen, doch die spielen sich ganz auf dörflicher Ebene in Form rein interpersonaler Konflikte ab. Hier ist kein historisch-makrokosmisches Problem, nur persönlich-mikrokosmisches ohne Anspruch auf allgemeine Bedeutung. Der Junge, der damals im dörflichen Sportspiel, im Bobfahren, unsere Helden schlug, soll nun Deutschland (und viel mehr noch: das Dorf) bei der Olympiade in Oslo im Bob-Fahren vertreten, und unsere Helden wollen die damalige Schmach nicht auf sich sitzen lassen und also gegen ihn antreten.

    Was folgt, ist mehr Komödie als Sportlerdrama, und bleibt ganz im Biersaufen, derbem Humor und ziemlich ununtertiteltem (und dabei dennoch, wie mir versichert wurde, zurückgenommenem) Rumbaiern verhaftet, ohne je auch nur <em>Volkstums</em>- bzw. <em>Urigkeits</em>-Schwere zu erleiden. Dafür ist es zu offen artifiziell und selbstgenügsam in seinen sauberen, schönen Bildern, der Flachheit seiner Gegenstände, die auf nichts weiter verweisen als auf ihre eigene Rolle in einem Unterhaltungs-Narrativ, in seiner Hinnahme des <em>Wunders von Bern</em> als Stifter spezifischer Genre-Formen, die man nun ganz befreit vom ursprünglichen verkniffenen Aussage-Anspruch einfach für Spaß-pour-l'Spaß exploitieren könne.

    Als es dann nach Oslo geht und das historische Olympische Dorf prachtvoll da steht, tut es das folgerichtig ganz als unverhohlen künstliche postmoderne Bildoberflächen-Nostalgie für sich, ohne jeden Anspruch auf Geschichtlichkeit. Hier wird einfach nur ein Film erzählt, der Freude, nicht Geschichte, die Bedeutung machen soll.

    Und unsere Helden sind auch nicht in Oslo, um Deutschland zu präsentieren. Sie sind nach wie vor in Oslo, um ihren alten Gegner aus dem Dorf, der passenderweise "Dorfler" heißt, zu schlagen. Und in zweiter Linie dann, als das erledigt ist, um in einem freilich sehr wohl ideologischen Hohelied auf den grabenüberwindenden Schulterschluss zwischen den Klassen (der Dorfler steht oben, der Ensemble-Held unten, aber für den higher cause verbünden sie sich am Ende) ihr Dorf, d.h. ihr persönliches Umfeld und kein abstraktes Größeres, durch gemeinsamen Sieg stolz zu machen. Aber Deutschland? Deutschland wird repräsentiert von Delegationsleiter Horst Krause (der, wenn mich mein Gehör nicht täuscht, den bösen Kapitalisten-Boss-Dino aus den "Dinos" gesprochen haben dürfte), der niemand Geringeren als Bastian Pastewka damit beauftragt, die angereisten bayerischen Bob-Fahrer auf eine respektable Repräsentation Deutschlands in Oslo einzuschwören, was natürlich sowohl von Film als auch vom anwesenden Sneak-Publikum nur als Witz über Nationalidentitätskonstruktion verstanden wird. Das Deutschland-Bild, das im Folgenden für Pastewka sich über die beiden Mannschaften konstruiert, definiert sich durchaus emanzipativ über homosexuelle Orgien und Pornoheftschwarzhandel, während man in den Mannschaften selbst beschließt, "für Deutschland" international Freibier auszugeben und sich ausgiebig den Bauch vollzuschlagen (sich vorher umfassend schwer zu fressen erlangt gegen Ende eine bedeutende Rolle für den olympischen Sieg der 'deutschen' Bob-Fahrer-Mannschaft und wird äußerst 'pflichtbewusst' ausgeführt).

    <em>Schwere Jungs</em> ist ganz artifizialitätsbewusstes Genre-Spaß-Kino hoher Könnerschaft, ohne Anspruch auf Bedeutung und Wahrhaftigkeit, was wunderschön ist. Eine Lieblingsszene möchte ich noch erwähnen: Dorflers vergebliches Bemühen, eine noir-gerechte einsame Zigarettenraucherei in nächtlicher Kälte vor einer Hauswand durchzuführen. Die Szene wird korrekt einstilisiert, doch ständig kommt ihm slapstickhaft etwas dazwischen gestolpert, bis er schließlich die Mühe ums Genre-Bild aufgibt. So macht Formbewusstsein Spaß.



    Re: Sneak Previews

    Yog - 24.01.2007, 13:58


    Zu "Nach der Heirat": http://www.plomlompom.de/cineplom/1380/

    Quote: Sneak Preview: <strong>Efter brylluppet / Nach der Heirat / After the Wedding</strong>
    <em>Dänemark/Schweden 2006, Susanne Bier, 120 Minuten</em>

    Es gibt zuweilen in Film, TV oder Videospiel Mikro-Parodien auf Seifenopern, in denen binnen eines einzigen kurzen Dialogs auf einem Fernsehschirm Liebesschwur, Seitensprung, falsche Vaterschaft, tödliche Krankheit, Intrige, Inzest, Millionenerbe, Trennung, Versöhnung usw. usf. enthüllt werden, um eine ganze Bandbreite melodramatischer Möglichkeiten in ihrer Konzentration komisch pointiert durchzudeklinieren. <em>Nach der Heirat</em> nun ist so etwas Ähnliches, nicht ganz so arg komprimiert, aber in seinen zwei Stunden immer noch bis zum Zerbersten mit haarsträubendsten melodramatischen plot twists gefüllt, von denen so ungefähr alle zehn Minuten mindestens einer sich zu ereignen und sämtliche Verhältnisse neu durchzuschütteln hat, damit jede Figur sich mal gegen jede wutentbrannt werfen oder an ihr ausheulen oder ihr eine Verheimlichung übelnehmen darf. Der Wahnwitz, der hierbei durchkommt (und den man vielleicht <a>Anders Thomas Jensen</a> zu verdanken hat, der an der Handlung mitwerkelte), gerät zum hochvergnüglichen Selbstzweck. Unmöglich, die Figuren und ihre Welten über ihre Funktion zur Wahnwitz-Erzeugung hinaus noch ernstzunehmen, und warum auch.

    So wird Le Chiffre/Mads Mikkelsen zwar anfänglich noch als männliche Mutter Theresa in indischen Elendsgroßstadtbildern als Sozialarbeiter für arme Straßenkinder eingeführt, auf eine Weise, als wolle der Film ernsthaft mit Relevanz hierüber tönern und qualvolles Gutmenschelkino liefern; doch als Mikkelsen dann an den Milliardärs-Hof in Dänemark gelangt (bei Kurt Wallander/Rolf Lassgård und Sidse Babett Knudsen, die wie eine Mischung aus Tracey Ullman und Patricia Richardson ausschaut), wird klar, dass der indische Prolog ganz allein nur zur polemisch kontrastierenden Aufladung seiner Figur diente und der Film sich (Gott sei Dank) nicht im Geringsten für die Schicksale der Kinderprostituierten aus Bombay interessiert.

    Regisseurin Susanne Bier nun kommt noch aus dem Dogme95-Haufen, wurschtelt viel mit der Kamera rum und jumpcutted viel, erfreut sich ziemlich an exzessiven Nahaufnahmen von Haut, Mündern und vor allem Augen ihrer Figuren in dramatischen Momenten (das hat dann schon weniger was von Dogme als von Leone), und zuweilen poetisiert, lyrisiert sie rum mit Aufnahmen von käferbesetzten Grashalmen im Gegenlicht usw. usf., das geht zuweilen etwas auf die Nerven, aber zumindest befreit sie die Dogme-Wurzel des Ganzen vom ermüdenden Wahrhaftigkeits- und Direktheitsanspruch, indem sie den Raum der Verfahren mit Rumgekünstele, Musikuntermalung und prallen Farben (die durchaus digital nachbearbeitet sein könnten) zumanscht; und aus dem jump cut sowieso holt sie einfach ein weiteres Potenzierungsmittel für die Drastik ihrer plot twists raus, um Gesichtsausdruck auf Gesichtsausdruck und Geste auf Geste einfach wirkungsvoll aneinander ranzupeitschen; das ist schon eine aufregendere Nutzungsweise als die übliche Anwendung als Verweis auf das Geheimnis des Dazwischen.

    <em>"Nach der Heirat" kommt am 1. Februar in die deutschen Kinos.</em>



    Re: Sneak Previews

    Yog - 02.02.2007, 01:41


    Und nun zu "Vier Minuten": http://www.plomlompom.de/cineplom/1397/

    Quote: FaF-Sneak Preview: <strong>Vier Minuten</strong>
    <em>BRD 2006, Chris Kraus, 112 Minuten</em>

    <em>Vier Minuten</em> beginnt und endet mit noch ganz passablen halben Ausformulierungen künstlerischen Exzesses; zu Anfang auf der Ebene der Filmform selbst, mit seltsamen Ellipsen und Flash-Forward-Strukturen und Musikpomp-Zeitlupen in der Etablierung einer noch einigermaßen rätselhaften Handlung (ein Knast-Selbstmord? ein Klavier? Hu?).

    Die bleibt nur leider nicht allzu lange rätselhaft, womit sich auch der stilistische Exzess rasch wegkonventionalisiert, die Koordinaten der Handlung sind <em>soon</em> festgelegt und bereits bis aufs Ende hin auf ermüdende Weise aus-extrapolierbar, eine triefende Hinter-Gittern-Frauenknast-Anordnung, eine 'schwierige' Beziehung zwischen der asozial-rebellischen (natürlich als Kind gleich auf mehrfache Weise missbrauchten) jungen Inhaftierten (Hannah Herzsprung) und der konservativ-strengen aber innerlich natürlich weichen (nur halt traumatisierten, was durch diese spezielle Beziehung aufzulösen ist) alten Gefängnis-Klavierlehrerin (Monica Bleibtreu) und vor allem natürlich elende Kunst-macht-frei-Romantik.

    Da kann man sich dann nur noch an dem einen Mozzarella-Gag erfreuen und am immer wieder durchscheinenden Naziduktus der Klavierlehrerin, wenn sie so wunderschön von Pflicht der Begabung und Auftrag und Sieg (des Klavierwettbewerbs) spricht, da muss man schon grinsen. Ansonsten hilft zum Überstehen der mittleren anderthalb Stunden des Films nur (in der Sneak) umfangreiches Aufbrauchen des erworbenen Alkohols ...

    ... bevor dann endlich die versprochenen "Vier Minuten" des Titels kommen, der andere künstlerische Exzess, diesmal jedoch ganz als Teil der Handlung vollzogen, eine kleine tosende Klavier-Vergewaltigung in geborgter Freiheit, die ganz nett anzusehen ist, aber leider kaum zu den anfänglichen Exzessen auf der filmischen Ebene selbst zurückfindet außer in vielleicht ein zwei Sekunden, in denen solides Flicker-Kino gemacht wird, aber die sind so rasch wieder um, dass man sie kaum wahrnimmt.



    Re: Sneak Previews

    cK - 23.03.2008, 05:23


    Mal als kleine Zusammenfassung, was ich 2007 eigentlich alles gemacht hab:
    *klick*
    Interessant auch für Leute, die sich fragen, wie lange die Schrift auf diesen Karten hält.

    Eine Karte vom Februar ist mir wohl abhanden gekommen.
    Und jetzt wo sie endlich dokumentiert sind, wandern sie feierlich in den Müll.



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