Yeyes

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    Re: Yeyes

    Ena - 26.08.2010, 15:35

    Yeyes
    Yeye-Qin
    Geschichte:
    Vor tausenden von Jahren stellte sich Meister Yenda die Frage, wieso er Meister des Krieges wurde. Wofür war seine Kampfart gut? Was vertrat er damit? Und noch viel wichtiger: Hatte sie einen anderen Sinn als Leute zu verletzen?
    Und als keiner seiner Brüder ihm helfen konnte, verließ er seine Schule und suchte nach dem Sinn des Kämpfens.
    Er fand ihn im Form eines Mannes, Aliye, der Meister Yenda in der Wüste begegnete. Es war ein Elementarmagier auf der Reise zur Weisheit, um deren Geheimnisse zu erforschen und so mächtiger zu werden als alle.
    Es dauerte nicht lange, und die beiden Männer setzten sich nieder. Sie erzählten sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten und erkannten bald, dass sie vollkommen andere Ansichten vertraten.
    Wo Meister Yenda für den Kampf und die Ehre lebte, gab sich Aliye der Ruhe und Einfühlsamkeit hin. Er hörte auf die Erde, folgte dem Wasser, ließ sich durch die Luft tragen und verbreitete furchtbare Zerstörung, wenn er das Feuer anrief.
    Beide gingen fest überzeugt davon aus, dass ihre Ansicht die einzig richtige sei, wodurch bald eine Diskussion entstand, die schließlich in einem Kampf mündete.
    Doch die beiden mussten schnell erkennen, dass sie auf absolut gleicher Ebene waren. Tagelang kämpften sie, im Regen und Wind mit eisener Entschlossenkeit, denn keiner von ihnen war gewillt, aufzugeben oder den Streit zu schlichten. Stattdessen waren sie erfreut, einen würdigen und abwechslungsreichen Gegner gefunden zu haben.
    Am 10. Tag ihres unerbittlichen Kampfes stürmten sie aufeinander zu. Meister Yenda mit angelegten Armen, um sie im Magen des Magiers zu versenken und Aliye einen Luftstrudel um sich konzentrierend, der Meister Yenda hinwegfegen sollte.
    Als sie aufeinandertrafen, beide schrien heiser und schwach ihren Kampfschrei, ergriff Aliye Meister Yendas einen Arm und wehrte ihn mit einer wirbelnden Drehung ab. Meister Yenda riss den anderen Arm herum, doch als er zuschlagen wollte, bemerkte er erschrocken, dass sich die Luft mit seiner Hand bewegt hatte.
    Sie hatten solange miteinander gekämpft, bis der eine kämpfte wie der andere.
    Und dies war die Geburt des Yeye-Qin, dem Kampf mit den Elementen.
    Erst viel später entschlossen sie, einigen Auserwählten diese Kampfart zu lehren.

    Kampfarten

    Feuer (flammendes Yeye Qin):
    Das Feuer Yeye kämpft mit flammenden Wirbeln um Arme, Hände oder Beine, die schreckliche Wunden auf der Haut ihres Opfers anrichten können. Es ist eine eher abgehacktere, aggressivere Form, jedoch immernoch stark mit der Philosophie verbunden ist. Sie erzeugen extrem hohe Temperaturen durch ihre Bewegungen und machen einen Kampf mit ihnen schwer auszuhalten.
    Meister des Feuer Yeye sind unruhige, meist sehr direkte Menschen, die nur ihrem eigenen Willen folgen und mit einer starken Meinung ein Vorbild für andere sind.

    Wasser (fließendes Yeye Qin):
    Die Anhänger des Wasser Yeye sind extrem beweglich und bewegen sich fließend, wie das Wasser selbst. Sie kontrollieren feine Ströme und können damit schmerzhafte Schnittwunden anrichten, allerdings ist diese Art des Yeye Qin eher eine verteidigende, auf Gleichgewicht basierende Kampfart, die den Gegner durch tanzende, geschmeidige und doch blitzschnelle Bewegungen aus der Reserve lockt und dann vernichtend zuschlägt.
    Meister des Wasser Yeye sind reine, gerechte Menschen, die sich für andere Leute einsetzen und für die es die größte Freude ist, Glück und Hoffnung zu verbreiten. Meistens sind die Anhänger dieses Stils Frauen.

    Erde (ruhiges Yeye Qin):
    Wie auch die Erde steht, unerbittlich und entschlossen, so sind die Meister des Erde Yeye. Sie lassen sich nicht durch den schnellsten oder stärksten Gegner aus der Ruhe bringen und es scheint gänzlich unmöglich, sie auf den Boden zu befördern. Mit Felsbrocken oder Erdsäulen bewegen sie sich schnell und sind kaum anzugreifen. Dieses Yeye Qin ist die ausgeglichendste Form und bewegt sich erfolgreich zwischen Angriff und Verteidigung.
    Meister des Erde Yeye sind ruhige, eisern entschlossene Menschen, deren Meinung unumstößlich ist, und die loyal ihrem Herren folgen oder selbst der Herr sind. Sie leben für die Ruhe und hören lieber zu, als sich einzumischen.

    Luft (wildes Yeye Qin):
    Die Luft ist überall und erfüllt alles, und so ist auch der Anhänger des Luft Yeye. Er bewegt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft und fliegt auf seine Feinde zu. Mit einem einzigen Netz aus Schlägen und Tritten webt er seinen Feind ein, bis er die Luft um sich konzentriert und ihm mit einem Wirbelsturm den Garaus macht.
    Meister des Luft Yeye sind ungestüm und entscheidungsfreudig. Sie wirbeln durch die Zeit und bringen Motivation und Moral in die Gruppe. Entgegen seiner sonst eher wilden Art sind der Glaube und die Hoffnung an das Gute Dinge, die die Anhänger des Luft Yeye zu Helden macht.


    Charaktere:

    Tyler - Ena
    Nikolaj - Warmonger
    Rinoa - Ena/ gelegentlich Warmonger



    Re: Yeyes

    Warmonger - 26.08.2010, 15:57


    Der Schulkomplex für die Yeyes war ein großes Haus voller Trainingsräumen, Studiensälen, Laboratorien, Bibliotheken und letzendlich auch Schlafsälen.
    Es bot alles an Annehmlichkeiten für die begabten Schüler - alles, außer Freiheit.
    Tyler saß mit geschlossenen Augen auf der Treppe zum Schultor und ließ sich die Sonne auf das Gesicht scheinen. Er war sauer, dass man ihn als Tutor für den Neuen eingetragen hatte. Jeder hätte diesen Job besser gemacht, fand er.
    “Wenn er nicht bald kommt, gehe ich wieder rein...”, murmelte er vor sich hin.
    Auch Nikolaj war nicht besonders glücklich über seine Situation. Gerade erst war er mit dem Zug hier angekommen, ein Lehrer hatte ihn vom Bahnhof zur Schule gefahren, und jetzt war der verschwunden, mit den Worten, hinter dem Tor würde schon jemand auf ihn warten. Immerhin, das Tor war unübersehbar groß. Vorsichtig schob er es einen Spalt weit auf und schlüpfte hindurch. Keine Menschenseele war zu sehen, abgesehen von einem blonden Jungen, der mit geschlossenen Augen dasaß … Er wirkte älter als Nikolajs sechzehn Jahre, vielleicht war das der Tutor, von dem der Lehrer gesprochen hatte. Langsam ging er auf ihn zu, den schweren Koffer in der Hand tragend.
    Tyler öffnete die Augen, als etwas einen Schatten auf ihn warf. Verdammt, er ist gekommen. Und wie verloren er aussah! Er tat ihm fast Leid.
    “Du bist also der Neue, hm? Alles klar, dann komm mal mit.” Aus dem Sitz sprang er auf die Füße und ging voran durch das Haupttor, vorbei an den Gartenanlagen.
    Der Andere sah wesentlich selbstbewusster und fröhlicher aus als Nikolaj, fiel diesem auf. Er hatte auch nicht viel Grund, fröhlich zu sein. Immerhin, er wurde halbwegs herzlich begrüßt. Er hätte sich gern ein wenig von dem Koffer ausgeruht, in dem er seine gesamte Habe hier trug, von dem abgesehen, was in dem Rucksack über seiner Schulter hing; Aber der andere ging einfach voran, und Nikolaj wollte sich nicht beschweren. Er wechselte den Koffer in die andere Hand und folgte Tyler mit einem leisen Seufzen.
    Als Tyler durch die Gänge des Schulhauses lief wurde ihm bewusst, wie unsicher er selbst war, als er abgeliefert wurde. Damals gab es noch keine Tutoren - er war ganz auf sich allein gestellt und wurde von den anderen auch schon gerne einmal in den falschen Raum gelotst. Plötzlich drehte er sich um und betrachtete den Neuankömmling genauer. Er sah ganz passabel aus, allerdings auch erschöpft. Um nun doch etwas guten Willen zu zeigen, nahm er ihm den Koffer ab und lächelte halbwegs freundlich. “Ist nicht mehr weit - ich heiße übrigens Tyler.”
    Nikolaj lächelte ein wenig verwundert und ein wenig müde, als ihm Tyler half. Er wirkte viel verständnisvoller als der gehetzte Lehrer, der ihn hierher gebracht hatte, und lächelte freundlich. “Ich bin Nikolaj. Danke, dass du mir hilfst, ich bin schon den ganzen Tag unterwegs …” Ziemlich eilig von meiner Familie weg, dachte er, fügte es aber nicht ins Gespräch, das so ziemlich plötzlich endete. Er drehte den Kopf zur Seite, damit Tyler nicht sehen würde, dass Tränen in seinen Augen standen, und betrachtete so interessiert wie möglich das Bild eines Mannes, das dort an der getäfelten Wand hing; Vielleicht das Bild eines Direktors. Er blinzelte kurz.
    “Gehn wir weiter?”
    Tyler fiel sehr wohl auf, dass hinter der Fassade des Jungen noch etwas anderes stecken musste, doch er fragte nicht nach. Jeder hatte schließlich das Recht auf Geheimnisse. Er selbst hatte ebenfalls mehr als genug.
    “Klar.” Es war eine Strecke von ungefähr zehn Minuten, die sie schweigend vollbrachten, dann stieß Tyler die Tür zu seinem Zimmer auf. Kleidungsstücke lagen verstreut auf dem Boden, eine Dartscheibe hing an der Wand, die teilweise eingeschmolzen schien und an der Wand hing das Bild einer spärlich bekleideten Frau, die sich lasziv in hohen Flammen räkelte. Es gab zwei Betten im Zimmer, eines war vollkommen durcheinander, das andere sah aus, als hätte man schnellstens alles Zeug davon heruntergewischt. “Also...es sieht schlimmer aus, als es ist.” Er setzte den Koffer auf das freie Bett und kratzte sich am Kopf. “Aber ich hatte keine Zeit aufzuräumen. Mir wurde erst heute gesagt, dass ich einen Zimmergenossen krieg'.”
    Nikolaj musterte das Zimmer, blieb kurz an der Dartscheibe und ein wenig kürzer an dem Bild hängen, warf seinen Rucksack auf das freie Bett und versuchte endlich einen halbwegs lockeren Kommentar.
    “Ist in Ordnung, bei mir zuhause sahs auch nicht anders aus …”
    Er bemühte sich um ein kleines Grinsen und begann, den Koffer zu öffnen und den wild hineingeworfenen Kram auf dem Bett zu ordnen.
    “Sieht gemütlich hier aus, ehrlich … Wie lange bist du schon hier? Wie ists hier so?”
    Nach vielleicht einer halben Minute hörte er schon auf, auszupacken, feuerte den Koffer unters Bett und holte stattdessen den Rucksack hervor, daraus eine Brotpackung mit einer unbelegten Scheibe, in die er heißhungrig hineinbiss. Seit dem gestrigen Tag hatte er nichts mehr gegessen.
    “Drei Jahre.” Tyler begutachtete das Brot des Jungen mit einem misstrauischen Gesichtsausdruck. Wer gab seinem Kind eine lose Scheibe Brot mit? Und so, wie der Junge aussah könnte er ein Pferd verputzen. Er wühlte sich durch zu einem surrenden weißen Gerät, holte eine Dose Ananas draus hervor, ebenso eine Packung Sandwichkäse. Dann griff er unter sein Bett und öffnete die etwas gequetschte Ladung Weißbrot. Er belegte zwei Scheiben mit Käse und Ananasscheibe, breitete die Hände darüber aus und schoss einen wohlgezielten Feuerball darauf ab. Der Käse war geschmolzen - der Toast geröstet. Mit einer einzigen Bewegung kratzte er ein vertrocknetes Pizzastück von einem Teller, packte die kochend heißen Toasts darauf und stellte es zu Nikolaj auf's Bett. “ich hoffe du magst Hawaii-Toast”, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
    Kurz starrte Nikolaj perplex auf das Feuer, das aus der Hand Tylers schoss. Er hatte sich noch kein bisschen daran gewöhnt, sich auch nur selbst als einen von diesen anzusehen, und immer noch kam ihm die Begabung des Yeye sonderbar und bedrohlich vor. Als er jedoch das Ergebnis des Ganzen sah, musste er unwillkürlich breit grinsen. Er warf das angebissene Stück Brot beiseite und griff stattdessen nach dem Teller mit dem Toast. Erst verbrannte er sich ziemlich übel die Lippen, aber schließlich verschlang er ein Viertel einer der Scheiben mit einem großen Bissen. Noch während er kaute erinnerte er sich der Regeln der Höflichkeit und bedankte mit vollem Mund. "Das war cool, Mann. Scheint so als gefiele dir das Leben hier? Erzähl mal."
    Sofort widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Toast, das unter wilden Bissen dahinschwand, so heiß es auch sein mochte. Als beide Scheiben in Krümeln um ihn herumlagen, wischte er sich die Finger an der Hose ab und hielt mit fragendem Gesichtsausdruck den Teller in der Hand, auf der Suche nach einem Platz dafür.
    Tyler zuckte die Achseln und bedeute ihm, das Ding irgendwo hinzuschmeißen. „Na ja, es ist ganz okay. Der Direktor will eigentlich nicht, dass wir unsere Kräfte für sowas benutzen, aber was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.“ Er verschränkte die Hände hinterm Kopf und warf sich aufs Bett. „Frühstück gibt’s um sieben, um neun ist Unterricht in Theorie...Mittagessen ist um drei, dann kommen die praktischen Übungen dran. Selbstverteidigung und so'n Kram.“ Tyler schaute nachdenklich an die Decke.
    „Und...was beherrscht du? Du hast ja schon gesehen, dass ich Feuer bin...“
    Nikolaj stellte den Teller einfach auf einen Haufen Bücher, die an der Zimmerwand standen und sich bedenklich hoch stapelten, dann zog er sich die Schuhe aus und legte sich auf sein eigenes Bett, das Gesicht Tylers Bett zugewandt.
    “Ich beherrsche gar nichts.” Er drehte sich auf den Rücken und musterte ebenfalls die Decke.
    Als ihn Tyler daraufhin ein wenig skeptisch ansah, fügte er erklärend hinzu: “Ich bin ein Erdyeye … Aber ich beherrsche nichts davon. Gar nichts. Ich baue nur Scheiße damit ...”
    Er spielte mit den Kopfhörern seines Players herum, die aus seinem Sweatshirt ragten, als ob er gerne ein wenig Musik hören würde, aber schließlich drehte er sich wieder Tyler zu. Lieber ein Gespräch als wieder mit Gedanken allein zu sein.
    Tyler betrachtete den Jungen eine Weile, bevor er sich aufrichtete und die Hände auf die Knie stemmte. “Quatsch, du kannst sicher irgendwas.” Er stand auf und öffnete die Tür zum Gang. “Wenn du magst können wir üben gehen - oder du hörst Musik. Morgen wird man dich allerdings testen und einer Klasse zuteilen.” Er kratzte sich am Hinterkopf und blieb unschlüssig im Türrahmen stehen.
    “Testen? Wenn das irgendeine Art von Beurteilung wird, bin ich ..:”
    Er sagte nicht, was er dann war, setzte sich auf, zog wieder die Schuhe an und stand auf, bereit, Tyler zu folgen. Irgendeine Art von Test, und eine Klasse, die ihn vermutlich ziemlich fertig machen würde, so unfähig, wie er war. Er hatte gedacht, alle Neuen hätten keine Ahnung, aber anscheinend gab es welche, die nicht völlig übereilt hier ankamen. Er packte den Player in seinen Rucksack, er wusste nicht, was Tyler mit “üben” meinte, aber sicher war besser …
    Der Weg führte die Jungen fast die gesamte Strecke wieder zurück, bis sie zu einem grasbewachsenen Platz kamen, der ringsum von Fackeln gesäumt war. “Dann zeig mir mal, was du kannst. Du darfst ruhig auf mich feuern.” Er bezeichnete einen Halbkreis mit seinem Fuß und ließ in an der obersten Stelle stehen, so dass die Beine leicht nach vorne gespreizt waren. Er winkelte sie an, so dass er einen festen, aber dennoch beweglichen Stand hatte und winkelte die Fingerspitzen leicht an, die Handfläche ließ er jedoch offen.
    “Was erwartest du von mir? Seit heute Nacht weiß ich davon, dass ich ein Yeye bin, und ich habe keine Ahnung, was das heißt, außer dass man … Elemente manipulieren kann.”
    Er stellte sich breitbeiniger hin als Tyler, einfach nur, weil er es für eine gute Haltung hielt, nicht, weil er irgendeine Ahnung davon gehabt hätte. Er begann sich zu konzentrieren, wie er es bisher erst einmal gemacht hatte, am Morgen, als er hatte sichergehen wollen, dass auch wirklich etwas Besonderes an ihm war, und dabei hatte ihn seine Schwester gesehen. Und der fremde Mann, zum Glück. Eine kleine Staubwolke hob sich um ihn herum, nicht ganz, was er bezweckt hatte, aber es ging immerhin als ein Anfang durch. Vielleicht.
    Tyler hatte erwartet, einen Erdball abwehren zu müssen oder sich weggeschleudert vorzufinden, doch der Staub war...interessant. Er ging aus der Verteidigungshaltung zu Nikolaj hinüber und schob erstmal seine Beine etwas mit den Füßen zusammen. Dann drückte er ihm die Hand ins Zwerchfell, damit er seine verkrampfte Atmung aufgab. “Zunächst mal ist Yeye Atmen. Wenn du einatmest sammelst du die Kraft in deinem Brustkorb - wenn du ausatmest entfesselst du sie. Konzentration ist nicht unbedingt so wichtig. Lieber bist du unkonzentriert und atmest als wenn du plötzlich umkippst...”
    Er selbst atmete tief ein, bewegte den Arm nach oben und riss ihn vom Ausatmen ruckartig in Richtung einer Fackel. Das Feuer wuchs rapide an und griff auf die übrigen Fackeln über, die sich der Reihe nach entzündeten. “Versuch's mal etwas lockerer.”
    Nikolaj nickte unsicher und versuchte, so zu atmen, wie es ihm Tyler gesagt hatte. Sofort fühlte er, wie sich etwas änderte, an der Weise, wie er sich fühlte, und seine Glieder lockerten sich. Fünfmal atmete er tief ein und aus. Dann machte er sich bereit für mehr … Einmal atmete er noch ein, dann hob sich eine Kugel aus der Erde, die noch mit Gras bestanden war, etwa zehn Zentimeter im Durchmesser, aber so langsam, dass sie kaum eine Bedrohung darstellen würde. Schon einen halben Meter über dem Boden begann sie sich aufzulösen, und Nikolaj atmete heftiger, und seine Gliedmaßen verkrampften sich abermals. Erde bröckelte wieder zum Boden herab, als er sich zwang, noch einmal ruhig zu atmen. Plötzlich fetzte aus der großen Kugel eine viel Kleinere hervor, direkt auf Tylers Brust zu. Mit schreckgeweiteten Augen versuchte Nikolaj, sie aufzuhalten, aber die Geschwindigkeit des Geschosses war völlig unbeherrschbar für ihn.
    Tyler reagierte, wie man als Beinahe-Abschlussschüler nun einmal schmerzlich eingebläut bekam. Der Erdbrocken schmolz in seiner Flamme dahin, er wirbelte herum und packte den verdutzten Nikolaj an einem Arm. Obwohl er versuchte den Jungen nicht allzu hart anzupacken, ließ er es sich nicht nehmen, ihn direkt auf den Boden zu befördern. Durch Kuscheln lernte man schließlich nichts. “Versuch, dir immer zuerst eine Verteidigung zu schaffen, bevor du angreifst.”
    Ziemlich unsanft landete der Jüngere auf der Erde, verwirrt und ein bisschen verängstigt.
    “Ich wollte dich doch gar nicht angreifen … Ich hatte doch keine Ahnung ...”
    Mühsam stand er wieder auf und bürstete sich den Schmutz vom Sweatshirt. Er war entmutigt von dem überaus beeindruckenden Erfolg seines Tutors und seinem eigenen Mangel an Kontrolle über die Erde. Ein weiteres Mal stellte er sich auf, wie es ihm Tyler gezeigt hatte, und begann noch einmal, seine Atmung zu kontrollieren; Was auch immer für eine Prüfung auf ihn zukam, er wollte nicht völlig versagen.
    “Ich nehm's ja auch nicht übel”, erwiderte er mit einem Lächeln und klopfte Nikolaj gegen die Schulter. “Du machst das gut dafür, dass du es noch nie gemacht hast.” Er stellte sich vor ihn und atmete einfach vor. “Mit der Nase ein und mit dem Mund aus.”
    Hört sich einfach an, dachte Nikolaj, und begann, nach Vorbild seines Tutors zu atmen; Es stellte sich als ungleich schwieriger heraus, gleichzeitig derart zu atmen, die Umwelt im Auge zu behalten, irgendetwas zu bewirken und halbwegs bereit zur Verteidigung zu sein. Dennoch stieg eine zweite Kugel vor ihm auf, schneller und fester als das letzte Mal, aber es wirkte, als habe die Kugel Schluckauf: Jedesmal, wenn dem Schüler der Atem aus dem Takt geriet oder sich umsah, stockte ihr Aufstieg und eine kleine Staubwolke löste sich davon. Trotz aller Vorsicht fiel sie herab, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit zerstörte.
    "He, Tyler, was hast du dir denn da für einen Hüpfer eingefangen?"
    Drei Jungen, sicher so alt wie Tyler selbst, kamen grinsend von einer Seitentür heran, dessen Klassenkameraden.
    Tyler drehte sich zu seinen Klassenkameraden um. Fast beschützend verdeckte er Nikolaj etwas mit seinem Körper. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, wie die anderen ihn 'geprüft' hatten. “Bin sein Tutor. Also lasst ihn, klar?” Es klang kumpelhaft, doch in den Gesichtern der anderen zeigte sich, dass sie Tylers Zorn keinesfalls heraufbeschwören wollten. Sie setzten sich an den Rand des Trainingfeldes und schauten zu, wie Tyler jetzt einige leichte Verteidigungsübungen vormachte, wie man Bauchschläge abwehrte, oder auswich. “Tut mir Leid, ich bin nicht so gut in dem Kram. Feuer ist auf Angriff ausgelegt - Verteidigung ist eher 'was für Erde.”
    Was für Erde, also für ihn. Klang fast wie ein Vorwurf, da er es doch so gar nicht konnte. Diesmal versuchte er, noch stabiler und ruhiger zu stehen als zuvor, aber die Gegenwart der drei Älteren machte ihn ziemlich nervös. Dennoch stiegen drei kleine Kugeln halbwegs stabil auf und machten sich auf den Weg in Tylers Richtung, und er meinte es auch zu schaffen, gleichzeitig für einen Angriff bereit zu sein - hoffentlich.
    Die Kugeln sahen ganz in Ordnung aus, also hörte Tyler auf so intensiv zu atmen. Er ließ die Kugeln auf sich zufliegen und stieß seinen Arm durch die Luft. Ein ebenso kleiner Feuerball bewegte sich bedächtig auf ihn zu - mickrig gegen das, was er sonst tat, doch das war Absicht. „Hey, du machst das ganz klasse“, lobte er, die anderen drei beachtete er gar nicht.
    Nikolaj musste nachdenken, überlegen, wie er eine Feuerkugel abwehren konnte, und dabei hielten seine Erdkugeln in der Luft an. Der Schweiß rann ihm über die Stirn, als er gleichzeitig die Kugeln zumindest in der Luft hielt und eine vierte, kleine, dem Feuerball entgegenjagte. Tatsächlich schloss sie sich um die wandernde Flamme und erstickte sie, und die drei größeren Kugeln legten wieder ihr Bummeltempo ein, etwas schneller als vorher vielleicht.
    Normalerweise wäre Tyler einfach ausgewichen und hätte Nikolaj wieder auf den Boden befördert, allein um vor seinen Kumpels den Mann zu stehen. Doch ein Mädchen, etwa sechzehn Jahre alt, setzte sich neben seine Freunde an den Rand und schaute zu ihm hinüber. All seine Konzentration schwand dahin und mitten unter eine Art Rad in der Luft krachte er auf den Boden. Die drei Kugeln trafen ihn schmerzhaft in die Brust.
    Er sah gerade noch, wie sie sich kichernd die Hand vor dem Mund hielt, bevor er sein Gesicht in den Händen vergrub.
    Überrascht über den Schwung seiner Geschosse - angesichts der lächerlichen Geschwindigkeit hätte er niemals gedacht, dass sie derart einschlagen würden - gab Nikolaj seine Konzentration und Wachsamkeit auf und ging einen Schritt auf Tyler zu. Anscheinend hatte ihn das hübsche Mädchen da am Rand der Arena abgelenkt, das mit den Jungen zusammen ein bisschen spottete, ob über ihn oder über Tyler konnte er nicht verstehen. Er wandte sich ab, ein wenig verunsichert.
    "Machen wir weiter?"
    „Darf ich vielleicht?“, fragte das Mädchen plötzlich, sie war etwas schüchtern über den Platz gelaufen und stand nun vor Nikolaj. Sie war genauso groß wie er, schaute ihn aber an, als wäre er vier Meter größer. Respektvoll. „Ich meine...nur, wenn du willst.“
    Tyler sprang auf und lächelte Rinoa zu, die sein Lächeln erwiderte. Er ging einen Schritt zurück, während das Mädchen die Hände verschränkte.
    "Ich weiß nicht ... Ich bin nicht gut genug für dich, glaube ich."
    Inzwischen hingen ihm schweißnasse Strähnen in die Augen, und er wusste nicht, ob er nicht vielleicht lieber sein Sweatshirt ausziehen sollte. Trotzdem stellte er sich wieder kampfbereit auf, und diesmal versuchte er, eine Erdwelle unter die Füße seiner Feindin zu schicken; Erstens erschien ihm das sanfter, er wollte auf keinen Fall einem fremden Mädchen weh tun, und zweitens fühlte er, dass es ihm viel leichter fiel, die Erde zu manipulieren wenn sie dabei nicht vom Boden getrennt wurde.
    Sie wurde durch die Luft geworfen, doch bevor sie auf der Erde aufschlug - Tyler bekam fast eine Herzattacke - winkelte sie die Beine an und landete elegant wie eine Katze. Ihr Rock wirbelte herum, und sie breitete die Arme aus, bevor sie ruckartig die Handflächen parallel setzte und eine Flutwelle gegen Nikolaj wischen ließ, das Gras rund um sie trocknete aus, doch sie war noch nicht fertig. Sie stellte sich aufrecht hin und bezeichnete mit den Armen einen Kreis, darauf wartend, was der Junge kontern würde.
    Auch Nikolaj erschrak, als Rinoa auf einmal von seiner Attacke durchgeschüttelt wurde. Auch diesmal hatte er die Kraft, die er entfesseln konnte, deutlich unterschätzt ... Oder das Mädchen war in Wirklichkeit gesprungen, er wusste es nicht. Er lockerte seine Haltung und sah erfreut, wie sie landete, aber die Flutwelle überraschte ihn völlig. Mit einem stoßartigen Ausatmen gelang es ihm, die Macht des Wassers mit einer Erschütterung im Boden zu brechen, aber immer noch peitschte es ihm unbarmherzig durchs Gesicht und durchnässte ihn völlig. Er versuchte, eine Gegenattacke vorzubringen, aber er erkannte nichts mehr vor seinen schmerzenden Augen.
    Rinoa setzte zum Sprung auf Nikolaj an, doch da packten sie zwei Arme an der Hüfte und holten sie zurück auf den Boden. „Er hat erst gestern gemerkt, was er ist ...“, sagte Tyler und ließ sie los. „Oh, tut mir Leid! Ich dachte, jemand mit dem sich Tyler misst ist geübt!“Sie stürzte auf Nikolaj zu und wischte magisch das Wasser aus seinem Gesicht.
    „Tut mir so Leid...“
    Verdutzt fand sich Nikolaj in den Armen eines wirklich hübschen Mädchens wieder, als dieses sich auch schon zu entschuldigen begann. Das entschädigte ihn für seine Nässe und den Spott der Jungen, die noch zusahen, und ein schwaches Grinsen zog sich über sein Gesicht.
    "Macht nichts, ich kanns eben einfach nicht. Vielleicht lerne ich noch ein bisschen von dir ... Hast du ne Ahnung von Erdyeye?"
    Sie legte den Kopf schief, als müsste sie ernsthaft nachdenken. Dann schaute sie Tyler an, der ihre Umarm-Aktion mit einem grimmigen Blick quittierte. „Mehr als Atmen weiß ich auch nicht - aber ein Feuer-Yeye ist bestimmt nicht das Richtige für dich. Und dazu noch der starrsinnigste in unserem Jahrgang.“ Sie tockte mit einem Fingerknöchel gegen Tylers Stirn. „Hey!“
    Tylers grimmiger Blick verwirrte Nikolaj - er wusste nicht, ob er ihm vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit schenkte? Ob er die Ablenkung durch das Mädchen nicht wollte?
    "Wollen wir noch weitermachen oder reingehen? Einerseits würde ich gerne mehr können, morgen ... andererseits, ich bin triefnass, und mit einer Lungenentzündung hat das morgen auch keinen Sinn, oder?"
    Rinoa begann zu kichern, als hätte Nikolaj gerade einen guten Witz gemacht und trat einen Schritt von dem Jungen weg. Sie machte in der Luft eine Bewegung, als würde sie etwas hinausziehen, da blubberte es etwas, und das Wasser in Nikolajs Kleidung folgte ihrer Bewegung, bis kein Tröpfchen Wasser mehr darauf war. Sie machte einen Knicks und lächelte.
    Tyler grinste ebenfalls. „Weißt du, mit ihr musst du deine Kleidung nie waschen...“
    "He, das ist ja cool ... Kann man als Erdyeye auch so was praktisches?"
    Langsam vergaß Nikolaj seine zurückhaltende Vorsicht und auch die unangenehmen Gedanken der Vergangenheit und Zukunft, und ein leichtes, sympathisches Lächeln schlich sich auf seine Züge. Es gelang ihm, eine kleine Staubwolke aus seinen Sachen aufzuscheuchen, die Rinoas Wasser zurückgelassen hatte, und das besserte seine Laune noch mehr, und die älteren Jungen waren auch verschwunden, sich interessantere Beschäftigungen zu suchen als einen Neuen zu ärgern.
    „Ich weiß nicht recht...“ Tyler rieb sein Kinn und betrachtete Nikolaj nachdenklich. „Du könntest dir ein Haus bauen.“ „Oooder...“, meinte Rinoa, die Augen verdrehend und zeigte auf die matschige Erdfläche, die das Wasser ringsum verursacht hatte. „Du kannst über Matsch laufen. Du kannst einen Wall errichten. Du kannst dir einen Stuhl machen. Du wirst stärker sein als alle anderen Yeyes, Erd-Yeye bekommen nämlich Muskeln.“ Sie lächelte etwas und stupste gegen seine Brust.
    "Ehrlich?" Wahrscheinlich hatte das zu begeistert geklungen, dachte sich Nikolaj sofort und wurde rot im Gesicht.
    "Ich mein nur ... Ich war noch nie besonders stark. Eigentlich war ich noch nie irgendetwas Besonderes. Ich glaub nicht, dass ich hier so besonders sein werde ..."
    Er beschloss, das Thema zu wechseln, um nicht möglicherweise als weinerlich verkannt zu werden.
    "Wie heißt du eigentlich? Du machst mich hier fertig und ich kenne nicht einmal deinen Namen!"
    „Ja, ehrlich! Und du wirst wahrscheinlich größer als Tyler, wenn du fertig ausgebildet bist.“ Sie grinste und struwwelte dem Feuer-Yeye durch die blonden Haare. Dieser runzelte die Stirn und richtete sich mit einem „Hey!“ die mühsam gestylte Pracht, mit der er Rinoa eigentlich beeindrucken wollte...
    „Oh, tut mir Leid. Ich bin Rinoa.“ Sie schenkte ihm ein weiteres Lächeln und tauchte aus Tylers Griffweite, der sich anschickte, sie zu kitzeln. Als sie ihn abgewehrt hatte, legte sie Nikolaj die Hände auf die Schultern und sah ihn eindringlich an. Jeglicher Scherz schien aus ihrem Gesicht geschwunden zu sein.
    „Jeder ist besonders.“
    Nikolaj war genauso groß wie Rinoa, vielleicht sogar ein bisschen größer, aber es kam ihm vor, als würde er in ihre Augen aufblicken, als sie ihm die Hände auf die Schultern legte. Sie wirkte so ruhig, so erwachsen.
    "Ich bin Nikolaj ... Manche nennen mich Nicky, ich weiß nicht ... Was meinst du damit, jeder ist besonders? Wenn jemand nichts kann und einfach lebt wie tausend andere Menschen auch?"
    Wieder ohne sein Lächeln sah er ebenso ernst wie Rinoa in deren Augen. Tyler schien irgendwo am Rand der Arena zu verschwinden, verdrängt von einem Mädchen ...
    Rinoa blickte ihn an, als würde sie versuchen hinter seine Augen zu blicken, irgendwo in sein Gehirn, oder in sein Herz vielleicht. Sie schien etwas darin zu finden, besser gesagt, etwas nicht zu finden. Sie bewegte ihr Gesicht so nahe zu seinem, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Jetzt konnte man sehen, dass Rinoa zwei verschiedenfarbige Augen hatte, ein blaues und ein grünes. „Es spielt keine Rolle, worin du besonders bist. Man kann nicht sein wie jemand anders.“ Sie zog ihn plötzlich an sich, ihre Lippen bewegten sich neben seinem Ohr. „Egal, für wie seltsam sie dich halten - irgendwann werden sie dich annehmen, wie du bist.“
    Irgendwie fühlte es sich falsch an, Rinoa so nahe an sich zu haben, aber es war dennoch angenehm. Ein Teil von ihm wollte sie an sich ziehen und umarmen und küssen. Ein anderer Teil gewann, und es war vermutlich der bessere Teil. Er schob Rinoa sanft an den Schultern zurück, bis sie sich wieder in die Augen sahen.
    "Danke ... Das hört sich ermutigend an. Ich werde daran denken, wenn ich morgen vor irgendeiner Prüfung stehe."
    Er nahm sich vor, Rinoa in der Zukunft irgendetwas zu schenken, irgendetwas Kleines, um ihr noch einmal zu danken; Seine eigenen Worte kamen ihm furchtbar kraftlos vor.
    Als Rinoa Nikolaj an sich zog, fühlte Tyler, wie sich sein Herz in winzige Fetzen auflöste. Kurz sah er aus, als wäre er zur Salzsäule erstarrt, dann fuhr eine Feuersäule zwischen ihnen hoch. Er hatte sich nicht bewegt, doch er wusste sofort, dass sie von ihm stammte. Rinoa stürzte zurück, fiel auf den Boden und schaute ihn entgeistert an. „Deine Worte bringen nichts, wenn er nicht trainiert. So wie es aussieht wird er nämlich ganz von vorne beginnen müssen!“ Kurz sah es aus, als würde in Tylers Augen eine Flamme züngeln, als er einen Finger auf Nikolaj richtete, ihn damit fast anklagend markierte.
    Rinoa stand auf, erst ganz langsam, dann war sie plötzlich vor Tyler und sah ihn grimmig an. „Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hältst dich für außerordentlich toll, aber das bist du nicht! Du kannst vielleicht mehr als wir, aber dafür ist dein Charakter das allerletzte. Hin und wieder bist du nett, sogar ganz süß, aber dann bist du plötzlich wieder so furchtbar egoistisch. Du hast überhaupt keinen Grund eifersüchtig zu sein, denn ich gehöre dir nicht!“ Tyler war wie vom Donner gerührt. „Wenn du einmal versuchen würdest, eine Beziehung aufzubauen, anstatt mich ständig beeindrucken zu wollen, könnte ich etwas für dich tun!“
    Es war furchtbar unangenehm, den Streitigkeiten von zwei Freunden zuzuhören, aber es war beinahe genauso unangenehm, wenn eine Feuersäule dir die Haare ansengte, dich blendete und dein Gesicht mit Ruß schwärzte. Tyler hatte nicht ganz in die Mitte zwischen Rinoa und Nikolaj gezielt. Jetzt stand er abseits von den Beiden und sah sie entgeistert an. Tylers Worte hatten ihn ziemlich unsanft aus seinen Gedanken und Hoffnungen gerissen. Verstört wischte er sich mit dem Ärmel seines Sweatshirts den Ruß aus dem Gesicht - es war einmal beige gewesen, aber es hatte ohnehin schon Flecken von der Erde gehabt - und kam vorsichtig dem streitenden Paar näher. Ein paar Mal setzte er zu versöhnlichen Worten an, aber sein Mund öffnete sich nicht einmal; Musste er gleich an seinem ersten Tag in so etwas hineingezogen werden? Schließlich drehte er sich um und lief zurück zum Haus, während Rinoas Gezeter hinter ihm herschallte, schlüpfte durch die große Tür und suchte seinen Weg zurück ins Zimmer; Dort kickte er die vom Schlamm durchnässten Turnschuhe in eine Ecke, legte sich aufs Bett und vergrub sein Gesicht im Kissen. Musste es überall Streit geben?
    Als Nikolaj weglief, starrte Rinoa Tyler anklagend an. Er konnte in ihrem Blick sehen, wie enttäuscht sie von ihm war, doch noch etwas ließ sich darin lesen. Er hatte das Bedürfnis sie zu sich herzuziehen und zu küssen, doch dann schaute er weg und rannte Nikolaj nach, einer Eingebung folgend zu ihrem Zimmer, während Rinoa auf der Wiese zurückblieb und die Arme um ihren Körper verschränkte, als würde sie frieren.
    Als er ankam und die Tür geschlossen vorfand, wollte er einfach gehen, doch dann hörte er ein unterdrücktes Schluchzen. Mit einem schuldbewusstem Seufzer lehnte er die Stirn gegen die Tür. „Hey. Das...war nicht so gemeint. Ich war eifersüchtig und dumm. Hab ich dich verletzt?“
    Nikolaj kratzte sich beinahe die Augen aus, als er versuchte, seine Tränen wegzuwischen, zum Glück waren es nicht viele gewesen, und schließlich meinte er, dass Tyler nichts mehr davon bemerken würde. Er stand auf, tappte zur Tür und öffnete sie.
    "Hi ... Nein, schon in Ordnung, bloß ein bisschen angesengt, kein Problem."
    Eigentlich war es schon ein Problem, aber auf keinen Fall durfte Tyler etwas davon mitbekommen. Nicht an seinem ersten Tag, er musste seinen Mann stehen ...
    "Hattest du Angst, dass ich mich an Rinoa ranmache?", versuchte er so maskulin wie möglich zu fragen, während er an seinem MP3-Player herumnestelte.
    Tyler öffnete die Tür vorsichtig, dabei erinnerte er sich, wie schrecklich es ihm ergangen war, als er ankam. Wochenlang. Sein Herz schnorchelte fast zusammen, so sehr tat ihm der Junge Leid. „Nein! Ich mag es nur nicht, wenn sie ständig andere umarmt...“ Es wäre dir egal, wenn sie das mal bei dir machen würde, dachte er verbissen. „Übrigens, hab keine Angst vor der Prüfung. Sie stecken dich nur in eine Klasse, die deinen Fähigkeiten entspricht. Auch wenn es hart scheint, sie sind meistens gerecht.“ Er lächelte wieder etwas, wollte zeigen, dass er nicht böse war.
    "Klingt ganz okay ... Aber völlig versagen will ich auch nicht."
    Nikolaj zog sich sein Sweatshirt über den Kopf und warf es hinter sich aufs Bett, er wusste nicht, wohin mit dem verdreckten Teil. Wieder zu lächeln gelang ihm noch nicht, er saß einfach auf der Kante seines Bettes und wartete darauf, dass ihm irgendetwas einfiel, was er sagen konnte; Schließlich blieb er an einem Satz hängen, der vielleicht nicht gaz so versöhnlich klang. "Wo ist denn hier das Bad? Ich müsste mir mal den ganzen Ruß hier abwaschen." Schwerfällig erhob er sich und zog sich die nassen Schuhe an.
    Tyler kratzte sich am Kopf. „Na ja, Rinoa könnte dich saubermachen!“, witzelte er und winkte Nikolaj hinter sich her, bis sie zu einem ein wenig heruntergekommenen Waschraum kamen. Dusche reihte sich an Dusche, Waschbecken an Waschbecken. „Na ja...wenigstens sind wir hier unter Jungs.“
    Er höte gar nicht erst auf den ersten Kommentar, sondern ging unbeirrt zu einem der Waschbecken, begann, sich die Hände zu waschen und am Ende das gesamte Gesicht einmal abzuspülen. Der zweite Kommentar beunruhigte ihn schon eher. Er hätte gerne ein Badezimmer für sich gehabt und hatte das Konzept von Internaten eigentlich schon immer gehasst; Jetzt blieb ihm keine andere Wahl mehr. "Wie ... regelt ihr das denn hier?", fragte er deswegen unsicher, als er sich wieder zum Gehen wandte.
    „Zuerstmal schämen wir uns nicht voreinander.“ Tyler lachte aus irgendeinem Grund auf. „Aber wenn du erstmal ein vollausgebildeter Erd-Yeye bist sind es die anderen, die sich schämen, Kleiner.“ Er trottete mit hinter dem Kopf verschränkten Armen hinter Nikolaj her. „Was willst du machen?“
    Erst errötete Nikolaj wieder, dann bezähmte er seine Gefühle und dachte nach. Eine gute Frage; Zu Hause hätte er sich jetzt noch eine Zeit vor den Rechner gesetzt und gezockt, oder ein Buch gelesen, oder ein wenig gezeichnet. Er war ein ganz passabler Zeichner. Bisher hatte sich hier keine der drei Möglichkeiten gezeigt, und das ärgerte Nikolaj beinahe mehr als mangelnder Komfort.
    "Was macht ihr denn hier so abends? Ich würd mir gern noch ein bisschen die Zeit vertreiben ..."
    „Weiß nicht, was du magst. Manche lernen bis tief in die Nacht, andere saufen sich irgendwo zu und ich lege mich meistens irgendwohin und höre der Natur zu.“ Tyler zuckte die Achseln. „Wenn du magst, kannst du auch in den Computerraum gehen, dort gibt es für jeden von uns einen Rechner. Die Programme musst du aber selbst kaufen.“ Er hielt nicht viel davon, vor dem Bildschirm zu sitzen und nichts zu tun, da ging er lieber nach draußen - aber jedem das seine.
    Für jeden der Schüler ein Rechner, das hörte sich doch sehr progressiv an. Aber was Tyler sagte, hörte sich verlockend an, nicht das Lernen und noch weniger - na ja, genauso wenig - das Zusaufen, aber das Sich-irgendwo-hinlegen.
    "Wollen wir uns vielleicht zu zweit draußen nen Platz suchen? Gibts hier in der Nähe vielleicht einen Wald?"
    Er begann, in seinem Koffer zu kramen, warf das Meiste einfach beiseite, um an ein anderes Sweatshirt zu kommen, ein dunkelblaues diesmal.
    Sich zu zweit irgendwo hinlegen? Tyler blinzelte entsetzt, für einige Sekunden war er etwas perplex, bis ihm der wahre Sinn der Worte klar wurde. „Ehm, ja sicher. Folge mir.“ Er ging voraus, im weiten Bogen um den Übungsplatz und führte Nikolaj zu einerm kleinen Wäldchen, mehr ein Hain, durch den leise ein kleiner Bach plätscherte. Tyler ließ sich Bauch voran ins Gras fallen und spielte mit drei Feuerbällen auf seinen Fingern hin und her.
    Der Wald war hübsch, fand Nikolaj, und einiges von seiner Anspannung löste sich. Es war schon sehr dämmrig, und er setzte sich an den Bach und sah hinaus in den Abendhimmel; Ein kühler Wind spielte durch seine Haare, als er über den bisherigen Tag nachdachte. Eigentlich hätte es schlimmer kommen können. Sicher, es wartete morgen noch einiges auf ihn, aber es war beinahe nett hier ... Mit abwesenden Gedanken kratzte er ein wenig Erde zusammen. Schließlich fand er sich dabei, wie er regelmäßig atmete und das Häufchen eine pulsierende Wolke in seiner Handfläche bildete. Verärgert schleuderte er sie fort. "Kann man seine Fähigkeiten eigentlich immer kontrollieren?"
    Tyler ließ die Feuerbällchen über seine Handfläche tanzen, als er antwortete: „Wenn starke Emotionen dich einnehmen, kann es schon mal passieren, dass etwas unbeabsichtigt losgeht. Ansonsten blockierst du eben dein Chi.“ Ihm fiel auf, dass Nikolaj wahrscheinlich nichts von einem Chi wusste. „Atme einfach nur mit dem Mund oder nur mit der Nase. Bis du dein Chi fühlen kannst ist das die einzige Möglichkeit es zu beherrschen. Ein Neuer war mal nach dem Chili auf der Toilette und hat einen Berg in der Klokabine wachsen lassen...“ Er lachte leise.
    "Hm."
    Nikolaj hatte nicht viel von dem verstanden, was Tyler gerade gesagt hatte, aber er hatte auch nicht sehr aufgepasst. Stattdessen hatte er auf den Wind gehört, und auf sein sanftes Spiel in den Blättern der Bäume über ihnen. Er hatte Bäume immer schon gemocht, aber jetzt war es irgendwie mehr, er fühlte fast eine Art Verbundenheit mit ihnen. Er gab es auf, sich auf eine Hand zu stützen und mit angezogenen Knien dazusitzen, sondern streckte sich ebenso lang wie Tyler am Fluss aus. "Wo ist eigentlich Rinoa hin? Ich hoffe, sie will noch was mit mir zu tun haben, nach dem Ärger wegen mir."
    „Ach, ich bin sicher, dass sie dir vergibt.“ Etwas bedrückt ließ er die Feuerbälle ausgehen. Bei ihm war er sich nicht so sicher. Ihre Worten spukten durch seinen Kopf, er sah sie vor sich stehen, mit den in die Hüfte gestemmten Händen. „Vielleicht könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Kumpel, wenn du sie triffst...“
    Erstaunt drehte Nikolaj den Kopf zu Tyler.
    "Ein Wort für dich einlegen? Sie ist doch deine Freundin ... Habt ihr euch so sehr gestritten? Sie ... Ich glaube nicht, dass sie dir böse ist. Nicht sehr ... Zu mir bist du doch nett, warum sollte sie dir böse sein?" Sie hatte zwar aufgebracht gewirkt wegen der Flammensäule und der damit zusammenhängenden Charakterschwächen, aber viel mehr nicht. Langsam wurde Nikolaj schläfrig, nach einem ganzen Tag auf Tour, und schloss die Augen.
    Tyler zuckte die Achseln. „Sie ist nicht meine Freundin...“ Er bemerkte, wie Nikolaj die Augen schloss und wälzte sich seinerseits auf den Rücken. So betrachtete er den Himmel, ohne etwas zu sagen. Es war schön, sich nicht als cool aufspielen zu müssen.
    Einige Minuten, vielleicht zwei oder drei, verbrachte Nikolaj noch damit, über Tylers Worte nachzudenken. Sie war doch seine Freundin? Egal. Hier war es schön. Mit der Zeit drifteten seine Gedanken irgendwohin ab, wo er sie nicht widerfinden konnte, und er schlief leise und unbemerkt ein.
    Tyler betrachtete den schlafenden Nikolaj. Er sah friedlich aus. Seufzend erhob sich der Feuer-Yeye, schob ihm eine Hand unter die Kniekehlen, die andere hielt seinen Rücken. So hob er den Jüngeren hoch und brachte ihn zurück auf ihr Zimmer. Während er ging und sich Nikolaj unangenehm kontaktfreudig gegen seine Brust lehnte, dachte er darüber nach, ob er und Rinoa eine Zukunft hatten. Ob er eine Zukunft nach der Schule hatte. Vielleicht würde er eines Tages seinen Sohn zu Bett tragen?
    Nachdem er ihn auf sein Bett gelegt und zugedeckt hatte (was schon fast zuviel des Guten war) legte er sich auf sein eigenes und starrte an die Decke, dachte nach - etwas, dass er noch viele Stunden tun sollte.
    Während dieser Stunden schlief Nikolaj einen Schlaf der Erschöpfung, in seiner gesamten Kleidung, auch wenn das unangenehm war; er bemerkte es gar nicht mehr. Irgendwann in der Nacht, oder auch am Morgen, um fünf Uhr etwa, wachte er endlich davon auf, dass ihm sein Gürtel ins Kreuz drückte, obwohl er das schon die ganze Nacht getan hatte. Schläfrig öffnete er die Augen, sah, wo er war, brauchte eine Minute, um zu verstehen, dass er nicht mehr zu Hause war, und eine Faust schien sich um sein Herz zu schließen. Mit einem Seufzer drehte er sich auf die Seite und sah Tyler immer noch schlaflos daliegen. "Hast du mich zurückgebracht? Danke ... " Kurz darauf setzte er hinzu: "Das hat doch keiner gesehen, oder?" Eigentlich war es ihm peinlich, aber er bewunderte den Älteren plötzlich für seine unerschöpfliche Fürsorge.
    „Natürlich nicht...“ Tyler starrte weiterhin an die Decke. Dann rutschte er vom Bett und zog die Schranktür auf. Eine ausgewaschene Jeans und ein rostrotes T-Shirt fanden den Weg in seine Hände. Obwohl es noch etwas kühl war, war es Tyler niemals kalt - einer der Vorteile des Feuer-Yeye-Daseins. „Hey...du kannst 'was von meinem Schrank haben.“ Mit einer schwungvollen Bewegung drängte er seine Kleider in eine Ecke. „Ich denke ja nicht, dass wir sie verwechseln werden“, fügte er mit einem Grinsen hinzu.
    "Hey, danke."
    Tatsächlich würden sie ihre Kleidung kaum verwechseln, davon abgesehen, dass zwischen ihnen einige Größen lagen, waren Tylers Sachen abgenutzter und in kräftigeren Farben gehalten als die von Nikolaj. Bei dem dominierten Farben wie blau und grün, und seine Jeans waren noch alle in dem kräftigen Indigoblau ihrer Herstellung. Schnell räumte er seine Kleidung in den Schrank, wobei der Platz kaum ausreichte, sodass er sie ziemlich schief stapeln musste. Schließlich stand er verlegen mit einer Jeans und einem grünen
    T-Shirt da und fragte sich, ob er sich gleich hier umziehen sollte ...
    „Also, entweder du machst das hier, oder du gehst in den Waschraum zu den frisch geduschten Jungs, Kumpel.“ Tyler verkniff sich ein Grinsen, bevor er seine Weste und Hose ablegte und in die Jeans stieg. Noch ohne Shirt knüllte er es zusammen und machte sich auf den Weg Richtung Tür. Man konnte sehen, wie kräfteaufreibend drei Jahre gewesen sein mussten, voll intensivem Training, denn an seiner Brust und dem Bauch zeichneten sich eindeutig Muskeln ab. „Ich werd mir mal die Zähne polieren und die Haare waschen, bis gleich.“
    Ein wenig neidisch auf die Muskeln seines Tutors begann auch Nikolaj, sich umzuziehen, und bemerkte dabei nichts von dem Wachstum, das ihm Rinoa prophezeit hatte. Er wusste, dass er heute Abend unter Leute würde gehen müssen, allein schon, weil er nicht ungewaschen bleiben wollte. Vorerst jedoch schnappte er sich seine eigene Zahnbürste und folgte Tyler hastig. Sein Magen knurrte furchtbar, denn seit den zwei Toasts am Abend hatte er nichts gegessen, und als nächstes würde er in Erfahrung bringen, wann das Essen war ... Noch so etwas, was er nicht mochte. Egal.
    Als Nikolaj den Raum mit den Waschbecken betrat, war Tyler gerade dabei sich die Zähne zu putzen. Alle Becken waren besetzt, bis auf das eine neben dem Tutor, dieser stand genau zwischen den beiden - aus irgendeinem Grund traute sich niemand, das Becken zu belegen. Als er ihn kommen sah, deutete er beiläufig auf das freie Becken und trat zurück zu seinem eigenen, wo er den Zahnputzvorgang abschloss und anschließend den Kopf unter den Hahn steckte.
    Mit einem unsicheren Lächeln dankte Nikolaj Tyler und begann ebenfalls, sich die Zähne zu putzen; Immer noch fühlte er sich unsicher in der Gegenwart von so vielen Jungen, die immer wieder zu ihm herüberblickten und feixten. Wie auch immer, er schaffte es ohne einen Unfall, der ihm hätte peinlich sein müssen, und sah unentschlossen zu Tyler herüber. Einerseits, er kam sich furchtbar unsauber vor, andererseits, er hatte kein Handtuch da und wusste auch nicht, ob ihn etwas erwartete, bei dem nasse Haare vielleicht furchtbar unpraktisch waren.
    Als Tylers Kopf wieder auftauchte, grinste er breit. „Mit mir brauchst du kein Handtuch“, sagte er, als hätte er seine Gedanken gelesen. Ein kurzer heißer Stoß bließ seine Haare nach oben, dann waren sie plötzlich trocken, wenn auch etwas abstehend.
    Einladend wies er auf Nikolajs Waschbecken und wartete auf ihn.
    Er wusste nicht, wie elegant es aussehen würde, aber nach der Aufforderung Tylers konnte er es ja kaum sein lassen; Er zog sich das T-Shirt aus, um sich im Falle eines Unfalls nicht mit einem nassen Hemd zu blamieren, und steckte auch den Kopf unter den Wasserhahn. Wahrscheinlich war es nur die Anwesenheit des Tutors, die irgendwelche Bosheiten währenddessen verhinderte. Mit tropfnassen Haaren kam er wieder zum Vorschein und sah Tyler erwartungsvoll an, während hinter ihm jemand kicherte - weshalb, diese Frage quälte den Jungen, aber er beschloss, cool genug zu sein um nicht nachzuschauen.
    „Hey Tyler, willst du uns nicht deinen Freund vorstellen? Scheint ja, als wärt ihr dicke Freunde. Ihr wascht euch zusammen die Haare, schlaft in einem Zimmer....“ Tyler trocknete gerade Nikolajs Haare mit einer Handbewegung, als hinter ihm jemand das Maul aufriss. Er drehte sich um und zog sich das T-Shirt über den Kopf. „Erstens bin ich sein Tutor und zweitens: Wenn du ihm irgendetwas antust, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du deine Hände nie wieder dazu verwenden kannst Feuer zu beschwören.“
    Der Angesprochene zuckte zusammen und verkrümelte sich aus dem Badezimmer, ganz, als hätten Tylers Worte Wirkung gezeigt.
    „Nun...ich hab mächtig Kohldampf, wie steht's mit dir?“ Er wandte sich wieder Nikolaj zu und grinste schief. Vielleicht würden sie Rinoa treffen ...
    Der Spott traf Nikolaj ziemlich hart, und aus seiner Sicht stimmte es sogar; Bisher hatte Tyler immer für ihn gesorgt, und er hatte nicht viel mehr getan als hinterherzustolpern. Er schüttelte einmal heftig den Kopf, um seine Haare wieder aus ihrer luftigen Formation zu bekommen, aber um sicherzustellen, dass Tyler das nicht als Ablehnung verstehen würde, antwortete er, während er sein Hemd wieder anzog. "Hab auch Hunger ... Gestern nicht viel mehr als deine Toasts gegessen."
    Er hörte sich dennoch lustlos und vorsichtig an, als könne er auf seinen Worten ausrutschen ...
    Tyler nickte. „Ja...eigentlich koche ich viel besser, aber sie lassen mich nicht.“ Er ging voraus und kurze Zeit kamen sie in die Cafeteria, wo Reihen von Buffets aufgestellt waren, aus denen sich jeder etwas auf Teller schaufeln konnte. „Da wir hier sozusagen festsitzen ist das Essen kostenlos - nimm dir was du willst, ich suche nach Rinoa. Ach ja. Du kannst mit mir am Tisch sitzen.“
    Er drehte sich um und verschwand in der Menge an Schülern.
    Eigentlich war das viel besser, als Nikolaj erwartet hatte, keine langen Tische an denen alle gemeinsam saßen und den gleichen Müll in sich hineinschaufelten. Anscheinend wurden hier andere Maßstäbe gesetzt, vielleicht, weil man genau genommen keine Wahl hatte ... Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch die Menge und suchte sich einen Teller und das Besteck, um sich erst einmal ein englisches Frühstück zu greifen: Rühreier, Speck, das beschäftigte ihn die Zeit, nachdem er sich einen kleinen Tisch gesichert hatte, der noch unbesetzt geblieben war.
    Kurz darauf tauchten Tyler und Rinoa auf. Sie hatte ihre Haare mit einer hellblauen Klammer zurückgebunden und trug ein dazu passendes Kleid. In ihrer Hand hielt sie einen Salatteller, Tyler hatte sich ähnlich wie Nikolaj einen Berg Sachen aufgeladen. „Endlich mal jemand, der nicht nur ein paar Blätter isst...“, jubelte er, bevor er sich direkt über sein Essen hermachte. Rinoa lächelte Nikolaj freundlich an.
    "Hallo, Rinoa."
    Nikolaj begrüßte den Neuankömmling mit vollem Mund, aber dachte erst hinterher darüber nach, was das für einen Eindruck machen würde. Keinen guten vermutlich, aber Rinoa lächelte immer noch freundlich. Er hätte gerne einen Spitznamen von ihr gewusst, Rinoa klang so steif, aber er wollte auf keinen Fall riskieren, noch einmal Tyler zu ärgern. Was immer er sagte, Rinoa war seine Freundin.
    „Hallo!“
    Sie kicherte über seine Manieren und nahm es ihm ganz offensichtlich nicht übel. Tyler schaufelte wie ein Weltmeister und schien erstmal außer Gefecht gesetzt.“Hattest du eine gute Nacht, Nikolaj?“
    "Ah ..."
    Nikolaj war sich nicht sicher, ob er Rinoa seine nächtlichen Erlebnisse anvertrauen konnte, also blieb er erst einmal unbestimmt, während er seinen Stuhl zurückrückte, um Nachschub zu beschaffen. "Hab in meinen Sachen geschlafen, war also ziemlich unbequem ... Aber die Betten sind ganz gut hier." Hilfesuchend warf er einen Blick zu Tyler.
    Tyler sah auf. „Ja, ich auch. Wir waren hundemüde.“ Rinoa nickte und verzog das Gesicht ein wenig angewidert, als Tylers Rührei den Weg auf ihren Teller fand. Sie schien kein Fleisch zu essen, denn sämtliche Putenfleischstreifen waren fein säuberlich zur Seite geschoben, wo Tylers Gabel sie aufpickte.
    Auch Tyler wollte also nichts von ihrem Ausflug erzählen. Kein Problem, eine Sache weniger, die ihm peinlich sein musste. Nikolaj schnappte sich seinen Teller und kämpfte sich wieder zum Buffet durch; Diesmal waren Brötchen dran, zwei davon, dick von Wurstscheiben, Marmelade und Käse bedeckt, die wohl seinen Hunger stillen würden. Diesmal nahm er sich auch ein Glas mit, mit Orangensaft gefüllt. Ein wenig davon verkleckerte er auf dem Weg, als ihn jemand anstieß - vielleicht mit Absicht, aber Nikolaj ignorierte es verbissen - aber das meiste stürzte er herunter, als er am Tisch ankam. Verstohlen leckte er sich die Lippen ab, bevor er wieder zu sprechen begann. "Wann beginnt denn hier eigentlich der Unterricht? Hab keine Ahnung, wo ich hinmuss."
    Bei Nikolajs Worten zuckte Tyler heftig zusammen. Er kramte in seinen Taschen, doch als er nichts finden konnte entfuhr ihm ein tiefer Seufzer. „Eigentlich hatte ich deinen Stundenplan und die Karte des Gebäudes irgendwo...“
    Rinoa verdrehte die Augen, sie griff in die Tasche ihres Kleides. „Ja, ich habe schon geahnt, dass du das verlierst, deshalb war ich auch im Sekretariat...“ Sie legte Nikolaj einen Stundenplan und auch eine detaillierte Karte vor, auf der sie mit verschiedenen Farben Wege markiert hatte und Randnotizen in gut lesbarer, gerader Schrift formuliert hatte.
    "He, danke."
    Es überraschte Nikolaj immer wieder, wie vorausschauend Rinoa zu sein schien. Tyler war ein sympathischer, netter Kerl, aber mit solchen Sachen hatte er es anscheinend nicht so drauf. Interessiert sah er, dass zwischen den langweiligen, gewohnten Fächern auch zwei unbekannte Kurse standen: Philosophie und Praxis des Yeye. In einigen Fächern standen mehrere Kursnamen.
    "Muss ich mich da für einen von denen entscheiden? Wo wähl ich den Kram denn ..."
    Hilflos sah er sich den Lageplan an, dessen Größe ihn völlig überwältigte.
    Ein zweites Blatt wurde auf den Tisch geklatscht, überschrieben mit „Wahlfächer“. Es gab Spalten, in denen man seinen Namen zum vorgedrucktem Fach einschreiben konnte. „Das füllst du aus und gibst es dem ersten Lehrer, den du begegnest.“ Sie lächelte aufmunternd und reichte Nikolaj sogleich einen Stift, der wie aus dem Nichts auftauchte.
    „Schulbücher bekommst du gestellt, den Rest bestellst du.“ Sie schrieb eine Nummer auf das Blatt mit dem Hausplan. „Du rufst einfach da an. Das heißt, falls du Tylers Telefon ausbuddeln kannst...“ Sie schlug Tyler auf die Handfläche, als er versuchte sich die Blätter genauer anzusehen. Alles Papier, was in seinen Händen landete wurde brutal zerknittert.
    Überfordert blies sich Nikolaj die Haare aus der Stirn und starrte konzentriert auf die vielen Bögen. Er hatte Bürokratie noch nie wirklich geschätzt. Zögerlich begann er, seinen Namen zu den Fächern zu schrieben, die ihn interessierten: Chemie, Englisch, Biologie. Irgendwie passten die Naturwissenschaften ganz gut zum Yeye. Dann sah er sich den Lageplan genauer an, aber es gelang ihm nicht einmal, die Cafeteria zu finden, obwohl sie doch ein ziemlich großer Raum war ... Zum Glück fand er die Anmerkungen Rinoas, und die nächsten Minuten ließ er seine Brötchen stehen und vertiefte sich ganz in die riesige Schule.
    Um ihn nicht zu stören, aß Rinoa ihren Salat auf und ging mitsamt ihren Tablett aus dem Raum. Tyler würde noch etwas brauchen, bis er seinen Berg an Essen vertilgt hatte, doch auch er verhielt sich still, nachdenkend darüber, ob Rinoa immernoch sauer auf ihn war.
    Schlussendlich war es Nikolaj gelungen, sich auf dem Plan zu orientieren, indem er die Jungenschlafzimmer und den Weg von dort aus zur Cafeteria wiedererkannt hatte. Stolz sah er auf, um Rinoa von seinem Erfolg zu berichten, aber sie war schon nicht mehr da; Enttäuscht begann er, seine Brötchen zu essen, und als er widerum damit fertig war, wandte er sich an Tyler, den Papierstoß schon unter den Arm geklemmt.
    "Wohin mit dem Geschirr?"
    „Einfach liegen lassen.“ Tyler war mittlerweile auch fertig mit Essen und verkniff sich einen Rülpser. Er stand auf und streckte sich ausgiebig. „Hm. Ich denke, ich sollte mal meine Tasche holen und mich dann auf den Weg machen. In die Klasse kann ich dir nicht folgen, aber du packst das schon, Kumpel.“ Aufmunternd boxte Tyler Nikolaj gegen die Schulter und ging, darauf hoffend, dass sich der Neue nicht allzu allein vorkam.
    Nachdem Tyler verschwunden war fühlte sich Nikolaj tatsächlich ein wenig hilflos, und Panik wollte in ihm aufsteigen; Wie auch immer, er ließ sie nicht, sondern arbeitete sich durch die Menge zurück zu ihrem Raum. Dort angekommen war Tyler schon fort, und er machte sich daran, in seinem Koffer seine Federmappe und seine Collegeblöcke zusammenzusuchen, mehr hatte er für schulische Angelegenheiten nicht mitgenommen. Es dauerte seine Zeit, bis er die Angaben des Stundenplans soweit verstanden hatte, dass er den Weg zu dem Klassenraum fand, in dem er angeblich "Philosophie des Yeye" gelehrt werden sollte, und so kam er etwas zu spät, als er den Kopf durch die Tür steckte.
    Ein extrem runder Mann mit Walrossbart schaute Nikolaj an. Kurz war er etwas erstaunt, doch dann lächelte er breit und winkte ihn hinein. „Oh, du musst unser neuer Erd-Yeye sein! Komm rein, komm rein mein Junge. Hinten ist noch etwas frei. Hast du schon die Bücher? Nein? Ah, dann bekommst du sie.“ Emsig drehte er sich zu einem Regal um und suchte drei mitteldicke Exemplare heraus, Die Grundlagen der Philosophie, Gut und Böse und Lehrbuch der Gefühle Band Eins. Als wäre es das selbstverständlichste der Welt, schubste er den Jungen sanft nach hinten. „Ich bin Dr. Willsburg. Ich unterrichte Philospohie des Yeye. Wir werden viel Spaß haben!“ Sein Bart bebte, als er Nikolaj das Wahlfachformular aus der Hand pflückte und sich leicht watschelnd wieder nach vorne begab. „Also gut, lasst uns unserem neuen Schüler zuliebe noch einmal wiederholen. Was sind die drei Grundgesetze des Yeye? Ja, Rinoa, Liebes?“
    Rinoa hatte sich gemeldet - sie saß direkt neben Nikolaj und lächelte verschmitzt. „Das Gute besitzt die höchste Priorität. Man darf der Natur seinen Willen nicht aufzwingen. Kampf mit Ehre, nicht mit Rache.“
    „Ausgezeichnet.“ Ein wenig stutzend schaute er dabei zu, wie Rinoa Nikolaj etwas zuflüsterte: „Das ist immer dran. In allen Tests und Abfragen.“ und klatschte dann aufgeregt in die Hände. „Oh, ihr scheint euch zu kennen. Wie heißt du, mein Junge?“
    Es war gut, neben Rinoa zu sitzen. Vielleicht würde es Tyler nicht gefallen, aber ihm verlieh die Erfahrung des Mädchens eine wunderbare Geborgenheit, die Tyler, dem gegenüber er sich trotz allem immer gezwungen sah, sich zu beweisen, kaum ausstrahlen konnte. Als der Lehrer ihn ansprach, sah er auf, als wäre er bei etwas erwischt worden.
    "Hallo ... Ich bin Nikolaj, Nikolaj Wolkow ..."
    Er wusste nicht, was die Klasse von ihm halten würde, die aus völlig unterschiedlichen Altersgruppen zusammengesetzt war, von vielleicht Fünfzehnjährigen bis zu einigen, die als zwanzig durchgingen.
    „Sehr schön, Nikolaj. Ich hoffe du strengst dich an.“ Dann begann er etwas auf die Tafel zu schreiben, was aussah wie ein Körperumriss. „Heute werden wir uns mit dem Chi beschäftigen...kennt jemand eine Basis des Chi?“ Er ließ die Augen über die Klasse schweifen, keiner meldete sich. Rinoa wollte gerade die Hand heben, da deutete Dr. Willsburg auch schon auf Nikolaj. „Hm?“
    Eigentlich hatte Nikolaj keine Ahnung von den, was der Lehrer gerade fragte, aber er erinnerte sich daran, was Tyler ihm gesagt hatte, am Abend zuvor, über das Kontrollieren des Chis. Anscheinend hatte es etwas mit Körperbeherrschung zu tun, oder sonst irgendetwas mit dem Körper. Hm.
    "Ich weiß es nicht, aber ich meine, dass es etwas mit dem Atem zu tun hat ... Wie man atmet ... Mit der Kehle vielleicht?"
    Schlussendlich hatte er mehr eine Frage gestellt als eine Antwort gegeben, aber niemand begann zu lachen oder zu tuscheln, also war er wohl nicht völlig lächerlich gewesen.
    „Das eine sehr gute Antwort. Viele lernen einfach nur die Knotenpunkte auswendig, wissen aber nicht wie sie zusammenhängen.“ Dr. Willsburg schenkte Nikolaj ein anerkennendes Lächeln. „Zunächst einmal haben wir als ersten Punkt des Chis den Kopfansatz, die unmittelbare Verbindung zum Universum. Darunter liegt die Stirn, die Kehle - wie Mr. Wolkow bereits sagte. Mit diesen drei Chibasen werden wir uns zunächst beschäftigen, denn sie sind die anfänglich wichtigsten. Ich bitte euch nun alle aufzustehen und euer Chi aufzuspüren, das geht etwa so.“ Er streckte eine Hand aus und fuhr mit zwei Fingern der anderen die Schlagader bis zur Schulter entlang, bewegte den Arm dann zu Kopf, Stirn, Kehle, Bauch, Kreuz und Rückgrat und machte überall eine leichte Kreisbewegung, bevor er den ganzen Vorgang wiederholte. Es sah ein wenig komisch aus, vor allem weil er so rund war, dass er seinen Rücken kaum erreichen konnte, doch schon nach kurzer Zeit erschien eine rot leuchtende Kugel in seiner Hand.
    „Die Kugeln sind verschiedenfarbig- und intensiv, je nachdem welches und wie starkes Chi ihr beinhaltet.“
    Vorsichtig und ein wenig unbeholfen machte Nikolaj die Bewegungen nach, und Rinoa, die sie wesentlich rountinierter durchführte, war ihm dabei eine große Stütze, dass das ganze kein sinnloser Spaß war. Und die Kugel, die nach einigen Strichen in seiner Hand schwoll, war ein handfester Beweis dafür. Sie war grün, ein wunderschönes Grün zwischen dem von Moos und dem von Smaragd, zuerst nur eine kleine Kugel, die aus mehreren pulsierenden Schalen zu bestehen schien, dann begann sie von innen heraus zu strahlen. Und sie wurde beeindruckend groß ...
    Rinoa vollführte den Vorgang dreimal. Die Kugel in ihrer Hand wuchs und wuchs, bis sie von selbst schweben konnte. Sie besaß ein strahlend helles Blau, in das sich weiße Streifen verirrten. Als sie ein Auge auf Nikolajs Kugel warf, sah sie überhaupt nicht überrascht aus, sondern vielmehr bestätigt. „Oh, sehr gut Nikolaj!“, lobte sie ihn und führte ihre Kugel etwas näher zu der seinen, als würde sie ihm vor Augen führen wollen wie ähnlich sie sich doch waren. Auch wenn Rinoas Kugel heller strahlte als die aller anderen in der Reihe, vielleicht ausgenommen von Nikolaj, waren sie beinahe gleich groß. Sie lächelte, achtete aber darauf, dass sie sich nicht berührten. „Rinoa, ja, achte darauf, dass eure Chi nicht zu nahe kommen.“
    "Warum nicht?"
    Mit leuchtenden Augen drehte sich Nikolaj zu seinem Lehrer, und die Kugel verblasste etwas - nur etwas. Das hier war ihm zwar völlig fremd, aber es begeisterte ihn trotzdem maßlos, etwas derart Schönes erschaffen zu können. Kurz schwenkte seine Kugel auf Rinoas zu, dann zog er hastig die Hand weg - seine Sphäre hatte sich noch kaum aus der Handfläche erhoben.
    Rinoa unterdrückte ein Grinsen. „Weil sich Personen, deren Chi miteinander in Kontakt tritt, ineinander verlieben. Ob sie es wollen oder nicht, es ist eine Art Fluch. Gleichzeitig sind sie in der Lage, den anderen zu heilen und ihn zu stärken.“ Sie nahm etwas Abstand von Nikolaj, um ihre Kugel noch etwas wachsen zu lassen. „Man kann den Fluch nicht brechen.“
    "Oh." Er bewegte sich noch vorsichtiger von Rinoa fort, nicht, dass er sie nicht gemocht hätte, aber erstens war sie Tylers Freundin und zweitens war sich zwangsweise zu verlieben ... falsch. Stattdessen konzentrierte er sich wieder darauf, seine eigene Kugel zu stärken, aber es gelang ihm nicht, den schimmernden Ball so zum Schweben zu bringen wie Rinoa es konnte. "Was bedeuten diese Kugeln?"
    Diesmal war es ebenfalls Rinoa, die antwortete: „Dies ist die Kraft, die durch seinen Körper fließt und es dir möglich macht, Yeye zu sein. Normale Menschen besitzen farbloses Chi. Durch die Farben können wir erkennen, zu welchen Fähigkeiten wir in der Lage sind. Siehst du diese weißen Streifen? Das bedeutet, ich kann irgendwann einmal Luft-Yeye erlernen.“ Sie hielt ihre Kugel mit einer Hand von ihm weg und drückte mit der anderen sanft gegen seine Hände. Sofort begann die Kugel auch über Nikolajs Handflächen zu schweben. „Wenn du heftige Emotionen durchlebst, blockiert sich dein Chi oder fließt extrem stark. Je schneller es fließt, desto mehr Energie sammelst du für den Angriff. Es ist sozusagen die direkte Verbindung zwischen dir und dem Universum, dein Draht zum Yeye.“
    Schweigend hörte Nikolaj den Ausführungen zu, und seine eigene Kugel wurde immer kräftiger. Er konnte keine andere Farbe als das Grün erkennen, das sich inzwischen in seinen Augen spiegelte, abgesehen von einigen braunen Funken, die aus der Mitte der Sphäre aufzusteigen schienen. Ungeduld und Vorfreude packten ihn angesichts der Möglichkeiten, die sich auftaten. Wieder wandte er sich von seiner Kugel ab, und wieder verblasste sie ein wenig. "Wann lerne ich denn, was mit dem Chi zu machen?"
    Dr. Willsburg unterbrach ihr Gespräch jäh. „Heute nicht mehr, das werden wir wohl nächstes Mal machen. Die Stunde ist für heute beendet!“
    Sofort schwemmten die Schüler aus dem Zimmer, bis nur noch Rinoa und Nikolaj da waren. „Ich begleite dich“, stellte sie fest und hängte sich ihre Schultasche um die Schulter. Kurz war Nikolaj damit beschäftigt, an seinen Sachen herumzufuhrwerken, wobei ihm ein paar Papiere aus dem Collegeblock herabfielen, ehe er fand, was er suchte: Seinen Stundenplan. "Jetzt ist Chemie dran, wenn ich schon die Wahlfächer aufsuchen soll ... Soll ich?"
    Er wusste nicht, ob er Rinoa seine Sachen in die Hand drücken sollte, um sich nach den Blättern zu bücken, also versuchte er es ziemlich erfolglos mit einer Hand.
    Rinoa lächelte und machte sich daran, seine Blätter aufzuheben. Sie antwortete von unterhalb: „Na ja, das wäre bestimmt vorteilhaft, damit du nichts verpasst.“ Sie drückte ihm das Papier in die Hand und strich sich eine entflohene Haarsträhne hinters Ohr. „Ich kann da allerdings nicht mit. Ich hab Musik.“
    "Kein Problem."
    Er nahm Rinoa die Blätter ab, dankte ihr und verschwand in die Richtung, in der, wenn er sich nicht irrte, die Wissenschaftstrakte lagen. Als er und Rinoa gemeinsam auf dem Flur herumstanden, wurde ein wenig Getuschel laut, unter einigen Mädchen und einigen Jungen, und er wusste nicht, ob sich das darum drehte, dass er derart hilflos war oder dass sie augenscheinlich einen anderen Jungen gefunden hatte. Hoffentlich würde Tyler nichts dergleichen denken. Rinoa winkte Nikolaj zum Abschied zu und verschwand eine große Treppe hinauf, wo es zu den Musiksälen ging. Sie setzte sich neben einen pickeligen Jungen mit Brille, der seine Klarinette reinigte, da begann der Unterricht auch schon und sie dachte nach, wie es wohl mit Nikolaj weiterging. Und...was wohl Tyler gerade tat...
    Nach fünf Stunden Schule, in denen er nicht einmal zu spät gekommen war, dank der Aufzeichnungen Rinoas, wankte Nikolaj zurück in sein Zimmer, beladen mit den Büchern von Yeye-Philosophie, Chemie, Mathe, Deutsch ... Zum Glück hatte er einen Rucksack dabei, und am nächsten Tag würde er den auch mitnehmen. Insgesamt hatte er sich gar nicht so übel geschlagen, war fast immer einfach akzeptiert - oder ignoriert? - worden, nur in Deutsch hatten ihn drei Jungen genervt, indem sie mit Papierkugeln in seine Haare warfen. Kein Problem also. Ein wenig erschlagen warf er jetzt die Bücher auf einen Haufen und begann, Rainbow zu hören, während er mit geschlossenen Augen auf dem Bett dämmerte. Tyler würde schon hier vorbeikommen, bevor es wieder Essen gab. Schön in einer Klasse mit Rinoa zu sein ... Lady of the Lake ... Er schlief beinahe ein und träumte davon, wieder von ihr umarmt zu werden.
    Für Tyler war der Schultag entspannt verlaufen, so war er gut gelaunt, als er in sein Zimmer kam und seine Schultasche in die Ecke feuerte. Er sah erst nach einigen Sekunden, wie Nikolaj auf dem Bett döste, mit einem Grinsen im Gesicht. Etwas misstrauisch beugte er sich über den Musik hörenden Jungen, dann stahl sich ein dämonischer Ausdruck darauf. „Buh!“, rief er und piekte Nikolaj gleichzeitig in den Bauch und gegen den Kopf. Der zuckte fürchterlich zusammen und schnappte nach Luft, mehr noch, als er es bei jemandem anderes getan hätte; Dass ihn gerade Tyler in seinen Gedanken überraschen musste! Andererseits, wer sonst. Stöhnend, schuldbewusst, richtete er sich auf und schaltete den Player aus. "Du Verrückter! Ah!"
    Er glitt herum, dass er auf der Bettkante saß, wischte die Gedanken an Rinoa fort, rieb sich die Augen und grummelte: "Das nächste Mal sterb ich an Herzstillstand ... Sag, wann gibts Essen?" Tyler konnte zunächst nicht antworten, da er sich unter einem Lachanfall krümmen musste. Erst nachdem er sich ausgiebig ausgelacht hatte, setzte er sich ihm gegenüber auf sein Bett. „Mann, du hättest dein Gesicht sehen müssen!“ Er machte es nach, schockiert und gleichzeitig schuldbewusst. „Essen gibt’s...in einer halben Stunde.“
    Er wollte sich gerade den MP3 Player greifen um das Lied zu sehen, da klopfte es an der Tür, kurz darauf erschien eine weibliche Hand und schließlich erst ein grünes, dann ein blaues Auge. Rinoa lächelte schüchtern zu den Jungen hinüber. „Hey...darf ich reinkommen?“
    Diesmal war es Tyler, der beinahe einen Herzinfarkt bekam. Er schaute entsetzt aus der Wäsche, lief zu ihr hinüber und machte ihr die Tür vor der Nase zu. „Moment!“
    Mit einer Geste ging das Poster der spärlich bekleideten Frau in Flammen auf, dann begann er die herumliegenden Sachen in Schränke und unter das Bett zu stopfen.
    Ha, Zeit, es heimzuzahlen, dachte sich Nikolaj, sprang auf und öffnete Rinoa die Tür.
    "Ist ein bisschen unordentlich hier, aber ich bin noch gar nicht lange genug da für so viel Unordnung, also weißt du ja ... Naja."
    Grinsend drehte er sich wieder zu Tyler um, der immer noch panisch Sachen in die Schränke stopfte. Vergessen waren seine Fantasien und die Schuldgefühle deswegen, aber immer noch nagte es ein wenig in ihm ... Rinoa.
    „Ein wenig unordentlich?“ Rinoa hob einen Hawaii-Toast-Pizza-Teller auf, blinzelte irritiert und legte ihn wieder weg, bevor sie sich auf Nikolajs Bett setzte. Tyler fuhr bei ihrer Stimme herum wie von der Tarantel gestochen. Kurz sah es aus, als würde er Nikolaj am liebsten erwürgen. „Ich hab eine Nachricht für dich, Nicky. Du sollst dich bei der Direktorin melden, zur Prüfung. Wir kommen mit und helfen dir. Am besten isst du vorher noch 'was, hm?“ Und wie von Zauberhand hielt sie ihm ein in Folie gepacktes Wurstbrot und zwei Schokoriegel hin.
    Oh, die Prüfung. Nach dem eher lockeren Tag kam das wieder wie ein eisiger Schauer seinen Rücken herabgerieselt. Mit einem leisen "Danke" griff er nach dem Brot und den Riegeln, setzte sich demoralisiert auf sein Bett und begann zu essen. Er ignorierte Tylers Zorn vollkommen, auch ein Triumphgefühl war ihm nicht so recht geblieben. Mit vollem Mund fragte er nervös: "Wasn das für ne Prüfung? Hatte doch noch gar keinen Praxisunterricht ..."
    Oder ob das bisschen Üben mit Tyler schon zählte?
    „Na ja...wahrscheinlich wird man einfach deine Fitness testen, was du kannst und was nicht, sie werden dein Chi sehen wollen - es wird nicht allzu schlimm.“ Rinoa lächelte Nikolaj an und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Tyler nickte ebenfalls und hob beide Daumen. „Ich bin sicher, dass du das hinkriegst.“
    "Hm ..."



    Re: Yeyes

    Warmonger - 26.08.2010, 17:28


    Nikolaj wirkte nicht so überzeugt davon, aber schließlich stand er auf, bürstete sich die Brotkrümel von Sweatshirt und Hose und machte sich bereit, mit den beiden zum Direktor zu gehen. Während er einen Schritt vor den anderen setzte, erinnerte er sich panisch daran, was er bisher gelernt hatte. Atmen ... Knotenpunkte ... Chi ... Zum Glück waren die anderen dabei.
    Rinoa lächelte wieder und ergriff die Hände der beiden Jungs, um sie hinter sich herzuziehen. Tyler zeigte Nikolaj nur ein Achselzucken, offensichtlich war er solche Gebärden gewohnt. Im Laufschritt führte Rinoa sie zum Trainingsgelände von gestern, wo bereits einige amtlich aussehende Erwachsene warteten. In der Mitte stand eine blonde Frau mit einer getönten Sonnenbrille und einem weißen Hosenanzug. Ihre Haare überdeckten kaum ihre Ohren. Ihr Mund war zu einem mitleidigem Lächeln verzogen, was aussah wie eine Grimasse.
    Kurz vor den drei Prüfern blieb Rinoa stehen und wich zurück, so standen die drei nebeneinander und schauten in ihr Gegenüber, bis die beiden Nicht-Prüflinge noch einen Schritt zurücktraten und Nikolaj der Direktorin auslieferten.
    „Schön.“ War alles, was diese sagte, bevor sie ihn ausgiebig musterte und dann wieder im Schulhaus verschwand. Verblüfft tauschten die beiden äußeren Herren Blicke.
    "Hm, guten Tag ... Ich bin hier zur Prüfung ..."
    Hilfesuchend glitt Nikolajs Blick über die Männer und über seine beiden Freunde, aber jeder schien so überrascht wie er selbst zu sein. Egal. Rinoa hatte ihm ja gesagt, was auf ihn zukommen würde, also versuchte er sich zu entspannen, sah einem der beiden Männer in die Augen und versuchte, seinen Verstand zu entspannen ... Atmen schien wichtiger zu sein.
    Was Nikolaj nicht wissen konnte: Nicht das Verschwinden der Direktorin war Grund zur Verblüffung, sondern ihre Worte. Oder auch nur das eine Wort. Bisher hatte sie noch nie etwas zu ihren neuen Schülern gesagt, manche bezweifelten sogar, dass sie überhaupt sprechen konnte.
    „Wir wissen, wer du bist“, sagte der Linke und notierte etwas auf ein Klemmbrett, dass wie aus der Luft gegriffen in seiner Hand erschienen war. „Wir sollen dich prüfen, keine Angst, bla bla...zähle zunächst die einzelnen Knotenpunkte des Chis auf und beschwöre dein eigenes. Anschließend wirst du es auswerten.“
    Oh, verdammt, die Knotenpunkte. Bestimmt eine Minute stand er da und versuchte, die Stunde bei Dr. Willsburg zu rekapitulieren. Schließlich kam ihm die Erinnerung, wie sie alle ihre Knotenpunkte erreicht hatten. "Der Kopfansatz ... Kehle, Bauch, Kreuz und Rückgrat ... Was vergessen?"
    Nur Schweigen antwortete ihm, was er einfach als Zustimmung deutete, weil ihn alles andere entmutigt hätte. Er begann mit den Bewegungen, die ihm bereits beigebracht worden waren, und wieder schwoll die grüne Kugel in seiner Hand. Diesmal nicht ganz so stark wie im Klassenzimmer, aber dafür erhob sie sich diesmal einige Zentimeter über seine Handfläche. Unsicher ließ er sie dort verharren und sah auf.
    "Was heißt auswerten?"
    Wieder wurde etwas notiert. Rinoa tippte sich hinter Nikolaj wie eine Irre an die Stirn.
    „Es bedeutet, dass du mir beschreibst welches Yeye du wirken könntest.“ Viele scheiterten schon bei dieser Frage, so leicht sie auch war. Tyler schaute mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in die Luft und begann zu pfeifen, bis Rinoa ihn in den Bauch boxte und er sich schmollend hinsetzte.
    Nikolaj lachte einmal kurz nervös auf, er hatte in seiner Angespanntheit mit etwas viel Komplizierterem gerechnet. Er warf Tyler einen bösen Blick zu, dann ließ er die Sphäre verschwinden und antwortete dem Prüfer.
    "Ach so ... Also, das Grün steht dafür, dass ich ein Erdyeye bin, so mit Erdkugeln und Bodenwellen. Die Intensität der Kugel soll anzeigen, wie stark ich bin, aber ich weiß nicht, wie ich das messen soll ... Na ja."
    In seinen eingenen Ohren hörte sich das alles ganz sinnvoll an, aber er wusste nicht, was die Prüfer erwarteten.
    Die Prüfer nickten. Absolut synchron. Allerdings gab es kein Lob. „Nun wollen wir sehen, was du tun kannst. Du kannst frei entscheiden, was du uns vorführst.“
    Der rechte Prüfer trat zurück und zeigt auf den Boden, wo ein paar große Steine erschienen. Eine Weile überlegte Nikolaj, was er versuche sollte, und stellte sich wieder auf seine regelmäßige Atmung ein, sammelte seine Kraft. Und sein Selbstbewusstsein. Schließlich atmete er aus, ein langer, scharfer Atemzug, in dem sich einer der Brocken senkrecht in die Luft erhob. Er begann zu zittern, als er den Stein dort hielt und versuchte, noch mehr zu bewirken, und als er schließlich, mehr mit einem Keuchen als mit einem Ausatmen, drei andere Steine unter den Schwebenden rollte, dass sie eine Pyramide bildeten, liefen Rinnsale von Schweiß durch seine Haare und seinen Körper herab. Schließlich sah er erleichtert auf und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
    Wieder kein Lob, doch der Prüfer notierte etwas und Rinoa stieß unterdrückt einen verzückten Schrei aus, als die Pyramide hielt. „Was sind die drei Grundgesetze des Yeye?“, fragte Links gelangweilt. Hoffentlich war das die letzte Frage, dann würde er einen glatten Abgang machen, denn diese Fragen hatte ihn ... interessiert.
    "Nur Gutes mit dem Yeye tun, seinen Willen nicht der Natur aufzwingen und ..."
    Die letzte Regel war ihm entfallen, und er dachte angestrengt darüber nach. Rinoa hatte sie ihm erklärt, Rinoa ... Er fühlte wieder ihren Atem in seinem Ohr ... Hörte ihre sanfte Stimme ...
    "Mit Ehre kämpfen, nicht für die Rache."
    Die Prüfer nickten abermals, doch diesmal verschwanden die Klemmbretter und sie schienen fast ein wenig zu lächeln, auch wenn es mechanisch und unmenschlich wirkte. „Bestanden, Wolkow Nikolaj.“
    Dann waren sie verschwunden, und Rinoa raste mit einem freudigen Jauchzer zu ihm und fiel ihm um den Hals. „Du hast nur die Stirn vergessen! Das bedeutet, du lernst mit mir!“
    Tyler gab Nikolaj einen freundschaftlichen Klapps auf den Hinterkopf. „Das heißt wohl, wir haben noch einen Streber hier...“
    "Cool ..."
    Erleichtert drückte er Rinoa einmal kurz, kurz, nicht nur um Tyler zu beruhigen, sondern auch, weil er sonst seinen Schweiß auf ihr verteilt hätte. Dann befreite er sich von ihr und warf sich ins Gras, grinste seine beiden Freunde erschöpft an.
    "War ja gar nicht so schwierig ... Bis auf die Pyramide, wie fandet ihr die?"
    „Oh, sie war klasse.“ Tyler atmete tief aus, als er das sagte. Er hatte befürchtet, Nikolaj würde sie vielleicht irgendwie hochheben und sich einmal mit ihr drehen, doch das ging in Ordnung. Rinoa rollte mit den Augen. „Klasse? Die meisten Anfänger schaffen nicht mehr als eine Staubwolke, weil sie so nervös sind.“ Demonstrativ setzte sie sich auf den obersten Stein, der nach unten wegbrach und sie etwas verdutzt auf den Boden sitzen ließ.
    "Ups. Das war ... Haltbarer gedacht ... Na, die Prüfer haben ja nichts gemerkt."
    Er sah zu Rinoa hinüber, die nun wieder auf Augenhöhe mit ihm war. Es war schön, mit ihr hier zu sein, sich mit ihr zu unterhalten, mit ihr Spaß zu haben. Und Tyler war natürlich auch nett, auch wenn er eifersüchtig über sein Mädchen wachte.
    "Ich glaub, ich brauch bald ne Dusche ... Ist das immer so anstrengend? Und was sind die Prüfer eigentlich für Typen?"
    „Was denkst du denn woher ich die tollen Muckies habe, Kumpel?“, fragte Tyler und wickelte seinen Arm um Nikolajs Hals, um ihm mit der anderen Hand durch die Haare zu wuscheln. Rinoa lachte auf, als sie sein begeistertes Gesicht sah. „Das weiß niemand so genau. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Manche meinen, sie sind keine Menschen...“
    Nikolaj versuchte, Tylers Arm von seinem Hals loszubekommen, aber der Ältere war tatsächlich viel stärker als er, und so musste er die Behandlung über sich ergehen lassen. "Heh ... Lass mich los", keuchte er grinsend, während er eigentlich seinen Spaß an dem Gerangel hatte. Schließlich gelang es ihm, den Kopf aus der Umklammerung zu ziehen, und schwer atmend sank er im Gras auf den Rücken, aber er lächelte fröhlich.
    Tyler lachte und ließ sich neben Nikolaj ins Gras fallen, wo er die Arme um die Knie schlang und zu Rinoa aufblickte, die sich grinsend auf Nikolajs andere Seite setzte.
    „Was meint ihr...ob wir wohl Freunde sind?“, fragte sie und schaute zu den beiden Jungs.
    Tyler betrachtete eine Weile den blauen Himmel, bevor er sich grinsend zurückfallen ließ und die Arme hinter dem Kopf verschränkte, wie so oft. „Ich denke, wir wären ein gutes Team.“
    "Hmh ... Vermutlich sind wir das."
    Nikolajs gemurmelte Antwort konnte als Reaktion auf beide Aussagen gelten, und es war nur Faulheit, die ihn dazu trieb, so bündig zu sein. Seine Hand fuhr durchs Gras und rupfte träge ein paar Halme aus, und seine Augen fielen schon wieder halb zu, denn die Erschöpfung lastete immer noch auf ihm. "Was ist hier eigentlich am Wochenende los? Gibts hier in der Nähe was Interessantes?"
    „Machst du Witze?“ Tyler rollte sich auf den Bauch. „Hier gibt es alles, was dein Herz begehrt! Bars, Spielhallen, Sportplätze, Parks...“ Rinoa zwirbelte eine Haarsträhne. „Bibliotheken....Kinos, Cafés...“ Plötzlich stieß Tyler einen 'Ha'-Laut aus. „Hey, wir könnten doch morgen alle zusammen einen Stadtbummel machen!“
    "Würd mir Spaß machen, glaub ich. Dürfen wir eigentlich in Bars? Von der Schule aus?"
    Nikolaj setzte sich wieder auf und versuchte, die ganzen Grashalme aus seinen schweißnassen Haaren zu bekommen, hatte aber nur mäßigen Erfolg.
    "Verdammt, ich werd wirklich duschen müssen. Außerdem, gleich gibts Essen, oder?"
    Er war gespannt, welche Qualität das Essen aufweisen würde, das Frühstück hatte ihn jedenfalls angenehm überrascht.
    „Wenn du 16 bist...“ Tyler nickte und stand auf, hinter ihm Rinoa. Als sie sich streckte, war ein lautes Grummeln zu hören. Mit großen Augen hielt sie ihren Bauch und lachte dann. „Es gibt Essen.“ Tyler lachte ebenfalls. „Aha! Und du schiebst dauernd diese Geräusche auf mich!“ Er hielt Nikolaj die Hand hin, um ihm aufzuhelfen und zeigte bestimmerisch Richtung Cafeteria.
    Nikolaj nahm Tylers Hand und sprang auf, ehe er den Kopf schüttelte und hinter den beiden anderen herzutrotten begann. Von überall außerhalb und innerhalb der Schule schinen Schülerströme in Richtung der Cafeteria zu drängen, und er begann, in Sorge um sein Mittagessen ein bisschen schneller zu gehen und Tyler mit einer Hand in Kreuz voranzuschieben; Bei Rinoa wagte er das nicht.
    Es dauerte nicht lange, da saßen die drei auch schon an ihrem Tisch - es war doch noch etwas frei geblieben. Rinoa aß wie immer fleischfrei und gesittet, während Tyler in sich hineinstopfte, was ging. „Hm. Wir könnten uns eines der Autos nehmen und damit in die Stadt fahren, es gibt einen Hafen dort. Und auch eine Promenade.“
    Nikolaj hatte sich wie Tyler eine ziemliche Menge an Essbarem geholt, aber immerhin stopfte er es nicht derart würdelos in sich hinein wie es der bedenkenlos tat, und diesmal kaute er aus, bevor er antwortete. Verstohlen sah er zu Rinoa hinüber, denn ihr zuliebe bändigte er sein Benehmen ja.
    "Hafen, klingt cool. Wie sollten wir uns denn ein Auto nehmen? Gibts hier Taxis oder bist du schon achtzehm?"
    „Ich kann fahren“, murmelte Tyler von seinem Teller. „Man nimmt es hier nicht so genau mit einem Jahr...ist ja auch idiotisch.“ Er grinste und widmete sich wieder seinem Essen, während Rinoa den Kopf schüttelte.
    "Kommt mir riskant vor. Passt die Polizei hier nicht so sehr auf?"
    Nikolaj blickte von seinem Teller auf und musterte Tyler; Eigentlich schien er nicht wirklich für achtzehn durchzugehen, aber anscheinend hatte es in der Vergangenheit keine Probleme damit gegeben. Na dann. Ohne viel auf eine Antwort zu geben wandte er sich wieder der wichtigen Aufgabe zu, das riesige Stück Fleisch, augenscheinlich Nacken, zu dezimieren. Es ging ihm nicht recht auf, wie Rinoa auf derartige Genüsse verzichten konnte. „Nein...es ist eher so, dass unsere Schule eine Art Abkommen hat. Für Missionen und so bekommen wir einen Führerschein, um schnell voranzukommen, wir können ja nicht alle Luft-Yeye sein.“ Tyler piekte die Speckstücke von Rinoas Eiern mit Speck, anscheinend war er ihre Restverwertungsanlage und genoss es. Als sie ihren Tee nahm und davon trank, verzog sie das Gesicht. „Igitt! War wohl nur noch kalter Tee übrig, Tyler...“ Mit vollem Mund deutete er beiläufig auf den Tee, der wieder zu rauchen begann.
    Belustigt sah Nikolaj Tylers Teekocherei zu und hörte seinen Ausführungen zu, während er nebenbei noch Bratkartoffeln in sich hineinschaufelte. Er ging seine Gedanken durch, was heute wohl noch auf ihn zukäme, und dabei stolperte er wieder über Tylers Anfangseinweisung.
    "He, du hast doch gesagt, nachmittags wäre Praxistraining? Für alle zusammen? Ich hab noch nie Kampfsport gemacht und so."
    „Dann solltest du lieber mich als Partner nehmen, Kumpel.“ Tyler grinste etwas und sprach zwischen zwei Bissen weiter. „Die Abschlussschüler machen sich einen Spaß daraus, Neue aufzumischen.“ Rinoa nickte, als würde sie sich an etwas unangenehmes erinnern. „Außer sie natürlich, Noa hat man mit Sanfthandschuhen angefasst. Aber du wirst sehen, es ist lustig.“ Aufmunternd fuchtelte Tyler mit der Gabel.
    Ha, klang total lustig, von Älteren verdroschen zu werden. Tyler hatte ihm ja schon gezeigt, woraf das hinauslaufen würde. Viel lustloser stocherte Nikolaj in seinem Essen herum, bis er es schließlich beseitigt hatte und ohne Abschied vom Tisch aufstand, zu ihrem Zimmer ging und dort versuchte, einen klaren Gedanken darüber zu fassen. Vermutlich würde es eine Art Anfängerklasse geben ... Aber er wollte gar nicht kämpfen lernen, verdammt. Mit in die Hände gestützter Stirn saß er sich derart den Kopf zerbrechend auf seinem Bett. „Du machst ihm Angst...kannst du nicht etwas sensibler sein?“ Rinoa stand auf und lief einige Plätze ab, doch als sie ihn nicht fand beschloss sie es in ihrem Zimmer zu versuchen. Sie klopfte, zögerlich. „Nikolaj?“
    Der war immer noch in seinen düsteren Gedanken versunken und glitt gerade auf andere dunkle Abwege, als Rinoas Stimme gedämpft durch die Tür kam. Eigentlich wollte er alleine sein ... Nein, eigentlich brauchte er Gesellschaft. Verdammt, er wusste nicht recht, was er wollte, aber nach ein paar Sekunden brummte er ein "Hm?", das durchaus als Einladung gelten konnte.
    Sie öffnete die Tür und trat ein. Dann setzte sie sich neben Nikolaj und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hey..willst du vielleicht mein Partner im Praxisunterricht sein? Tyler findet immer jemanden.“ Sie lächelte etwas. „Größtenteils dürfen wir da frei üben, ich kann dir also mit allem helfen, was dich interessiert.“
    "Von dem Kram interessiert mich gar nichts ... Ich will nicht kämpfen lernen ... Aber, hast recht, lieber du als Tyler. Der würde mich so fertigmachen ..."
    Immer noch unlustig setzte sich Nikolaj wieder auf und sah Rinoa an. Größtenteils, hatte sie gesagt, das hieß, dazwischen würden wahrscheinlich wieder Prüfungen warten. In denen er von jedem fertiggemacht werden würde.
    Rinoa streichelte seine Schulter, als würde sie genau wissen, was er dachte. „Er ist nett. Und er will dir helfen. Aber du musst auch kämpfen lernen, damit du dir selbst helfen kannst...Außerdem lernt man praktisches Yeye ja nicht nur, um zu kämpfen. Du fandest es doch toll, wie einfach manche Sachen dadurch werden - dafür brauchst du es wirklich. Nicht, um jemanden den Schädel einzuschlagen.“
    Wütend schlug sich Nikolaj so heftig aufs Bein, dass er sich wünschte, er hätte es nicht getan. "Und wofür soll ich es dann lernen, wenn es mir nicht hilft? Wobei nützt mir das denn, außer jemandem den Schädel einzuschlagen? Ich will nicht ..."
    Erst jetzt bemerkte er, dass bei seinem Zornausbruch ein kleiner Riss in der Wand des Zimmers erscheinen war, von links nach rechts, als hätten die Steine zu springen versucht. „Vielleicht um dich zu kontrollieren? Willst du jedes Mal, wenn starke Emotionen dich überwältigen, ein Haus zum Einsturz bringen?“ Rinoa zeigte auf den Riss an der Wand. „Früher habe ich meine Freunde beinahe ertränkt, weil ich auch nicht Kämpfen lernen wollte. Ich bin nämlich für Frieden.“ Sie sah ihn eindringlich an. „Niemand zwingt dich dazu, deine Fähigkeiten zum Bösen einzusetzen. Wenn du sie kontrollieren kannst, heißt das auch, du kannst sie gar nicht einsetzen, wenn du nicht willst.“ "Aber geht dass denn nicht, ohne kämpfen zu lernen?"
    Der Riss in der Wand hatte Nikolaj ein wenig kleinlaut werden lassen, denn, allerdings, wenn jedesmal so etwas passieren würde, wenn er wütend oder vielleicht auch nur traurig war, würde das auch nicht weiterhelfen. In dem Moment öffnete sich die Tür wieder, anscheinend war Tyler auch wieder da.
    Tatsächlich schob sich Tyler etwas verlegen durch die Tür. Er setzte sich auf sein eigenes Bett und begann Rinoas Hand auf Nikolajs Schulter anzustarren, bis sie sich zu ihm setzte. „Es geht nicht“, beantwortete sie seine Frage. „Außer, du versuchst dein Chi zu blockieren.“ Tyler verzog das Gesicht. „Was dich früher oder später umbringen würde.“
    Nikolaj sah zu Tyler hinüber. Eifersüchtiger Kerl, der, ließ nicht einmal so ein bisschen Hand-auf-der-Schulter zu. Egal.
    "Hi, Tyler. Rinoa hat mir nur gerade nahegelegt, warum es richtig ist wenn du mich zusammenschlägst, also keine Sorge ..." An Rinoa gewandt fügte er hinzu: "Ich bin also dabei, gezwungenermaßen. Wetten, ich werde es hassen, wetten?"
    Grummelnd wandte er sich ab und tat irgendwelche unwichtigen Dinge an seiner Schultasche, um keinen der beiden anschauen zu müssen.
    „Mit dieser Einstellung wirst du es sicher hassen.“ Rinoa schnaubte und verschwand aus dem Zimmer. Wenn er unbedingt schwarzsehen wollte, konnte er ruhig Trübsal blasen...
    Tyler schaute Nikolaj verwirrt an. „Wieso denkst du, ich wollte dich zusammenschlagen?“ Augenscheinlich machte er in letzter Zeit einiges falsch, dachte sich der und sank wieder rücklings aufs Bett. Nach einer kleinen Pause antwortete er Tyler.
    "Ich will nicht kämpfen lernen ... Jeder macht mich fertig, du ja auch schon. Und ... Naja, vielleicht war ich zu abweisend. Hab Angst davor."
    In seinen Augen stand ein bisschen was von einer Träne, aber solange er nicht aufstand würde sie schon da bleiben. Und wenn Tyler sich nicht gerade über ihn beugen würde bliebe es auch schön unauffällig.
    „Eigentlich versuche ich dafür zu sorgen, dass man dich nicht fertigmacht. Jeder hat Angst davor, immerhin können wir Elemente mit unseren Gedanken kontrollieren. Das ist nicht normal!“ Tyler war plötzlich sehr ernst, denn er dachte, er hätte seine Tutorenaufgabe nicht gut gemacht. „Ich wette, wenn du erst einmal versucht hast, wird es dir gefallen. Du wirst nicht immer so bleiben wie du jetzt bist.“
    "Wie, nicht bleiben, wie ich bin? Mehr ausgeschlagene Zähne als jetzt? Oder ..."- er suchte nach Worten - "einfach ... besser?"
    Der Wortlaut sprach zwar nicht dafür, aber der Klang der Worte zeigte schon, dass die Bemerkung diesmal nicht ernst gemeint war. Diesmal nicht. Er setzte sich wieder aufrecht hin, wobei unauffällig ein Ärmel über sein Gesicht fuhr. Ein schwaches Lächeln lag auf seinen Zügen, aber im Inneren hielt er immer noch mühsam die Verzweiflung in Schach. Jetzt war auch noch Rinoa böse auf ihn.
    „Na ja, schlechter kannst du ja nicht werden, oder?“ Tyler sprach ohne nachzudenken, daher bemerkte er nicht, wie verletzend man seinen Ausspruch aufnehmen konnte. Er stand auf, damit Nikolaj ihn ansehen konnte.
    „Ich war Vierzehn, als ich hier ankam. Mit sechzehn war ich kleiner als du. Und dürrer. Damals haben wir jeden Tag hart trainiert, es gab keine freien Übungen. Ich habe es einfach nicht hingekriegt, also habe ich voller Zorn nicht mehr richtig mitgemacht. Irgendwann hatte sich soviel angesammelt, dass nur ein fieses Wort reichte. Ich bin explodiert.“ Er sagte es, als meine er den eigentlichen Sinn des Wortes. „Der Krankensaal war noch nie so voll besetzt...jedenfalls, ich habe gesehen, wie stark ich wirklich bin. Ich habe geübt und geübt, bis ich besser war als alle anderen. Vielleicht war ich schon immer besser, ich weiß es nicht. Aber genau aus diesem Grund werden MIR nicht die Zähne eingeschlagen.“ Er beugte sich zu Nikolaj hinab und tippte gegen seine Brust. „Und du wirst auch nicht mehr gehänselt, wenn sie sehen, dass dein Chi leuchtet wie ein Stern. Die meisten von uns kriegen nämlich sogar im Abschlussjahr nur eines in der Größe eines Knopfes hin.“ Er grinste wieder breit. „Eins sag ich dir, die Direktorin kann Chi sehen, das wissen alle. Und wenn sie 'schön' zu dir sagt, hast du noch viel vor dir.“
    Bestimmt eine Minute saß Nikolaj einfach nur da und ließ die Worte seines Mentors auf sich einwirken. Es war wirklich beruhigend ... Schließlich fasste er sich ein Herz. Tyler hatte es geschafft, er würde es auch schaffen.
    "Ich versuchs. So gut ich kann. Wahrscheinlich werd ich nie einer der Besten, aber ich werds versuchen. Sonst ..."
    Mit einem schwachen Grinsen zeigte er auf den Riss in der Wand hinter Tyler.
    „Oh, den hab ich gar nicht gesehen.“ Tyler hüpfte auf sein Bett und untersuchte den Riss kritisch. „Das letzte Mal hab ich so einen Riss gesehen als ich mich selbst gegen die Schulwand geschlagen habe...“, murmelte er nachdenklich. „Wir sollten ein Poster drüber kleben, sonst gibt’s Ärger.“ Er ließ sich von seinem Bett hochfedern und stand wieder auf den Beinen. „Komm, wir gehen besser los. Dann können wir das mit Rinoa noch regeln.“
    Na, Ärger, das wär dann das Letzte, was er gebrauchen könnte. Egal. Los gehts, positiv denken, nicht unterkriegen lassen, Ohren steif halten, und immer grinsen wie ein verkrampftes Frettchen. Mit derart labilen Gedanken stand auch Nikolaj auf und machte sich auf den Weg zu den Sportplätzen. Auf dem Weg traf er Rinoa, die sich anscheinend umgezogen hatte und immer noch ein wenig zornig zu sein schien.
    "Rinoa ... Warte!" rief er ihr hinterher, um noch mit ihr zu sprechen, ehe irgendjemand dazwischen käme. Rinoa schaute beiläufig zurück zu Nikolaj. Sie blieb nicht stehen, zügelte ihr Tempo jedoch etwas und signalisierte ihm, dass sie zuhören würde. Tyler ging währenddessen vorwärts und stellte sich freundlicherweise taub.
    "Du ... Tut mir Leid wegen vorhin. Ich habs nicht so gemeint, ich ..."
    Sollte er Rinoa anvertrauen, dass er richtiggehend Angst vor den Anderen hatte? Eigentlich nicht, selbst vor Tyler hatte er es nicht gerne zugegeben, und der war sein Mentor.
    "Ich bin bloß nervös deswegen. Wie gesagt, ich hab noch nie gegen andere gekämpft, und sportlich bin ich auch nicht ... Aber ich werd mir Mühe geben."
    „Es ist nicht kämpfen“, sagte Rinoa hartnäckig und zog Nikolaj hinter sich her, bis sie gegenüber auf dem Übungsfeld vom gestrigen Morgen standen. „Es ist zaubern!“ Auch die anderen stellten sich so gegenüber auf und redeten angeregt miteinander, bis ihre Lehrerin kam. Sie war eine kleine Frau mit langen blonden Haaren, roten Schmollmund und einer kräftigen Figur. Im Gegensatz zu Dr. Willsburg nahm sie keinerlei Notiz von Nikolaj. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und schloss die Augen, das war alles. „Wenn sie das macht, können wir machen, was wir wollen.“ Rinoa lächelte wieder, nicht mehr böse. Die anderen jedoch schauten interessiert zu, was der Neue wohl tun würde.
    Tyler versuchte sie davon abzuhalten, indem er seinen Trainingspartner ziemlich auf Trab hielt, doch die Neugier war bei vielen zu groß.
    „Ich weiß, was wir machen.“ Rinoa kniete sich auf den Boden, schabte einen Erdklumpen vom Boden und durchnässte ihn mit Wasser-Yeye. Es war nunmehr eine Art Schlammklumpen, nicht ganz Wasser und nicht ganz Erde. Sie deutete darauf und ließ ihn etwa auf Brusthöhe schweben. Dann trat sie einen Schritt zurück, sodass der Klumpen genau zwischen ihnen in der Luft stand. „Du kennst bestimmt Fahrradfahren mit den Füßen.“ Sie grinste und ließ den Schlamm einen Kreis beschreiben, der bei ihrer Brust anfing und zu Nikolajs führte. „Du schickst ihn einfach zurück. Immer im Kreis.“
    Zuerst lenkten ihn die anderen Übenden ab, vor allem die, die neugierig nach ihm starrten, aber schließlich gelang es ihm, seine Konzentration auf Rinoa zu richten, und er erinnerte sich daran, korrekt zu atmen. Sofort entspannte er sich und mit einem gleichmäßigen Atemzug gelang es ihm auch, die Kugel wieder unten herum zu beschleunigen, dass sie zum Ausgangspunkt zurückkreiste. Immerhin ein kleiner ... Erfolg. Er sah nicht nach, ob die Anderen das hier albern fanden, um sich nicht selbst zu entmutigen. Starr geradeaus blicken ...
    Rinoa schickte den Klumpen zurück, so ging es eine Weile, bis sich auch das letzte neugierige Mädchen wieder ihrem Partner zugewandt hatte. „Okay“, flüsterte Rinoa. „Dann versuch mal mich anzugreifen. Egal wie. Sieh einfach immer mich an.“
    Eine Rotation machte der Klumpen noch ganz normal, dann zerbrach er plötzlich in drei Teile: Zwei kreiselten unentschlossen herum, als wüssten sie nicht, wohin sie sich wenden sollten, der dritte beschloss, sich auf Rinoa zuzubewegen, nicht ganz so wuchtig wie geplant, aber trotz des Wiederstandes recht zügig. Und außerdem schien die Wucht ja kaum von der Geschwindigkeit abzuhängen.
    Rinoa wehrte den Klumpen mit einer fließenden Handbewegung und einer mittelgroßen Welle ab, dann lief sie auf Nikolaj zu und versuchte seine Beine festzufrieren. Im vollen Lauf sprang sie hoch und auf ihn zu, um ihn umzureißen.
    Wieder einmal war Nikolaj überrascht davon, dass ihn wirklich jemand angriff, aber diesmal hatte er zumindest halbwegs damit gerechnet. Es gelang Rinoa, seine Füße in einem Eisblock zu versenken, weil er einen Angriff aus der Richtung niemals vorhergesehen hätte, aber als er instinktiv die Arme hochriss, um sich vor dem Aufprall zu schützen, brachen in derselben Bewegung drei große Steine durch den Rasen und bildeten einen schwankenden Schutzwall zwischen den beiden, umwoben von ganzen Netzen von Sand und Erdbrocken, wie ein dünner Schleier um die handfesteren Bestandteile der Barriere. Rinoa krachte völlig verdutzt gegen die Felswand. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sich so wehren würde, war aber zugleich stolz auf ihn. Zwei dünne Wasserfontänen wirbelten um ihre Arme. Sie beschrieb einige rasende Bewegungen, die die Fontänen kopierten. Kurz darauf bröckelte der Stein in Stücke.
    Die Wasserstrahlen wirken wie Schleifmittel, wie Nikolaj wusste, wie die Methoden, mit denen in Indien Steinornamente geschnitten wurden, und ganz nebenbei würden sie auch noch ihn zerlegen, wenn er nicht aufpasste. Rinoa ging ganz schöne Risiken ein ... Hastig versuchte er, mit dem Dunstschleier die konzentrierten Strahlen durcheinander zu bringen, während er nebenbei seine Füße aus dem Eis befreite. Die intensive Anwendung des Yeye machte ihn bereits völlig fertig und zerstörte seine Konzentration auf das Geschehen. Die Strahlen fielen auf den Boden, wo sie nicht mehr als Pfützen waren. Rinoa atmete schnell und gepresst, auch sie war etwas augepowert, doch noch nicht am Ende. Sie nahm Anlauf und rannte auf Nikolaj zu, wobei sie ihre beiden Füße seitlich in die Erde rammte. Das warf sie zwar in den Matsch, schoss aber auch eine Luft-Yeye Welle ab, die ihren Gegner umblasen sollte.
    Es wurde soweit ein voller Erfolg als das Nikolaj fast zwei Meter rückwärts flog und mit schweißnassen Haarsträhnen im Gesicht keuchend liegen blieb, aber es zerschmetterte auch die letzten Reste des Eises, das immer noch seinen rechten Fuß gefangen gehalten hatte. Er versuchte sich aufzurichten und erneut zu verteidigen, aber er kippte hintenüber und blieb schwer atmend sitzen - seine Ausdauer war wohl noch verbesserungswürdig.
    Rinoa blieb ebenfalls keuchend auf der Erde liegen. Sie war sehr stolz auf Nikolaj, zugleich spürte sie aber auch jeden Muskel in ihrem Körper, mit dem sie gegen seine Steinwand gekracht war. Tyler feuerte seinen Gegner mit einer Explosion gegen den nächsten Stein und hechtete zwischen einer anderen Gruppe hindurch zu ihr.
    „Rinoa! geht’s dir gut?!“ Sie nickte, sich aufsitzend. „Toller Kampf...“
    "Ja, mir gehts auch gut, danke der Nachfrage."
    Schwankend stand Nikolaj auf, machte einen großen Ausfallschritt zurück, um nicht unzukippen, und schüttelte schließlich desorientiert den Kopf. Dann atmete er tief durch und versuchte, wieder seine Sinne zusammenzubekommen.
    "Irgendwie ... Ein bisschen davon hat Spaß gemacht ... Aber ich hab schon wieder nasse Füße ..."
    „Das kann man nun einmal nicht vermeiden...wenn man mit einer Wasser-Yeye kämpft. Aber du warst echt gut.“ Rinoa war nun ganz aufgestanden und lächelte Nikolaj an. „Ich wette, wenn du etwas mehr an deiner Ausdauer arbeitest, könntest du mich fertigmachen.“ Skeptisch sah Nikolaj in Rinoas Augen. Das konnte sie doch kaum ernst meinen, so schnell, wie er auf dem Boden gelegen hatte. Auf jeden Fall hatte ihn der Kampf schwer mitgenommen, sein Sweatshirt und seine Hose waren schlammbedeckt, sein Gesicht war genauso verdreckt und seine Haare hatten noch nie in seinem Leben so ausgesehen.
    "Könnte ich? Ich glaub nicht ... Du hast mich doch fertiggemacht ..."
    „Nein, ich habe dich abgewehrt. Wenn ich dich wirklich angegriffen hätte, wärst du flüssig.“ Sie lächelte dabei so freundlich, dass es sich überhaupt nicht danach anhörte, als wäre sie stärker. „Auf jeden Fall solltest du jeden Morgen mit Tyler joggen gehen. Das hilft.“ Tyler nickte beilläufig. Etwas schuldbewusst linste er zu dem Schüler mit rauchender Brust, den er gerade mit einem Schlag umgenietet hatte und schlich sich außer Sichtweite der Lehrerin ...
    Eigentlich gefiel es Nikolaj nicht, von Rinoa zu hören, dass sie ihn derart vernichtend hätte schlagen können, aber er wurde von ihrem Tonfall und von dem Themenwechsel beruhigt. Verdammt, joggen, dass dieser Sportkram sich nicht ein bisschen beschränken konnte. Er grinste noch einmal Tyler zu, damit der wusste, dass er zumindet nicht unbeachtet geblieben war, und drehte sich dann wieder zurück zu siener Partnerin.
    "Machen wir weiter oder ... Also ... Ich bin erst mal ziemlich bedient."
    „Wenn du nicht mehr kannst, hören wir auf.“ Rinoa streckte sich und ließ sich dann wieder in Sitzposition ins Gras fallen. „Wann möchtest du eigentlich in die Stadt fahren? Nach dem Unterricht? Oder willst du noch ein Nickerchen machen?“
    "Wollten wir nicht morgen los?"
    Nikolaj sah ziemlich skeptisch auf Rinoa. Nickerchen, also wirklich.
    "Außerdem, seh ich so aus, als könnte ich so los?"
    Mit zusammengezogenen Augenbrauen versuchte Nikolaj noch einmal, ein bisschen die Erde zu bewegen, aber die Luft war raus. Heute würde das wohl kaum noch was.
    „Nein, deshalb dachte ich ja, du möchtest dich ausruhen.“ Sie erwiderte seinen Blick verwirrt, da ihr nicht klar war, was sie falsches gesagt hatte. Geistesabwesend beobachtete sie, wie Tyler von der Lehrerin zusammengestaucht wurde. „Stimmt...morgen wollen wir los...“ Sie sagte das gedehnt, als würde sie an etwas ganz anderes denken, irgendwo in den hinteren Ecken ihres Hirns.
    Mit einem schiefen Grinsen erwiderte Nikolaj seine Meinung.
    "Ja, natürlich ... Aber vom Ausruhen werd ich nicht sauberer, oder? Also, was machen wir den Rest der Stunde? Wird die Lehrerin nicht ein bisschen böse, wenn wir nichts machen?"
    Trotzdem setzte auch er sich wieder ins Gras, ein wenig abseits der Matschfläche, die sie geschaffen hatten, und begann, mit den Fingern seine Haare zu durchkämmen.
    Rinoa schüttelte nur den Kopf und ging zu Nikolajs Rückseite, wo sie auf die Knie stellte. Sie formte eine Schale über seinen Kopf, öffnete die Hände und ließ Wasser auf seine Haare fließen, bis der letzte Schmutz verschwunden war. Dann kicherte sie und 'föhnte' sie mit Luft-Yeye halbwegs trocken. „Ich denke, sie ist mit Tyler beschäftigt, außerdem, wenn du nicht mehr kannst kann sie dich nicht zwingen!“
    Noch einmal schüttelte Nikolaj kräftig den Kopf, um sich der verbleibenden Wassertropfen zu entledigen. Immerhin war damit auch ein guter Teil des Schweißes fortgespült worden. Gut, sein Sweatshirt war auch nass, aber egal ...
    Noch unsicher grinsend sah er sich kurz um, ob irgendjeamnd daran Anstoß genommen haben mochte, aber jeder war mit sich beschäftigt, also wich die Unsicherheit. "Zeigst du mir noch ein bisschen, wie man mit dem Körper selbst kämpft? Ich stolper hier doch nur rum ..." мIch bin auch kein Profi, aber...okay.“ Sie stand auf, ihre Knie waren grün vom Gras und Schmutz. „Das wichtigste ist, stabil zu stehen. Federnd.“ Sie bewegte ihre Beine etwas auseinander und hoppste ein paar Mal auf und ab. „Am besten gehst du leicht in die Knie. Fürs erste solltest du immer warten, bis der Gegenüber angreift. Verteidigen ist leichter als angreifen.“ Sie hob die Arme etwas, um Bauch und Brust zu schützen. „Und vergiss nicht den Daumen aus der Faust zu nehmen.“
    Kurz starrte Nikolaj Rinoa beleidigt an, aber dann besann er sich, dass sie es vermutlich nicht so meinte. Natürlich hatte er sich schon geschlagen. Den Daumen in der Faust halten, meine Güte. Er sah sich genau an wie Rinoa stand und imitierte sie, so gut er konnte, leicht vorgebeugt. Nach ein paar Sekunden, in denen er sich darauf eingestellt hatte, mit Absicht ein Mädchen zu schlagen machte er einen Ausfallschritt zu ihr und versuchte eine rechte Gerade anzubringen; Immer noch gehemmt schlug er viel langsamer als normal. Kämpfen war eben nichts für ihn.
    Wenn Nikolaj damit gerechnet hatte, dass sie ihn mit Samthandschuhen anfasste, hatte er sich geschnitten. Sie wich seiner Faust aus, so dass der Schlag ins Leere ging und tauchte darunter hinweg, um sogleich seinen Arm zu packen und auf seinen Rücken zu drücken.
    Mit einem kurzen Schmerzensschrei versuchte Nikolaj sich aus Rinoas Griff zu winden, wobei er sich rücksichtslos den gepackten Arm verdrehte. Schließlich kam er frei, taumelte einige Schritte zurück und ging wieder in Verteidigungsstellung: Jetzt war er er schon ein bisschen kampfbereiter. Mit gefurchter Stirn und zusammengepressten Lippen machte er wieder einen Angriff, diesmal aber schneller, mit einem linken Haken und der Rechten vor dem Bauch, bereit, einen Vorstoß von ihr abzuwehren. Wenn er konnte.
    Rinoa hatte nicht vor, wieder auf ihn loszugehen. Sie duckte sich unter seinem Schlag hinweg und versuchte, während sie sich mit den Beinen abstützte, seine Beine wegzuwischen. Dies sollte seinen Stand prüfen. „Erinnerst du dich an den Unterschied zwischen Verteidigen und Angreifen?“ Um kein freies Ziel zu sein sprang sie auf die Beine und atmete tief durch.
    Beinahe hätte der Schlag Nikolajs Bein weggerissen, aber weil Rinoa gesagt hatte verteidigen sei leichter als angreifen hatte er auf seinen Stand geachtet und widerstand mit leichtem Taumeln. Dann versuchte er seinerseits anzugreifen, aber mitten in der Bewegung wurde ihm klar, dass es nichts für ihn war, mit dem Körper zu kämpfen. Gar nichts. Er hielt an und stellte sich wieder normal hin.
    "Ich kann das nicht ... Ich kann es auch nicht lernen. Ehrlich. Ich bin zu plump und langsam dafür."
    Er sah ein wenig enttäuscht aus, aber auf jeden Fall nicht frustriert, als ob er nur wegen der Aussichslosigkeit seiner Lage aufgegeben hätte.
    Tyler hatte sich endlich aus der Umklammerung der Lehrerin befreit, die sich wieder hinsetze und augenscheinlich meditierte. Er stieg über einen am Boden liegenden hinweg und stellte sich neben Nikolaj, den Rinoa aufmerksam begutachtete. Ihr Blick huschte zwischen den beiden hin und her.
    "Tyler? Würdest du sagen, du bist größer als Nikolaj?“
    "Aber hallo. Um mindestens einen Kopf, hm?“
    "Und breiter?“
    "Sicher.“
    Rinoa nickte bedächtig. „Hmmm...man könnte fast meinen, du wärst plumper und langsamer als er...“
    Rinoa missverstand ihn, und Nikolaj wusste nicht ob mit Absicht oder nicht. Er meinte es ziemlich anders, als sie es dargestellt hatte.
    "Du. Es geht nicht darum, wie ich aussehe, sondern wie ich das mache ... Ich kann mich nicht so schnell bewegen wie Tyler, obwohl ich kleiner bin, weil er viel geübter ist. Und weil meine Reflexe schlecht sind. Und, verdammt, jedes Mal wenn ich jemanden schlagen will muss ich dreimal darüber nachdenken, egal, wer es ist!"
    Hilfesuchend sah er zu Tyler herüber, der seine bescheidenen Fähigkeiten ja auch schon erfahren hatte. мIn gewisser Weise hat er recht. Im direkten Kampf ist er eine Niete.“ Als Tyler Rinoas Blick sah, fügte er hastig hinzu: „Ich denke...ihm fehlt vielleicht die Veranlagung oder so. Möglicherweise...ist er besser beim Yeye aufgehoben?“ Rinoa zuckte die Achseln. „Okay. Wir wissen ja, dass du ein ziemlich ausgeprägtes Chi hast. Das dürfte reichen.“
    мTyler, was machst du da drüben? Geh wieder zu deinem Partner!“ Die Lehrerin schrie schrill über das Übungsfeld, offensichtlich konnte sie den Feuer-Yeye nicht sonderlich leiden, denn alle anderen verteilten sich ebenfalls irgendwo und redeten in Grüppchen miteinander, was sie scheinbar ignorierte.
    мMit Verlaub, Miss. Mein Partner ist K.O.“
    мDann such dir einen anderen!“
    Tyler legte Nikolaj die Hände auf die Schultern. "Okay, ich nehme Nickyboy." Noch einmal verdüsterte sich ihr Blick, doch sie fuhr fort zu meditieren.
    мIch hasse diese Frau...ernsthaft. Ich HASSE sie. Sie benimmt sich, als wäre ich gemeingefährlich und wollte alle niederbrennen...“
    "Du willst doch wohl nicht wirklich kämpfen, oder? Oder ... wir versuchen es noch einmal mit Yeye, das kann ich so viel besser ... Na ja, nicht so gut wie du."
    Vorsichtig stellte Nikolaj sich wieder drei Meter von Tyler entfernt auf und begann zu atmen, wie er sollte. Er plante, sich ganz auf die Defensive zu konzentrieren und Tylers körperliche Überlegenheit dadurch zu relativieren.
    "He, Rinoa, was meinst du ... Kommt man hier auch ohne Schlagen durch?"
    мEhm...eigentlich warst du nur meine Deckung...ich bin völlig kaputt.“ Auch wenn Tyler nicht so aussah, winkte er ab und hockte sich ins Gras, wo er wie so oft mit ein paar Feuerkügelchen spielte. Rinoa runzelte die Stirn. „Ich denke schon. Wie gesagt. Wir lernen hier nicht uns fertigzumachen, sondern mit unserer Gabe klarzukommen und sie richtig einzusetzen. Die Philosophie von Meister Yenda verbietet sogar den Einsatz von Yeye, um mutmaßlich jemanden zu schaden. Ausnahmen bilden Training und gerechtfertiges Eingreifen in Schlachten, zum Beispiel als Soldat oder Schlichter.“
    "Na dann. Gefällt mir auch besser ..."
    Nikolai war genauso erschöpft wie Tyler, vermutlich eher mehr. Die Lehrerin schien sich wirklich nicht viel zu kümmern, was um sie herum passierte. So saßen sie bald alle drei im Gras und entspannten sich ein wenig von dem Kämpfen.
    "Was habt ihr ihr eigentlich schon alles erlebt? Ist mein erstes Mal an einem Internat. Weiß nicht genau, woran ich mich alle gewöhnen muss."
    Rinoa zuckte mit den Achseln. „Ich bin schon seit der ersten Klasse hier. Ich kenne nichts anderes als ein Internat und musste mich an nichts gewöhnen...“ Tyler, der auf dem Rücken lag und in den Himmel schaute, schwieg eine Weile. „Es war seltsam plötzlich nicht mehr nach Hause zu kommen oder sich abholen lassen zu können. Aber du bist auch viel selbständiger. Wenn du eine Party feierst, stehen deine Alten nicht plötzlich auf der Matte. Ich bin ein recht guter Yeye, also haben sie mich schnell akzeptiert. Und jetzt als Abschlusschüler kann ich bald mein eigenes Leben führen und diesen Feuerkram hinter mir lassen...“
    Hellhörig geworden setzte sich Nikolai im Gras auf.
    "Hinter dir lassen? Ich dachte, du würdest den Kram hier mögen ... Und außerdem ... Was machst du denn dann? Kannst du dich so gut verstecken? Weiß irgendjemand außerhalb dieser Einrichtung vom Yeye?"
    Wieder einmal entlud sich ein Schwall Fragen über den Mentor. Langsam schien sich die Ahnungslosigkeit des Jüngeren aufzufüllen, aber immer wieder fand er Dinge, die ihm Rätsel blieben.
    "Von wegen Party ... Wie findet man denn eine? Ich war noch nie so richtig dabei. Hab mich auch nie gekümmert. Aber jetzt ..."
    мIch sag dir was, Nicky. Nach unserem Ausflug am Wochenende schmeißen wir eine riesige Party. Vielleicht bekommst du dann auch ein hübsches Mädchen ab.“ Er zwinkerte, dann wurde er wieder ernst. „Ich weiß nicht, was ich danach machen will. Vielleicht...heiraten und so. Und ja, niemand weiß von Yeye, das halten unsere Lehrer nämlich streng geheim.“
    "Ist noch nie was davon durchgesickert? Hat nie nen Betrunkener eine Bude in Brand gesetzt oder sowas? Stell ich mir schwierig vor ... Ich glaub, die Stunde ist um."
    Nikolai stand auf und streckte sich, bis die Wirbelsäule knackte. Dann wandte er sich zum Gehen, bevor ihm bei den vielen in eine Richtung strömenden Jungen etwas einfiel.
    "Mann ... Gehen die anderen jetzt alle duschen? Wenn ja, ich habs nötig ... Und du auch ..."
    Tyler hatte sich beim Kampf immerhin so weit verausgabt, dass er nassgeschwitzt war - vielleicht auch bloß von der Hitze seiner eignenen Flammen.
    Tyler stand auf. „Gute Idee. Lass uns duschen gehen!“ Rinoa nickte ihnen zu und bog kurz vor dem Schulgebäude in die andere Richtung - Richtung Mädchenwaschsäle ab.
    мIch hoffe du bist nicht schüchtern, mein Freund.“ Grinsend schnappte er sich ein Handtuch vom beinahe leeren Ständer und kickte die Turnschuhe in die Decke. In Rekordtempo verteilte sich seine Kleidung über den Boden. Ohne jede Scheu hatte er sich ausgezogen und stieg in eine der freien Duschen, nicht mehr als in die Wand eingelassene Kabinen, und zog den Duschvorhang zu.
    Gerade noch bekam Nikolai ein Handtuch ab und stand unschlüssig herum. Rund um ihn waren die Jungen allesamt so freimütig wie Tyler, aber er selbst war es nicht gerade. Er war nie auf Freizeiten gewesen und hatte nie Interesse für Sport gezeigt. Außerdem war er beinahe der Jüngste. Trotz allem überwand er sich, bevor irgendjemand mit dem Finger auf ihn zeigen konnte, auch wenn er hastiger als die anderen in der Kabine verschwand und seine Sachen in einem Haufen liegen ließ, der vom abfließenden Wasser vermutlich nass werden würde. Immerhin, es tat gut, wieder sauber zu sein, und nachdem er sich einmal überwunden hatte kam ihm der Preis gar nicht mehr so hoch vor.
    Tyler war schnell fertig, er war gewohnt sich flink zu duschen, und verließ vor allen anderen die Duschkabine. Er hatte das Handtuch um seine Hüften gewickelt und wartete nun mit der durchgeschwitzten Kleidung auf dem Arm auf Nikolaj.
    Der Jüngere brauchte länger, war den Luxus einer langen Dusche noch von zuhause gewohnt, aber trotzdem hielt er sich ran. Als er jedoch aus der Dusche stieg prallte er zurück, weil Tyler vor ihm stand. Sofort verwünschte Nikolai sich selbst, band sich ebenfalls das Handtuch um und trat mutig durch den Vorhang. Kurz hüstelte er und wurde rot, dann fasste er sich.
    "Gehen wir so zurück? Nass?"
    Er kniete sich neben seine Kleidung und klaubte sie auf; Tatsächlich war fast alles nass vom Duschwasser geworden.
    мIch schon, ich trockne mich dann im Zimmer mit meinem kleinen Trick. Wenn du lieber angezogen sein willst, kann ich das mit deinen Klamotten auch machen.“ Tyler lächelte etwas. Er wusste noch genau, wie es nach seiner ersten Dusche war. Jemand hatte sein Handtuch und Kleidung gestohlen und ihn nackt ins Zimmer laufen lassen. Doch jetzt war er Wache gestanden und hatte Nikolaj vor so etwas bewahrt.
    "Ah ... Die Sachen sind doch so dreckig, die werden beim Trocknen noch steif ..."
    Todesmutig klemmte er sich das Bündel unter den Arm, grinste unsicher und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Raum; Die meisten Jungen machten es so, und erleichtert stellte Nikolai fest, dass ihn kaum jemand beachtete; Nur einge Ältere sahen ihn mit einem beunruhigenden Grinsen an; Er hoffte, dass Tyler noch hinter ihm war.
    Tatsächlich war Tyler hinter ihm, doch blieb er etwas zurück und beugte sich nach vorne, um einen Blick auf die gerade ebenfalls herauskommenden Mädchen am anderen Ende des Ganges zu werfen. Mit einer Hand hielt er sein Handtuch, mit der anderen zog er Nikolaj zu sich her. „Guck mal!“
    "He!"
    Hastig wehrte sich Nikolai und wurde rot, als er die halbnackten Mädchen sah, aber als sein Handtuch zu verrutschen drohte, war er gezwungen, aufzugeben und stattdessen das Tuch festzuhalten. Die Mädchen fluchten zuerst und sahen Nikolai böse an, aber als sie seine Not sahen fingen die meisten an zu kichern und auf ihn zu zeigen. Er wäre am liebsten im Boden versunken, und sein Kopf fühlte sich an als sei er eine Tomate.
    "Mann, Tyler ... Lass mich los!"
    Tyler hatte gedacht, dass Nikolaj lachen würde, doch ihn jetzt so hilflos zu sehen, irritierte ihn. Er ließ ihn grinsend los, pfiff noch einmal den Mädchen hinterher (er konnte sehr laut pfeifen), was einige mit einem Kichern quittierten, dann ging er zusammen mit seinem Freund, der Tomate, ins Zimmer zurück. „Hattest du schon mal eine Freundin?“, fragte er geradeheraus, während er in seine Boxershorts stieg und sich ein Oberteil aus dem Schrank suchte. Nikolai machte die Tür zu und lehnte sich dagegen, bevor er antwortete. "Nein ... Ich hab wohl nie eine interessiert. Und ich hab auch nicht allzu sehr gesucht ..." Er zögerte kurz, dann nahm auch er das Handtuch ab und trocknete sich stattdessen damit, bevor er etwas hastig nach seinen eigenen Unterhosen griff. Bei Tyler machte es ihm kaum noch etwas aus, nackt zu sein, fiel ihm auf.
    "Warum fragst du? Wegen grad eben?"
    Tyler hatte ein weißes Hemd gefunden, dass er nun zuknöpfte. Er war bereits getrocknet, besser, hatte seinen Trick angewandt. „Na ja, du hast ein bisschen so gewirkt, als wär sowas Neuland für dich.“ Er richtete seinen Kragen und stieg dann in eine etwa knielange, beige Hose. Er sah aus, als käme gerade von Hawaii. „Tut mir Leid, dass ich dich reingezogen habe. Ich bin wohl etwas anders als du.“ Er hatte keinen einzigen Blick auf Nikolaj verschwendet, nicht einmal beim Sprechen, doch jetzt, wo er eine Hose anhatte, grinste er ihn an. „Hast du Rinoa gesehen?“
    "Ja ... Sie ist schön."
    Er war sich nicht sicher, ob das die richtige Antwort gewesen war, aber es war immerhin die Wahrheit. Er suchte sich den Rest der Sachen heraus, den er anziehen wollte - ein schwarzes T-Shirt und ein grünes Sweatshirt, zusammen mit den obligatorischen Jeans. Dann setzte er sich aufs Bett und zog Socken und Hose an; Die ganze Zeit schaute er lieber nicht zu Tyler. Ihm war immer noch peinlich, wie er sich verhalten hatte.
    Tyler lachte leise als Antwort zu Nikolajs Aussage. „Oh ja, ist sie.“ Er streckte sich ausgiebig und machte ein paar Windmühlen. „Also, was wollen wir mit dem Rest vom Abend anfangen?“ Zuerst hatte Nikolaj zu viel damit zu tun, sich das Sweatshirt über den Kopf zu ziehen, dann dachte er angestrengt nach. Vielleicht sollten sie ein bisschen unter Gesellschaft kommen.
    "Gibts hier vielleicht nen Gemeinschaftsraum oder so, wo ich mal ein paar Leute kennen lernen kann? Oder ... lohnt sich das?"
    Dann hob er kurz das Handtuch hoch, zögerte aber, wohl weil das Tuch inzwischen fast so nass war wie die Haare.
    "Trocknest du mich noch mal eben?"
    Er nickte, richtete seine Handfläche auf Nikolaj und trocknete Handtuch und Haare. „Klar gibt es einen Gemeinschaftsraum. Sogar zwei. Wir haben da ein paar Spielautomaten und einen Fernseher - und eine Saftbar. Mädchen und Jungen sind aber getrennt.“ Er verdrehte die Augen, dann winkte er Nikolaj hinter sich her und ging voraus den Flur entlang. Vorsichtig trat Nikolaj durch eine Tür, hinter der ein etwas schäbiger Raum voller Möbel und Jungen lag. Etliche Köpfe drehten sich kurz zu ihm um, aber schon nach Sekunden verlor man das Interesse an ihm. Vor einem ziemlich stark flimmernden, aber immerhin großen Fernseher zankten einige Jüngere um die Fernbedienung, an einem Flipper feuerten Ältere einen mit einer wilden Stachelfrisur an, der kurz davor stand, den Automaten zu ruinieren. An einigen Tischen wurde Karten gespielt, an anderen Hausaufgaben gemacht - aber Nikolaj hatte absolut keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Leise raunte er Tyler zu:
    "Hab vergessen, wie man Leute kennen lernt ... Oder nie gewusst. Schade drum, was?"
    Tyler lachte nur und klopfte Nikolaj freundschaftlich auf den Rücken. Manchmal war der Kerl ganz witzig, auch wenn er es wohl nicht merkte. Er angelte zwei Becher von der Saftbar, die mit einem lilafarbenen Saft - wahrscheinlich Traube - gefüllt waren und drückte ihn in Nikolajs Hand.
    мDann muss ich das wohl für dich erledigen.“
    Er schlang dem Jüngeren einen Arm um die Schulter und ging mit ihm im Schlepptau hinüber zu den Flipperspielern. „Hey. Können wir mitspielen?“
    Der Stachelkopf nickte nur, dann fiel sein Blick auf Nikolaj. Er nickte ihm zu und ließ sich zu einem „Hey.“ verleiten, dann widmete er sich schnell wieder der Kugel.
    мIch bin ein mieser Spieler“, murmelte Tyler und exte seinen Becher, bevor er seine Ärmel bis zu den Ellenbogen hochkrempelte und sich die Hände rieb.
    Nikolaj hatte keinerlei Chance geahnt, an den Flipper zu kommen, weil er als kleiner, unscheinbarer Neuer eher übersehen worden wäre, aber mit Tyler an der Seite schien alles möglich. Mit einem verstohlenen Grinsen trank auch er seinen Saft aus und stellte den Becher beiseite.
    "Ich aber nicht, Mann. Hab zuhause einen Flipper gehabt ..."
    Als der Vorhergehende fertig mit Spielen war, kam Nikolaj an die Reihe, der sich vor Tyler schob. Es schien die Umstehenden zu überraschen, wie gut er war, und einer johlte sogar, als er in einem schier unmöglichen Winkel drei Hindernisse nacheinander traf; Schließlich verlor er den Ball nur, weil sein eigener Flipper sich ein bisschen weniger unberechenbar verhalten hatte. Stolz drehte er sich um und grinste alle, aber vor allem Tyler an.
    "Na?" Der stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Jetzt war er dran. Und Nikolaj konnte sehen, dass Tyler nicht in allem Gut war, denn schon beim ersten Mal lochte er die Kugel zielsicher ein. Hüstelnd trat er zurück und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich habe es doch gesagt...Hey. Ich werde mal sehen, ob ich Rinoa finde, du kannst ja mal mit dir wetten lassen, falls sich jemand traut?“ Den letzten Satz sagte er laut, und einige riefen eine Antwort, doch da war Tyler schon aus dem Raum und schaute sich um, bis er einen braunen Haarschopf entdeckte...
    "Zwei Eier, dass du das nicht nochmal so lange schaffst."
    Nikolaj nahm an, auch wenn er sich nach Tylers Verschwinden eher unsicher fühlte. Er gewann einmal, dann verlor er, als er selbstsicher um das Doppelte spielte. Trotzdem schien er sich ein bisschen Respekt geschafft zu haben, denn man ließ ihn dabeistehen, als wieder der Stachelköpfige den Platz am Flipper übernahm.
    Währenddessen drehte sich Rinoa nach Tyler um, ehe der nach ihr rufen musste, und mit leichtem Schritt kam sie zu ihm, ein bisschen über der Grenze zum Jungentrakt. Mit einem belustigten Schnalzen ordnete sie sein etwas zu hastig angezogenes Hemd.
    Tyler lächelte, als sich Rinoa an seinem Hemd zu Schaffen machte. Ohne sie wäre er einfach nur ein Junge. Mit ihr war er ein gut angezogener Junge.
    мIch habe über das nachgedacht, was du mir auf dem Übungsgelände gesagt hast.“
    Sie sah zu ihm auf. Kurz darauf weiteten sich ihre Augen, denn Tyler hatte sie einfach an den Schultern gepackt und ihr einen Kuss auf die Lippen gedrückt.



    Re: Yeyes

    Warmonger - 26.08.2010, 17:29


    Als er sich von ihr löste - mehr zurücksprang - starrte sie ihn entgeistert an. Aber auch irgendwie amüsiert. Gerade hatte der beste Spieler der Runde den Ball verloren und man wollte noch einmal Nikolaj sehen, diesmal mit einer noch höheren Wette, aber der sah abgelenkt aus der Tür, sodass die Blicke der Anderen seinem folgten. Auf einmal sah jeder Tyler und Rinoa, wie er ihr einen Kuss auf den Mund gab, und wie sie reagierte: Anstatt ihm eine Ohrfeige zu geben oder ihn anzuschreien legte sie ihm den Arm um die Schulter und zog ihn fort, Richtung Hof, und sagte ihm dabei irgendetwas Unverständliches. Kurz noch wurde darüber lautstark diskutiert, dann flaute das Interesse ab; Nur Nikolaj blieb in Gedanken bei den beiden, und er spielte nicht noch einmal am Flipper. Teilnahmslos saß er in der dritten Reihe auf einem Tisch, dachte über Rinoa nach. Tylers Rinoa. Die brachte Tyler durch das Gelände der Schule, und obwohl er jeden Zentimeter kannte, war es ein ganz anderes Gefühl mit ihr durch die Gänge zu schlendern, Hand in Hand. Als sie vor Rinoas Zimmer angekommen waren, fiel Tyler Nikolaj wieder ein. „Oh. Ich denke...ich sollte zu ihm zurück. Wir sehen uns auf der Party, heh?“
    Grinsend lief er zurück zum Aufenthaltsraum, wo er sich neben Nikolaj fallen ließ. „Woah!“
    "Wars schön?"
    Mit einem eher schwachen Grinsen begrüßte Nikolaj Tyler und ließ sich von dem Tisch rutschen. Dann machte er sich auf den Weg zur Saftbar, allein schon, um seinen Mentor nicht länger anschauen zu müssen, aber als sein Glas wieder mit Orangensaft gefüllt war, war er gezwungen, sich wieder umzudrehen.
    "Hab doch gesagt, dass sie deine Freundin ist."
    Tyler runzelte die Stirn. Wieso war Nikolaj plötzlich so abweisend? Es war fast, als wäre er eifersüchtig...“Ich denke schon, ja. Aber dich mag sie auch sehr.“ Verlegen nestelte er an seinem Hemd herum. „Weißt du...ich bin nächstes Jahr nicht mehr hier. Du und sie schon...also...“
    "Mh. Ich pass schon auf sie auf. Oder sie auf mich, eigentlich ist sie ja ... Hm, älter als ich. N' großes Mädchen."
    Mit einem Schulterzucken trank Nikolaj seinen Orangensaft aus und ließ sich nichts mehr von seiner Missstimmung anmerken. Stattdessen wechselte er das Thema.
    "Und jetzt? Hast du auch noch Hausaufgaben? Naja, morgen ist Wochenende, aber wir wollen ja weg." Tylers Gesichtsausdruck wurde missmutig, kaum dass Nikolaj Hausaufgaben erwähnte. „Klar. Und für unsere Praxislehrerin darf ich noch einen Aufsatz über die Basen des Chi schreiben. Vier Seiten. Handschriftlich. Bis...Montag!“ Er würgte gekünstelt und stand auf. „Sag mal...hattest du das nicht heute in PdY?“
    Es dauerte eine Zeit, bis Nikolaj verstand, was Tyler mit PdY meinte.
    "Ja, halb vergessen schon wieder. Weiß ich bestimmt nicht mehr als du davon. Warum weißt du großer Yeye das denn nicht?"
    Tatsächlich wunderte es den Jungen; War nicht die theoretische Grundlage in der Philosophie die Grundlage des Yeye-wirkens? Und so eindrucksvoll, wie Tyler sein Yeye beherrschte hätter er das als erster wissen sollen, fand er. Schulterzuckend stellte er sein Glas beiseite. „Oh, ich weiß es. Aber ich bin zu faul...“ Er sagte das geradeheraus, ohne um den heißen Brei zu reden und hoffte, dass Nikolaj ihm das nicht übelnahm. „In Ordnung, ich mach es selbst. Was hast du zu tun?“ Er ging mit ihm Richtung Schlafzimmer, in dem es auch zwei Schreibtische gab - auch wenn man Tylers nicht mehr erkennen konnte unter all dem Müll. „Hrm. Magst du noch was zu essen? Hawaiitoast? Fertiggericht? Freitags gibt’s Linseneintopf als Abendessen, yamm yamm...Guck einfach ins Kühlfach, ich mach's dir warm.“
    "Also, ich mag Linseneintopf."
    Unschlüssig sah Nikolaj kurz im Kühlschrank vorbei, unsicher, ob er damit nicht Tyler seine wertvolle Versorgung raubte. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, drehte aber den Stuhl so herum, dass er erst einmal mit Tyler sprechen konnte anstatt sich seinen Hausaufgaben zu widmen, nachdem er ein paar Hefte aus seiner Schultasche gezogen hatte. Mathe, Deutsch, das verdarb ihm schon wieder die Laune. Eigentlich hatte er genauso wenig Lust darauf wie Tyler auf die seinen.
    "Wann ist denn Abendessen? Wenn ich mir Essig reinkippen darf will ich was von den Linsen abhaben."
    „Eh...“ Er sah kurz auf die Uhr. „In etwa einer Stunde. Magst du echt Linseneintopf? Ich nenne das Zeug Zeckenpampe, weil es so aussieht.“ Er grinste, dann zog er einen Collegeblock aus der Tasche, zusammen mit einem angesengten Kugelschreiber. „Uff.“ Er setzte sich aufs Bett und schoss kleine weiße Flämmchen gegen die Decke. „Das war übrigens echt klasse - das mit dem Kicker.“
    Schon über die Matheaufgaben gebeugt drehte sich Nikolaj noch einmal um.
    "Was? Ach ja ... Danke. Viel mehr kann ich aber nicht."
    Dann beugte er sich noch ein wenig tiefer über das Heft und schrieb ein paar Zahlen. Er löschte sie wieder, schrieb andere darüber, schließlich ließ er den Stift sinken. Echt klasse. Aus Tylers Mund bedeutete das immerhin etwas. Als er schließlich meinte, mit den eher dünnen Hausaufgaben durchkommen zu können, war schon eine schweigende Viertelstunde vergangen. Jetzt erst wagte Nikolaj die Frage zu stellen, die eigentlich seit dem Lob seinen Geist beherrschte.
    "Was meinst du denken die anderen von mir? Direkt Freunde hab ich mir ja nicht gemacht."
    Tylers hatte das ganze Blatt mit seinem Strafaufatz gefüllt - er wusste mehr als er preisgab, eigentlich war ein sehr guter Schüler, würde er sich nicht ständig mit den Lehrern anlegen. „Na ja. Sie halten dich für keinen Freak, denke ich. Vielleicht etwas verschüchtert, aber das ist jeder Neue. Es gibt bestimmt einige, die dich als Neuer nicht so mögen, aber das legt sich."
    "Heißt, ich soll einfach ein bisschen warten und schauen, was so kommt? Vielleicht ergibt sich ja bei der Party am Montag was. Jemand mit meinen Hobbys oder so."
    Hoffnungsvoll packte er die Schulsachen wieder ein, versuchte dabei schon mal nach dem Stundenplan für Montag zu packen, ließ aber alles halbfertig liegen. Immerhin war da noch das Wochenende zwischen. Dann legte er sich auf sein eigenes Bett, die Füße grad noch so über die Kante hängend, damit er nicht schon wieder die Schuhe ausziehen musste. Der Tag war anstrengend gewesen, sein erster richtiger Tag im Internat.
    „Jo.“ War die kurze Antwort. Insgeheim hoffte er aber, dass dem nicht so war und Nikolaj noch eine Weile bei ihm bleiben würde. Tyler war sehr beliebt, konnte sich überall hinsetzen und wurde nirgends seltsam beäugt, wenn er eine Party schmiss, kam die halbe Schule, doch einen richtigen Freund hatte er nicht. Er war noch nie so lange mit einer Person zusammengeblieben wie heute mit Nikolaj. Es war ein schönes Gefühl, doch natürlich sagte er nichts. „Ich hab die Nase voll von dem Zeug“, murrte er und warf den Block irgendwohin in die Ecke, wo er bis Sonntag, 23 Uhr, vergammeln würde. Er kramte durch seine Kleidung und holte schließlich zwei Hanteln hervor. Er setzte sich damit aufs Bett und begann zu trainieren, während er hoffte, Nicky würde etwas Interessantes einfallen.
    Allerdings war der Jüngere nicht so fähig, sich selbst zu unterhalten, also zog er sich doch die Schuhe aus - mit den Füßen, um nicht aufstehen zu müssen - und setzte sich an die Wand. Dann kramte er wieder den Player heraus und hörte Musik; Muse, Undisclosed Desires ... Rinoa. Seine eigene undisclosed Desire. Ein wenig neidisch sah er Tyler zu, wie der trainierte und die Muskeln spielen ließ. Nein, er war ziemlich neidisch. Natürlich liebte Rinoa ihn. Den blonden, kräftigen, coolen, den Älteren. Er versuchte den Gedanken fortzuwischen. Es beunruhigte ihn selbst, sich bei solchen Gedanken zu wissen, während keine drei Meter von ihm entfernt genau der saß, vor dem er seine Sehnsucht verbergen musste. Tyler hob die Hanteln immer wieder, es dauerte lange, bis seine Armmuskeln sich unangenehm anfühlten. Er trainierte beinahe jeden Tag. Dennoch, Nikolaj wusste es noch nicht, aber er war längst nicht so kräftig wie ein Erd-Yeye ohne Training sein würde. Es würde vielleicht eine Woche dauern, bis sich der Kleine sich, äußerlich unverändert, daran versuchen könnte Felsbrocken zu stemmen. Feuer-Yeye waren zwar kräftig, doch mehr sehnig und bauten eher auf Beweglichkeit als auf Stärke. Vielleicht standen seine Chancen bei Rinoa dann anders als jetzt. Sie fand ihn jetzt schon süß.
    "Ich geh mal raus. Ich schau mal nach dem Computerraum ..."
    Er konnte den Anblick Tylers nicht mehr ertragen, das war die harte Wahrheit. Kurz musste er den Plan suchen, den ihm Rinoa gegeben hatte, dann musste er sich wesentlich länger darauf orientieren, und dann machte er schon auf den Weg, ohne sich noch einmal umzusehen. Den ganzen Weg nagten Gewissensbisse an ihm, und er hielt den Kopf so weit gesenkt dass er beinahe mit einem Gleichaltrigen zusammengestoßen war. Als er endlich vor der Tastatur saß ging es ihm gleich ein wenig besser. Gedanken betäuben ... Ziellos suchte Nikolaj die Foren auf, die er früher frequentiert hatte. Die Liebe dazu war ihm allerdings verloren gegangen, oder war die bloß überlagert?
    Tyler saß Nikolaj betrübt hinterher, er hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen, doch wusste er nicht so recht für was. War die aufblühende Freundschaft schon so schnell wieder vorbei? „Du wirst noch sentimental. Wie lächerlich“, sagte er zu sich selbst und legte sich wieder aufs Bett, die angesengte Zimmerdecke mit Feuerbällchen beschießend. Vielleicht kam er ja doch zum Abendessen.
    Zuletzt checkte Nikolaj nich seine E-Mails. Da war eine von seinen Eltern. Gespannt las er sie, fragte sich, wann er sie wohl besuchen kommen konnte, ob sie wohl einmal vorbeischauen würden.

    Lieber Nikolaj.
    Es tut uns leid, dass alles so kommen musste. Inzwischen hat man uns mitgeteilt, was eigentlich los ist, und man hat Stillschweigen von uns verlangt. Es ist schade, dass wir uns nicht wieder werden sehen können, aber unter derartigen Umständen ist es unmöglich, dass du wieder zu uns kommst. Vielleicht ändert sich die Lage ja noch einmal, und dann kannst du uns vielleicht noch einmal besuchen kommen. Bis dahin, viel Spaß in deiner neuen Schule, hoffentlich findest du viele Freunde!

    Mama - Papa - Lea

    Kraftlos sank Nikolaj in seinem Stuhl zurück, sah ungläubig auf den kalten Text. Eine Hoffnung weniger, eine Stütze abgebrochen. Das hieß, er sollte hier alleine vermodern? Sich neue Freunde suchen, aber bloß nicht zurückkommen? Mit einem Druck warf er den Hauptschalter des Rechners um und würgte ihn ab, dann beeilte er sich zurück zum Zimmer, kochend vor Zorn. Als er durch die Tür kam und sie hinter sich zuzog fühlte er die Klinke nachgeben, und sofort bemühte er sich um Zügelung, um bloß nicht noch mehr kaputtzumachen, aber es gelang ihm kaum. "Scheiße."
    Tyler sah auf, als Nikolaj hereinkam und hatte sich aufgrund seines Gesichtes schon halb erhoben, bevor er sich gesetzt hatte. „Hey, was ist?“, fragte er bemüht sachte, doch es klang kein wenig wie eine Rinoa.
    "Nichts. Nichts großes. Hab nur gerade mitgeteilt bekommen dass ich meine Familie nicht wiedersehen werde, wenn ich mir nicht irgendwie das Yeye-Sein austreibe."
    Er warf sich aufs Bett, diesmal einen Dreck auf dessen Sauberkeit gebend, und vergrub das Gesicht im Kissen, weniger traurig als vielmehr so zornig, dass er nicht einmal mehr Tyler zuhören wollte. Erst eine Minute später wandte Nikolaj ihm das Gesicht zu. "Wie wars bei dir denn? Auch so 'ne Geschichte?"
    „Na ja.“ Tyler nestelte an seinem Hemdkragen herum, und sah dann zu Nikolaj auf. „Meine Mutter ist schon ziemlich lange tot. Bei der Geburt meiner kleinen Schwester hat sich herausgestellt, dass sie eine Zyste im Hirn hatte - sie ist geplatzt.“ Er schluckte. „Seitdem war ich ziemlich...rebellisch. Mein Paps ist eigentlich gar nicht so übel, aber er war eben hauptsächlich arbeiten und ich hab Scheiße gebaut. Mich geprügelt, randaliert und sowas. Bis ich dann aus Versehen einen Laden abgefackelt habe...und sie mich netterweise eingezogen haben, hier zu lernen. Ich hab Straffreiheit, wenn ich meinen Abschluss mache und mich in meiner Stadt nicht mehr blicken lasse.“ Er grinste schwach und drehte sich wieder zur Decke.
    "Immerhin motiviert das. Na ja ... Ich hab ja eigentlich keinen Grund, hier zu sein. Unfair, irgendwie ... Ich hab mir doch nicht ausgesucht, ein Yeye zu sein."
    Trotz der düsteren Worte lächelte auch Nikolaj wieder ein wenig und setzte sich ordentlich auf die Bettkante. Besorgt begann er, den Dreck aus der Decke zu wischen, aber er hörte bald schon wieder damit auf.
    "Wer weiß eigentlich alles davon. In der Mail stand, dass meine Eltern den Munda davon halten müssen."
    „Hm. Kommt darauf an, ob du auf offener Straße deine Fähigkeiten zur Schau gestellt hast oder daheim im Zimmer experimentiert hast.“ Er grübelte. „Keine Angst, die Schule sorgt dafür, dass keiner davon erfährt. Man kann mit dem Chi noch ganz andere Dinge anstellen als nur eine Kugel rufen oder Yeye machen. Aber das lernst du noch.“ Ein dumpfes Gurgeln aus Tylers Bauchgegend verkündete, dass es langsam Zeit für etwas zu beißen wurde. „Lass uns mal in die Cafe gehen und uns deinen geliebten Linseneintopf besorgen.“
    "Bisschen früh noch. Naja, ist wahrscheinlich besser so, dann ists noch nicht so voll." Müde stand Nikolaj wieder auf und machte sich auf den Weg. Kaum war Tyler wieder aus seinem Sichtfeld kreisten die Gedanken des Jungen nur noch um seine Familie. Er kam sich klein und unselbstständig vor, ein Muttersöhnchen beinahe, aber verdammt, er wollte nach Hause. Hätten sie die Mail doch nie geschickt, es wäre besser gewesen! Wieder kurz vor einem Wutausbruch sah er auf der anderen Seite der Cafeteria Rinoa, die sich gerade von einem anderen Mädchen trennte, lachend auf einen Tisch in der Mitte des Raumes zuhielt. Rinoa ... Schnell machte sich auch Nikolaj auf den Weg dorthin, abgelenkt von dem freudigen Anblick.
    Rinoa lächelte Nikolaj zu und winkte, bei Tylers Anblick wurde sie jedoch etwas rot und wandte sich ihrem Eintopf zu. Dieser merkte nichts, denn trotz seiner Abneigung gegen Linsen hatte er sich einen gewaltigen Teller aufgeladen und schaufelte ihn in sich hinein.
    „Hey, ich hab gehört, du bist echt gut am Kicker“, versuchte Rinoa ein Gespräch anzufangen, während sie mit Yeye die Tropfen, die von Tylers Essen flogen, von sich abhielt. "Warte, ich hole mir eben auch Suppe."
    Nikolaj hatte nicht nur vergessen, sich Essen zu holen, als er zum Platz gegangen war, er war auch schon wieder verlegen wegen des unerwarteten Kompliments. Als er wiederkam, mit einem dicken Schuss Essig zwischen den Linsen, hatte er sich eine Antwort zurechtgelegt.
    "Joa ... Hab zu hause viel gespielt. Aber so gut bin ich auch wieder nicht, glaub ich."
    Rinoa nickte, sie hatte sich soetwas gedacht. „Ich finde es trotzdem beeindruckend. Vielleicht kannst du mir mal ein paar Tricks zeigen.“ Sie schob sich einen Löffel voll in den Mund. „Wie steht's denn mit den Hausaufgaben?“
    "Oh ja, Hausaufgaben. Bin fast fertig. Na ja, so fertig dass die Lehrer nichts merken."
    Wie ein ertapptes Kind, das Marmelade gestohlen hat grinste Nikolaj Rinoa an. Hoffentlic hwürde sie es nicht so streng mit dem Lernen nehmen, sonst müsste er sie wohl enttäuschen. Und das wollte er eigentlich nicht.
    Doch sie nickte wieder und lächelte etwas. „Ich bin fertig. Das was du nicht hast kannst du dir ja mal ansehen.“ Tyler sah plötzlich auf. „Mich lässt du nie abschreiben!“ Sie schaute zu ihm wie zu einem fünfjährigen Kind. „Du bist auch eine Klasse über mir, Schlaubi.“ „Oh ja. Klar. Wusste ich.“ Er wandte sich wieder dem Essen zu, während Rinoa lachte.
    "Ach, nicht nötig. Äh, lernen muss ichs ja so oder so, wenn ich über die Klausuren kommen will."
    Er errötete wieder ein bisschen und beugte sich tief über die Suppe, um das zu verbergen. Dass sie ihn abschreiben ließe war das letzte, was er erwartet hatte.
    "Ich freu mich schon auf den Ausflug morgen ... Hab aber kaum Geld mit. Viel Spaß werd ich mir wohl nicht kaufen können ... Wie kommt ihr denn hier an Kohle?"
    „Na ja, wir erledigen Aufträge, für die man Spezialpersonal benötigt.“ Rinoa runzelte die Stirn, als würde ihr die Bezeichnung nicht sehr gefallen. „Du weißt schon. Im Untergrund. Kleinere Katastrophen abwenden.“ Tyler nickte. „Wie Superman!“
    „Nein...Superman hilft den Leuten ehrenamtlich und nicht, um die Schule zu finanzieren!“ Sie war etwas erzürnt, beruhigte sich jedoch gleich wieder. „Also...wir suchen uns was kostenloses. Gibt genug tolle Sachen.“
    "Äh ... Okay. Also, ihr arbeitet für Geld? Mit Yeye? Ist das nicht ... Gefährlich?"
    Nikolaj hatte inzwischen seinen Teller geleert und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte nicht viel Hunger gehabt, also holte er sich erst einmal keinen Nachschub. Viel mehr faszinierte ihn gerade das, was Rinoa sagte; Nicht nur Aussicht auf Geld, sondern auch noch eine abenteuerliche dazu.
    „Natürlich ist es gefährlich, aber wir haben nun einmal diese Gabe und können sie benutzen um anderen zu helfen.“ Tyler sagte das, als wäre es ganz selbstverständlich. „Du musst ja nicht auf Missionen gehen, wenn du nicht willst.“ Rinoa schwieg dazu, sie schien das ganze etwas anders zu sehen als er.
    "Mhm. Die Gesetze des Yeye, was?"
    Die Lautstärke im Raum machte es schwierig, sich ordentlich zu unterhalten, und da inzwischen auch Tyler und Rinoa fertig waren, stand er auf, was sich bei den beengten Verhältnissen schon beinahe als Wagnis erwies.
    "Gehen wir lieber vor die Tür, da ists nicht so voll. Und fertig seid ihr ja, oder?"
    Tyler nickte und auch Rinoa stand auf, zusammen gingen die drei aus der Cafeteria. Die Sonne schien kaum mehr, so wirkte das Waldstück - ja der gesamte Schulkomplex - wie in rotes Licht getaucht. „Die Dämmerung ist die beste Zeit für Feuer-Yeyes. Wenn alles rot ist, sind sie am stärksten.“
    "Und was ist mit Erdyeyes? In einer dunklen Grotte?"
    Die Frage war scherzhaft, aber tatsächlich wollte Nikolaj so viel wie möglich vom Yeye lernen. Er war selber einer. Er würde vielleicht damit arbeiten müssen. Auf jeden Fall es beherrschen lernen.
    „Na ja. Wasseryeye ist am besten während Regen, das ist schon klar. Luftyeye bei starkem Wind. Erdyeye ist also am stärksten, wenn du in Steppen oder in der Wüste bist. Oder in einem Gebirge“, erklärte Rinoa und wollte fortfahren, doch wurde sie von Tyler unterbrochen. „Oder du bist in einer dunklen Grotte!“ „Ja...genau.“ Tyler klopfte Nikolaj von hinten auf den Rücken. „Willst du mal sehen, was die Dämmerung aus Feueryeyes macht?“
    "Äh ... Ja, natürlich."
    Erwartungsvoll drehte sich Nikolaj zu Tyler um - und hielt lieber einen Schritt mehr Abstand. Das Feuer von Tyler war so schon eindrucksvoll genug, was bei so einem Sonnenuntergang passierte musste ja spektakulär sein. Ein bisschen beunruhigt sah er kurz zu Rinoa herüber, aber die schien sich nicht zu sorgen. Tyler wusste ja auch, was er tat, belehrte Nikolaj sich gleich selbst; warum Sorgen machen.
    Tyler grinste triumphierend, doch gleich darauf wurde sein Gesicht wieder glatt, beinahe ernst, wenn es diesen Ausdruck überhaupt bei ihm gab. Er faltete die Hände, als wolle er beten, dann sprang er einen gewaltigen Satz nach vorne und stieß eine Handfläche nach vorne. Zuerst sah es aus, als würde ein gigantischer Feuerball aus ihr herausbrechen, doch das Feuer brach nicht ab, als er die Hand zurückzog und damit einen Kreis um sich beschrieb. Es schwebte in der Luft wie eine von Rinoas Wasserfontänen und verharrte dort. Tyler drehte sich um sich selbst und schlug Saltos, und überallhin folgte ihm das Feuer, bis der ganze Himmel von seinem Schimmer erfüllt schien. Schließlich blieb er mit dem Rücken zu den beiden stehen und faltete die Hände wieder. Er atmete schwer. Schließlich sprang er noch einmal rückwärts durch die Flammen, Schweißtropfen flogen von seinen Haaren und zischten, als sie verdunsten. Als er landete - auf den Füßen - lösten sich die Flammen in einen Regen aus Funken auf und fielen zu Boden.
    Während der Show war Nikolaj noch zwei Schritte zurückgestolpert, bass erstaunt von der schieren Fülle der Flammen. Und von Tylers akrobatischem geschick. Und seiner Choreographie. Er hätte so einen Fantasie kaum von dem coolen Jungen erwartet. Schließlich stand er, ebenfalls ein wenig verschwitzt von der schieren Hitze, mit ofennem Mund da, bis er sich räusperte.
    "Das war ... Cool. Äh, so was werd ich bestimmt nie können."
    Er kam sich ein wenig in den Schatten gestellt vor, vor allem angesichts Rinoa. Das war aber nur ein unangenehmer Hintergedanke, glücklicherweise.
    „Tja.“ Tylers Gesicht war mit Schweißperlen bedeckt, doch er grinste. „Sowas bleibt eben Feuer-Yeye vorbehalten, mein Freund.“ Er hielt nie viel von falscher Bescheidenheit. Rinoa verschränkte die Arme. „Nun ja. Was wollten wir nochmal?“
    "Beweisen, wie cool Feuer-Yeyes doch sind, was? Gleich ist die Sonne weg, dann ist Tyler wieder ... Na ja, immer noch der Beste."
    Nikolaj grinste schief zu Rinoa hinüber, die ein bisschen kritisch wirkte. Vielleicht war ihr die Angeberei zu viel, aber der Jüngere machte aus seiner BEgeisterung keinen Hehl.
    "Wenn's mal regnet bist du dran, und Tyler wird gelöscht."
    Rinoa zuckte mit den Schultern. „Was nicht brennt, kann man nicht löschen, hm?“ Sie grinste Nikolaj ebenfalls an, dann wurde sie aber wieder ernst. „Aber es geht ohnehin nicht darum, sich mit Saltos umherzuwerfen, sondern um das Chi. Wenn man gut damit umgehen kann, muss man sich für einen Kampf kaum bewegen.“ Das Wort Kampf betonte sie abfällig, als würde sie an etwas Abstoßendes zurückdenken.
    "Vielleicht kann ich das auch mal. So zu ... Tanzen jedenfalls nicht. Viel zu viel Koordination für mich. Einfach nur dastehen hört sich jedenfalls gut an."
    Langsam machte sich Nikolaj wieder auf den Weg zurück zu den Gebäuden, in Gedanken. Vielleicht bestanden ja Aussichten, dass er auch ohne täglichen Sport zu einem ordentlichen Yeye werden würde.
    "Wird langsam spät ... Wie lange läuft hier noch was? Und wann müssne wir morgen raus?"
    Tyler lachte. „Nick, Nick, Nick. Es ist Samstag. Wir müssen gar nicht raus, wenn wir nicht wollen.“ Es war offensichtlich, dass Tyler nicht wollte, doch er hatte am Wochenende ja etwas vor. „Was hier noch läuft? Na ja. Parties vielleicht. Andere LERNEN auch...“ Er warf einen Blick zu Rinoa. „Oder fahren noch in die Stadt, um was zu trinken.“
    Nikolaj grinste breiter. "In die Stadt fahren wir morgen, und ich hab auch vor, ein bisschen was zu trinken, also können wir uns das sparen. Lernen sparen sich anscheinend alle außer Rinoa, also wollen wir uns daran halten - und auf eine Party, na ja. Gehen wir lieber wieder ins Zimmer. Oder auch ich allein, wenn ihr beide noch auf 'ne Party wollt."
    Eigentlich wollte er den Abend nicht alleine verbringen - er hatte zwar einen Haufen Kram genau dafür dabei, weil er damit gerechnet hatte nicht viel mit Anderen zu tun zu haben, aber inzwischen schätzte er Tylers Gesellschaft zu sehr, wenn der mal nicht mit sich selbst beschäftigt war.
    „Klar, wir können uns auch prächtig im Zimmer amüsieren.“ Rinoa nickte und ging voraus, kurze Zeit später waren die drei an ihrem Zielort angekommen. Ein kurzer Blick auf Tylers Bett genügte, und sie saß auf Nikolajs Bett, vorher hatte sie natürlich die Schuhe ausgezogen - und zog die Beine an. Tyler sah sich etwas um, doch er fand nichts, womit Nikolaj UND Rinoa Spaß hätten, also löste er ein Pizzastück von einer Jeans und knabberte daran, bis Rinoa ihm sagte, er solle das eklige Ding in den Müll schmeißen.
    „Welchen Test schreibst du am Montag, Tyler?“
    „Ich schreibe...äh...keine Ahnung.“
    „Keine Ahnung?“
    „Nein.“
    Sie verdrehte die Augen und wandte sich Nikolaj zu. „Wenigstens siehst du einigermaßen pflichtbewusst aus. Vielleicht färbt etwas auf Tyler ab. Sieh dir mal sein Bett an! Und dann deines!“
    Tyler sah hin, doch zuckte er nur mit den Schultern. „Putzen ist etwas für Frauen.“
    „SO?!“ Sie warf mit Nikolajs Schuh nach ihm und traf seine Stirn. Da prusteten beide los und brachen schließlich in schallendes Gelächter aus.
    "He! Lass meine Sachen in Frieden, die können doch nichts für Tylers Machismus ..."
    Nikolaj hatte sich ebenfalls auf sein Bett gesetzt. Damit saß er jetzt neben Rinoa ... Und Tyler auf der anderen Seite. Na egal, sie waren schließlich Freunde. So lachte auch er, leiser als die beiden Veteranen, lautes Gelächter kaum gewohnt.
    "Wusstest du eigentlich, dass Tyler hier 'nen Kühlschrank hat? Wenn das Gesundheitsministerium hierhersähe wäre der ganz schnell weg ..."
    Rinoa nickte. „Ja, ich kenne seinen Kühlschrank. Ab und zu kriege ich auch einen Hawaiitoast. Aber ich bin ganz deiner Meinung.“ Sie schaute Tyler tadelnd an. „Du solltest wirklich etwas Ordnung hier hineinbringen.“
    „Dem Dummen gehört die Ordnung. Das Genie herrscht über das Chaos!“ Er grinste und breitete sich auf dem Bett aus. Es störte ihn überhaupt nicht, dass Nikolaj so neben Rinoa saß. Jedenfalls fast nicht.
    „Welches Genie meinst du damit?“ Sie kicherte, und spielte mit den Zehen in der Bettdecke herum.
    "Na, bestimmt nicht sich selbst. Oder? Richtig guten Noten kann man ja nicht haben, wenn man sich so wenig um die Schule kümmert ..."
    Nikolaj lehnte sich gegen die Wand zurück und verschränkte die Arme im Nacken, schloss halb die Augen und sah den Freunden zu. Zwischen seinen Beinen raufte er die Bettdecke zusammen und zog sie Rinoa weg.
    "Meine Decke! Na ja, ich will doch noch darunter schlafen. Klau dir doch Tylers ..."
    Tyler rückte gegen die Wand und breitete die Arme aus. „Ja, komm ruhig her. Hier ist genug Platz.“ Er grinste. „Ich bin nicht so pingelig wie der da drüben!“ Rinoa blies empört die Wangen auf. „Ein wenig mehr Pingeligkeit täte dir aber gut. Wer weiß was in deinem Bett lebt!“
    "Ich bin gar nicht pingelig ... Weiß gar nicht, was ihr habt."
    Wie um das zu beweisen beugte er sich nach rechts und hängte sich über die Bettkante, kramte in seiner Tasche, um bald darauf mit einer Tafel Schokolade wieder aufzutauchen. Er fegte sich die Haare aus der Stirn und brach die Tafel in drei gleiche Teile. Mit einem verlegenen Lächeln drückte er Rinoa ein Drittel in die Hand.
    "Hoffe, ihr mögt Zartbitter."
    „Na ja, eigentlich nicht. Aber wenn du es mir so nett anbietest.“ Rinoa nahm sich Nikolajs Stück mit einem strahlenden Lächeln und biss ab, wobei sich ihre Nase ein wenig verzog. Tyler hingegen verdrückte sein Stück in Rekordgeschwindigkeit. „Wieso wusste ich nicht, dass du Schokolade versteckst?“ Er ließ sich aus dem Bett fallen, krabbelte zu seiner Tasche und inspizierte das Fach, aus dem Nikolaj gerade seine Schokolade geholt hatte.
    "He! Na gut ... Aber iss nicht alles auf einmal, ja?"
    Grinsend sah Nikolaj zu seinem älteren Freund herab, der in seinen Schulsachen wühlte.
    "Da drüben ... Genau, in dem Fach da. Ich hab noch mehr als nur Zartbitter."
    Auch er selbst knabberte an seinem Stück, beeilte sich ein wenig, damit es ihm nicht in den Fingern schmolz, aber er genoss trotzdem. Rinoa anscheinend auch, bemerkte er mit einem verstohlenen Seitenblick, obwohl sie gesagt hatte sie möge gar keine.
    Tyler hatte nicht vor, alles zu essen. Er schnappte sich eine Rippe und biss ab, doch hatte er eine Vollbitterschokolade erwischt. „Bwah!“, rief er, öffnete den Mund zu Rinoa. „'asa!“ Sie verdrehte die Augen, bewegte ihre Hand ein wenig umher, als würde sie Anlauf nehmen, dann ließ sie sie zu seinem Gesicht schnappen, worauf ein Wasserstrahl aus ihrer Fingerkuppe hervorsprang und seinen Mund benässte. „Ich bin nicht dein Trinkspender, Tyler....“ Nikolaj kicherte, als sich Tyler blamierte, und kümmerte sich nicht einmal darum, dass die gute Bitterschokolade hin war; Die Situation war zu komisch, um Nebengedanken zu haben. Als Rinoa ihm den Mund ausspülte grinste er breiter als je zuvor, von einem Ohr zum anderen. "He, Tyler, sag mir doch lieber was du magst anstatt meine schöne Schokolade zu verschwenden! Milchschokoladenbubi!"
    „Milchschokoladenbubi?!“ Tyler lief der Wasserstrahl den Mundwinkel hinab, dann stürzte er sich auf Nikolaj und begann eine grausame Schädel-Reib-Attacke. „Du kannst mich doch vor einem Mädchen nicht Bubi nennen, Kleiner!“
    "Au!" Nikolaj kippte hintenüber, wieder einmal nicht gefasst auf einen körperlichen Angriff. Zuerst einmal kniff er bloß die Augen zusammen und versuchte siene Finger zwischen Tylers Hände und seinen Kopf zu bekommen, aber das machte es auch nicht besser. Er versuchte zu fliehen, aber Tyler war nicht abzuschütteln; Schließlich rollte er sich einfach nur im Bett zusammen und nuschelte undeutlich in die Decke, während er sie sich über den Kopf zog. "Vrdmmtr Spinnr ... Aw!"
    „Lass ihn, Tyler!“ Rinoa lachte und zog ihn mit sanfter Gewalt von dem zusammengerollten Nikolaj herunter. „Ach komm, der zerbricht doch nicht...“
    Natürlich wusste sie das, dennoch. Sie hob die Decke leicht an und schaute Nikolaj mit schiefgelegtem Kopf an. „Alles okay?“
    "Mrbl. Ich komm schon zurecht, danke, Rinoa."
    Mit einem schiefen Grinsen rollte Nikolaj sich wieder auf und schüttelte den Kopf, um erst einmal wieder klar darin zu werden. Dann streckte er Tyler spielerisch die Zunge heraus. "Nur weil du viel stärker bist brauchst du gar nicht damit anzugeben, Rinoa hat gesagt ich werd' stärker als du ..."
    „Na ja. Dann muss ich doch die verbleibende Zeit nutzen, um anzugeben, nicht?“
    Tyler ließ sich wieder auf sein Bett fallen und gähnte ausgiebig. „Ich denke, ich werde mich erstmal aufs Ohr hauen. Falls ihr noch etwas zu besprechen habt, tut es ruhig. Ich schlafe wie ein Baby.“ Rinoa runzelte die Stirn. „Wohl eher wie ein Stein...“
    "Wie ein ziemlich grober Klotz. Mal sehen, ob du schnarchst ... Letzte Nacht war ich zu müde um irgendetwas zu hören."
    Nachdem Tyler sich - in seiner Kleidung - schlafen gelegt hatte hielt auch Rinoa nicht mehr viel in dem Jungenzimmer; Nikolaj gab ihr noch ein Stückchen Schokolade, dann verabschiedeten sie sich. Ihm war nicht danach, noch einmal in seinen Sachen zu schlafen - wie Tyler das aushielt! - und während der noch halbwach im Bett lag zog er sich seinen Schlafanzug an. Vielleicht war Tyler das einfach zu uncool ...
    Tyler schnarchte tatsächlich. Zwar nicht unerträglich laut, doch laut genug um ein empfindliches Ohr zu nerven. Und er hatte vor lange zu schlafen. Während er schlief breitete er sich über sein gesamtes Bett aus und wickelte sich in die Decke ein, dass man meinen könnte, nur ein Decke-Yeye würde ihn befreien können.
    Letzte Nacht war Nikolaj ganz nebenbei eingeschlafen, auf einem grünen Hügel, aber diesmal würde es wohl schwieriger werden. Kaum war das Licht aus überfielen ihn die einsamen Gedanken, die er in Gesellschaft so erfolgreich unterdrückt hatte: Das Bett war zu schmal und zu kurz. Das Fenster war nicht offen. Die Rolladen waren herunter. Nebenan schnarchte Tyler. Nicht nur derart praktische Gedanken kamen ihm. Was würde sein, wenn er hier mit der Schule fertig war? Wie lange würde er das überhaußt aushalten? Als er schließlich einschlief standen ihm ein paar kleine Tränen in den Augen. Er hatte Heimweh ...
    Am nächsten Morgen fühlte sich Tyler wie ein zertretenes Stück Kaugummi. Er wachte auf, weil sein im Schlaf verlorener Schuh gegen seinen Rücken drückte. Gerade wollte er sich befreien, als er merkte, dass er seine Arme nicht bewegen konnte. Er hatte sich vollkommen verknotet. Hilflos trat er mit dem Fuß umher, schleuderte dabei seinen zweiten Schuh Richtung Nikolaj und rief: „Hilf mir mal! He! Ich hänge fest!“
    "Mhh?"
    Schläfrig drehte sich Nikolai im Bett um, als ihn ein Schuh in die Seite traf. Er war noch viel zu müde um aufzustehen, aber Tyler ließ ihm kaum eine Wahl. Träge stand er auf, tappte mit den bloßen Füßen auf den unangenehm kalten Boden und wankte zu Tylers Bett hinüber. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er das Durcheinander sah, das er angestellt hatte. "Tyler ... Du Chaot." Um wirklich wach zu werden rieb Nikolaj sich einmal kräftig die Augen, dann machte er sich daran, den größten Knoten zu lösen, in den sich die Bettdecke verwickelt hatte. Dabei ließ er es bewenden, der würde schon alleine klarkommen ... Mit einem herzhaften Gähnen sank er stattdessen zurück auf sein Bett. Tyler befreite sich nach Nikolajs zugegeben ziemlich halbherziger Aktion selbst aus der Decke und kickte sie von sich, bevor er sich wieder umdrehte und vorhatte, weiterzuschlafen. Da klopfte es plötzlich an der Tür. Er stieß ein Knurren aus und schoss sein Kissen mit einem Feuerstoß gegen die Tür. „Lass uns schlafen, Mann!“
    Eine blasse, schlanke Hand war an der Tür zu sehen, kurz darauf schob sich Rinoas Kopf ein Stückchen hervor, eine Augenbraue hochgezogen. „Ehm...ich wollte nur sagen...es ist schon halb zehn.“
    "So spät? Tyler, raus da, wir wollen doch los!"
    Mit einem Satz war Nikolaj wieder auf den Beinen und lief zur Tür. Er sah wohl nicht gerade beeindruckend aus, nur im Schlafanzug, noch verschlafen aus Maulwurfsaugen schauend und mit absolut verstrubbeltem Haar, aber trotzdem grinste er Rinoa breit an. "Danke für's Wecken. Wir müssen uns noch fertig machen, wartest du so lange? Oh, und ... Ich hab Hunger." Rinoa nickte und wartete vor der Tür. Tyler blinzelte verschlafen und rollte sich auf die andere Seite, wo er ein paar Sekunden weiterschlief, dann setzte er sich aber auf und zwang sich aus seinen Klamotten, um sich eine andere Jeans und einen schlabberigen Pullover anzuziehen, der an einigen Stellen Brandlöcher hatte. „Halb zehn...das ist doch nichts....“, nuschelte er herum.
    "Du schläfst doch wohl nicht immer so lange? Ich meine ... Wie hältst du das so lange im Bett aus?"
    Auch Nikolaj begann sich umzuziehen, und obwohl er sich komplett neu anzog war er fast genauso schnell fertig wie Tyler. Er hatte sich ziemlich beeilt, nicht nur, damit es möglichst schnell vorbei war, sondern auch für den Fall, dass Rinoa noch einmal hereinschaute ... Im schwarzen Sweatshirt und den ewigen Jeans machte er die Tür wieder auf und streckte den Kopf zu Rinoa hinaus.
    "Wir sind fertig ... Glaub ich."
    „Ah, gut. Dann...komme ich jetzt.“ Zögerlich trat Rinoa ins Zimmer, doch da beide angezogen waren, lächelte sie breit. „Wie habt ihr geschlafen?“, fragte sie flötend und zupfte Nikolaj ein Fussel aus den Haaren. Tyler grunzte unbeteiligt und holte sich erst einmal eine Red Bull Dose aus dem Gefrierfach. Er musste auf Touren kommen.
    "Äh ... Gut. Besser als letzte Nacht. Und du?"
    Eigentlich war Nikolaj schon drauf und dran gewesen Rinoa von seinem Heimweh zu erzählen, aber das würde erstens ihre Meinung von ihm zerstören und zweitens sollte Tyler das auf keinen Fall mithören. Aber Rinoa wusste ja noch nicht einmal von der Mail, die er bekommen hatte. Tatsächlich fand Rinoa Nikolaj zwar süß, und ein paar emotionale Probleme wie dieses hätten dem wohl auch keinen Abbruch getan, sondern eher noch verstärkt - aber das wollte er selbst nicht wahr haben. Er mochte süß sein, aber das hieß noch lange nicht, dass er sich jetzt unbedingt danach verhalten würde.
    Stattdessen grinste er Rinoa an, als die ihm in den Haaren herumzupfte.
    "Danke ... Keine Zeit mehr zum Bürsten, da ists doch toll, dass du das machst."
    „Es ging. Die anderen haben mich die ganze Zeit gefragt, wer du bist. Kaum zu glauben. Da sehen sie einem mit einem Handtuch und erfahren, dass du mit Tyler rumhängst, und schon hängen sie sich an dich ran.“ Sie schüttelte den Kopf über das selbstgefällige Grinsen des Feuer-Yeye. „Wie auch immer. Wollen wir frühstücken? Am Wochenende ist es ziemlich voll im Speisesaal. Wir können auch direkt losfahren und uns irgendwo Kaffee holen.“ Tyler gähnte ausgiebig. „Hm. Ich gehe erstmal duschen.“ Schläfrig schnappte er sich ein Handtuch, das irgendwo herumlag und marschierte aus dem Zimmer. Rinoa setzte sich wiedermal auf Nikolajs Bett, das obwohl nicht gemacht immernoch sauberer als Tylers aussah. Sie hatte ihre Haare zu einem kleinen Knoten gebunden, wo von eine Strähne, die sie mit bunten Perlen besteckt hatte, auf ihre Schulter fiel. Mit einem Rock in derselben Farbe wie die Perlen und einem Spaghettiträgertop mit Wassermuster unter einer Jeansjacke wirkte sie leger, aber auch, als hätte sie sich hübsch gemacht. “Eh … Tyler hat recht, an mir liegt das bestimmt nicht. Vielleicht an dem Handtuch. Bisher hat sich noch niemand an mich rangehängt …”
    Es hatten Nikolaj schon einige Mädchen hinterhergeschaut - vielleicht hatte er das nur nicht bemerkt weil er unmöglich damit gerechnet hätte. Vielleicht auch, weil er es nicht gewohnt war, auf solche Details zu achten. Jetzt, wo sich Rinoa zu ihm aufs Bett setzte hatte er sowieso nur noch Gedanken für sie. Trotzdem setzte er sich nicht neben sie, sondern ihr gegenüber auf Tylers Bett, denn er hatte mit dessen Verfassung weniger Probleme.
    “Mit was für 'nem Mädchen bist du eigentlich auf dem Zimmer?”
    Rinoa wusste, dass Nikolaj in der Schule besser ankam, als er dachte, doch sie lächelte nur und spielte an ihren Zehen herum. “Na ja. Ich kann sie dir gerne zeigen, wenn du möchtest. Sie ist Luft-Yeye.” Ihren Kopf schiefgelegt, fragte sie ihn, als wäre das etwas ganz Natürliches: “Hattest du dort, wo du herkommst, keine Freundin?”
    Ein wenig irritiert sah Nikolaj Rinoa seitlich ins Gesicht. Warum fragte ihn das eigentlich jeder? Tyler war ein Frauenheld, klar, aber Rinoa? Dabei hatte er eigentlich nur fragen wollen, wie Rinoas Zimmergenossin war. Nicht, ob sie noch frei war.
    “Nein … Immer noch nicht. Hat Tyler auch schon gefragt. Seh ich so jungfräulich aus oder was? Ich meine … Sollte ich eine Freundin gehabt haben? Ich glaube nicht dass ich eine bekommen hätte wenn ich mich drum bemüht hätte. Also hab ichs gelassen.“
    Auch Rinoa war irritiert. Warum reagierte Nikolaj so angefressen auf eine normale Frage? “Nikolaj. Ich habe mich gewundert. Du bist ziemlich hübsch UND nett. Normalerweise haben solche Leute Freundinnen. Im Gegenteil. Normalerweise gibt sich Tyler nicht mit Jungen ab, die seinen Standards entsprechen. Du wärst bestimmt nicht so unbehelligt davongekommen, wenn du hässlich wärst.” Sie sagte das, ohne rot zu werden und verschränkte nun bestimmend die Arme. “Außerdem hatte ich auch noch nie einen Freund.” Hübsch - so hatte noch niemand Nikolaj genannt. Gut, seine Mutter hatte ihn ein paarmal als “mein Hübscher” bezeichnet, aber sonst wäre das niemandem eingefallen. So war Nikolaj einigermaßen sprachlos, als Rinoa ihm das unverfroren unter die Nase rieb. Und nett noch dazu. Ohne, dass er den Rest dessen, was Rinoa gesagt hatte hörte blickte er auf einmal auf den Boden, um zu verbergen, dass er rot bis zu den Haarwurzeln wurde. Er fühlte förmlich, wie sein ganzes Blut aufwärts schoss, entgegen der Schwerkraft. Nur noch sinnloses Gestammel kam über seine Lippen, während er sich zu beruhigen versuchte.
    “Äh … Danke, meine ich, ich weiß nicht, ehrlich, also meinst du ...”
    Rinoa stand plötzlich auf. “Nikolaj. Ich sage nur die Wahrheit. Also...krieg wieder eine normale Farbe, ja?” Sie setzte sich neben ihm aufs Bett und drückte ihn kurz, aber fest. “Freunde müssen nicht rot werden, wenn man ihnen Komplimente macht. Insbesondere dann, wenn sie sie verdient haben.” Sie lächelte und legte eine Hand auf seine Schulter. Ihr Kopf war fast direkt an seinem. “Und ich halte dich für meinen Freund. Bin ich auch deine Freundin?” Plötzlich grinste sie beinahe schadenfroh. “Weil...Freundinnen könnten dafür sorgen, dass Zimmergenossinnen dich ansprechen...oder mit dir auf Parties gehen...” Ein wenig von dem Blut in Nikolajs Kopf entschied sich wieder andere Wege zu suchen, aber das meiste blieb, wo es war. Vermutlich auch wegen Rinoas unerwarteter Nähe. Die Umarmung hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Mit glänzenden Augen sah er beinahe durch sie hindurch, während er das Gesagte verarbeitete und sich ihr ebenfalls ein wenig näherte.
    "Natürlich ... Natürlich bist du meine Freundin ... Aber so was musst du doch nicht machen. Das wäre doch ... falsch, oder?"
    Noch bevor Rinoa eine Chance zu einer Antwort hatte war Tyler wieder da, frisch geduscht mit seinem Handtuch über der Schulter. Und so, wie Rinoa und Nikolaj zusammensteckten, und so rot, wie er war, und so wie sie ihn anfasste ließ die Situation nur einen Schluss zu. Tyler öffnete die Zimmertür. Stürmisch. Er erwartete nicht, irgendetwas zu stören. Wahrscheinlich würde Nikolaj wieder Musik hören und Rinoa das Zimmer aufräumen. Seine Haare tropften noch etwas in seinen Nacken, das Handtuch war noch feucht und er trug kein Oberteil. Rinoa störte das meist nicht, sie war es schon gewohnt. Doch als er einen halben Schritt ins Zimmer machte, sah er sie zusammen auf seinem Bett sitzen, Rinoa eine Hand auf seiner Schulter und die andere in der Luft, als würde sie gleich sein Gesicht berühren. Nikolaj mit hochrotem Kopf und einem Blick, der Tyler augenblicklich den Magenboden wegriss. Mit geöffnetem Mund blieb er stehen und ließ den Blick über die beiden schweifen, die sofort auseinanderzuckten. Tyler warf sein Handtuch in die Ecke, zog sein Shirt wieder an und schlug die Tür hinter sich zu, als er ging, so fest, dass der Rahmen rund herum schwarz angekokelt war.
    Erschrocken sah Nikolaj Rinoa an, die ihre Hand sofort zurückgezogen hatte. Sie wirkte nicht viel weniger erstaunt und ertappt als er. Dabei hatte er nicht einmal vorgehabt, sie zu küssen. Nicht wirklich. Schweigend starrten sie beide auf die Tür, um sie herum noch ein paar Rauchfäden aufstiegen, bis Nikolaj sich schließlich aufraffte und aufstand.
    "Scheiße. Rinoa, ich muss das regeln ... Wir wollen doch noch in die Stadt."
    Ehe sie widersprechen oder mitkommen konnte war er schon durch die Tür, hinter Tyler her, der sichtlich zornig unterwegs war. Wohin, wusste Nikolaj nicht, aber bestimmt nicht zum Parkplatz, um ihnen ein Auto zu sicher. "Tyler!"
    Tyler hörte nicht auf ihn, und einige vorübergehende Schüler sahen sich amüsiert nach ihm um. Er hörte auf zu rufen, bis er neben Tyler war. Er sah so schon den Zorn in seinen Augen glühen, aber nahm trotzdem seinen Mut zusammen und sprach ihn leise an. Hier auf dem Flur würde Tyler wohl keine Szene machen. Hoffentlich. "Ich hab Rinoa nicht geküsst. Und auch nicht umarmt. Ich wollte nicht mal. Sie hat mich bloß gefragt ob wir Freunde sind ..."
    “Klaar.” Tyler hatte sich nicht einmal zu ihm gewandt. “Natürlich seid ihr 'Freunde'. Wie kannst du mir alles das damit danken, dass du mit ihr auf mein Bett gehst? Was hättest du denn gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre?” Er zog scharf die Luft ein. “Du wolltest das gar nicht? Glaubst du, ich sehe das nicht?! Du starrst sie an wie ein Kaninchen und hälst die Luft an, wenn sie da ist. Ich bin vielleicht kein Streber wie du, aber blöd bin ich auch nicht! Freu dich auf ein Wochenende ohne mich!” Er wollte weitergehen, doch dann hielt er inne. Eine Träne löste sich von seinem linken Auge und rollte die Wange hinab.
    Ohne nachzudenken hieb er Nikolaj ins Gesicht, man konnte Funken seinen Arm verfolgen sehen. “Das ist dafür, dass ich dachte, ich hätte einen Freund!”, flüsterte er belegt und lief auf den Hain, wo sie den ersten Abend verbracht hatten.
    “RAAAAAGH!”, schrie er, Flammen züngelten aus dem Boden und setzten die Bäume um ihn in Brand, während er in der Mitte saß und sich vor und zurück wippend die Haare raufte. Die Faust traf Nikolaj seitlich im Gesicht und riss ihn herum, während er noch zu Boden ging. Er landete auf der Seite, schlug mit dem Ellenbogen auf, was höllisch wehtat. Aber nicht so sehr wie der Schlag. Und der widerum nicht so, wie es wehtat, von Tyler so behandelt zu werden. Zumindest nachdem die erste Welle der Schmerzen abgeklungen war. Eilig stand er wieder auf, um nicht noch Aufsehen zu erregen - immerhin war beim Schlag niemand in Sichtweite gewesen - und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Zurück ins Zimmer? Da war Rinoa. Versuchen, Tyler zu folgen? Wo immer er hin war, Nikolaj würde ihn wohl kaum finden, und wenn würde er wohl nur noch mehr Schläge bekommen.
    Vielleicht hatte er sie verdient. Tatsächlich, er hatte sich in Rinoa verguckt. Aber er war doch immer noch Tylers Freund, oder? Nein, war er nicht. Nicht mehr. Er wollte nocht zurück zu Rinoa, und ohne sich noch einmal bei ihr zu melden ging er weiter den Gang hinab, lustlos, irgendwohin. Er spürte etwas über seine Wange laufen. Weinte er etwa, ohne es zu merken? Das Mädchen da sah ihn schon genau so an. Wütend wischte er mit der Hand über die Wange, und fand sie rot. der Schlag hatte die Haut über dem Wangenknochen zerrissen. Er kümmerte sich nicht darum, wischte die Hand an der Hose ab und ging weiter.
    Er fand eine Treppe, eilte sie hinauf. Ein Treppenhaus. Noch eine Treppe, immer weiter stieg er empor, drei Stickwerke voller Klassenräume, dann kam er an eine verstaubte Klappe in der Decke. Als er sie vorsichtig öffnete schlug ihm nichts als muffige Luft und Dunkelheit entgegen. Ein leerer Dachboden. Genau das, wonach er gesucht hatte. Er schlüpfte nach oben, schloss die Klappe und lehnte sich an einen Deckenbalken, der schräg in die Finsternis ragte. Hier würde ihn so schnell keiner finden.
    Rinoa wartete währenddessen unschlüssig auf Nikolaj, der aber allem Anschein nach nicht mehr zurückkehrte, auch nicht, als sie zehn Minuten gewartet hatte. Langsam stand sie auf, ebenso ratlos wie beide Anderen, und ging langsam zum Aufenthaltsraum. Trotz Verbot steckte sie den Kopf zur Tür herein, aber weder der Eine noch der Andere waren da. Auch nicht im Speisesaal, obwohl Nikolaj doch so einen Hunger gehabt hatte. Auch nicht auf dem Schulhof, wo sich Tyler gar nicht selten herumtrieb. Ratlos wanderte sie im und ums Gebäude herum, ehe sie sich durchrang, ein ihr bekanntes Mädchen zu fragen. "Du, hast du eigentlich Tyler gesehen? Ich such den gerade ... Oder Nikolaj. Den kleinen Neuen ... Kennst du wahrscheinlich noch nicht."
    “Tyler? Keine Ahnung wo der sich herumtreibt. Aber wenn du Nikolaj suchst, der ist wie ein Blitz durch die Gänge gerannt. Nach oben.”
    Rinoa bedankte sich flüchtig und nahm dann so schnell sie konnte die Treppen nach oben. Wo könnte er sich verstecken? Oder hatte er Tyler hier gefunden und lag nun irgendwo als Häufchen Asche? Nein, das würde sie ihm nicht zutrauen. Er war nichtmehr der, der er einst war. Soetwas hatte er hinter sich. Halb ängstlich halb panisch begann sie nach Chiströmen zu suchen. Ihres und Nikolajs hatten sich beinahe berührt. Sie würde sein Chi wiedererkennen. Die etwas unsichere, aufgewühlte Spur führte sie eine weitere Treppe nach oben, ins oberste Geschoss, wo sie schließlich eine Dachluke fand. Zögerlich begann sie den Deckel zu heben. Er drehte sich hastig um, wie ein ertapptes Kind, und sah Rinoa erschrocken an; Dann erst erkannte er, dass weder ein Lehrer noch Tyler ihn hier gefunden hatten, sondern Rinoa anscheinend nach ihm gesucht hatte. Mit der schwachen Imitation eines Lächelns begrüßte er sie und half ihr, die Klappe zu öffnen, dann kehrte er zu seinem deprimierenden Platz zurück. Der Dachboden hatte ein paar verstaubte Fenster, durch die er gerade noch ein paar Bäume erkannte. Die Umgebung der Schule war schon ziemlich schön ... Aber das half ihm auch nicht weiter. Vorsichtig und kleinlaut versuchte er Rinoa zu erklären, was passiert war. "Tyler ... Ist ganz schön sauer. Weiß nicht ... Was ich ihm noch sagen soll ... Bevor er mich wieder umhaut, verdammt."
    Rinoa schloss die Luke wieder und setzte sich auf ihre Fersen, direkt gegenüber von Nikolaj. Es war tatsächlich ziemlich düster hier oben. Der einzige Lichtschein fiel durch das Dachfenster. Während er ihr berichtete, was vorgefallen war, hörte sie geduldig zu und zwirbelte eine Haarsträhne. "Nikolaj...jetzt in diesem Moment ist er nicht sauer auf dich, sondern auf sich selbst, weil er überreagiert hat." Sie schaute auf den staubigen Boden. "Mach dir keine Vorwürfe. Ich hätte wissen sollen, wie weit ich gehen darf. Und diese Grenze habe ich überschritten. Gib Tyler Zeit, sich abzureagieren, dann wird er sich sicher entschuldigen....und jetzt zeig mal, was er gemacht hat." Sie kroch auf Nikolaj zu, als wäre nichts passiert und betrachtete seine Wange mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck. "Wenigstens hat er sich zurückgehalten..."
    Nikolaj grinste schwach angesichts dieser Bemerkung und drehte den Kopf weg, um wieder aus dem Fenster zu sehen. Und nicht immer Rinoa anzustarren. "Sonst wäre ich wohl nicht hier. Aber ich kann doch nicht warten, bis Tyler ankommt. Ich hab das falsch gemacht, ich muss zu ihm gehen ... Aber ich hab Angst - dass er nicht zuhört ..."
    Trotzdem straffte sich sein Körper, und er hörte auf, sich an den Balken zu lehnen. Schon halb entschlossen machte er den ersten Schritt in Richtung Klappe. Rinoa sah Nikolaj dabei aufmunternd hinterher. So schwach er manchmal wirkte, und so wenig er mit seinem Yeye zurechtkam, er war mutig. Richtig entschlossen, wenn es um etwas ging. Sie lächelte, während sie ihrerseits in die Ecke rutschte. Sie würde nicht mitkommen. Das war eine Sache zwischen Tyler und Nikolaj. Sie wusste, dass er zuhören würde. Eigentlich war der Feueryeye doch ein guter Kerl...
    Rückwärts verschwand Nikolaj wieder durch die Dachluke, schaute Rinoa noch einmal tapfer an. Dann war er außer Sicht. Das Mädchen hörte seine Schritte noch die alten Holzbohlen knarren lassen, dann die Treppe hinabhallen. Sie selbst blieb, in Gedanken versunken, während der Junge sich abermals abwärts beeilte. Er verlief sich dabei, fand den Weg wieder, mit einer treibenden Entschlossenheit, die kein Zögern mehr duldete. Durch den Korridor der Mädchenzimmer kam er zurück, beeilte sich dabei, weil das nicht gerade in Ordnung war, bog in die Eingangshalle ein und marschierte durch die Flügeltür nach draußen. In der Richtung, in der das Flüschen lag, stiegen ein paar Rauchschwaden auf. Nicht sehr viel, aber doch einiges. Anscheinend war er allerdings der Erste, dem es auffiel. Wenn er jetzt direkt dorhin ging würde das bestimmt nicht klappen. Kurz entschlossen lief Nikolaj zum Trainingsplatz, schlug einen riesigen Halbkreis um sein Ziel, näherte sich so unauffällig wie er konnte dem Wäldchen. Die Bäume sah er zuerst, herbstlich rotes Laub, das auf einmal übergangslos durch rauchendes Kohlschwarz ersetzt wurde, wo Tylers Zorn sich entladen hatte. Und in der Mitte saß er immer noch, den Kopf in die Hände gestützt. Vom Bach übertönt kam Nikolaj zaghaft näher, blieb fast eine Minute unbemerkt stehen, mit einer Mischung aus Angst und Verzweiflung im Bauch, bevor er die letzten Schritte machte. Tyler hörte ihn, als Nikolaj sich neben ihm auf beide Knie niederließ.
    "Tut mir leid, Tyler. Ich will ... dein Freund sein. Ein echter Freund. Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe."
    Anstatt der Erklärungen und Erläuterungen, die er sich zurechtgelegt hatte, brach nur das aus ihm heraus, wie ein befreiendes Aufstöhnen. Ungewissheit blieb, und Erleichterung.
    Tyler sah zunächst nicht auf, als sich Nikolaj neben ihn setzte. Er wollte die Hände nicht wegnehmen, den Blick nicht heben. Dann hätte der Kleine gesehen, dass seine Augen rot waren. Verweint. Und verdammt. Kerle heulten nicht. Vielleicht würde aber Nikolaj anfangen zu weinen oder wieder gehen, wenn er ihn ignorierte. Er stieß einen langen, tiefen Seufzer aus, bei dem sich eine Rauchfahne aus seinem Mund kringelte. Dann stand er auf, ganz langsam, wischte sich den Dreck von der Hose und sah schließlich auf seinen Schützling hinab.
    "Hey, Nikolaj...", sagte er und ging direkt vor ihm in die Hocke. Seine Augen waren klar und verschmitzt, doch irgendwo in ihnen konnte der Junge eindeutig etwas lesen: Entschuldigung.
    "Was fällt dir eigentlich ein, nach dem Tyler-Spezial-Haken-Deluxe noch nicht auf der Krankenstation zu sein?!" Erst sah es sehr ernst aus, was er da sagte, doch dann zogen sich seine Mundwinkel nach oben und er klopfte ihm kameradschaftlich gegen die Schulter. "Aber wahrscheinlich hab ich mich etwas zurückgehalten...du weißt schon..." Er kratzte sich am Hinterkopf und sah dabei etwas verlegen aus, über so etwas gefühlnahes zu sprechen: "So wie man es macht..." Tyler stand direkt wieder auf und hielt Nikolaj seine schwielige, rußige Hand hin. "Als Freund."
    Der Jüngere schniefte leise, seine Unterlippe zitterte ein bisschen. Verdammt, jetzt war es schon gut ausgegangen, wenn er jetzt zu heulen anfangen würde wäre er wohl kein Junge mehr, sondern eine jämmerliche Memme. Beinahe wäre er schon umgekippt, als ihm Tyler auf die Schulter hieb, denn der war oft ein bisschen kräftiger als vielleicht beabsichtigt dabei. Obwohl Tyler das schon gesehen haben musste bezähmte sich Nikolaj schließlich und lächelte. Schlug in die Hand ein, richtete sich in die Hocke auf, anstatt vor seinem Freund zu knien. Sein Blick hob sich, bisher fast nur verlegen auf den Boden und Tylers Füße gerichtet, und er sah ihm ins Gesicht. Die roten Ringe beruhigten ihn irgendwie. Dass er auch emotional sein konnte. Verlegen wischte er an den Knien seiner Jeans herum, die von Asche und Erde dreckig geworden waren. "Also ... Danke. Aber was ich dir vorhin noch sagen wollte. Ich hab Rinoa nicht geküsst. Und sie mich nicht. Sie hat mir bloß, äh, Komplimente gemacht. Ich meine ... Weil das doch so aussah als hätte ich dich betrogen. Dabei hab ich nur geredet ..."
    Unbeholfen stammelte Nikolaj seine Erklärungen. Jetzt, wo Tyler zuhörte wollte er das auch geklärt haben. Selbst wenn es sein Freund ihm verzeihen würde wenn er Rinoa küsste, er würde es doch niemals tun. Bevor Tyler jedoch mit seiner Antwort anfing fügte er noch hastig etwas hinzu. "Wir fahren doch jetzt heute noch in die Stadt? Ich meine, wenn ... Du mir nocht mehr böse bist."
    Tyler zog Nikolaj mit einem Ruck auf die Beine. "Jetzt erst recht nicht. Aber du solltest nicht sagen, dass du mich nicht betrogen hast. das klingt ein wenig...so als wärst du mein Freund, hm? Also...eine andere Art von Freund." Tyler lachte, dann ging er voraus. Nervös lachte auch Nikolaj auf, war froh, dass Tyler einen derartigen Fehler selbst berichtigte. Rinoa stand unten auf dem Hof zwischen zwei Säulen und lächelte ihnen entgegen. Offensichtlich hatten sie sich vertragen, erkannte Tyler. "Auf zu den Parkplätzen!", johlte er und lief sogleich voran.
    "Warte lieber hier. Er müsste eigentlich direkt vor das Tor fahren." Rinoa verschränkte die Arme, musterte einmal kurz Nikolajs Hose und stieß einen missbilligenden Laut aus. "Hast du dich ins Gras gekniet? Na ja, wie ist es gelaufen?"
    "Gut, ich meine, er hat da gesessen, und ich musste ... Also, ja. Ist doch nicht schlimm, oder?"
    Nach der Anspannung sich wieder mit Tyler versöhnen zu müssen waren Nikolajs Nerven immer noch gereizt, und in Rinoas Worten sah er sofort eine nur halb versteckte Anklage, bis ihm klar wurde wie lächerlich diese Befürchtung war. Mit einem Lächeln überspielte er den Zwischenfall und machte sich auf den Weg in die Richtung, die Rinoa als die des Autos angegeben hatte, ohne sie richtig anzuschauen.
    Tatsächlich war kurz darauf Motorgeräusch zu hören, laut und brummig, so als würde ein Bagger anfahren. Doch stattdessen schob sich ein Gerät vor das Tor, das aussah, als hätte es schon bessere Tage gesehen. Aber es war wenigstens nicht dreckig. Ein paar Lackratzer, die Türen ein wenig eingedellt, angeschmolzene Stellen, ansonsten wirkte es ganz passabel. Tyler stieß die Tür scheinbar mit dem Fuß auf und winkte sie herein. Rinoa folgte seiner Aufforderung, wobei sie Nikolaj entschuldigend anlächelte. Vorne war kein Platz für drei, also setzte sich Nikolaj gleich anch hinten und schnallte sich ordnungsgemäß an - auch wenn er sich nicht sicher war ob die Gurte hier überhaupt funktionieren würden. Er war gespannt wie sich Rinoa entscheiden würde, ob sie sich neben Tyler oder nach hinten setzen würde. Hoffentlich anch vorne, dachte er noch, das wäre bestimmt besser für den lieben Frieden.
    "Schlechte Wahl. Wenn du bei Tylers Fahrstil hinten sitzt, musst du aufpassen, dass es dich nicht herumschleudert!" Rinoa setzte sich nach vorn, stellte den Sitz jedoch so weit nach hinten, bis sie etwa in der Mitte der beiden saß und schnallte sich an, im Gegensatz zu Tyler, dessen Gurt auf wundersame Weise irgendwie zu einem einzigen Klumpen zusammengeschmolzen war. Rinoa runzelte die Stirn, doch sie konnte nichts sagen, da der Feueryeye direkt losbrauste. Er war ein guter Fahrer, das musste man ihm lassen - allerdings fuhr er etwa so wie bei einer Verfolgungsjagd und lachte dabei laut, während Rinoa die Augen zusammenpresste und aussah, als würde sie bei jeder Kurve inständig ein Gebet nach oben schicken. Auch Nikolaj gefiel der Fahrstil nicht gerade, er stöhnte leise - sehr leise, um niemanden etwas merken zu lassen - und krallte sich in der Türverkleidung fest, um nicht umhergeworfen zu werden. "Tyler?", presste er ein wenig ängstlich hervor, "du fährst doch nicht immer so?" Zum Glück hatte er an diesem Tag noch nichts gegessen. Nicht, dass er so wenig ausgehalten hätte, aber das Risiko war da.
    "Nein, nur jetzt..." Er verdrehte die Augen und versenkte den Wagen in eine Parklücke, haargenau zwischen zwei anderen Autos. "Klar. Und jetzt aussteigen, wir sind da!" Er hielt Rinoa die Tür auf, die mit wackeligen Beinen herauskletterte und sich gegen den Wagen lehnte. Tyler streckte sich ausgiebig und blickte sich um. Es gab einige Geschäfte, Fastfoodrestaurants, Theater, Kinos...alles, was das Herz begehrte. "Also...was wollen wir tun?" Nikolaj dachte kurz nach. Eigentlich hatte er schon Lust auf alles, aber nicht jetzt gerade - ein andernmal. Außerdem, ohne jegliche Vorbereitung in Kino oder Theater zu gehen widerstrebte ihm. Er löste den Gurt, öffnete die Tür und ließ sich hinausrutschen, er war noch nie in so einem großen Auto gefahren.
    "Also ... Am liebsten wäre mir jetzt gerade ein Spaziergang, am Meer. Ich kann's schon riechen, aber sehen? ..." Kurz versuchte er di Richtung zu finden, in der das Wasser liegen musste, dann drehte er sich wieder zu seinen Freunden um. "Natürlich nur .. .Wenn ihr auch wollt."
    "Ein Spaziergang am Meer?" Zunächst sah Tyler nicht gerade begeistert aus, doch dann sah er das Leuchten in Rinaos Augen. Meer war für einen Wasseryeye pure Entspannung. "Okay. Immer den Schildern nach." Er ging voraus, darauf erpicht mit niemanden zusammenzustoßen. Die Straßen waren zum Glück noch nicht sonderlich überfüllt, würden es aber bald werden. Und dann würden sie vielleicht etwas Richtiges machen. In eine Bar gehen oder so ... Anders als ihm gefiel Nikolaj und Rinoa die Aussicht auf die offene See, die wenigen Schiffe, die unterwegs waren - eigentlich nur ein paar kleine Segelboote. Der Wind war kühl, aber das störte zumindest den Jungen nicht. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging voraus, genoss den Geruch der Seeluft und die Brise in seinen Haaren. Er lächelte wieder. Vielleicht lag das auch daran, dass die beiden anderen jetzt ein wenig hinter ihm blieben, er nicht mehr an sie dachte.
    Kälte war für Tyler ein Fremdwort. Feueryeyes frierten nur äußerst selten und wenn, dann musste man schon mehr auffahren als bloße Meeresbrise. Verdammt, woher kannte er das Wort 'Meeresbrise'? Rinoa. Ihr Parfüm hieß so. Passte zu ihr. Mit großen Schritten versuchte er möglichst tiefe Löcher im Sand zu hinterlassen, während sie mit kleinen, trippelnden Schritten über das Wasser lief. Verstohlen sah er sich um, doch war keine Menschenseele zu sehen, also erlaubte sich Tyler, mit den Händen eine Sandkugel zu formen, sie so zu erhitzen, bis sie trocken und einigermaßen hart war und dann nach einem "Achtung!" gegen Nikolaj zu schmeißen. Er hielt es nicht lange ohne Action aus. Sein Opfer hatte schon länger nicht mehr auf sie geachtet, weil ihn die Stille zwischen ihnen sowieso nur freute, und daher überraschte ihn der Ruf seines Freundes völlig. Er drehte sich um, dachte, es wäre irgendetwas Ernstes los, blickte sich schon nach irgendeiner Gefahr um, als die Sandkugel schmerzhaft an seiner Schulter zerplatzte. Nikolajs Überraschung schlug in Zorn um. Konnte dieser Chaot ihn nicht einmal mit seinen Gedanken alleine lassen? "Vorsicht", zischte er mit böse gerunzelter Stirn und jagte den Sand der Kugel als lockeren Sturm wieder in Tylers Richtung zurück, schneller, als er sich selbst zugetraut hätte. Der hatte nicht damit gerechnet, dass Nikolaj böse werden würde und wurde von den Füßen geblasen, doch statt aufzuschlagen, gruben sich seine Hände in den Sand. Er machte einen Überschlag und stand wieder auf den Füßen. "Hey! Das ist unfair, Erdyeye!" Künstlich beleidigt wandte er sich um und beobachtete Rinoa. "Mir doch egal, ob das unfair ist." Mit einem immer noch ärgerlichen Murren drehte sich Nikolaj wieder weg und ging ein paar Schritte weiter, blieb dann aber stehen, um zu warten, was Tyler jetzt tun würde. Warum war der eigentlich so impulsiv? Hätte er kurz darüber nachgedacht hätte er wohl gemerkt dass man nicht gern eine Sandkugel an die Schulter bekam. Dass gerade der zum Tutor geworden war und nicht jemand geduldigeres.
    Nun, vielleicht würde er sich jetzt mit Rinoa beschäftigen. Vielleicht war die ja für Kindereien zu haben. Oder vielleicht würde Tyler ihn auch ansprechen, darum war er stehen geblieben ... Wenn nicht würde er eben weitergehen.
    Tyler hatte tatsächlich vor, etwas zu sagen. Doch er wusste nicht so recht wie, also schwieg er erstmal, bis er fast außer Sprechweite von Nikolaj war. Dann drehte er sich jedoch wieder um. "Tut mir Leid. Ich langweile mich nur!", sagte er ehrlich, wenn auch ziemlich direkt. Eigentlich hatte sich Nikolaj nichts anderes gedacht. Böse war Tyler ja nicht, sonst hätte er die Konterattacke wohl als Anlass zu einer Prügelei genutzt die er nur gewinnen konnte. Außerdem passte es zu seiner ... Disziplinlosigkeit. Mutlos drehte Nikolaj sich um, ratlos, was er sagen sollte. Wenn Tyler sich langweilte, was sollte er dann daran ändern, außer seinen Strandspaziergang aufzugeben? Er öffnete den Mund, und stockend kamen die Worte hinaus, die er eigentlich nicht sagen wollte. "Wenn du möchtest ... Können wir ja wieder anch oben gehen. Wenn das interessanter ist."
    "Tatsächlich wäre das viel interessanter. Komm schon? Was tust du denn für gewöhnlich, wenn du ausgehst?", fragte Tyler mehr oder minder enthusiastisch. Wenn sie schon etwas anderes taten, weil er es wollte, würden sie etwas Spannendes machen, das auch Nikolaj gefiel. Falls er überhaupt jemals ausging. Vermutlich schon. Hoffentlich. Eventuell? Er sah nicht aus, als würde er oft einen draufmachen - und Tylers Einschätzung war ganz richtig. Er war mehr oder minder ahnungslos, was man in kleiner Gesellschaft - ohne Eltern! - in der Stadt trieb, also zuckte er nur ein wenig lustlos die Schultern. Eigentlich würde er am liebsten weiter spazieren gehen, aber das ging ja nicht. Mit Tyler. "Führ mich einfach hin. Ne Bar oder so. Ich, äh, kenn mich hier doch noch nicht aus." Das letzte war eine nur schwach verhüllende Entschuldigung dafür, dass es ihn auch egentlich nicht kümmerte, aber Tyler bemerkte es in seiner Freude darüber, vom Strand wegzukommen, gar nicht.
    In eine Bar? Hm. Tyler erinnerte sich daran, wie gut Nikolaj am Flipper war, weswegen die drei, nachdem Rinoa wieder zu ihnen gestoßen war und lächelnd vom Meer schwärmete in ein ziemlich schrill leuchtendes Lokal, in dem sich schon einige andere Schüler aufhielten. Es gab Tische, Billiard, Dart, einige Spielautomaten und Kicker - ein Paradies für Jungen wie Tyler. "Ich hab eine Idee! Wir spielen am Flipper, Rinoa - ist da nicht deine Zimmerkameradin?" Ein diabolisches Grinsen huschte über sein Gesicht, während er Nikolaj am Arm packte und mit sich ins Spielgetümmel zerrte. Der sträubte sich kurz ein bisschen, aber als er den Flipper erblickte brach sein Widerstand. Worauf auch immer Tyler hinauswollte, wenn es mit Flippern zu tun hatte musste es zumindest eine Erwägung wert sein. "he, tyler, was hast du vor? Kostet das hier kein Geld zu spielen?"



    Re: Yeyes

    Warmonger - 23.11.2010, 21:15


    "Nope", meinte Tyler, als wäre es das Selbstverständlichste, etwas umsonst zu bekommen. "Jedenfalls nicht, wenn du Schüler bei der Akademie bist, das hier ist ein Laden, der mit den Yeyes arbeitet. Pass auf. Du spielst jetzt Flipper, richtig toll, wie sonst auch und ich locke Rinoa und ihre Kameradin her!" Er grinste und verschwand wieder, um die beiden Mädchen zu holen. Nikolaj blieb allein zurück und hatte keine Ahnung was er tun sollte; Flipper spielen, okay. Aber da war ein Münzeinwurf, und ohne Münze gab es keine Kugel; Er warf erst einmal einen Euro hinein, vielleicht würde er das Geld ja zurückbekommen. Dann ging es schon los. Nikolaj vergaß die Hitze um ihn herum, den Lärm, die Erwartungen, die Tyler an ihn hatte. Er fing an zu grinsen, glücklich zu strahlen. In diesem Augeblick war es ihm egal, wer ihm zuschaute.
    Beide Mädchen schauten ihn an, Rinoa grinsend, ihre Zimmerkameradin beeindruckt und gleichzeitig etwas errötend, so als wäre sie immernoch nicht ganz zufrieden damit einfach mitgezogen worden zu sein. Tyler spielte währenddessen mit einigen anderen Jugendlichen Feuer-Dart. Das spielte man, indem man eine Eisenplatte mit aufgemalten Zeichen versah und Feuerpfeile abschoss. Jubelnd quittierten seine Kumpanen das Bullseye. Nicky bekam davon nichts mit, konzentriert den Ball hin und her jagend, sich halb über den Automaten beugend. Die Zungenspitze hatte er zwischen die Zähne geklemmt und eine Falte sich auf seiner Sturn gebildet, Zeichen seiner exorbitanten Konzentration, mit der er immer wieder eine kleine Stahlkugel gegen Kunststoffhindernisse hämmerte als wolle er sie zerstören. Die Mädchen vergaßen immer mehr ihren Widerwillen und schauten einfach beim Spielen zu. Ihre Augen wurden immer größer - ein Zusammenspiel von Nikolajs Leistung, seiner erstaunlichen Hingabe und der absoluten Nichtbeachtung, die er ihnen widmete.
    Rinoa tauschte einen Blick mit ihrer Kameradin. Sie traten zu beiden Seiten von Nikolaj. Man konnte meinen, Flipperspielen wäre langweilig. Was war schon spannend daran, eine Kugel hin und herzuschießen? Aber so wie der Junge den Flipper anstarrte, musste es doch etwas geben, das fesselte. Gebannt beobachteten sie ihn und die Scheibe abwechselnd, noch interessierter an seiner Konzentration als am Spiel an sich. "He, du spielst echt gut!" Rinoa hatte ehrfurchtsvoll geschwiegen, doch ihre Freunden hatte den Mund aufgemacht und seine Schulter angestuppst. Sie sah traurig mit an, wie die Kugel versunken wurde. Nickys Geld fiel wieder aus dem Münzschlitz. Mit geröteten Wangen schaute sie den Flipperspieler an. "Oh, sorry...ich bin Anne...das...eh..." Rinoa hüstelte und stieß Nikolaj von hinten ihren Finger in den Rücken. Als er berührt wurde brach Nikolajs Konzentration sofort. Er jagte herum als hätte ihn jemand erschreckt - und das sehr - sodass er beinahe Anne geschlagen hätte. Dann jedoch wandelte sich sen erschrockenes Gesicht wieder zu einem sanften Lächeln und er strich sich die verwirrten Haare aus den Augen. "Hi. Tut mir leid dass ich den versenkt hab. Und so herumgefahren, ich meine ..." Verwirrt stockte er wieder. So wie die beiden ihn anschauten waren sie ihm nicht gerade böse. Aber was wolltne sie dann?
    "Was macht ihr beiden denn hier? Ich meine, ich spiel doch nur am Flipper. Da hinten ist Tyler, den sucht ihr doch?"
    Anne blinzelte überrascht. "Ich...nein. Wir suchen dich. Tyler meinte, du schmeißt eine Party, wenn ihr zurück seit? Kann ich da kommen?" Sie lächelte ihn an. Es war kein warmes Lächeln wie das von Rinoa oder ein Lächeln wie das von Tyler, eine Augenbraue leicht gehoben, alle Zähne gezeigt, so als wollte er sagen "Lass uns loslegen!". Annes Lächeln war oberflächlich. Sie zeigte kaum Zähne, noch sah es sehr ehrlich aus. Außerdem checkte sie Nikolaj aus, während sie sprach. War eigentlich gar nicht übel. Breiter lächelnd, richtete sie eine Haarsträhne von ihrer roten Haarpracht. Rinoa sah zu Tyler hinüber, als Nicky hindeutete. "Was machst du da? Tyler!" Sie lief durch die Tische, bis sie an der Stelle angekommen war, wo die Jungen johlten, während Tyler Energie in seinen Händen sammelte und versuchte, die ganze Scheibe mit einem einzigen riesigen Feuerball zu treffen. Nikolaj fiel nicht auf dass Anne nicht so lächelte wie Rinoa, und die war ohnehin auf dem Weg zu Tyler und hatte ihn einfach allein gelassen. Er war in Sachen Mädchen nicht gerade erfahren, also drehte er sich ahnungslos zu ihr um und versuchte ein neutrales Gespräch anzufangen. Möglichst wenig riskieren. "Also ... Die Party, das war eher Tylers Idee, aber ich bin mir sicher dass du kommen kannst. Ich meine, warum nicht? Wird bestimmt nett." Anne rückte während dieser paar Worte immer näher. "Ja ... Sehr nett, glaube ich. Du bist ein ganz schön cooler Typ." Währenddessen waren Tyler und Rinoa ihrerseits abgelenkt. Tyler, vom Ruf seiner Freundin alarmiert, hatte den Feuerball versaut und als ungezielten Flammenkegel abgeschossen, der kurz das gesamte Etablissement in flackerndes Licht hüllte.
    Als Nikolaj von ihr wegwich, kam Anne noch näher, süffisant lächelnd. "Und, wie alt bist du eigentlich? Und wo hast du so gut spielen gelernt?"Sie streckte eine Hand aus und legte sie auf die von Nicky, der sich am Flipper abstützte, als würde er sich panisch an ein untergehendes Schiff klammern.
    "TYLER! DU HAST DIE GANZE WAND ANGESENGT!"
    Rinoa deutete auf die Flammen, die aus der Holztäfelung züngelten.
    "Ich hätte nicht, wenn du mich nicht erschrocken hättest! Lösch es doch!" "Warum sollte ich das tun?!"
    "Weil dieses Haus sonst abbrennt?"
    Knurrend löschte Rinoa das Feuer und zog Tyler am Kragen mit sich. "Nikolaj, lass uns gehen....Tyler hat Mist gebaut!" Sie funkelte ihn zornig an, weil er Nickys romantischen Augenblick versauen musste. Schluckend schaute der Blonde zu seinen Freunden hinüber, die respektvoll Abstand von Rinoa hielten. Nikolaj wusste nicht ob er erleichtert oder traurig war als Rinoa ihr Stelldichein unterbrach, aber er verabschiedete sich mit einem traurigen Lächeln von Anne. "Ich hoffe, wir sehen uns wieder ... Spätestens am Montag, ja?"
    Dann wandte er sich um und hastete hinter Rinoa und Tyler her, die schon halb aus der Tür waren. Tyler sah schon ziemlich jämmerlich aus, es tat ihm Leid, Nikolaj die Situation zu versauen - er selbst hatte ja maher Erfahrung mit Mädchen und wusste, wie hinderlich so etwas in einer Beziehung sein konnte, so kurzlebig sie auch sein mochte. Seufzend stiegen alle drei wieder in den Geländewagen. "Äh ... Fliehen wir jetzt eigentlich davor den Kram da zu bezahlen?", machte sich Nikolaj wieder zaghaft von der Rückbank bemerkbar.
    "Nein, Tyler WIRD diese Wand bezahlen!", fauchte Rinoa zu ihrem blonden Freund. Sie verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster, während Tyler verbissen Gas gab. Er zügelte das Tempo kaum, bis sie wieder vor dem Schulgebäude standen, obwohl Nikolaj hinten Ängste auszustehen hatte. "Lass uns aufs Zimmer gehen, Nicky, wir müssen noch unsere Party vorbereiten." Tyler winkte ihn hinter sich her, ging aber bereits voraus, während Rinoa ebenfalls ausstieg. "Es tut mir Leid, dass es so ausgegangen ist. Aber du hast heute Abend bestimmt Zeit dazu dich zu amüsieren." Ihr Lächeln war warm. Der Junge erwiderte es, bis ihn Tyler ungeduldig rief.
    "Nikolaj? Mann, wo bleibst du denn?"
    Mit einem hilflosen Schulterzucken drehte sich Nicky von Rinoa weg und lief schnell Tyler hinterher, bis sie wieder in ihrem gemeinsamen Zimmer ankamen. Atemlos zog er die Tür hinter sich zu und blies eine Haarsträhne aus den Augen. "Tyler ... Ganz ehrlich, ich hab keine Ahnung wie man eine Party schmeißt. Auf jeden Fall mit mehr Musik und Bier als wir hier jemals haben könnten, oder? Und ... Wir müssten aufräumen."
    Ein bisschen nervös - er befürchtete, dass das Tyler nicht sehr interessieren könnte - begann er die Sachen auf dem Bett des Feueryeye zusammenzusammeln und über der Bettkante zusammenzulegen.
    "Wir feuern nicht hier, Kleiner. Wir krallen uns den Gemeinschaftsraum und kicken die raus, die nicht eingeladen sind." Er packte Nikolaj an der Schulter und zog ihn mit sich. "Siehst du? Saftbar. Süßigkeitenautomat. Was willst du mehr? Ich gehe erstmal durch die Schule und sorge dafür, dass ein paar Leute kommen...du kannst ja ein paar Snacks organisieren. Als Erd-Yeye versuchs am besten mal mit Draufhauen." Grinsend verschwand er aus der Tür. Sprachlos blieb Nikolaj zurück. Er war erst ein paar Tage hier und sollte Snacks für eine Party organisieren. Das war ja ... Mehr oder weniger genial. Sollte er Rinoa fragen woher man so etwas bekam? Vielleicht einfach in detr Cafeteria vorbeischauen. Hm. Was bräuchte er denn ... Brötchen? Chips? Was kannte er denn den Geschmack der Leute an dieser Schule. Wahrscheinlich meinte Tyler einfach nur irgendwelchen Krams aus dem Automaten oder so, nichts für anspruchsvolle Gaumen. Aber dann musste er auch selber zahlen. Genervt kramte Nikolaj also seine Brieftasche hervor und leerte das Münzfach in seine Hosentasche aus. Verdammt. Was Tyler wohl mit "draufhauen" gemeint hatte? ...
    Es dauerte ein Weilchen, bis Tyler alle möglichen, die ihm gerade entgegenkamen aufgetrieben hatte. Sie alle waren informiert und die nächste halbe Stunde verbrachten die beiden Jungen damit, den Gemeinschaftsraum partytauglich zu machen. Nikolajs Snacks wurden ansprechend platziert, während dieser Tyler davon abhielt alles alleine zu verputzen. Dann verschwanden sie in ihrem Zimmer und richteten sich her. Gestylt, grinsend und aufgeregt (nicht in Tylers Fall) kehrten sie in den Raum zurück. Der Feueryeye warf Musik an und fläzte sich auf dem Sofa, da kamen auch schon die ersten Gäste und er war beschäftigt Schultern zu klopfen, in Mägen zu boxen und Nikolaj vorzustellen. "Wo habt ihr denn die Mädchen gelassen?", fragten sie des Öfteren. Tyler hätte das auch gerne gewusst. Schließlich hatte er mehrere eingeladen und Rinoa wollte auch kommen.
    Gerade lieferten sich einige eine hitzige Flipperschlacht und wollten Nikolaj dazu bringen in ihrem Team zu spielen, da sein Tutor ziemlich schlimm mit seinen Künsten geprahlt hatte, da ging die Tür wieder auf und Tyler ploppten beinahe die Augen aus dem Kopf. Grinsend sprang er über das Sofa und wandte Nicky, der sich zwischen den Fronten zerrieben fand, ein wenig grob um. "Guck mal, da sind unsere Mädchen!"
    Rinoa sah sich in dem Durcheinander von Krümeln, Musik und Saft um, bis sie die beiden sah. Ihre Haare waren ein wenig gelockt, sie war geschminkt und trug ein Kleid, das zugleich bequem und sehr hübsch aussah. Neben ihr war Anne, die sich ähnlich herausgeputzt hatte. "Huhu!", rief sie flötend zu dem Jungen, den Tyler da am Arm festhielt. Dieser entfernte sich grinsend zu Rinoa, während ihre Freundin direkt auf Nikolaj zukam.
    Ahnungslos drehte Nikolaj den Kopf herum, erspähte schließlich auch Rinoa und Anne. Er wusste nicht ganz, was jetzt für ihn anstand, wollte gerade Tyler fragen, aber der strüzte schon Hals über Kopf davon. Verwirrt musste der Junge zusehen wie sich Anne strahlend einen Weg auf ihn zu bahnte und ihn dann umarmte, als ob sie sich schon ewig gekannt hätten, und ihm fast einen Kuss auf die Wange gedrückt hätte.
    Nikolaj lächelte sie nervös an, und wartete eine Weile, in der ihn Anne auffordernd anblickte. Schließlich versuchte er eine Art Gespräch anzufangen, während er genau wusste, dass er von der Seite grinsend beobachtet wurde. "Hey, Anne, schön, dich zu sehen ... Magst du was trinken? Soll ich dir was holen?"
    "Nikolaj...er ist..." Rinoa drückte eine Hand gegen die Brust, mit der anderen wischte sie ihr Auge ab. "So...selbstsicher...." Tyler sah sie kurz verdattert an. Sie sah ja aus wie eine Mutter, die erkennt, dass ihr Kind flügge geworden ist. Er räusperte sich leise, rollte mit den Augen und beobachtete seinen Kumpel grinsend, wann immer er hinschaute beide Daumen in die Luft reckend und grinsend wie ein Idiot.
    Anne währenddessen nickte kokett. "Aber gerne - ich mag, was du magst." Dabei klimperte sie so sehr mit den Wimpern, dass es schien, als würde sie sogar Essenz aus Tylers Socken schlürfen, nur um nett zu ihm zu sein. "Sag aber mal, Nikolaj...wie kommt jemand wie du zu einem Tölpel wie Tyler? Du bist doch so ruhig und ganz anders als er! Das musst du mir erzählen!"
    Nikolaj war nahe genug an der Theke, auf der sie die Flaschen gelagert hatten, um sich einfach umzudrehen und ihnen beiden eine gekühlte Cola zu holen. Das tat er, nutzte die Zeit, um kurz durchzuatmen, ehe er sich wieder umdrehte und Anne ihre Flasche in die Hand drückte, gewann noch zwei Sekunden, während er sie mit dem Flaschenöffner aufhebelte. Dann jedoch verstand er ihre Frage erst richtig, und auf ziemlich nervöse Weise fingen seine Hände auf einmal an zu jucken, und sein Gesicht wurde ein wenig rot, vor allem die Wangen. Nikolaj wurde regelrecht panisch als er das bemerkte. "Ich ... Er ... Er ist mein Tutor, weißt du. Und ich mag ihn. Meistens ist er nett ... Meistens."
    Unglücklich dachte Nikolaj wieder an ihren Ärger zuvor. Die Wunde an seiner Wange war noch gut sichtbar, aber bisher hatte niemand gefragt, woher sie kam.
    "So...dein Tutor? Und du magst ihn?" Sie zwinkerte, näherte sich Nikolaj aber direkt und trank einen damenhaften Schluck aus der Colaflasche. "Sieht aber nicht so aus, als würdet ihr allzu gut miteinander klarkommen. Hat er dich nicht unter der Fuchtel? Er ist ziemlich herrisch, weißt du." Sie hatte einen verschwörerischen Ton angeschlagen. "Suchst du nicht jemanden, bei dem du auch mal stark sein darfst, hm?"
    Nikolaj konnte sich nicht zurückziehen, eingeklemmt zwischen der Bar hinter und Anne vor ihm, sowie einem Tisch rechts. Er wunderte sich, dass Anne so ... aggressiv war. Die meisten Leute bleiben ein bisschen mehr auf Distanz, und Nikolaj verstand nicht ganz, was das Mädchen so toll an ihm fand. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Flasche, ehe er antwortete. "Äh. Na ja, schon."
    Eigentlich hatte er das erste gemeint, dass Tyler herrisch sei, abe rso verspätet wie er es sagte klang es wie die Antwort auf die zweite Frage.
    "Du bist doch Erdyeye, richtig? Bald wirst du sicher sehr stark sein...Rinoa meint, dein Chi wäre sehr mächtig." Dabei trat sie noch einen Schritt auf ihn zu und stellte ihre Flasche rechts auf den Tisch. Sie legte eine Hand auf seine Brust, jetzt, wo er nicht mehr entkommen konnte. "Vielleicht sogar stärker als Tyler...als irgendjemand..." Sie lächelte lasziv, ganz nahe an seinem Gesicht war sie, kam aber nicht mehr näher, schaute ihn einfach nur an.
    Im Hintergrund war Tyler die Kinnlade heruntergeklappt. "Warum hast du mir nie gesagt, dass Anne so verzweifelt ist, Rin...auuuuu!" Mit voller Wucht war ihm die Wasseryeye auf den Fuß getreten. Ignoranter Idiot. Hatte doch keine Ahnung. Von gar nichts...
    Nikolaj bekam von diesem Zwischenfall nichts mit, gebannt wie ein Kaninchen von der Schlange. "Das ... Das hat Rinoa auch schon gesagt. Wir werden ja sehen, bisher ist davon nicht viel zu sehen, oder?"
    Nikolaj lächelte schüchtern, hoffte auf Verneinung, auf so offensichtiliche Weise dass es einfach niedlich wirken musste.
    Die Hand glitt noch etwas weiter über Nikolajs Brust, nun kam auch die zweite hinzu. "Ach was...du bist doch ein hübscher Junge, Nikolaj!" Sie kam noch näher, als ob das möglich wäre und drückte ihre Lippen auf seine Wange, bevor sie in sein Ohr flüsterte: "Hattest du schon einmal eine Freundin...?"
    Langsam wurde es Nikolaj fast unheimlich. Jeder fing irgendwann damit an. ihn nach Freundinnen auszufragen. Trotzdem lächelte er einmal mehr, machte gute Miene zum irgendwie verstörenden Spiel. Genauso verstörend wie die Tatsache dass ... Lippen über seine Wange glitten, die eines fremden Mädchens, zum ersten Mal. Sein Körper reagierte mit einer Hitzewelle, und noch ganz anders. Sein Gesicht wurde heiß und rot, und ... mehr. Er versuchte sich noch einmal zurückzuziehen, kam aber kein bisschen weiter. Unbeholfen legte er seinen rechten Arm um Anne, unentschlossen ob er sie zurückweisen oder umarmen sollte. Sie ließ ihm eigentlich gar keine Wahl.
    Mit einem Lächeln, das breiter nicht sein könnte lag Anne plötzlich in Nikolajs Arm und zwinkerte Rinoa zu, die dastand und das ganze mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete. Tylers Gesicht war grimmig verzogen, immer wieder ließ er einen seiner Füße kreisen und zischte dabei ärgerlich. Sofort nahm Anne Nikolaj mit, zog ihn mehr, zu den anderen und grinste dabei so breit, dass man einen Brief in ihren Mund hätte werfen können. "Ihr entschuldigt uns, ja?" Ohne auf die entgeisterten Blicke der beiden oder auf Nikolaj zu achten, zerrte sie den Jungen weiter mit sich. Kichernd durchquerte sie einige Gänge, bis zu einem menschenleeren Treppenaufgang. Er lag dunkel da, und an der Wand waren zahlreiche Herzchen eingebrannt, geritzt oder schlicht geschmiert. Offenbar galt der Fleck als ziemlich offiziell - etwas was Tyler vergessen hatte Nikolaj zu sagen. Warum auch? "Das wirst du sicher nicht vergessen, Nikolaj!", wisperte sie leise lachend.
    Auch der Junge war sich da sicherer als er eigentlich sein wollte. Zuerst scheute er noch davor zurück mit einem Mädchen allein in einem ziemlich dunklen Treppenhaus zu sein, noch dazu mit eindeutigen, für den unerfahrenen Nikolaj beängstigenden Absichten. Er versuchte trotzdem nicht einmal mehr zu fliehen. Beängstigend? Ein Abenteuer war es, eine Sache, von der Jungen in seinem Alter träumen sollten, von einem Mädchen wie Anne gemocht zu werden! Kurzentschlossen packte er die Gelegenheit, umarmte Anne, die die Umarmung aus eigenem Antrieb, fester noch, erwiderte. Er hörte ihren heißen Atem ganz nah am Ohr, spürte ihre weichen Lippen auf seiner ebenfalls noch weichen Wange ... Anne fand Nikolajs Mund, gerade als der sie fragen wollte ob sie auch noch nie einen Freund gehabt hatte, halb offen, und küsste ihn wie Nikolaj noch nie geküsst worden war. Noch vorsichtig, als würde Anne ausprobieren wie weit sie gehen konnte, spürte er ihre Zunge an den Lippen. Kurz darauf bemerkte er, dass er sich unbemerkt, instinktiv zurückbewegte. Nicht, weil er Angst hatte oder sich von ihr entfernen wollte. Nikolaj wollte in diesem Augenblick nirgendwo anders sein. Anne wusste offenbar, was sie tat...obwohl er steif wie ein Brett war und sie wie Wasser, in das er sich gelegt hatte überall zugleich zu sein schien, schien sie sich nicht daran zu stören. Das brachte dem Jungen mehr Selbstvertrauen ein. Er beschloss jetzt nichts mehr zu sagen und nachzumachen, was sie tat. Während sich ihre Lippen immer wieder trafen und verabschiedeten, so als wolle Anne ihn ködern, aber nicht zu lange von ihr kosten lassen, versuchte er unbeholfen ihren Rücken zu streicheln. Ihr Lipgloss schmeckte nach Kirsche. Kaum kam er dazu zu lächeln, da erhaschte er ihren teuflischen Blick und bemerkte, dass die Wand nun in seinem Rücken war. Ihre Hände waren nicht mehr an seinem Hals, sondern glitten abwärts...

    "Was meinst du, was die beiden machen...?" Tyler beugte sich zu Rinoa herab, um ihre Frage über den Partylärm zu verstehen. Ein schmutziges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. "Was werden die wohl machen, hm?" Er stupste sie leicht an, wurde aber wieder ernst, nachdem er ihren Blick erfahren hatte. "Wir sollten in dein Zimmer gehen, Tyler. Um sie vor schlimmeren abzuhalten." Er kam gar nicht dazu groß Einwand zu erheben, da sie ihn bereits am Shirt mitzerrte. "He, he Rinoa! Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich würde WIRKLICH nicht gerne zusehen wie Nicky und...bwah!" In dem Moment in dem Rinoa die Tür geöffnet hatte, wobei sie kurz in Tylers Hosentasche den Schlüssel hervorgeholt hatte, warf er die Hände vor die Augen. Er hörte nichts. Schliefen die beiden schon? Das war aber schnell gegangen.
    "Komm schon rein, hier ist niemand." Blinzelnd öffnete er die Augen, seufzte erleichtert und warf sich direkt auf sein Bett. Er wäre gerne noch bei der Party geblieben, doch wenn Rinoa genug hatte würde er nicht widersprechen...Er rollte sich wieder auf den Boden, kroch zu Nickys Tasche und holte etwas Schokolade hervor. Nachdem er eine gewaltige Rippe abgebrochen hatte und sie sich auf einmal in den Mund geschoben hatte, was die Augenbrauen seiner Freundin gen Himmel schießen ließ, fühlte er sich schon viel besser. Rinoa saß auf Nikolajs Bett und hatte die Arme um die Beine geschlungen. Hypnotisiert betrachtete sie die Tür. Wirkte beinahe traurig...wusste sie etwa etwas, dass Tyler nicht ahnte? Irgendwann öffnete sich die Tür ganz leise und langsam, und Nikolaj selbst kam herein. Auf seiner Wangen prangte eine ganze Menge an Lippenstift, Kirschgeschmack, und auch darunter war sie immer noch rot. Man sah beinahe die Hitze, die von ihnen ausstrahlte. Seine Augen strahlten auf eine Weise wie noch nie zuvor in der Zeit an der Schule und auch sein Mund lächelte versonnen. Seine Haare waren zerwuschelt als wäre ihm mehrmals jemand kräftig hindurchgefahren. Geistesabwesend kickte er seine Schuhe in eine Ecke und hockte sich im Schneidersitz auf sein Bett, schien gar nicht zu bemerken, dass Rinoa schon dort saß. Das Gesicht träumerisch verklärt fing er an sich an den Socken herumzufummeln und mit den Zehen herumzuspielen. Schließlich jedoch bemerkte er wie skeptisch und verwundert ihn seine Freunde ansahen. Verdattert blickte er auf, immer noch seine Füße umklammernd, und sah Rinoa zwischen verwundert und ängstlich an.
    Rinoa sagte gar nichts, starrte Nikolaj einfach nur an. Es war ziemlich eindeutig, was sie da gemacht hatten...gerade wollte sie dazu ansetzen ihn einzuheizen, wie verantwortungslos das Ganze doch war, doch Tyler kam ihr zuvor. Er stieß ein langezogenes Jubelgeheul aus, kam zu ihm hinüber und wuschte durch die ohnehin schon völlig zerstörte Frisur. "Muha, Anne hat dich flachgelegt!", sagte er grinsend und bot ihm einen High-Five an. Rinoa stieß ein unwilliges Murren aus. Jungs...
    Erst guckte Nikolaj noch sehr irritiert, dann hob er grinsend die Hand und schlug ein. Erst dann fiel ihm auf was Tyler gesagt hatte, und er runzelte die Stirn. Verwirrt ließ er die Hand wieder sinken. "Du meinst ... Ich sie, oder? Ich meine, so sagt man das doch. Und, äh, nein, hab ich nicht. Oder hat sie nicht, ich weiß nicht."
    Völlig durch den Wind sank Nicky langsam auf den Rücken und ließ die Beine vom Bett baumeln. Jetzt erst wandte er sich Rinoa zu, der doh sonst fast alle seiner Blicke gehörten. "Hallo, Noa ... Stör ich euch?"
    "Na ja, so wie es ausgesehen hat war wohl eher sie diejenige..." Tyler kam nicht weit, denn Rinoa sah ihn vernichtend an. "Natürlich störst du nicht, Nikolaj..." Sie seufzte und beugte sich über den liegenden Jungen. Mit ihrem Daumen rubbelte sie sanft den Lippenstift von seinen Wangen, während Tyler immernoch leise lachte. "Findest du es nicht etwas...schnell, was du getan hast? Ich meine...früh?", fragte sie zögerlich, an seinem Kragen zupfend um ihn wieder in eine angenehme Form zu bringen. Sie hatte ihn eigentlich für sehr verantwortungsvoll und durchdacht gehalten. Was hatte Anne nur mit ihm angestellt? Rinoa wusste, dass das Mädchen intrigant war. Eigentlich wollte sie es nicht so weit kommen lassen... Nikolaj bekam nichts von diese Gedanken mit, er dachte nur an die Küsse, die er bekommen hatte, an Annes Hände auf seinem Rücken, auf seinem Hintern. Er hörte gar nicht richtig was Rinoa überhaupt sagte, antwortete schließlich nur lapidar mit einem "Ja, sicher", obwohl das in dem Zusammenhang ziemlich merkwürdig wirkte. Glücklich lächelnd genoss er es von Rinoa zurechtgezupft zu werden ... Aber hinter geschlossenen Lidern sah er nur Anne, die ihm berührte. Zum ersten Mal konnte er sich wirklich vorstellen mit jemandem ins Bett zu gehen, und das beste war dass dieser Jemand das auch zu wollen schien ... Tyler und Rinoa tauschten einen verwunderten Blick. Die Antwort und sein Gesicht passten nicht so recht zusammen. Also hörte Rinoa auf Nikolajs Kopf zu bemuttern. "Hast du überhaupt zugehört?"
    "Ach, lass ihn doch. Er hatte seinen Spaß...am besten wir gehen schlafen, es ist schon ziemlich spät." Tatsächlich war es schon später geworden, doch normalerweise hatte Tyler damit keine Probleme. Trotzdem verließ Rinoa das Zimmer, kopfschüttelnd, während Tyler sich Nikolaj gegenüber aufs Bett setzte und ihn nachdenklich betrachtete. "Jetzt hast du eine Freundin, was?", fragte er. Vielleicht konnte man ihn zum sprechen bringen, wenn man Anne ansprach. Tatsächlich drehte sich Nikolaj auf die Seite, Tyler zugewandt, raufte die Decke mit Beinen und Armen zusammen und kuschelte sich hinein. Wie an ein Mädchen, fiel ihm selber auf, zum ersten Mal, obwohl er es schon oft getan hatte. Immer noch verträumt lächelnd sah er herüber. "Ich glaube schon, oder? Anne ... Ich glaube ich liebe sie. Und sie mich bestimmt auch."
    Seine Augen leuchteten mit einer Naivität die er in anderen Lebensbereichen schon längst abgelegt hatte, mit einer unvorsichtigen Selbstsicherheit. Seufzend sank er zurück in die Decke, vergrub das Gesicht darin. Anne ... Der Geruch ihrer Haare ... Ihre Lippen ...
    Seltsam, wie Nikolaj ganz einfach aussprach, was sich Tyler nicht einmal eingestehen konnte. Es war unschwer zu erkennen, woran der Kleine dachte. Auch er dachte an Rinoa. Wie gerne würde er ihr sagen, was los war. Doch nach dem Kuss hatte sie nicht weiter darauf eingehen wollen, und er selbst tat das erst recht nicht. Tyler war kein Mann von Gefühlen. Das war nicht männlich, das war...zu sehr wie eine Memme. So gut sich Nicky fühlte, so schlecht fühlte sich Tyler. "Bestimmt", meinte er deshalb nur undeutlich und legte sich auf sein Bett, den Rücken zu ihm. Nikolaj war ein klein wenig gekränkt davon, drehte sich aber auch einfach auf den Rücken und blickte an die Zimmerdecke. Warum war Tyler auf einmal so abweisend? Seine Gedanken verharrten aber nur kurz dabei, bevor sie wieder zu Anne zurückkehrten. Sie hatte ihn vollständig in den Bann geschlagen. Mit geschlossenen Augen träumte er vor sich hin, bis er schließlich leise und heimlich in den Schlaf abdriftete - obwohl er sich vorgenommen hatte nicht noch einmal in seinen Sachen zu schlafen. Er lag auf der Decke, sodass ihm wohl kalt werden würde, aber Tyler wagte zuerst nicht sie unter ihm hervorzuziehen und ihn zuzudecken. Außerdem war er gerade auch nicht in der Stimmung dazu. Nikolajs Haare standen wie ein verwuschelter Heiligenschein in alle Richtungen ab, sein Mund stand ein wenig offen, und mitten im Schlaf drehte er sich auf die Seite und rollte sich ein wenig zusammen. Tyler erkannte warum Anne ihn vorzog: Er selbst war weniger die Art von Junge, die Nikolaj verkörperte. Der Kleine war ja wirklich ein laufender Teddy-Bär. Kein Wunder, dass Rinoa ihn ständig anfassen musste. Er ließ sich aber auch gerne bemuttern. Resigniert streckte sich Tyler. Er war groß und schlank, bepackt mit Muskeln, die man vom Training bekam. Wenn man ihn knuddelte, schlang man die Arme um einen Stein. Wie kam es, dass Nikolaj ein Erd-Yeye war? Normalerweise zeigte sich bei ihnen doch gerade eine größere Stärke. Sein Kopf klappte zur Seite und er konnte nicht umhin, zu lächeln. Er mochte zwar gerade ein Mädchen gehabt haben, worauf Tyler ziemlich eifersüchtig war, doch in diesem Moment sah er so unschuldig aus. Der Junge, der Felsbrocken bewegen konnte wirkte auf ihm schutzbedürftig. Seufzend erhob sich sein Tutor aus dem Bett, blieb kurz neben ihm stehen. "Ich wünschte, du hättest wirklich jemanden bekommen, der dich liebt...", murmelte er, während Nikolaj leise schmatzte, so als würde er selbst im Traum noch weiterküssen. "Hast du viel mehr verdient als ich." Die kräftigen Hände breiteten die Decke über ihn aus, bevor er wieder auf sein Bett ging, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und mit starrem Blick die Decke anstarrte, wie so oft. Irgendwann fielen auch ihm die Augen zu und er schlief ein, aber erst nachdem er viel zu lange Nikolajs glückliches Schnaufen hatte hören müssen.
    Am nächsten Morgen schliefen beide Zimmerkameraden aus, obwohl Nicky, aus einem katholischen Elternhaus, darüber nachgedacht hatte sich eine Kirche in der Nähe zu suchen. Später vielleicht, dachte er als er von der Sonne im Gesicht erwachte und bemerkte dass es schon viel zu spät dafür war. Resignierend wollte er sich wieder tiefer in die Decke kuscheln als ihm auffiel dass er wieder einmal in seiner Kleidung geschlafen hatte. Unwillig knopfte er die Hose auf und strampelte sie ab, zog den Reißverschluss seines Hoodies auf und warf ihn müde auf den Boden. Ohne sich weiter darum zu kümmern rollte er sich zusammen, konnte aber wegen des Lichts nicht wieder einschlafen. Stöhnend setzte er sich im Bett auf.
    Tyler, der weniger Probleme hatte in seiner Kleidung zu schlafen reagierte nicht auf Nickys Stripeinlage, obwohl er leicht zu ihm blinzelte, um herauszufinden was er da trieb. Imaginär achselzuckend schmatzte er und schnarchte weiter. Er hatte ihn zugedeckt, da durfte der Kleine ihn ruhig heute aufwecken. Allerdings, würde er das? Oder zog er sich direkt an und flitzte zu Anne? Er sollte ihm beibringen, dass es eine ganz bestimmte Regelung gab, die jeder Junge befolgte. Gehe niemals am Morgen in den Mädchentrakt einer Elementarkampfschule oder du bereust es bitter. Das Mädchen holt die Jungen ab, NACHDEM es fertig ist. Schmunzelnd überlegte er, ob er ihn das nicht selbst erfahren lassen sollte...Hm. Nikolaj jedoch enttäuschte ihn; Anstatt gedankenlos in den Mädchentrakt zu stürmen zog er sich, sicher, dass Tyler noch schlief, neu an. Er bemerkte Tylers mühsam unterdrücktes Grinsen nicht, sonst wäre er vor Scham wohl im Boden versunken. Am liebsten hätte er geduscht, aber alleine und unter fremden Jungen verzichtete er dankend. Stattdessen tappte er nur gähnend ins Bad um sich zumindest das Gesicht zu waschen. Obwohl es für ihn ungewöhnlich spät war waren von dem Haufen hier noch nicht besonders viele wach. Unbehelligt huschte er zurück in ihr gemeinsames Zimmer, schloss leise die Tür - aber Tyler lag ohnehin schon mit offenen Augen da. Lächelnd wünschte Nikolaj ihm einen guten Morgen, bevor ihm noch etwas auffiel. Tyler konnte schon länger so daliegen ... "Äh ... Tyler? Warst du ... Vorhin schon wach?"
    "Vorhin? Wenn du meinst, dass ich dich beim Ausziehen gesehen habe, ja da war ich wach..." Er gähnte und sprang aus dem Bett, wo er Nikolajs guten Beispiel folgte und sich erstmal bis auf die Boxershorts auszog. Im Gegensatz zu ihm flogen allerdings alle Kleidungsstücke quer im Raum herum, weswegen er nicht bemerkte, wie sich das Gesicht seines kleinen Freundes immer weiter veränderte. "Ich geh erstmal duschen, Kumpel!", meinte er, warf sich ein Handtuch und ein frisches Short über die Schulter und verschwand für die nächsten Minuten im Duschraum, ohne überhaupt zu sehen, dass Nikolaj sich abgewandt hatte und vollkommen fertig sein Bett anstarrte. Tyler hatte ihn beobachtet! Er hatte ihn gesehen! "Ty...ich...!", er kam nicht dazu etwas zu sagen, denn der muskulöse Rücken seines Schulkameraden war schon aus der Tür verschwunden. Hatte er ein Lachen vernommen? Oh nein...
    Zwei Minuten später klopfte es sanft an der Tür, was ihn beinahe fluchen ließ. Ausgerechnet jetzt! Er konnte ein bisschen Zeit alleine gebrauchen um damit fertigzuwerden, dass sein Tutor ihn gerade dabei beobachtet hatte wie er sich auszog und nichts gesagt hatte...warum sah er ihm überhaupt zu? Das war zu verwirrend...
    "Nicky, bist du angezogen? Ich habe gerade Tyler in Unterhosen vorbeigehen sehen..." Die Stimme klang ein wenig belegt, war aber eindeutig als Rinoas zu erkennen, der leicht die Röte ins Gesicht geschossen war. Auf dem Gang bewegten sich langsam schon andere Jungen in die Duschräume, grinsend betrachteten sie die Wasser-Yeye, manche riefen ihr etwas zu, von wegen sie solle sich nicht von einem Nein abschrecken lassen...ein böser Blick ließ sie meistens verstummen. Ziemlich durch den Wind antwortete Nikolaj Rinoa durch die Tür, immer noch verschämt. Er wusste dass Tyler sich nichts dabei dachte, aber er tat es, und zwar sehr. "Nein! Ich meine ja, jetzt, aber nein, grade ... Äh, komm rein."
    Verwirrt setzte Nicky sich auf sein Bett, stützde den Kopf in die Hände und stöhnte auf. Hier war alles so fürchterlich kompliziert, viel schwieriger als daheim ... Warum hatte Tyler gelacht? Und was würde Rinoa dazu sagen? Würde sie es erfahren? ...
    Vorsichtig, als würde sie Nickys Antwort nicht allzu sehr vertrauen, schob sich ihre Hand durch die Tür. Ihre Fingernägel waren dunkelblau lackiert. Um ihren Kopf war ein dunkelblaues Band gebunden und sie trug einen kurzen weißen Rock, weiße Strümpfe und blaue Stiefel. Alles passte farblich zusammen, so als hätte sie sich herausgeputzt. Sie lächelte ihn an, als sie sah dass er angezogen war, doch er schaute überhaupt nicht hoch. Sofort war sie bei ihm. "Nikolaj? Was ist los?", fragte sie besorgt ob seiner Haltung, die nicht einmal ansatzweise so glücklich war wie gestern Abend. Zögerlich legte sie eine Hand auf seine Schulter. "Ist etwas passiert?"
    Nikolaj rang sich ein Lächeln ab. So schlimm war es dann nun auch wieder nicht, belehrte er sich selber tadelnd, obwohl sein Unterbewusstsein nörgelte dass es das doch war. Außerdem war das schon fast vergessen, jetzt, wo Rinoa im Raum war ... Sie erinnerte ihn an Anne. Hoffentlich würden sie sich bald sehen. "Nichts, nichts Wichtiges. Ist nur gar nicht so einfach sich hier richtig einzufinden, und ..."
    Erst jetzt fiel ihm richtig auf wie sehr sich Rinoa ausstaffiert hatte. Sie sah gut aus, sehr gut. Auch das erinnerte ihn unwillkürlich an Anne ... So wie fast alles jetzt. Zum Glück wurden diese Gedanken davon unterbrochen dass Tyler wieder zurück ins Zimmer gedonnert kam. "Hey, Noa! Rate mal was ich vorhin gesehen hab ... Wie Nicky sich hier nackig ausgezogen hat, ganz vorsichtig und leise, um mich bloß nicht zu wecken!"
    Er grinste übers ganze Gesicht, aber Nikolaj stand der Mund offen, seine Lippen zitterten irgendwo zwischen Tränen und Zorn und das Blut schoss ihm wieder ins Gesicht. Schnell schloss er ihn wieder um zumindest ein Zeichen seiner Scham zu verbergen. Enttäuscht von seinem Freund klammerte Nikolaj die Hände um die Bettkante, senkte den Blick. Er hörte es schon ungut knacken, aber so schwach wie er war bestand wohl keine Gefahr das stählerne Bettgestell zu beschädigen. Er fühlte den Zorn, aber dahinter war noch mehr, eine Art neue Emotion. Er achtete nicht darauf."Und...? Ich würde das rücksichtsvoll nennen, Tyler..." Rinoa erhob sich, strich Nikolaj leicht durchs Haar, um ihn zu trösten und zugleich seine Frisur in Ordnung zu bringen und blickte Tyler zum ersten Mal an. Er stand da, in den Boxershorts, hatte gerade die Augen halb geschlossen, um seine Haare zu trocknen. Der Yeye-Vorgang war fast sofort vorbei, da hörten die beiden ein Knacken. Zumindest Rinoa, die unmittelbar vor ihm stand. "Nikolaj...?" "Ach komm schon, Alter, macht dich das echt fertig? Du solltest dich einfach damit abfinden, dass dein Körper niemals die Perfektion von meinem erreichen wird. Dafür musst du dich nicht schämen..." Er grinste ihn an, während er sich anzog und blickte dabei an Rinoa hinab. "Holla, Rinoa, du siehst aber heiß aus heute. Hast du dich etwa für MICH so schick gemacht?" Die Wasseryeye hob eine Braue, verschränkte die Arme und schaute Tyler an, als würde sie ihn gleich umlegen. "Du bist wirklich absolut unmöglich! Kannst du soetwas nicht netter sagen oder gar nicht ansprechen, du Trampel?!" "Was netter sagen? Ich kann doch schlecht sagen...'Hey Nikolaj, cool wie du dich ganz langsam vor mir ausgezogen hast, wenn du das für Anne üben willst stehe ich jederzeit zur Verfügung!' oder ihn da für einen Körper loben, den er nicht besitzt. Es sah einfach verdammt witzig aus, wie da im Bett gestrippt hat, okay? Sonst ist er nunmal so ein verklemmter Stock! Und man würde von jemanden wie ihm sicher nicht erwarten, dass er dazu fähig wäre!" Dass der dabei ständig den Kleineren beleidigte, fiel ihm kaum auf. Oder dass er aussah als würde er losheulen. Immer fester schlossen sich Nikolajs Hände um das Stahlrohr, bevor er schließlich aufstand. Von dem Ruck löste sich eine große Träne von seinen Wimpern, die einzige, die er nicht hatte unterdrücken können, und zerplatzte auf seinem Hosenbein, ein wenig spritzte von dort auf Tylers nackten Körper. Er bemerkte die tiefen Abdrücke seiner Finger im Stahl selbst nicht als er sich umdrehte um die Tür hinter sich zu schließen, den Blick gesenkt, um Tyler und Rinoa nicht sehen zu lassen dass ihm das Wasser in den Augen stand. Grob wischte er sich mit dem Ärmel die Augen ab und ging entschlossen los, zum Mädchentrakt. Einmal musste er fragen wo Anne wohnte und wurde ziemlich unverschämt angegrinst, aber erhielt dennoch Auskunft. Hastig eilte er durch den Korridor, ehe er fast zaghaft an Annes Zimmertür klopfte. Hoffentlich würde das alles keinen Ärger geben, aber in seinem eigenen Zimmer hätte er auf keinen Fall bleiben können.
    "Idiot! Idiot! Idiot!" Rinoa schubste Tyler auf sein Bett. Völlig verdattert starrte er die Tür an, durch die Nikolaj verschwunden war. Was hatte er falsch gemacht? Relativ unsanft stieß er gegen das Bettgestell und jaulte, doch Noa kümmerte sich nicht um ihn, sondern schlang die Arme um den Oberkörper, als würde sie frösteln. "Du hast ihn beinahe zum Weinen gebracht, Tyler...und siehst du das da im Bett? Kannst du nicht einmal aufpassen, was du sagst?"
    Während im gegenüberliegenden Trakt ein Junge sich laustark verteidigte, öffnete sich im Mädchentrakt eine weißgestrichene Tür, die mit einem blau-grünem R und einen pinken A versehen war. "Wer ist denn...", hörte man es genervt von der anderen Türseite, dann war die Tür offen und Anne sah Nikolaj dastehen, wie ein Häufchen Elend. Oha. Wo war Rinoa, wenn man sie brauchte? Halt, moment. Das war Nicky. Der Kerl, mit dem sie gestern nacht ihren Spaß hatte! Ihr missbilligender Blick wurde freundlich. "Hallo, Nikolaj! Schön dich zu sehen..." Beinahe sofort drehte sie sich um und bot ihm dabei gleichzeitig die offene Tür an. Das Zimmer von Rinoa und Anne sah eindeutig anders aus als das von Tyler und Nikolaj. Wo bei ihm eine Dartscheibe und Pin-up hing, gab es hier einen Schminktisch und ein kleines Aquarium vor - an dem tadellosen Zustand und dem gigantischen Pandabären auf dem Bett als Rinoas Bett ausmachbar - ihrem Bett, indem zwei exotisch getupfte Schildkröten munter an ein paar Salatblättern mampften. Annes Bett war rosa, ihr Kissen hatte Herzform. Es roch nach Handcreme und irgendwo zwischen Bett und Kommode hatte sich der Meeresbrisenduft von Rinoa verfangen. Durch das Fenster schien die Vormittagssonne auf Anne und ließ ihr Lächeln noch mehr leuchten. "Gibt es ein Problem? Du siehst so unglücklich aus..." Sie machte einen Schritt auf ihn zu und griff nach seinen Händen, sanft - aber anders als Noa, drängender - drückte sie mit dem Daumen auf seine Fingerknöchel und schaute ihn dabei unverwandt an. Nikolaj gab dem Drängen nach, nein, ging darauf ein, wollte es ebenfalls, Anne zog ihn zu sich heran, und ohne sich, wie er es andernfalls getan hätte, neugierig umzuschauen, zog auch Nikolaj Anne zu sich heran. Sofort glitten die Arme des Mädchens um seine Hüfte herum, wanderten langsam aufwärts, umarmten ihn. Mit einem vorsichtigen Tritt verschloss Nikolaj die Tür wieder hinter sich, während Anne bereits ihre Wange an seiner rieb, ihm einen Kuss seitlich draufdrückte. Dabei geriet der Bruchteil einer Träne in ihren Mund.
    "Mein armer kleiner Nicky ... Was ist denn passiert?", hauchte sie ihm verführerisch und sanft ins Ohr, streichelte ihm sanft über den Rücken. Jetzt erst lösten sich Nikolajs Tränen wirklich, er dachte, dass sie ihn wohl verstehen würde, drückte sie zurück, rückte näher zu ihr. Anne hielt nicht inne, als Nikolaj begann zu weinen. Sie konnte mit soetwas nicht umgehen. Irgendwann würde der Kleine schon aufhören zu heulen, wenn sie fertig mit ihm war. Grinsend quittierte sie, wie natürlich er auf sie zuging, doch sie ließ ihn nicht ganz. Sie würde die Kontrolle über ihn behalten. Leicht strichen ihre Lippen über seine Wange bis zu seinem Mund, verschlossen die Schluchzer, die eventuell herauskommen würden - oder die Worte, die sie nicht interessierten. Eine Hand löste sie von seinem Rücken, um über seine Wange zu wischen, in seine Haare zu greifen, die nach Rinoa rochen. Hrm. Nikolaj war wie eine Marionette in ihren Armen. Eigentlich konnte sie doch genauso gut etwas Spaß haben und es später seiner "besten Freundin" unter die Nase reiben. Grinsend brachte sie ihn dazu zu wenden, bewegte sich mit ihm, wie gestern Nacht, nur dass diesmal nicht die Wand kam, sondern die weiche Kante ihres Bettes... Langsam ließ Nikolaj sich nach hinten sinken, dicht gefolgt von Anne, die nicht abließ ihn zu küssen und auf eine Weise zu umarmen die eher an eine Fesselung erinnerte. Sie ließ sich neben ihn aufs Bett fallen, sah in seine inzwischen fast wieder beruhigten und nur noch von einer ihr fremden Unsicherhet und Angst gezeichneten Augen. Schließlich begann sie hinten an seiner Hose herumzuzupfen, aber Nikolaj schien den Wink nicht zu verstehen. Anstatt damit zu beginnen sie und sich selbst auf das vorzubereiten dem Anne so entgegenfieberte lag er einfach nur still. Gelegentlich fühlte Anne noch ein unterdrücktes Schluchzen durch seinen Körper zucken, aber sonst blieb er beinahe reaktionslos liegen. Immerhin, dachte Anne und schmiegte ihre Wange an seine, sie waren im Bett miteinander ...
    "Es hat nichts mit Bemutterung zu tun, du ignoranter Klotzkopf!" Einer von Tylers Tellern, die überall im Zimmer herumstanden, zerschellte an der Wand, als Rinoa ihn mit sportlichen Schwung an seinem Ohr vorbeizischen ließ. Die hellblauen Augen des Jungen weiteten sich, er schaute der Flugbahn hinterher und blinzelte verwirrt. Obwohl die Wasseryeye scheinbar kurz davor war zu platzen, hatte sie ihre Kräfte vollkommen unter Kontrolle. Einerseits machte sie Tyler gerade verdammte Angst, andererseits musste er sie dafür bewundern, dass sie nicht das ganze Zimmer unter Wasser setzte. Von wegen Bemutterung. Sie behandelte Nikolaj wie ein Baby, das sich selbst nicht helfen konnte. Wie sollte er jemals lernen, Verantwortung zu übernehmen und sein Erdyeye zu kontrollieren, wenn er nicht einmal Kontrolle darüber hatte, was mit seinem Leben geschah? Er musste selbständig werden. Einen Pelz entwickeln. Es würde nicht in jeder Situation eine Rinoa auftauchen, die ihm sanft ins Ohr hauchte, dass alles nur halb so wild war und ihm dann die Haare richtete. Mal ehrlich. Demnächst würde sie noch anfangen Nikolaj beim Schnäuzen zu helfen. Auf der anderen Seite stand da natürlich genau das, was ihn dazu trieb Rinoa zu mögen. Sie opferte sich für andere auf. Ihre Yeyekontrolle basierte nicht wie bei ihm auf Selbstvertrauen, sondern darauf, wie es den anderen ging. Wenn alle um ihr herum im Gleichgewicht mit ihrem Chi waren, nahm Rinoas automatisch auch die Balance ein, egal wie emotional sie selbst war. Ein seltenes Talent, aber auch ein Fluch. Ihr war es nicht vergönnt, ihre ganze Kraft zu nutzen, wenn sie es selbst am dringendsten wollte.
    "Hörst du mir überhaupt zu?! Ach, vergiss es!"
    Sie drehte sich schwunghaft um und verließ den Raum. Mit einem Krachen fiel die Tür zu, was Tyler aus der Trance seiner Gedanken löste. Verdammter Mist...

    Es dauerte nur zwei Minuten, bis Rinoa ihr Zimmer erreicht hatte und die Tür öffnete, geladen vor Wut. "Hallo, Anne...", wollte sie sagen, verbarg wie immer, wenn Tyler sie nervte jegliches schlechte Gefühl vor einer Tratschtante wie ihr und stockte mitten im Wort, als sie auf ihrem Bett Nikolaj fand, der die Arme um sie geschlungen hatte. Plötzlich konnte sie verstehen, wie Tyler bei ihrem Wurf eingefroren war. "Oh", verließ ihren Mund. Ihr Blick wurde magisch von den Tränenspuren auf Nickys Gesicht angezogen. Es war falsch, dass er zu Anne ging, wenn er Hilfe brauchte. Sie würde ihn nicht trösten, wenn er es brauchte, sondern nur, wenn sie wollte. Er hatte sie verlassen. Vorher hatte er Tyler verlassen, weil er nicht bei ihm bleiben wollte. Aber er hätte Rinoa mitnehmen können. Zu sehen, wie er zur erstbesten rannte, die ihn geküsst hatte, brach ihr beinahe das Herz. Betend, dass er nicht sah, wie ihre Augen begannen zu glänzen, schnappte sie sich irgendein Buch, und ging wieder zur Tür. Sie musste raus. In den Hain, an den Bach - ganz egal...einfach nur raus. Hinter sich jedoch ließ sie Dinge zurück die sie gebraucht hätten. Vor allem Nikolaj, der, als er die Tür gehen gehört hatte, sich blitzartig, panisch, zu ihr umgedreht hatte. Dennoch sah er ihr trotzig entgegen. Wenn sie das hier nicht gut fand war das immerhin ihr Problem, er konnte schließlich machen was er wollte. Obwohl er versucht hatte so unbewegt wie möglich zu wirken ging ein kleiner Stich durch Nikolajs Herz als Rinoa sich einfach umdrehte und wieder ging. Anscheinend war es ganz richtig gewesen die beiden zu verlassen. Sich erst einmal einer verständnisvollen Person anzuvertrauen. Und so wie ihn Anne mit einem merkwürdigen Lächeln wieder an sie zog war ja wohl eindeutig wer hier verständnisvoll war, meinte er zu wissen.

    Inzwischen war áuch Tyler wieder aktiv, hatte sich von dem erneuten Schock von Rinoas Verhalten erholt. Verdammt, er hatte es schon wieder geschafft sein Mädchen zu vertreiben, und diesmal schien sie wirklich vom Geschehen mitgenommen zu sein. Federnd sprang er auf und beschloss sie zu suchen, das war jetzt wichtig. Aber wo würde sie sein? Eine Weile stand er mit sonderbar gerunzelter Stirn und einem komischen Gesichtsausdruck im Zimmer herum, den zum Glück niemand sah, ehe er sich erinnerte. Rinoa mochte die Bäume draußen. Den kleinen Hain. Ach, verdammt, da hatte er ja einen Baum angekohlt ... Bestimmt würde sie das sehen und gleich mit ihm verbinden. Vielleicht sollte er doch lieber hier bleiben und mit ein paar Kumpels die Zeit totschlagen. Mürrisch stapfte er aus der Tür und machte sich auf den Weg zum Aufenthaltsraum.

    Wütende, ziellos gesetzte Tritte trafen den Hangboden, als Rinoa, die eigentlich gar nicht wusste, warum sie so agressiv mit der Erde unter ihren Füßen umging, hinaufstieg. Ach, das war das Stichwort. Erde. Niemals hätte sie Nikolaj anschreien können oder ihn gar schlagen, wie sie es bei Tyler tat. Also ließ sie einfach ihre Wut auf ihn - und das war Wut, Wut darüber, wie naiv er war, Wut darüber, dass er sie angesehen hatte, als wäre ihm ihre Meinung egal - in das nächste fließen, was sie an ihn erinnerte: Der Boden. Langsam kamen die Bäume des Hains in Sicht, doch boten sie keine ruhige, friedliche Atmosphäre, wie sie sich erhofft hatte. Still war es zwar, doch einige der Bäume waren kohlschwarz und sahen aus, als wären sie durch eine plötzliche Feuerbrunst niedergebrannt worden. Ließen die beiden Rinoa denn nicht einmal hier los?
    Seufzend durchquerte das Mädchen die Baumreihe, die kleine Ascheflöckchen auf sie regnen ließ und kniete vor dem schmalen Bächlein nieder, das den Hain durchquerte. Das Plätschern des Wassers entspannte die Yeye beinahe sofort, doch zugleich war die Verbundenheit zu ihrem Element nicht förderlich für ihre Gefühle, die sie in diesem Moment kaum mehr zurückhalten konnte. Die Finger sanft im Gras vergraben wie sonst nur in Nikolajs Mähne beugte sie sich über die Wasseroberfläche und betrachtete diese. Leicht kräuselte sie sich durch die Tränen, die sie nun nicht mehr halten wollte. Das Wasser durfte ruhig mitbekommen, wie sie weinte. Es war immerhin das einzige, was sie verstand. Das war schon immer so gewesen. Der Gedanke, Nicky wäre anders, vernünftig, war nur ein Traum gewesen. Er war am Ende doch wie alle anderen Jungen, die Anne gehabt hatte...und das Herz von keinem von ihnen war heil aus der Beziehung herausgekommen... Traurig dachte sie darüber nach wie es sein würde den völlig verzweifelten Nicky trösten zu müssen wenn Anne ihn schließlich fallen lassne würde wie eine zerbrochene Puppe. Ihre Schönheit war an Anne vergeudet worden, hätte jemandem mit einer schöneren Seele zugestanden. Wie passend als Untermalung für ihre düsteren Gedanken klangen hinter ihr auf einmal Schritte, langsam und leise wie von einem Begräbnismarsch. Es war selten, Tyler so leise gehen zu hören wie jetzt gerade. Rinoa wusste, dass er es war, ohne sich umdrehen zu müssen; Wenige Schüler suchten den Hain auf, die meisten vergnügten sich lieber im Gebäude mit den Anderen oder trieben Sport. Normalerweise auch Tyler, aber anscheinend hatte ihn der Streit mit Rinoa mehr mitgenommen als er zuerst hatte zeigen wollen.
    Tyler blieb hinter ihr stehen, das Gesicht mürrisch verzogen als wäre er ein Schuljunge, der auf Schelte wartete, und hielt ungeduldig still. Rinoa in ihren Gedanken zu stören, jetzt gerade, wo man schon aus hundert Metern Entfernung ihre Traurigkeit sah, war bestimmt keine gute Idee. Erst nach mehreren Minuten, in denen der agile Feueryeye unweigerlich und ohne dass er es hätte verhindern können begann auf den Fußballen zu wippen war Rinoa bereit Notiz von ihm zu nehmen. Fragend drehte sie den Kopf ein wenig zu ihm.
    "Noa ... Das vorhin, ich wollte ... Weiß nicht ... Habs falsch gemacht."
    Die Worte waren ein ziemliches Gemurmel und Genuschel, aber verständlich genug für Rinoa, die ihn schon mehr als einmal so gehört hatte.
    Nachdem die Wasseryeye eine ganze Weile nicht geantwortet hatte, wollte sich Tyler schon wieder aus dem Staub machen und drehte sich leicht um. Wahrscheinlich hatte sie genug von ihm, dabei war es geradeeinmal Morgen. Wochenende. Eigentlich sollten sie doch etwas unternehmen. Niedergeschlagen blickte der Blonde zu Boden und sah gerade noch, wie Rinoa neben sich aufs Gras klopfte. Enthusiastisch setzte er sich, beugte sich etwas zu ihr hinüber. Sie wandte den Blick ab, aber er hatte schon gesehen, dass sie geweint hatte. "Ich mache mir Sorgen um Nikolaj." Ihre Stimme klang belegt. Tyler nickte, fest entschlossen, nichts falsch zu machen. "Anne wird ihn aussaugen wie ein Egel. Er ist zu gut, um sich jetzt schon kaputt machen zu lassen...Sie sollte ihn nicht haben..." Erschrocken sah er, wie sich ihre Fingerknöchel anzogen, sie angespannt das Gras in der Hand hielt und einzelne Tränen zwischen ihren Fingern zersprangen. Ein wenig hilflos - warum war Nicky nicht da, wenn man ihn brauchte? - rutschte er in eine aufrechte Position und legte ihr zögerlich einen Arm um die Schulter. Kaum berührte er sie, krallte sich ihre Hand in sein Hemd und sie drückte das Gesicht gegen seinen Hals. Blinzelnd betrachtete der Feueryeye die Strömung des kleinen Baches, die trotz ihres Ausbruchs immernoch ruhig war und streichelte über ihren Rücken. "Hey, nicht weinen. Es ist nicht deine Schuld, weil du sie ihm vorgestellt hast. Er wird sie sicher nicht...sie wird ihm nicht...hey, hör auf...." Vielleicht sollte er ein ernstes Wörtchen mit dem Kleinen reden. Der kapierte wahrscheinlich gar nicht, was er sich und Rinoa damit antat, so vertieft war er in Anne ... Tyler verstand zwar nicht wirklich was daran falsch war, aber er wusste schon dass Rinoa das vermutlich besser wusste als er. Ihm selbst war auch eigentlich nichts an denen aufgefallen die Anne vorher gehabt hatte ... Nur traurig ahtten sie gewirkt, dass sie nicht mehr ihre Favoriten waren. Vielleicht noch mehr als traurig? Tyler war nicht der Richtige das zu sehen.
    Natürlich konnte Tyler das nicht beurteilen. Rinoa machte ihm keinen Vorwurf dafür, dass er nicht der Beste war, wenn es darum ging Leute zu durchschauen. So war er nunmal. Doch jetzt war das eigentlich auch nebensächlich. Ihre Wut auf ihn war beinahe verraucht, so wie er sie hielt war alles, was glühte ihre Wangen, teils vor Scham, ihre starke Haltung so schnell aufgegeben zu haben, teils vor...sie wusste nicht, wovor. Seine Hand war kräftig und rieb ihr den Rücken, als würde er kein Mädchen, sondern einen Football streicheln, doch zugleich war er so warm, von innen heraus warm, dass es beinahe auf ihr Herz überzugreifen schien. Schließlich bemerkte sie, wie er, in Gedanken versunken aufgehört hatte sie zu halten und Rinoa löste sich von ihm, immernoch etwas rot angelaufen, stand aber jetzt auf. "Erstmal solltest du dich bei Nicky entschuldigen, Tyler...ich warte im Zimmer auf dich."
    Was? Hatte sie gerade von vollkommener Schwäche auf Herrin zurückgewechselt, in unter einer Sekunde? Wenn sie meinte, dass eine Entschuldigung etwas bringen würde - er wusste immernoch nicht so recht, WAS genau eigentlich los war - dann würde er das eben tun. Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen wanderte er den Weg zu Rinoas Zimmer, den kannte er auswendig, ohne von jemanden aufgehalten zu werden. Schließlich geriet er an die verschlossene Tür. Unter normalen Umständen wäre er einfach reingeplatzt, aber das waren keine - wer wusste wie viel die beiden gerade anhatten. "Nicky? Kann ich mit dir reden?", rief er also und klopfte ungeduldig gegen die Tür.
    Anne auf der anderen Seite drehte unwillig den Kopf von Nikolaj weg, dem sie gerade ein wenig am Ohr zu knabbern versuchte. Der jedoch lag größtenteils unbeteiligt auf der Seite, den Kopf an der Schulter des Mädchens vergraben. Er dachte nicht besonders an all die Möglichkeiten die sich ergaben, wenn man mit einem Mädchen in einem Bett lag. Eine Weile, bestimmt ein paar Minuten, blieb er unverändert liegen, obwohl auch er Tylers Stimme gehört hatte. Erst als Anne ihm einen kleinen Schubs gab richtete er sich langsam auf, setzte sich auf die Bettkante und glitt langsam heraus. "Los, Nicky ... Sags ihm", raunte Anne hinter ihm her, obwohl sie selbst nicht ganz wusste was. Verstimmt tappte Nikolaj auf Socken zur Tür, öffnete sie langsam und schaute unwillig heraus. Seine Haare warne völlig zerwuschelt, sein Gesicht zerknautscht, die Augen von dem Helligkeitswechsel klein und finster. Auch sein Sweatshirt und die Jeans waren faltig und kniffen Nicky unangenehm, aber er achtete nicht darauf. Stattdessen begrüßte er Tyler auf eine Weise, vor der er selbst beinahe erschrak. Mürrisch, fast knurrig. "Was ist? Lass mich doch in Frieden, Mistkerl. Mit einem Schwächling wie mir brauchst du dich doch wirklich nicht abzugeben."
    Wenn man genau hinsah konnte man trotz allem erkennen dass Nicky bei diesen Worten das Kinn ein kleines wenig zitterte, und in seinem Inneren war ihm so mulmig, dass er nicht wusste ob er nicht bald wieder weinen würde müssen. Tyler hatte schon recht, eigentlich er gar kein richtiger Junge. Verglichen mit Tyler jedenfalls.
    Alles was sich Tyler zruechtgelegte hatte während er hingegangen war, wie er ihm auf die Schulter klopfen würde, einen Witz riss. Und dann war alles wieder okay. So war es immer.
    Doch was Nicky da von sich gab brachte Tyler, den großen, kräftigen, viel stärkeren Tyler dazu, entsetzt in das verletzte Gesicht seines Freundes zu schauen. Er konnte nicht anders: Seine Kinnlade klappte auf. "Nikolaj...das hab ich doch nicht so gemeint. Klar bist du ein Kerl. He, das kommt noch - du hast noch nichtmal angefangen dich zu verändern." Trotzdem hatte er das Gefühl, dass seine Worte nur wenig brachten. Wie sehr hatte er ihm wirklich wehgetan? Er konnte überhaupt nicht einschätzen, was eigentlich so schlimm daran war ihn zu necken. Entnervt seufzte er schließlich. "Kann mir vielleicht irgendjemand mal sagen, was genau ich angestellt habe?! Darf man hier nicht einmal mehr einen Witz machen, ohne dass alle anfangen loszuheulen?!"
    Noch nicht einmal angefangen dich zu verändern? Eine Weile starrte Nikolaj einfach nur fassungslos Tyler ins Gesicht, dachte, der würde ihn schon wieder beleidigen, für einen kleinen Jungen halten, der noch nicht einmal in die Pubertät kam. Erst dann ging ihm auf dass Tyler genausogut gemeint haben konnte dass seine Fähigkeiten im Yeye noch nicht so ausgeprägt waren. Dumpf starrte er seinen Freund an, bis der zu dem Teil mit "nur einmal einen Witz machen" kam. Empört schob Nicky die Unterlippe vor, bis er erkannte dass das sehr kindisch aussehen musste. Trotzdem spiegelte es seine Enttäuschung wider, die er bei einer solchen Antwort empfand. Was dachte sich Tyler eigentlich? Ein Witz war jedenfalls etwas anderes. Grimmig schaute er zu seinem Tutor auf. "Das war kein Witz. Witze sind witzig. Außerdem wette ich dass du nicht einmal freiwillig gekommen bist."
    Die letzten Worte knurrte er nur noch während er wieder ins Zimmer hineinging und die Tür zuzog, lauter als normal, aber noch nicht richtig zugeschlagen. "Niemand von Bedeutung", teilte er Anne mit und kehrte zu ihr zurück. Hoffnungsvoll näherte sie sich ihm wieder. Vielleicht war er nach erneuter Frustration ein wenig bereiter für mehr? Doch der legte sich nur auf das Bett, quer, so dass Anne auch Platz hatte und starrte vor sich hin, während sie sich neben ihn legte und versuchte ihn zu etwas zu bringen, an das er im Moment nicht einmal dachte. Wäre sie verständnisvoller gewesen, hätte sie ihn vielleicht trösten können, doch das war sie nicht. Anne sah nur einen Jungen, der sich vollkommen seltsam verhielt und mit dem sie offenbar im Augenblick nur ihre Zeit verschwendete. Also stand sie wieder auf, lächelte ihn zuckersüß an und öffnete die Tür. "Du, ich muss noch etwas ganz Wichtiges machen. Wir sehen uns dann später, ja?" Sie stand neben der Tür, bis er draußen war, küsste ihn noch einmal kurz auf den Mund, und drehte sich dann um. Hoffentlich änderte er seine Haltung bald, sonst konnte sie gar nichts mit ihm anfangen...
    Was war nur los mit ihm? Wie konnte er einen Witz so ernst nehmen? Und selbst wenn man zugab, dass er nicht gerade der lustigste Scherz war, den er je gebracht hatte, so verstand Tyler absolut nicht, warum er ihn so breittrat. So empfindlich war er doch sonst nicht. War es die Beziehung mit Anne, die ihn dazu brachte, jeden Witz gegenüber seiner Männlichkeit als persönliche Beleidigung abzutun? Der Feueryeye war nicht fähig zu verstehen, was Nikolaj aufwühlte, also frustrierte ihn die gesamte Situation. Gerne hätte er seinen Freund einfach gepackt, auf den Trainingsplatz geschmissen und gezwungen, ihm zu zeigen, was er von ihm hielt. Nein, jemandem die Tür vor der Nase zuschlagen, das war feige. Er gab ihm nicht einmal die Chance, sich zu entschuldigen, oder auch nur zu erklären. Jetzt würde er aber erst recht nicht mehr angekrochen kommen. Wenn Nicky meinte, er brauchte ihn nicht mehr und konnte von nun an die beleidigte Leberwurst spielen, würde er einfach seine Tutorenaufgaben nicht mehr erledigen. Am Ende würde er ja sehen, wie es jemanden erging, der nicht die Immunität seiner Freundschaft genoss. Vielleicht würde ihm etwas Abhärtung ganz gut tun, um seine Überreaktion zu überdenken...?
    So kam es, dass Tyler schon fort war, als Nikolaj aus der Tür trat, ungläubig, dass ihn seine Freundin herausgeworfen hatte. Jetzt hatte an noch mehr zu nagen, und sein Gesicht drückte noch mehr Verzweiflung aus. Aber Anne hatte bestimmt einen guten Grund gehabt, da vertraute er ihr augenblicklich. Mehrere Minuten lang stand er hilflos vor der Tür zu ihrem Zimmer, wusste nicht, ob er noch einmal hineinschauen sollte oder nicht. Bestimmt würde er sie damit verärgern, dachte er sich schließlich unglücklich, und langsam führten ihn seine Schritte zurück in den Jungentrakt. Halb in der Hoffnung Tyler noch zu sehen, und halb in der entgegengesetzten, drückte er die Klinke zu ihrem Zimmer zögerlich langsam herunter, steckte den Kopf durch den Türspalt - aber er war allein im Zimmer. Wo immer Tyler und Rinoa waren, hier jedenfalls nicht. Enttäuscht rollte sich Nikolaj auf seinem Bett zusammen, kickte nur kurz vorher die Schuhe unter dasselbe. Er wusste, dass er sie irgendwann wiederholen würde müssen, aber jetzt gerade dachte er gar nicht daran. Stattdessen dachte er verzweifelt darüber nach, warum Anne ihn frotgeschickt hatte. Hatte er etwas falsch gemacht? Wollte Anne ihm nur nicht wehtun, indem sie sagte, sie hätte etwas zu tun? Auch sein Streit mit Tyler und der Zwischenfall mit Rinoa drangen in sein Bewusstsein und stürzten ihn in noch tiefere Verzweiflung, aber mehr am Rande.
    Währenddessen war sein Mentor fortgestapft, hatte kurz nach Rinoa Ausschau gehalten, dann aber einen neuen Plan gefasst. Er würde Nicky schon helfen, wieder richtig ins leben zurückzukommen. Immerhin war er sein Mentor. So schaute er mit einem Grinsen wegen er Idee, die er für völlig genial hielt, in den Aufenthaltsraum der Jungen hinein. "He, Dominik, Freddy, kommt mal ..." Mit einem Ruf hatte er die Aufmerksamkeit der beiden Gleichaltrigen, die sich von ihren Billardkameraden entfernten und zu Tyler schlenderten. Aufmerksam, in Erwartung irgendeines Unfugs grinsend, hörten sie, was der zu sagen hatte. "Hey, ich bin ja jetzt Tutor für so einen kleinen Kerl ... Nikolaj heißt der. Ziemlicher Weichling. Könnt ihr dem nicht mal zeigen, wie der Hase hier läuft? Er braucht wirklich ein bisschen ... Ihr wisst schon, cool werden, hart werden und so. Aber seid ... Na ja, passt auf, wir wollen ihm ja nicht weh tun."
    Eine kurze Beschreibung Nickys später trennten sich die drei, allesamt grinsend. Die beiden lächelten sich auf eine unergründliche Weise an, als wüssten sie schon genau, was jetzt käme; nur Tyler war sich hinter seinem Grinsen nicht hundertprozentig sicher. Was würde Rinoa dazu sagen? Aber Rinoa wusste eben nicht wie das unter Jungen so lief. Nikolaj musste das eben lernen, dann wäre er auch nicht mehr so weinerlich. Und Anne würde ihn bestimmt viel mehr lieben, die wusste schließlich, was ein echter Kerl war.
    Dominik und Freddy mussten nicht lange suchen, ehe sie den beschriebenen Jungen fanden. Niedergeschlagen hatte er inzwischen beschlossen einen Spaziergang durch die Natur zu machen, ungestört von Anderen, und vor allem ohne Tyler. Dem zu begegnen konnte ihm gerade gestohlen bleiben. Auf seinem Weg zum Wäldchen kam er am Übungsplatz der Erdyeyes vorbei. Normalerweise war es purer Selbstmord, einen Erdyeye auf diesem Gelände dumm anzumachen, das war, als würde man einer Wasseryeye im Regen einen Korb geben. Beides ging meist ungünstig aus. Natürlich war Nikolaj eine Ausnahme. Er war ein blutiger Anfänger, der noch nicht automatisch die Atemtechnik ausführte, den ein schwebender Felsbrocken überanstrengte. Er war in etwa so gefährlich (und fähig) wie ein Maulwurf. Anhand des Vergleichs kam Freddy eine Idee. Er packte Dominic bei der Schulter und deutete auf den trostlosen, die Hände in die Pullovertaschen vergrabenen Jungen. "Das ist er. Pass auf, ich habe einen Plan..."

    Knapp eine Minute später sah Nikolaj plötzlich zwei Oberstufler auf sich zugehen, die ihn freundlich anlächelten. "Hey, du musst Nikolaj Wolkow sein, oder?", fragte Freddy und nickte ihm zu. "Hab gehört du bist ein ziemlicher Anfänger. Dominic und ich haben uns gedacht, wir zeigen dir mal, was wichtig für einen Erdyeye ist, na?"
    Den verwirrten Blick des Jungen ignorierend, ebenso seine gestammelte, schüchterne Verneinung, schlang er ihm einen Arm um die Schulter und führte ihn in Richtung Schlammbecken. "Dominic, pass auf! Und du auch, Kleiner. Grundregel Nr. 1 des Erdyeyes: Sicherer Stand!" Und damit nickte er seinem Kumpel zu. Beide packten sie plötzlich die Arme des Jüngeren, drückten sie fest, obwohl er sich wehrte und etwas sagte, was von ihnen entweder nicht gehört oder schlichtweg überhört wurde. Mit brachialer Gewalt rissen sie seinen Oberkörper nach unten, doch bevor er mit dem Kopf auf den harten Erdboden aufschlagen konnte, schlossen sich ihre Hände um seine Knöchel, zogen ihm die Schuhe aus und warfen sie achtlos in den Schlamm hinein, damit sie seine Füße besser halten konnten. "Schade. Die sitzt wohl noch nicht so richtig!" So hing Nikolaj jetzt kopfüber, seine Haare wurden staubig, ab und an krachte sein Kopf auf den Boden, wenn die beiden den Halt an seinen zappelnden Füßen verloren. "Was wollt ihr von mir? Lasst mich los! Hey!" Immer wieder wiederholte er vergeblich seinen Protest, als die beiden auch noch begannen, ihn Richtung Schlammbecken zu tragen. Er war zu schwach, um aus ihren Klammergriff zu entkommen, und musste sich zu sehr anspannen, damit ihm die Arme nicht halb ausgerissen wurde, um wirklich etwas ausrichten zu können. "Grundregel Nummer 2! Fühle die Erde!" Sein Kopf schwebte nun knapp über den blubbernden, dickflüssigen Schlamm. Langsam schien dem Jungen zu dämmern, was ihn erwartete. Und er begann noch lauter zu schreien, heftiger an ihrem griff zu reißen. Doch es schien ihn niemand auf dem weiten, menschenleeren Platz zu hören.



    Re: Yeyes

    Warmonger - 28.04.2011, 16:55


    Und lockerten ihren Griff. Nikolaj, der noch den Mund geöffnet hatte, um zu schreien, verstummte augenblicklich. Bis zum Hals verschwand sein Kopf im tiefen Schlamm, während sie ihn im Kreis treten, als wäre er das groteskte Rührwekrzeug in einem Kessel. Schließlich rissen sie ihn wieder nach oben und ließen ihn einmal prusten, dann tunkten sie erneut. Immer wieder tauchten sie ihn in den Schlamm, stoppten auch nicht, als aus den Schreien Wimmern und aus dem Prusten Schluchzen wurde. "Fühlst du es, Wolkow? Du bist ungefähr so hart wie der Schlamm, Weichling. Hör auf dich an Tyler ranzuhängen, der ist weit über dir in der Nahrungskette. Also werde härter, oder du musst noch ein Weilchen baden...oh. Dominic!"
    Der andere hatte ihn aus Lachen fallen gelassen. Unsanft hatte Freddy ihn am Arm und Bein gerissen, wobei nun sein halber Körper im Schlamm lag, ebenso sein Gesicht. "Sorry..." Gerade wollte er wieder zupacken, da rauchte ein Feuerball knapp vor seinen Händen vorbei und hinterließ einen harten, trockenen Fleck knapp hinter Nickys Hand. Verwirrt blickte er auf, doch bevor Dominic reagieren konnte, riss eine Hand unsanft an seinem Kragen und zog ihn zu sich her. "Was genau verstehst du unter "Nicht weh tun"?! Bastard..." Tyler schubste ihn zurück und wandte sich mit zornigem Gesicht zu Freddy um, der Nikolaj immernoch hielt und ihn damit fast ertränkte. "Yo, Tyler...willst wohl das Ende sehen, hm? Keine Sorge, wir haben ihn nicht verletzt. Nur etwas abgeh...AH!" Eine Explosion aus Funken brach aus Tylers offener Hand, die er gegen seine Brust drückte und der Junge wurde zurückgerissen, wo er seinen rauchenden Pullover befühlte. Ein Brandfleck in Form von Tylers Hand prangte darauf. "Ich bin sein Tutor, du Vollpfosten. Der Einzige, der ihn abhärtet bin ich..." Und mit diesen Worten packte er Nikolaj am Pullover, zog ihn daran hoch. Für einen Moment sah es aus, als würde er ihn nun mit beiden Händen tief in den Matsch tauchen, doch statt zu drücken, hob er den Jüngeren mit den Händen am Oberkörper hoch und warf kurz einen Blick auf seine Füße, die nicht in Schuhen steckten. Mit einem Seufzer griff er unter seine Knie und hob ihn hoch, trug relativ mühelos das weinende, traumatisierte, schlammbeschmutzte Bündel vom Schauplatz. Als die beiden versuchten, ihnen nachzulaufen, brachen ringförmig um sie herum Flammen aus den Boden, die erst erloschen, als Tyler weit genug entfernt war, dass er Nicky gegen einen Baum lehnen konnte. "Tut mir Leid, Kumpel...Hast du...bist du verletzt?" Sorgenvoll näherte er sich ihm, unsicher, was genau er tun sollte...das ganze war ausgeufert. Und er würde sich Dominic und Freddy noch einmal zur Brust nehmen...
    Schwer atmend gab Nikolaj seinem Tutor erst einmal ziemlich lange Zeit keine Antwort. Er war zu erschüttert und zerschmettert um irgendetwas zu tun, abgesehen davon sich an den Baum zu lehnen, nach Luft zu schnappen und schließlich mit dem Ärmel den Schlamm aus dem Gesicht zu wischen. Das grüne Hoodie verdreckte fürchterlich, aber nachdem er sonst schon fast vollständig im Pfuhl gelegen hatte war ihm das auch völlig egal. Außerdem verschwanden so die verräterischen Tränenspuren. Dreck geriet in die Wunde, die Tyler geschlagen hatte, aber auch darauf achtete er nicht. Erst nach mehreren Minuten schaute er Tyler völlig verzweifelt in die Augen. Zögerlich, mühsam, drangen die Worte aus Nickys Mund, als befürchtete er damit etwas zu zerbrechen.
    "Hast ... Du ... das - das angeordnet?"
    Tyler hatte gehofft dass Nikolaj vor ein paar Minuten noch zu beschäftigt mit Schlamm spucken gewesen wäre als dass er die Kommentare der beiden Jugendlichen hätte hören können. Jetzt allerdings, eines Besseren belehrt, wusste er nicht, wie er Nikolaj seine guten Absichten beibringen sollte. Hilflos zuckte er die Schultern, druckste kurz herum, während ihn sein Freund - derjenige, den er hätte beschützen sollen - aus ungläubigen Augen anstarrte.
    "'chgehmaldeineschuheholn" oder so drang als undeutliches Gemurmel aus seinem Mund, ehe er sich umdrehte und davonging. Nach den ersten zwei Schritten verfiel er in Laufschritt, rannte beinahe vor seinem Schützling weg. Erst, als er die achtlos hingeworfenen Turnschuhe gefunden hatte drehte er wieder um, hatte keine Ausrede mehr davor, sich vor ihm zu verbergen. Beinahe schüchtern legte er die Schuhe vor Nikolaj ab, aber der hatte inzwischen begriffen. Langsam, mit niedergeschlagenen Augen, zog sich Nicky das Hoodie aus, ebenso die dreckigen Socken; Barfuß glitt er in die Turnschuhe, um die nicht auch noch zu versauen. Als er aufstand und seine Sachen unter einem Arm an sich gepresst davontrug sah er nicht zu Tyler zurück, gab ihm keine Antwort. Tyler sah es nicht, aber seine Züge waren von Angst und Abscheu vor seinem Tutor verzerrt. Die tränen hatte er inzwischen wieder unter Kontrolle, versuchte, wie jemand auszusehen, der einfach nur von einem etwas schmutzigen Training kam. Von einem sehr schmutzigen Training ...
    Es war ein Segen, dass die Duschen direkt am Eingang des Herrenhauses lagen. Ohne zu Zögern griff er sich diesmal ein Handtuch und zog sich aus; Diesmal war er allein im Duschraum, wahrscheinlich waren die meisten anderen inzwischen schon morgens drin gewesen oder noch nicht fertig mit dem Training.
    Das heiße Wasser auf dem Körper wirkte beruhigend auf Nikolaj, als er sich sorgfältig den Schlamm aus den Haaren wusch. Eine derartige Rohheit hatte er noch nie zuvor spüren müssen, und er war immer noch geschockt davon mit wie wenig Mitgefühl und schlechtem Gewissen die beiden reagiert hatten. Aber vermutlich machten sie das öfter. Nachdem er schon sauber war beschloss der Junge noch ein wenig in der Dusche zu bleiben, an die Wand gelehnt einfach das warme Wasser über sich strömen zu lassen. Dann und wann drang ein Schniefen aus seiner Kehle, wenn er wieder an Tyler dachte. Warum tat ihm der so etwas an? Und warum kam er dann wieder, um ihm zu helfen? Nikolaj verstand nicht, was den Älteren antrieb, udn wusste nicht, ob er es gut oder böse mit ihm meinte.
    Schritte wurden draußen hörbar, aber es waren ja noch genug Kabinen für jeden frei, sodass er sich eigentlich gar keine Gedanken machen musste. Dann wurde der Duschvorhang beiseitegerissen. Nikolaj stieß sich mit einem erschrockenen Schrei, der beinahe zu einem Quietschen überkippte, von der Wand ab. Freddy, immer noch mit einem Brandfleck auf der Brust seines T-Shirts, stand vor ihm, langte in die Kabine und stellte die Dusche ab. Dann kam er mit einem Schritt hinein und rammte Nikolaj mit einem Hieb gegen die Rückwand, dass auch sein Hinterkopf schmerzhaft gegen die Fliesen schlug.
    "Wegen dir kleiner Ratte hat Tyler mir mein Hemd versaut, Pisser. Wegen dir wertlosem Schwächling!"
    Er machte Anstalten, dem Jungen ins Gesicht zu schlagen, als in diesem auf einmal der Zorn hochbrodelte. Er hatte genug davon, die Puppe zu sein, auf die man einschlagen konnte, diesmal würde er sich wehren. Mit einem Aufschrei und einer zornverzerrten Fratze schlug er selbst zu, unter Freddys Deckung hindurch. Und mehrere Betonbrocken rasten hinter der Richtung seines Schlages her und schmetterten dem älteren is Gesicht. Nicht nur Zorn hatte in Nikolaj gebrodelt, auch sein Chi war bei der heftigen Reaktion geflossen wie ein Sturzbach.
    Bewusstlos brach Freddy zusammen, halb begraben unter dem immer noch von spitzen Fliesensplittern bedeckten Brocken. Blut floss in das Wasser der Dusche, mischte sich damit und floss langsam ab. Dem Jungen wurde schlecht von dem Anblick. Und der Vorstellung, den älteren vielleicht umgebracht zu haben. Unbeholfen stieg er über ihn hinweg, schlang sich zitternd das Handtuch um die Hüfte, bevor er schlussendlich, wie Espenlaub bebend, auf die Knie zusammenbrach. Was hatte er getan? Und wie?

    Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür zur Dusche wieder, als ein kleinerer Schüler hineintrat, etwas verloren noch, weil er zum ersten Mal ohne Tutor ganz alleine in die Dusche ging. Der Schock traf diesen kleinen Jungen tief, als er erst einen toten Jungen sah, der auf dem Boden lag und dazu noch einen anderen, der scheinbar soeben einen Nervenzusammenbruch hatte und auch nicht sonderlich gut aussah. Das Duschwasser lief über den ganzen Boden und spritzte unnatürlich, weil mit einigen blutigen Betonbrocken auch das Rohr verbogen war, welches das Wasser lieferte. Wie verlaufene Tinte schwamm das Blut im Wasser, zusammen mit dem Schaum des Shampoos. Das alles sah der kleine Junge...und ließ seine Badeuntensilien fallen. Schreiend verließ er den Waschraum, zog die Blicke aller Schüler auf sich, als er wie ein Irrer zum Büro des nächsten Lehrers hetzte.

    Wieder verging etwas Zeit, und letzendlich schob sich eine wurstfingrige Hand in die Tür und riss sie auf. Etwas außer Atem und von dem kleinen Jungen im Kreuz geschoben trat Professor Willsburg in den Raum. "My, my...", entfuhr es ihm in seiner Muttersprache, sein Walrossbart bibberte, als er erkannte, dass scheinbar ein ziemliches Massaker hier stattgefunden hatte. "Nikolaj, bist du das? Junge, was ist passiert?", fragte er besorgt und patschte ihm auf die nasse Schulter. In dem Moment sah er Freddy auf den Boden liegen und aus einer Kopfwunde bluten. "Tom? Renn doch bitte in die Krankenstation und sag Dr. Brandt sie soll ein Bett herrichten und uns ein paar kräftige Burschen herschicken, die Frederick in ein solches verfrachten." Er nickte dem kleinen Jungen zu, der sich sofort auf den Weg machte und ließ Nickys Hand los, um sich Freddys Wunde genauer anzusehen. "So", sagte er nur und betrachtete den Schlamm, der den Abguss verstopfte, die herausgerissenen Betonbrocken und Freddys verkohltes Shirt. "So." Er rieb sich mit einem dicken Finger das Kinn, dann nickte er. "Ja, wirklich ein tragischer Unfall. Jemanden in der Dusche zu erschrecken ist bei Anfängern purer Selbstmord. Keine Sorge, Nikolaj, er ist nicht tot, nur bewusstlos. Zieh dich an, Junge, und dann komm in mein Büro. Mit deinem Tutor, wenn du ihn findest. Dann wollen wir uns doch mal dieses Problemchen ansehen..." Mit gerunzelter Stirn besah er sich den Duschkopf, der schief aus der Wand hing. Schließlich stellte er das Wasser ab und packte mit einer Hand das Rohr. Mit einer simplen Bewegung drückte er es zurück in Form, bis es wieder absolut gerade in seiner Fassung war. Dann trat er einen halben Schritt zurück und hob eine Hand. Die Betonbröckchen hoben ab und passten sich lückenlos in das Loch ein. "Hm. Ja....bist du immernoch da, Junge? Los, tu, was ich dir sage! Husch husch!"
    Nikolaj war aufgestanden, als der Lehrer den Raum betreten hatte, bisher aber nur verwirrt zugesehen, was geschehen war. Dann jedoch half ihm der Kommandoton des Lehrers, mehr, als er sich jemals erträumt hätte. Die eindringlichen Worte schoben alles, was gerade seinen Geist blockierte, beiseite, und ließen ihn wie in Trance tun, was er verlangte. Obwohl es ihm eigentlich unangenehm war, fast nackt von einem Erwachsenen beobachtet zu werden, hatte er bisher nichts dagegen gemacht; jetzt raffte er Hose und T-Shirt auf, verschwand hinter einen Duschvorhang und zog sich schnell an. Nachdem er in seine Schuhe gestiegen war erkannte man immer noch gut genug, dass er eben in der Dusche gewesen war - Seine Haare waren tropfnass, seine Sachen weichten ebenfalls durch, weil er sich nicht abgetrocknet hatte - aber er wirkte zumindest relativ gesellschaftsfähig. Mit einem letzten Schniefen rollte er seine restlichen Sachen zu einem Bündel zusammen, klemmte es sich unter den Arm und folgte dem Professor. Nichts erinnerte mehr daran, dass er vor Minuten noch im Schlamm gelegen hatte, und wenig daran dass er soeben einen anderen Jungen ins Reich der Träume geschickt hatte.
    Auf dem Weg kam er an einigen älteren Jugendlichen vorbei, die mit ziemlich ernster Miene eine einfache Bahre trugen; Das waren wohl die, die Frederick abholen und ins Krankenzimmer bringen sollten. Nikolaj schenkten sie zu dessen großer Erleichterung überhaupt keine Aufmerksamkeit. Ohne auch nur einmal nach Tyler geschaut zu haben trat er schließlich ins Lehrerzimmer, in dem an einem Schreibtisch, alleine im ganzen Raum, der Professor saß.
    "Hab meinen Tutor nicht mehr gesehen", murmelte Nikolaj; Nicht, dass das eine Lüge gewesen wäre, aber er hatte sich auch nicht gerade Mühe gegeben.
    Dr. Willsburg erwartete Nikolaj bereits und sah auf, als der Junge in das Büro trat. "Ah, Nikolaj. Komm her, komm her. Setz dich...Möchtest du ein Pfefferminzbonbon?" Er öffnete den Deckel einer großen Dose mit gewaltigen, weißen Bonbons und lächelte freundlich. Die buschigen Augenbrauen zogen sich etwas zusammen und die dazugehörigen Knopfaugen ruhten so lange auf dem Jungen, bis er sich eines der Monster in den Mund geschoben hatte. Schließlich lehnte er sich mit all seiner Fülle in den Lehnsessel und betrachtete ihn genau. "Mein Junge, du hast offenbar dein Chi überhaupt nicht unter Kontrolle. Man kann durch großen Zorn viel Schaden anrichten. Weißt du, ich kenne Freddy sehr gut und kann zu dem, was du dir geleistet hast nur eines sagen..." Er seufzte und musterte den ängstlichen Blick Nikolajs, der soeben erwartete, jeden Moment von der Schule zu fliegen. Was gab es wohl für Strafen in dieser Schule? Wenn man jemanden bewusstlos schlug...würde man etwa mit Yeye bestraft werden? "Saubere Leistung. Freddy ist Abschlussschüler. Es verlangt viel Chi, jemanden so umzunieten! Sag, Nikolaj...gefällt dir die Philosophie des Yeye?" Dr. Willsburg lachte bei seinen Worten kurz auf und lächelte nun herzlicher denn je, beinahe väterlich. "Weißt du, wenn du Probleme mit dem Atmen hast, gibt es einen ganz anderen Weg, dein Yeye zu trainieren. Ohne zu kämpfen....das Yeye ist vor allem eine Lebenseinstellung. Beinahe eine Religion. Es ist nicht nur Atmen und Kämpfen und Lernen. Ich möchte dir etwas anbieten...sozusagen, als Ersatzstrafe dafür, dass du unseren Schulrüpel ausgeknockt hast. Du wirst nachsitzen. Bei mir. Und ich werde dir die...sagen wir...vier Mal?...etwas darüber erzählen, wie du es schaffst dich selbst ins Gleichgewicht zu bringen. Sieh es als eine Art Extraunterricht an." Der Professor stand auf und ging um den Tisch herum, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen. "Außerdem solltest du über deine Probleme sprechen. Überreaktionen münden in noch mehr Überreaktionen...so! Tut mir Leid, dass ich dich am Sonntag so lange aufgehalten habe! Jetzt aber raus, genieße den freien Tag. Ich fahre auch in die Stadt und werde ein ausgiebiges Mittagessen halten!" Grinsend nahm er noch ein Bonbon aus der Schüssel und hielt es ihm hin. "Das hier ist immer ein guter Trick, um ein Gespräch anzufangen..." Zwinkernd schloss er Nikolajs Hand darum und verließ summend, die Hände in den Hosentaschen, den Raum. Perplex blinzelnd blieb der Junge zurück. Stumm hatte er den Monolog des Professors über sich ergehen lassen, wobei seine Miene von anfänglicher Angst und Trotz über Unsicherheit bis zu Begeisterung und Erleichterung gewandelt hatten. Dieser Mann wirkte wirklich wie jemand, der ihn verstand. Eine Weise blieb er einfach stehen, dachte mit langsamen, unsicheren Gedankengängen darüber nach was gerade geschehen war, ließ es aber schließlich einfach bleiben. Stattdessen ging er schließlich lächelnd aus der Tür des Lehrerzimmers heraus, die Hand immer noch fest um das Pfefferminzbonbon geschlossen. Das, das er im Mund hatte war noch nicht einmal zur Hälfte aufgelöst. Eilig, wegen der immer noch nassen Kleidung und um möglichst Tyler auszuweichen, machte er sich auf den Weg zu seinem Zimmer, schaute vorsichtig hinein, ob de rnicht schon da war, und tat schließlich ein. Es war eine Erleichterung, als er sich aus der nassen Kleidung pellte, bis sie als unordenlicher Haufen auf dem Fußboden lag. Hoffentlich würde Tyler nicht gerade jetzt kommen, dachte Nikolaj, während er sich wieder anzog. Diesmal blieb er unbehelligt und von dem Spott seines Mentors verschont, aber alleine schon die Erinnerung daran, wie er ihn gedemütigt hatte trieb ihm schon wieder die Freude aus dem Gesicht. Als unordentlicher Haufen zwischen Tylers Sammelsurium blieb seine alte Kleidung auf dem Boden zurück, als Nikolaj wieder aus dem Zimmer lief. Sollte sich der doch darum kümmern. Die frische, noch völlig saubere Wäsche fühlte sich wunderbar auf der Haut an, als er sich auf den Weg in den Mädchentrakt machte. Ob Anne ihn wohl schon ins Zimmer lassen wirde? Und wenn ja, was würden sie heute zusammen machen? Vielleicht würde Anne ja zu einem Spaziergang mitkommen? Oder etwas zusammen lesen. Eigentlich wusste er erstaunlich wenig über Annes Freizeitvergnügen ... Oder über alles andere an ihr. Er musste dringend mehr mit ihr reden.
    Es gab noch jemanden, der dringend mit Anne reden wollte, doch dieser jemand tat das weniger, um sich für über ihre Freizeitinteressen schlau zu machen, sondern eher, um eine ganz bestimmte dieser Interessen einzudämmen. Es war kein Geheimnis, dass Annes Hobby Jungs waren, alle Arten von Jungs, hauptsache hübsch. Und genausowenig war es ein Geheimnis, dass sich Rinoa für nichts weniger interessierte. Demensprechend stießen hier zwei völlig grundsätzliche Meinungen aufeinander, als die Wasseryeye die Feueryeye zur Rede stellte. Unmissverständlich hallte ihr Streit durch den Mädchentrakt, und letzendlich waren sie am Ende genauso weit wie zuvor, saßen sich schweigend auf ihren Betten gegenüber. Anne sah nicht ein, dass sie Nicky in Ruhe lassen sollte, im Gegenteil. Sie schien geradzu amüsiert über die Vorstellung, ihn zu ihrer Marionette machen zu können...Gerade wollte Rinoa genau das ansprechen, da öffnete sich die Tür und Nikolaj trat ein, ein wenig verschüchtert, als er die beiden Mädchen so auf den Betten sitzen sah. "Hallo, Nikolaj!", sagte Rinoa, lächelte ihm zu, krabbelte über das Bett und beugte sich über das Aquarium mit den Schildkröten, um sie zu füttern, dabei ließ sie ihm zugleich auch etwas Platz, um sich neben sie zu setzen. Anne hingegen rollte nur an die Wand, rückte dabei ebenfalls und kicherte ihn an. "Hey, Nicky! Hab dich schon vermisst, komm doch her!" Einladend klopfte sie neben sich auf die Bettdecke, ein verführerisches Grinsen im Gesicht. Auf einmal kam sich Nikolaj wie in einer Schmierenkomödie vor. Er? Sich zwischen zwei Mädchen entscheiden? Meine Güte, diese Schule hatte seine Männlichkeit aber schnell vorangebracht. Beinahe war der Gedanke belustigend, aber Nikolaj war gerade gar nicht lustig zumute. Rinoa? Sie war seine Freundin, sicher ... Aber vorhin das? War sie auf seiner Seite? Sie hatte mit Tyler geschimpft, das war schon gut so ... Mit einem verwirrten Stirnrunzeln sah Nicky zwischen den beiden hin und her. Dann siegte die Vernunft über irgendwelche Zwistigkeiten. Bei Anne würde er bleiben, also musste er zuerst bei Rinoa vorbeischauen, oder sie zumindest begrüßen. Unsicher, wie schwankend, wandte er sich seiner ursprünglichen Freundin zu. Seiner ... Bekanntschaft. Die Freundin saß ja drüben, so gesehen. Langsam ging er zu Rinoa, sah sich dabei nach Anne um, ob es ihr auch recht war, und als ihr missbilligender Blick ihm nicht scharf genug vorkam tat er die letzten Schritte. "Hey, Noa. Nette Schildkröten hast du da."
    Mit einem leichten, verschränkten Händedruck begrüßten sie sich, aber Nicky löste ihn eher als Rinoa erwartet hatte. Die Hand noch in der Luft musste sie zusehen, wie der Junge sich mit einem entschuldigenden Lächeln umdrehte und unter dem strafenden Blick Annes beinahe zusammenzuckten. Eine kleine Zornesfalte auf ihrer Stirn zeugte davon, was sie von Nikolajs Begrüßung hielt, aber ihr Mund lächelte immer noch. Mit einem kleinen Hüpfer knieten Nicky sich zu ihr aufs Bett, streifte mit den Füßen die Schuhe ab und schwang sich neben Anne. Sofort umarmte ihn diese, streichelte ihn sanft, zog ihn näher zu sich. Beinahe verlor Nicky das Gleichgewicht, als er ein Knie umsetzen musste, so sehr verlangte sie, ihn an sich zu drücken. Mit einem einzigen, geschickten Griff zog sie ihn den Zipper des grasgrünen Hoodies von oben bis unten auf, glitt mit den Händen in die Ärmeln, um es ihm auszuziehen. Und Nikolaj half schließlich mit, glitt aus dem Sweatshirt und ließ es hinter sich fallen. Sein bittender Blick an Rinoa brachte sie schließlich dazu aufzustehen und bit einem traurigen, bitteren Blick den Raum zu verlassen; Das letzte, was sie sah, war, wie Anne ihm mit einer Hand unters T-Shirt glitt und mit der anderen die Umrisse seiner blauen Socke nachfuhr, das letzte was sie hörte sein sich beschleunigender Atem ...
    Rinoa hatte gar keine Zeit, sich verletzt zu fühlen. Sie war entsetzt, geschockt, angeekelt, aber nicht verletzt. Hatten Nikolaj und Anne sie gerade tatsächlich aus ihrem Zimmer geekelt, indem sie übereinander hergefallen waren? Na ja, wohl eher Anne über ihn. Aber er hatte sich ja nicht gerade gewehrt, hm? Eigenartigerweise versetzte das Rinoa einen Stich unbekannter Herkunft. Warum ließ er sich nur so leicht manipulieren...mit Sicherheit kam dieses Stechen nur, weil sie sich um ihn sorgte. Ganz sicher. Was auch sonst? Mit langsamen Schritten spazierte Rinoa aus dem Mädchentrakt, unsicher, was sie nun tun sollte, wo sie doch effektiv vertrieben wurde. Sie könnte in die Bibliothek gehen, für Montag lernen, doch eigentlich hatte sie wenig Lust dazu. So wanderte eine Weile durch das Gelände ins Grüne. Sie mochte Spaziergänge. Allerdings brachten sie jene auch immer dazu nachzudenken. Während der Wind um ihren Rock blies und sie über die Erdyeyegelände wanderte, musste sie unwillkürlich an Nikolaj denken. Wie er sie kaum angesehen hatte. Konnten sie nicht mehr befreundet sein, weil sie ein Mädchen war? Für Anne war das sicher ein großes Problem, sie war herrschsüchtig und manipulativ. Wieso hatte sie nur gedacht, es wäre eine gute Idee sie mit auf die Party zu bringen? Sie wollte Nicky nur...aufheitern, nicht in die Fänge eines Biestes werfen. Es war alles ihre Schuld...."Ich bin eine Idiotin...", murmelte sie vor sich hin und schaute zu Boden, ohne auf die Umgebung zu achten.
    "Sicher kein größerer als ich..." Tylers Stimme, belegt, so vollkommen ungewohnt, ließ sie aufschrecken. Der große, blonde Junge kam auf sie zu und nickte, mit hängenden Schultern und in die Hosentaschen gesteckten Händen. Noch nie hatte sie ihn so niedergeschlagen erlebt. "Ich hab alles noch schlimmer gemacht."
    Weg war die melancholische Stimmung. Misstrauisch schaute Rinoa nach oben, in Tylers mehr als nur schuldbewusstes Gesicht. "Was genau hast du getan...?"
    "Ich nichts! Aber ich war sauer, weil Nicky mir nicht vergeben hat. Also hab ich Freddy und Dominic...na ja. Sie haben Nicky mit dem Kopf in den Schlamm getunkt. Ich hab ihn wieder rausgeholt, aber er ist weggelaufen, weil ich ihnen gesagt habe sie sollten ihn härter machen..."
    "Du hast WAS?"
    "Es war nur ein Streich! Irgendwie...hast du ihn gesehen? Will mich entschuldigen..."
    Schnaubend wechselte auch die Wasseryeye nun die Richtung, möglichst weg von diesem rücksichtslosen Trampel. "Ich fasse es nicht. Er ist ohnehin schon völlig instabil, wegen Anne, aber du musstest ihn auch noch...grah! Du...nah!"
    "Rinoa! Warte! Ich dachte du könntest mir..." Sie hörte wie Tyler hinter ihr herlief und ignorierte ihn verbissen. Erst zerstörte er Nikolajs Gefühle, dann ließ er ihm schreckliche Dinge antun..."Verschwinde! ich rate dir sofort zu verschwinden, oder ich werde dich hier auf der Stelle verflüssigen..." Sie wandte sich um und setzte sich an einen Baum, mit verschränkten Armen starrte sie Tyler so lange an, bis der verschwand. Alles war hin. Sie musste dringend eine Lösung finden, um das Disaster wieder zu ordnen...nur welche...
    Während Rinoa sich den Kopf über ihre völlig zerstört scheinende Beziehung nachdachte und dabei hin und wieder eine heimliche Träne vergoss, war Tyler inzwischen auch am Ende seiner Weisheit. Der Tatendrang, der vor kurzem erst unglaublich nach hinten losgegangen war, war geschwunden, zum Besseren oder zum Schlechteren. Vermutlich zum Besseren - noch so eine Aktion würde vermutlich den Weltuntergang auslösen, oder etwas in der Art. Und abreagieren musste er sich jetzt erst einmal alleine, noch einmal mit anderen Schülern zusammenzustoßen würde vermutlich ebenfalls nur in ruinierten Gesichtern enden, so wie er jetzt drauf war.
    Niemand sah ihn, und wenige begegneten ihm, als er im altersschwachen Van von der Schule zum Dorf bretterte, und die wenigen wichen hastig so weit sie konnten an den Straßenrand aus. Tyler wusste, dass er für diesem Ausflug vielleicht richtig Ärger bekommen würde, aber er brauchte ihn einfach. Einmal aus der ganzen Chose herauskommen, den Kopf freibekommen, vielleicht eine Idee bekommen, die nicht gleich eine Freundschaft ruinierte. Vielleicht eine, die sie stattdessen wieder flickte. Vielleicht eine, wie er sich bei Nikolaj entschuldigen konnte, oder ihm zumindest einen Gefallen tun. Und Rinoa, die war ihm inzwischen auch böse, und Tyler konnte es ihr nicht einmal richtig verdenken. Er parkte den Wagen in einer Seitengasse, stieg aus und wanderte ziellos durch die Straßen. Nichts von dem, was er normalerweise hier tat, wollte ihn heute reizen. Schließlich blieb er frustriert auf der Treppe vor dem Rathaus sitzen. Nur ein Gefallen, den er Nicky tun konnte, wollte ihm einfallen, und das war auf den Turm des Rathauses zu steigen und sich herabzustürzen. Das Gesicht in den Händen vergraben blieb er eine lange Zeit einfach so sitzen, dachte darüber nach, was er getan hatte - und wie er sich dafür entschuldigen konnte. Jede Vorstellung, in der auf Nikolaj zuging, wirkte so kraftlos und beinahe wie Spott, wenn er recht bedachte, was er seinem Schützling angetan hatte. Rinoa. Rinoa wusste viel besser, was den Kleinen bewegte. Er musste dafür sorgen, dass Rinoa wieder mit ihm redete. Wieder einmal begann er durch die Straßen zu streifen, diesmal aber auf der Suche nach etwas, das er Rinoa mitbringen könnte, um sie zu versöhnen. Eine Kiste Bier? Das war immerhin die Universallösung. Kurzentschlossen lief er zum nächsten Supermarkt und kaufte eine Kiste. Erst, als er stolz wieder auf die Straße trat, fiel ihm ein, dass Rinoa gar nicht trank. Unschlüssig blieb er einfach vor dem Supermarkt stehen und runzelte angestrengt die Stirn. Schließlich drehte er schulterzuckend wieder um und tauschte Neun der zwölf Flaschen wieder um. Er liebte Rinoa, aber er verstand sie nicht einmal richtig. Von den drei Flaschen, die er dennoch hatte, ermutigt ging er wieder auf die Suche, und das ungewöhnlich ausdauernd. Das Bier hielten ihn über Wasser, bis die Sonne sich schon rot färbte und Anstalten machte, sich dem Boden zuzuneigen - dann allerdings verließ ihn langsam der Mut. Mit hängenden Schultern machte er sich auf den Weg zurück zum Wagen. Im letzten Moment, an der letzten Ecke, die er umrunden musste, sah er es.
    In einem kleinen, ziemlich exklusiven und versteckten Juweliersgeschäft lag ein kleines Herz aus Saphir, mit einem Einschluss eines grauen Minerals, de rmitten hindurch ging. So geschickt hatte der Juwelier das Stück geschliffen dass es aussah, als sei das Herz an dieser Stelle gebrochen. Kurzentschlossen, vom Bier befeuert, stürmte Tyler in den Laden und kaufte es. Der Besitzer des Ladens lächelte auf eine Weise wissend, die Tyler hätte ahnen lassen dass er genau wusste warum er das kaufte - wenn er denn aufmerksam genug geween wäre es zu bemerken. Erst, als er wieder auf der Straße stand, fiel ihm ein, dass er gerade sien Konto überzogen hatte.
    Egal.
    Rinoa wurde es allmählich zu dumm kochend vor Wut am Baum zu sitzen, doch leider waren alle ihre Freunde verschwunden oder anderweitig...beschäftigt. Sie hatte auch keine Lust zu ihren Freundinnen zu gehen, welche ohnehin nur Jungs im Kopf hatten - und genau daran wollte sie im Moment am wenigsten denken. Am besten, sie lenkte sich ab. Und der geeigneteste Ort dafür war die Bibliothek. Es dauerte nicht lange, bis das Mädchen an ihren Lieblingsort angekommen war und zwischen den hohen Regalen stand. Es roch nach Druckerschwärze und dem nebligen Parfüm der Bibliothekarin, aber sie liebte diese Gerüche. Die Stille, die nur durch das Seitenrascheln durchbrochen wurde...Tief in einen Sitzsack gekuschelt, einen dicken Wälzer auf den Knien, machte sie es sich erst einmal gemütlich. Was half besser, von einer schlimmen Wirklichkeit abzutauchen, als direkt in eine andere zu gehen? Rinoa würde jetzt in eine Welt reisen, in der Zauberei etwas Besonderes war...schmunzelnd rieb sie eine der Seiten zwischen ihren Fingern. Wie komisch es doch war, dass man solche Dinge wie Streits nicht aus der Welt schaffen konnte, obwohl man die Macht hatte, die gesamte Bibliothek unter Wasser zu setzen...
    Irgendwann kam auch Tyler, stolz über seine Tat, wieder zurück auf das Internatgelände, fand aber Rinoa nicht mehr dort vor, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Das Herz in der Hand, um es nicht durch eine löchrige Tasche zu verlieren, lief er einige Orte ab, eher er zu seinem absolut unangenehmsten Ort in der ganzen Akademie kam: Die Bibliothek. Tyler kam sich in dem ruhigen Zimmer, vollgestopft mit den geistigen Hinterlassenschaften großer Denker dumm vor. Außerdem war es dort doch wie in einem Gefängnis. Man durfte nicht laut sein, nicht lachen, nicht scherzen. Alles war dort viel zu ernst. Aber da es der Lieblingsplatz seiner Freundin war, musste sie dort sein. War sie doch eigentlich immer. Auf leisen Sohlen trippelte Tyler durch den Raum und hielt nach ihr Ausschau, bis er sie in einem Sitzsack fand, wo sie tief in ein Buch versunken war. Ihre Haare waren etwas verstruwwelt, weil sie sich stets hindurch fuhr, wenn sie in ihr Gesicht hingen und sie dabei störten, dem Buch sein Geheimnis zu entlocken. Der Feueryeye schlich weiter und ging in die Knie knapp neben dem Sitzplatz. Bevor das Mädchen ihm sagen könnte er solle verschwinden, legte er ihr das Juwel in den Schoß und lächelte sie breit an. "Tut mir Leid..."
    Trotz ihres ruhigen Wesens schoss Rinoa die Zornesröte ins Gesicht. Wagte es dieser Trottel schon wieder, hier aufzutauchen, nachdem sie ihn gerade erst fortgescheucht hatte? Nachdem er ihr und Nikolaj den Tag - ja, ihm vielleicht sogar das Leben - verdorben hatte? Ihr Mund verzog sich zu einem schmalen Strich, und Tyler zuckte vor ihrer plötzlich zu einer Ohrfeige erhobenen Hand zurück. Dann beruhigte sie sich allerdings sofort wieder. Er kam nicht ohne Grund wieder ... Na gut, vielleicht schon, aber dann konnte sie ihn immer noch schlagen. Langsam senkte sie ihre Hand wieder und setzte eine etwas neutralere Miene auf.
    "Warum bist du zurückgekommen? Nur um mich anzugrinsen und zu sagen es täte dir leid, alles derart zu ruinieren?"
    Sie sagte das weniger aggressiv als vielmehr müde, als wollte sie Tyler nur darauf hinweisen wie paradox das sei. Enttäuscht verlor diese die ganze Freude an seinem erneuten Versuch, sich mit Rinoa zu versöhnen. Er dachte schon darüber nach, einfach wieder zu verschwinden, als die Wasseryeye endlich das kleine Herz in ihrem Schoß bemerkte. Er hatte an mehr gedacht als nur ein halbherziges "tut mir leid", und von dem bisschen Sachverständnis, das Noa hatte, musste dieses Herz ziemlich teuer gewesen sein. Und außerdem musste es doch weitergehen, sie konnten nicht einfach ewig herumzanken. Vor allem nicht, wenn Nicky ihre Hilfe brauchte. Mit einem Schniefen stand Rinoa auf, hielt Tyler am Hemdzipfel zurück. Fragend wandte dieser sich ihr wieder zu - und fand ihren Kopf an seine Brust gelehnt, in seinem Shirt Schluchzer erstickend. Vorsichtig, zärtlich, umarmte Tyler seine Freundin. Er wusste, dass er mehr Glück gehabt hatte als er verdiente - und dass jeder Preis, den er gezahlt hatte, ein ziemlich geringer gewesen war.

    Nicht nur Tyler und Rinoa wurden in diesem Moment glücklich miteinander. Viel eher als jemals gedacht hatte Anne es geschafft, ihr neuestes Opfer ins Bett zu bringen, und beide genossen das anscheinend ausgiebig. Es wunderte das Mädchen allerdings, wie wenig Interesse der Braunhaarige an ihrem Körper zu haben schien. Normalerweise waren es bei diesem ... Verhältnissen die Jungen, die sich kopfüber in eine Sache hineinstürzten, die ihnen dann über den Kopf wuchs. Dass jemand einfach nur auf körperliche Nähe, Trost und Liebe aus sein könnte kam ihr gar nicht in den Sinn. Nikolaj indes, nur noch in Boxershorts und Socken an das Mädchen in Unterwäsche gepresst, wusste genau, was dieses eigentlich von ihm erwartete, was er eigentlich tun sollte. Er wusste auch, dass es ihm vermutlich gefallen würde, aber seine Erziehung hielt ihn immer noch davon ab. Er war schließlich nicht umsonst Katholik. So konnten sie beide nicht mehr machen als unschlüssig nebeneinander zu liegen und zu warten. Anne wollte Nikolaj nicht ansprechen, weil das Ganze ihr einfach absurd erschien, und Nikolaj war mit der Situation eigentlich ganz zufriedne, froh darüber, dass Anne keine Vorstöße machte. Und irgendwann hörte Anne seinen Atem langsamer gehen, regelmäßiger. Nikolaj war in ihren Armen eingeschlafen, geborgen und warm, wie ein kleines Kind, das Trost suchte. Für einen Moment fühle sie einen merkwürdigen, gänzlich ungewohnten Stich in ihrem Herzen. Bald jedoch beruhigte sie sich wieder, drückte Nikolajs warmen Körper an sich, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Als sie sich bewegte, spürte sie, dass sie ihn zumindest nicht völlig kalt gelassen haben konnte ... Gut.

    Es war ein sehr ungewohntes Erwachen für den Sechzehnjährigen, in den Armen eines Mädchens, anstatt im Schlafanzug nur in Boxershorts. Mehr als eine Minute lang blieb er, wie er erwacht war, Annes Arm unter sich, ihren Körper halb auf ihm liegend. Dann begann er vorsichtig - die Situation wurde ihm doch zu unbehaglich - sich unter seiner Freundin hervorzuarbeiten, sehr langsam und vorsichtig, um sie auf keinen Fall zu wecken. Für ihn sah Anne wie ein Engel aus, mit ihrem langen Haar über die Kissen gebreitet wie ein Heiligenschein, dem weichen Körper, der sich so perfekt in die Kissen schmiegte - und an ihn! - und dem Lächeln auf ihren Lippen. Eine Weile betrachtete er sie staunend, dann bückte er sich vorsichtig nach seinen Sachen, streifte sich die Jeans über, zog dann das Hoodie über, ohne den Reißverschluss zu schließen. Sein T-Shirt fand er gar nicht erst, anscheinend lag es noch irgendwo im Bett. Auf der Suche danach drehte er sich schließlich auch zum anderen Bett um, Rinoas Bett - aber sie war nicht da, hatte den Raum anscheinend schon wieder verlassen. Falls sie überhaupt hier geschlafen hatte. Mit einem Stirnrunzeln wollte er aus dem Raum schleichen, hob eben seine Schuhe auf, als sich die Tür geräuschlos öffnete und Rinoas übermüdetes Gesicht hereinschaute. Beinahe wäre Nikolaj mit ihr zusammengestoßen, als er sich aufrichtete, und hektisch versuchte er mit einer Hand den Reißverschluss hochzuiehen, während ihm beinahe die Schuhe aus der Hand fielen. Schließlich gab er es auf und sah seiner Freundin einfach nur unschlüssig ins Gesicht - senkte den Blick, starrte verunsichert auf seine Socken. Ob sie es ihm übel nahm, dass er so viel Zeit mit Anne verbrachte? Dass sie wegen ihm an einem anderen Ort schlafen musste?
    "Kann ich vorbei?", flüsterte er schließlich mit rauer Kehle.
    Eigentlich hatte Rinoa vor, Nikolaj die kalte Schulter zu zeigen, nachdem sie schon in seinem Bett hatte schlafen müssen, neben einem schnarchenden Tyler und gegen alle Regeln im Jungentrakt. Man hatte sie angestarrt, als sie nach draußen gegangen war, als wären ihr zwei Köpfe gewachsen. Und dann hatte das Gepfeife begonnen. Tyler, der wie ein Stein geschlafen und nichts mitbekommen hatte war da eher hinderlich. Doch so wie er jetzt dastand, traurig und obenrum beinahe nackt, tat er ihr plötzlich Leid. Das musste für ihn noch viel komischer gewesen sein als für sie. Rinoa, die gerade von draußen kam, wollte schon zur Seite gehen, nachdem er sie anflüsterte, doch dann blieb sie stehen und lächelte. "Hey, so sicher nicht. Zieh dich erstmal anständig an, Nikolaj. Ist es so nicht etwas kalt...?", fragte sie spöttisch und drückte ihm wie um das zu beweisen kichernd die von draußen kalten Hände auf den freiliegenden Bauch. Als dieser zurücksprang, als hätte sie ihm Eiswürfel in die Hose geworfen und die Schuhe auf dem Schrank legte, um sich panisch den Reißverschluss schließen zu können, damit er gegen einen erneuten Angriff gewapnnet war, grinste sie ihn an und suchte im Zimmer nach Nickys verschollenem T-Shirt. Eigentlich konnte das doch gar nicht so weit weg sein? Ohne daran zu denken, warum er es überhaupt ausgezogen hatte, oder eher, krampfhaft darauf bedacht diese Gedanken zu ignorieren, gelangte sie schließlich zur schlafenden Anne, die genau auf dem Teil lag. Stirnrunzelnd zog sie es relativ unsanft hervor, doch mehr als ein leises Schnarchen kam nicht von dem Mädchen. Mit dem Kleidungsstück in der Hand kam sie zu Nikolaj zurück, der sie ansah, als wolle sie ihm an die Gurgel. Vielleicht fürchtete er sich nur vor einer weiteren Frost-Attacke. "Los, ausziehen."
    Der Blick, der Rinoa entgegenschaute, ließ sie selbst ein wenig rosa anlaufen. "Ich meine, den Hoodie. Du willst doch nicht so gehen, oder?"
    "Eigentlich ..."
    "Komm!" Obwohl man ihm ansah, dass es Nikolaj überhaupt nicht behagte, sich so vor Rinoa zu entblößen, schälte er sich aus dem Pullover, indem er versuchte soviel wie möglich bedeckt zu halten. So wie er herumwerkelte kam es, wie es kommen musste: Irgendwann hatte er sich hoffnungslos verheddert. "...Noaaa..." Ein Brummeln aus den Tiefen des Knotens über seinem Kopf brachte die Wasseryeye zum Kichern. Es hörte sich an, als wäre Nikolaj gerne im Boden versunken. Amüsiert seufzend kam sie auf ihn zu und zog ihm gerade den Kragen über den Kopf, als sie ein Räuspern hörten. Erstarrt wie sie waren, höchstens zwei Zentimeter voneinander entfernt, mit über den Kopf erhobenen Armen, der Hoodie noch an Nickys Ellbogen (warum hatte er eigentlich nicht einfach den Reißverschluss geöffnet...?...), wandten sie ihre Köpfe zu Anne, die sie ziemlich schräg ansah. "Nikolaj, was machst du da?!" Beinahe gleichzeitig ließen die beiden ihre Arme fallen, der Junge hob sie gleich wieder vor die Brust, als könnte er so verbergen, was passiert war. "Ich habe ihm nur geholfen, Anne...Das T-Shirt..." Rinoa hüstelte, drückte Nicky das Shirt gegen die Brust. Dieser verstand und zog es sich eilig über, doch Anne sah ganz und gar nicht begeistert aus. Wie ein Dompteur mit der Peitsche, schnalzte sie abfällig mit der Zunge und klopfte auf das Bett neben sich. Immernoch verlegen und augenrollend griff sich Rinoa frische Kleidung und ein Handtuch - sie hatte ohnehin nur duschen wollen...Schnell verschwand sie aus dem Raum, ließ Nikolaj nur ungern bei einer bedrohlich wirkenden Feueryeye zurück. Und auch Nikolaj wurde nicht unbedingt gerne zurückgelassen. Es war ihm unangenehm, wie böse Anne ihn ansah, aber kurz darauf lächelte sie schon wieder, den Grimm nur noch in den Augen versteckt. Nach nur kurzem Zögern setzte sich Nikolaj in Gang, schob sich vorsichtig neben seiner Freundin aufs Bett und setzte sich neben sie. Ein versöhnliches Lächeln später wollte er gerade zu einer Erklärung ansetzen, wie es zu der Szene eben gekommen war, aber Anne ließ ihm gar keine Zeit dazu. Sofort zog sie ihn an sich, einen Arm um seine Taille gelegt, und während sie mit der anderen Hand seine im Schneidersitz angezogenen Füße streichelte unterbrach sie ihn mit einem verführerischen, verständnisvollen Raunen in seinem Ohr.
    "Ich nehms dir ja nich übel, aber lass dich besser nicht mit Rinoa ein. Sie ist zwar ein ganz nettes Mädchen, aber wenn man sie erst einmal richtig kennen gelernt hat ziemlich hinterhältig ... Und außerdem eine Arschkriecherin bei den ganzen Lehrern."
    Ein trauriger, betroffener Blick kam in Nikolajs Züge, als er Anne so über seine erste Freundin an dieser Schule schimpfen hörte, aber er widersprach nicht. Los wollte er dennoch - er wollte zumindest einmal darüber nachdenken, was Anne gerade gesagt hatte. Nachdem er noch ein wenig Löcher in die Wand gestarrt hatte, währned Anne ihn streichelte, fiel ihm etwas ein - etwas so Wichtiges sogar, dass er gleich aufsprang.
    "Heute ist doch wieder Schule! ich muss los, Anne ... Wir sehen uns danach, ja?"
    Mit einem Schmollmund und einer Kusshand verabschiedet, durfte Nikolaj das Zimmer schließlich verlassen. Dürfen war hier wohl genau das richtige Wort, fand Rinoa, denn Anne würde schon noch zeigen, was sie duldete, und was nicht. Sie sah ihren Freund gerade aus der Tür kommen, als auch sie die Dusche verließ, frisch eingekleidet und wasseryeyetypisch vollkommen trocken. Mit einem Lächeln begrüßte sie ihren Klassenkameraden. Nun, er teilte zumindest einige Kurse mit ihr. Ob er wohl auch in denselben Kursen wie Anne war? Rinoa runzelte missbilligend die Stirn, als er an ihr vorbeiging, ohne ein weiteres Wort. Vermutlich schämte er sich zu sehr wegen des Augenblicks von vorhin. Aber er war auch wirklich eigenartig gewesen. Wieso war sie eigentlich rot geworden? Egal. Eilig, um ihn doch noch einzuholen, schnappte sie sich ihre Tasche aus dem Zimmer, Anne ignorierend, und rannte hinter ihm her, wobei die Bücher schmerzhaft gegen ihren Oberschenkel klatschten. "Nicky!", rief sie, packte ihn an der Schulter und atmete tief durch. "Magst du neben mir sitzen?", fragte sie ihn, leicht lächelnd, und suchte Augenkontakt. Am ersten Tag hatten sie sich doch auch einfach nur in die Augen schauen müssen, dann war alles gut gewesen. Wieso sollte ein Mädchen ihre Freundschaft vernichten können? Mädchen und Junge konnten doch auch so gute Freunde sein ... oder nicht? Zuerst dachte sie dass vielleicht doch nicht, so wie Nikolaj sie ansah. Irgendwie kritisch, so als ob er erwartete, Anne zu sehen anstatt Rinoa. Dann aber lächelte er wieder verstohlen, so, wie er sie immer angelächelt hatte, und ging neben ihr weiter.
    "Klar, warum nicht? Haben wir doch vorher schon, oder?"
    Er wusste nicht genau, was Anne dazu sagen würde, aber er hatte ja schon von Anfang an mit Rinoa Freundschaft geschlossen. Anne konnte das nicht einfach abtun, sie musste sich irren, was Rinoa anging. Unfehlbar war sie ja auch nicht, oder?
    Sie unterhielten sich locker über den Unterricht, und Rinoa erzählte Nikolaj von den Lehrern, die sie heute haben würden, aber in jeder Sekunde sah sie gleichzeitig irgendwie ein wenig besorgt aus, als würde gleich jemand tot umfallen. Erst, als sie nebeneinander auf den Stühlen im Klassenraum saßen und eine lärmende Menge von Schülern um sie herum war entspannte sie sich wieder völlig. Es war kein besonders aufregender Unterricht, Mathematik, aber sich, während der Lehrer vorne seine Monologe schwang, leise mit Rinoa zu unterhalten und von ihr Hilfe zu bekommen, war beinahe angenehm. Glücklich darüber dass Nikolaj anscheinend noch ganz normal war strahlte Rinoa vor sich hin. Schließlich unterbreitete sie ihm die Idee, die sie sich zusammen mit Tyler letzte Nacht noch ausgedacht hatte, um ihn wieder von Anne loszueisen.
    "Hey, Nicky ... Heute steigt doch die Party, von der Tyler schon erzählt hat. Vielleicht findest du da noch ein paar Freunde mehr ... Mit deinen coolen Kampfspuren im Gesicht bestimmt."
    Man merkte ihr an, dass sie das Letzte nicht ganz ernst meinte, aber hinter dem scherzhaften Ton versuchte sie ihre Anspannung zu verbergen. Würde das Ganze klappen wie geplant und Nicky ein wenig von Anne loskommen? Wenn das so weitergehen würde, würde Anne bald seine ganze zeit einnehmen.
    Schon wieder eine Party? Nikolaj war in innerhalb einer Woche auf mehr Parties gegangen, als in seinem ganzen Leben. Früher hatte man es häufig versäumt ihn einzuladen. Meistens. Wer wollte schon mit einem Langweiler wie ihm abhängen? Offenbar wollten Tyler und Rinoa es und ganz sicher auch Anne. Es würde sicher lustig werden mit ihr. Er konnte zwar nicht tanzen, aber letztes Mal war es doch auch ein voller Erfolg gewesen. Die Szene im Treppenhaus, die durch seine Gedanken tigerte, brachte ihn dazu breit zu grinsen und nicht einmal Rinoa schaffte es, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch sicher würde sie es einfach darauf schieben, dass er aufgeregt war. Neue Freunde zu finden war schließlich immer ein Abenteuer. Sie lächelte zurück und wandte sich wieder dem Unterricht zu - es behagte ihr ohnehin nicht wirklich ständig mit jemand anderen zu sprechen, während der Lehrer redete. Sie knetete etwas an ihren Händen herum, damit Nicky nichts sah, was ihn auf die Spur brachte, dass sie etwas plante. Leider war sie so vollkommen ehrlich und eine miese Lügnerin. Würde er etwas ahnen und sie fragen, musste sie ihm die Wahrheit erzählen. Sie konnte nicht so unverschämt lügen wie Tyler. Tyler! Gerade als ihr der brillante Einfall kam, stand sie auch schon auf und packte ihre Sachen zusammen, denn es läutete genau im rechten Moment. "Wir sehen uns später!", rief sie und verschwand auch schon aus dem Zimmer. Ihn allein zu lassen gefiel ihr zwar auch nicht, aber es war ja nur zu seinem Besten. So wie alles, was sie tat. Ob er das wohl irgendwann verstehen würde?
    Immerhin hatten beide weiterhin Unterricht, sodass Nikolaj zumindest nicht auf Anne stoßen würde. Die war nämlich sitzen geblieben und hatte iene Stufe tiefer Unterricht. Aber Nikolajs Gedanken waren bei ihr - meistens. Die Aussicht auf eine Party, nur für ihn, lenkte ihn doch ein wenig ab. Sein Leben hatte einen Kickstart genommen seit er hier am Internat war. Mit Gedanken an die Feier verträumte er den Unterricht, ohne groß mitzuarbeiten, gerade so viel wie nötig. An seiner alten Schule war er aufmerksamer gewesen, aber vielleicht würde sich das noch gbeen, wenn er sich erst einmal eingelebt hatte - hoffte Nikolaj jedenfalls, der ein wenig um seine Noten fürchtete. Nach der sechsten Stunde beeilte er sich, zurück in sein Zimmer zu kommen - in das, das er mit Tyler bewohnte. Immerhin waren hier noch seine Schulsachen, und während er den Schultag einmal ohne Schreibzeug durchgestanden hatte wollte er doch zumindest die Hausaufgaben machen. Vorsichtig öffnete er die Tür und sah nach, ob Tyler schon da war. Er war immer noch sauer auf ihn. Aber andererseits wollte er sich vielleicht doch noch einmal entschuldigen? ... Nikolaj jedenfalls wollte nicht die ganze Zeit mit ihm im Streit liegen. Und dann war da noch die Party. Rinoa alleine hatte die doch sicher nicht vorbereitet.



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