Unter Dieben

Unbesiegbar
Verfügbare Informationen zu "Unter Dieben"

  • Qualität des Beitrags: 0 Sterne
  • Beteiligte Poster: Grimbor
  • Forum: Unbesiegbar
  • aus dem Unterforum: Geschichten, Erzählungen, Überlieferungen
  • Antworten: 3
  • Forum gestartet am: Sonntag 19.08.2007
  • Sprache: deutsch
  • Link zum Originaltopic: Unter Dieben
  • Letzte Antwort: vor 13 Jahren, 7 Monaten, 27 Tagen, 9 Stunden, 53 Minuten
  • Alle Beiträge und Antworten zu "Unter Dieben"

    Re: Unter Dieben

    Grimbor - 07.08.2010, 14:52

    Unter Dieben
    Wachoffizier Jaxon mochte die Altstadt nicht. In der Tat war sie ihm das mit Abstand verhassteste Viertel von Stormwind, sogar noch verhasster als das ewig in den Qualm der Essen und Schmelzöfen gehüllte Zwergendistrikt, in dem die allgegenwärtige Asche in der Luft ihn zum Husten brachte als hätte er jahrzehnte lang starken Tabak geraucht und der Ruß sich als dicke, schmierige Schicht auf die Panzerplatten seiner Rüstung legte, sodass er selbst nach Dienstschluss noch Stunden mit Bohnern verbringen durfte. Doch wie das Schicksal so spielt hatte es ihn an jenem Spätnachmittag nicht etwa auf den malerischen Kathedralenplatz oder in die blühenden Gärten des Stadtparks, sondern genau dorthin verschlagen. Nun, natürlich war es nicht das Schicksal gewesen, vielmehr war es irgendein arroganter Beamtendepp, der die Dienstpläne schrieb und bereits kurz nach dem Mittagessen seine Amtsstube verließ. Wahrscheinlich irgendein ehrgeiziger, junger Adjutant irgendeines hochdekorierten Kriegshelden, dem man für seinen Lebensabend einen ruhigen, aber nichtsdestotrotz gut bezahlten Posten in der Kommandantur der Stadtwache geschaffen hatte. Jaxon konnte es sich förmlich vorstellen, wie ein solcher schmerbäuchiger, mehr oder weniger verdienter Veteran, der im Zweifelsfall lediglich eine einflussreiche - beziehungsweise nur reiche; in Stormwind kam das auf das selbe heraus - Familie hatte, nun mit seiner Schar speichelleckender Emporkömmlinge in irgendeinem feinen Gasthaus bei schaumbedecktem Bier und dampfendem Braten saß, während er in diesem Rattenloch für Recht und Ordnung sorgen durfte.
    Die Altstadt war das Viertel der kleinen Leute. Hier lebte die Unterschicht: Kriegswitwen, Arbeiter, Tagelöhner und all jene kleinen Händler und Handwerker, die sich einen Laden im Handelsdistrikt nicht leisten konnten oder lieber auf allzu viel Aufmerksamkeit verzichteten. Was bei einem Händler ja nun auch schon wieder etwas über ihn und seine Geschäfte aussagte. Und verlässlich wie der Winter erbarmungslos auf den milden Herbst folgte, so zog ein solches Viertel Unrecht und Verbrechen an. Wenn man Glück hatte bekam man es mit ein paar besoffenen Streithähnen zu tun, die bereits am frühen Nachmittag in den schmuddeligen Schenken hingen und spätestens bei Anbruch der Nacht eine Schlägerei anfingen, bei der auch gerne einmal die Messer gezückt wurden. Wenn man Pech hatte, tja...
    Zur Zeit, so hatte Jaxon festgestellt, hatte er meistens Pech, wenn seine Patrouillen ihn in die Altstadt führten. Die Anzahl der Einbrüche, Raubüberfälle und Prügeleien war auf ein Maß angeschwollen, das sie schon fast zum Alltag werden ließ. Immer brutaler gingen diese Halunken vor, immer häufiger schlugen sie zu, sodass Jaxon und die Handvoll Wachoffiziere, die die Stadt für das Aufrechterhalten der Ordnung abgestellt hatte, nicht einmal ansatzweise hoffen konnten, sie dingfest zu machen. Alles was sie tun konnten war so viel Präsenz wie möglich zu zeigen und zu hoffen, so wenigstens in ihrer unmittelbaren Nähe und wenigstens während ihres kurzen Aufenthalts in den Straßen der Altstadt der ohnehin schon geschundenen Bevölkerung ein geringes Maß an Schutz zu bieten. Wenn sie doch nur mehr Männer hätten! Aber offensichtlich fehlten dem Reich sogar die Mittel um auch nur in der Hauptstadt für Ordnung zu sorgen oder - was wahrscheinlicher war - die Adligen, die sicher und ungestört in ihren eigenen Vierteln lebten, hatten einfach kein Interesse daran, zusätzliches Gold locker zu machen. Jaxon war ein guter Soldat, der bedingungslos loyal zum Königreich stand und es wäre ihm nie auch nur in den Sinn gekommen, sich öffentlich über die Zustände auszulassen, aber insgeheim verfluchte auch er gelegentlich den verkrusteten Apparat aus Untätigkeit, Inkompetenz und Korruption. Wenn sie doch wenigstens die Kontingente aufstocken würden! Ein Dutzend mehr Soldaten unter seinem Kommando und er würde diesem Gesocks schon zeigen was es hieß, sich an unschuldigen Bürgern zu vergreifen. Aber so konnte er froh sein, wenn er seine wenigen Männer nicht am morgen mit durchschnittener Kehle in den Kanälen treibend fand.

    Die Altstadt war ein heilloses Durcheinander aus schmalen Gassen und Gässchen, die sich zwischen den wild durcheinander errichteten, gedrungenen, grob gemauerten Häusern und Hütten hindurch wanden. Sie bildeten ein unüberschaubares - ganz zu schweigen von kontrollierbarem - Labyrinth, in dem sich nur jene wirklich auskannten, die schon seit Kindesbeinen hier hausten und aus dem schon so manche tapfere Stadtwache, die sich hinein gewagt hatte um dort nach dem Rechten zu sehen, nicht mehr hinaus gekommen war. Jaxon hielt sich zumeist auf den Hauptstraßen, die zumindest halbwegs ordentlich gepflastert waren - auch wenn das Unkraut sich allerorts zwischen den schlecht behauenen Pflastersteinen hervor drängte - und an der die wichtigsten, größten Tavernen und Geschäfte lagen. Der schwere Schritt seiner gepanzerten Stiefel musste genügen um auch in den umliegenden Gassen die Halunken den Kopf unten halten zu lassen.
    Der Himmel war an jenem Spätnachmittag grau bewölkt, sodass er schien, als sei die Dämmerung bereits verfrüht herein gebrochen und Jaxon hoffte inständig, dass es zumindest nicht anfangen würde zu regnen bis er seine Schicht hinter sich gebracht hatte. Drei Stunden, das würde doch noch möglich sein, beim Licht! Die Bewohner der Altstadt schienen weniger Vertrauen in das Wetter zu setzen, denn Jaxon begegnete kaum einer Menschenseele in den Straßen und diejenigen, die ihm doch über den Weg liefen, schienen es allesamt eilig zu haben nach Hause zu kommen. Wie gern er nun auch an einem warmen Kamin sitzen würde, in einem Gasthaus mit einem Krug Zwergenbier auf dem Tisch oder beim Kartenspiel in der Garnison! Aber das wäre ihm wohl erst vergönnt, wenn er diese Schicht hinter sich gebracht hatte und da er ohnehin bis zur achten Stunde unterwegs war, egal welchen Weg er dabei zurück legte, brauchte er sich auch nicht zu hetzen. Wenigstens, so dachte er, würde das drohende Unwetter vielleicht auch die Schurken in ihren Löchern halten. Oder zumindest ihre potentiellen Opfer, die sich an einem Tag wie diesem kaum in den Straßen herum treiben würden.
    Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, da zerriss plötzlich ein panischer Schrei die drohende Schwüle des hereinbrechenden Abends. Jaxon war schon zu lange bei der Wache um einen solchen Ruf zu verkennen. Hier ging etwas vor, etwas Ernstes! Und zwar nicht nur ein missmutiger Ehemann, der im Frust über sein schlecht laufendes Geschäft seine Gattin schlug, hier passierte ein wirkliches Verbrechen, ein Überfall oder schlimmeres! Krampfhaft versuchte er die Richtung zu bestimmen, aus der der Schrei erklungen war, da vernahm er ihn erneut. Da! Rechts hinter ihm, vielleicht zwei oder drei Gassen weiter! Die Klingen aus ihren Scheiden reißend stürmte Jaxon in einen schmalen, schummrigen Weg zwischen einer Tischlerei und einer heruntergekommenen Schenke. Natürlich war ihm bewusst, dass das Oberkommando strengstens von solchen ungesicherten Aktionen abgeraten hatte, ja, er selbst hätte jedem Rekruten, der so fahrlässig gehandelt hätte und blind ins Gassengewirr der Altstadt gestürmt wäre eine ordentliche Standpauke gehalten, aber irgendetwas in dem Schrei ließ bei ihm sämtliche Alarmglocken schrillen. Irgendetwas sagte ihm, dass es hier um Leben und Tod ging und es war seine verdammte Pflicht als Offizier der Stadtwache, einen Mord zu verhindern! Die schweren Stiefel trommelten donnernd über den schlecht gepflasterten Weg unter seinen Füßen, seine Schulterplatten scharrten mit scharfem Kratzen an einer Hauswand entlang als er um eine enge Kurve hastete. Er war noch nie hier gewesen, aber das Echo des Hilferufs in seinem Kopf wies ihm mühelos den Weg. Sein Atem ging schwer, die Rüstung drückte schwer und unerbittlich auf seinen Schultern, doch Wachoffizier Jaxon gestattete sich keine Verlangsamung. Er musste jetzt ganz nah sein! Wenn er nur nicht zu spät wäre!
    Scharf bog er um eine weitere Ecke und plötzlich bot sich ihm ein Bild, das sein Herz einen Schlag aussetzen ließ. Keine zehn Schritt vor ihm öffnete sich ein kleiner, gepflasterter Platz mit einem kleinen Brunnen darauf, umgeben von dicht aneinander geschmiegten Häusern. Und dort, in der Mitte des Platzes, direkt neben dem Brunnen lag ein zusammengesunkener Körper, eine Frau, wie Jaxon vermutete aber auf die Entfernung nicht wirklich feststellen konnte, in einer sich langsam ausbreitenden, unverkennbar roten Lache. Gerade noch konnte er auch einen Schatten, den Schemen einer Gestalt, erkennen, der in einer engen Seitengasse auf der anderen Seite des Platzes verschwand.
    Für einen Moment erwog Jaxon, ob er ihm nachsetzen sollte, doch der Schatten hatte bereits einen guten Vorsprung, kannte sich vermutlich weit besser in diesem Straßengewirr aus als er selbst und zudem war er von dem überhasteten Spurt bereits ziemlich außer Atem, ganz zu schweigen von der schweren Rüstung, die er zu allem Überfluss auch noch zu schleppen hatte. Er entschied sich, der Frau zu helfen, obwohl ihm bereits vage bewusst war, dass ihr bei einem derartigen Blutverlust nicht mehr zu helfen war. Aber vielleicht konnte sie ihm den Mörder noch beschreiben oder er konnte ihr zumindest Beistand in ihren letzten Momenten leisten. Wenige rasche, lange Schritte trugen ihn über den Platz, noch immer schwer schnaufend und erfüllt von der grausigen Ungewissheit, was ihn erwarten würde ließ er sich neben ihr auf die Knie fallen. Er achtete nicht auf das Blut, das an seinen Beinschienen hoch spritzte und den untersten Zipfel seines zu Boden hängenden Wappenrocks tränkte. Die lange Klinge warf Jaxon achtlos zur Seite und griff mit der bebenden Rechten nach ihrem vom ihm abgewandten Kopf, die Linke, noch immer die kurze Parierklinge umklammernd, legte er auf ihre Hüfte. Ein rascher Blick bestätigte seine Vermutung: sie war eine Frau, nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt zu nennen, das dunkle Haar auf Schulterhöhe abgeschnitten. Dem schlichten Kleid aus fein gewebtem Wollstoff nach nicht wohlhabend, aber wohl immer noch deutlich reicher als die meisten der Verzweifelten, die hier in der Altstadt ihr unglückseliges Dasein fristeten. Der Blick ihrer grünen Augen war bereits gebrochen und ausdruckslos, ihr Mund stand ein wenig offen, so als hätte sie noch etwas sagen wollen. Das Blut, so erkannte Wachoffizier Jaxon angewidert, stammte aus einem tiefen Schnitt in ihrer Kehle, der ihr beinahe den Kopf abgerissen haben musste. Er hatte es also nicht geschafft! War zu spät gekommen! Mit schmerzverzerrtem Gesicht warf er den Kopf in den Nacken, hob das Antlitz zum wolkenverhangenen Himmel, die Augen in Pein zusammen gekniffen, leise jammernd. Ein einzelner Regentropfen traf ihn auf den Nasenrücken, rann ihm die Wange hinab und versickerte in seinem Bart. Zusammengesunken, die Hand mit dem Dolch noch immer auf dem Körper der Toten ruhend, saß er da und ließ den Kopf langsam auf die Brust herab sinken während Tropfen um Tropfen auf ihn fiel. Der Regen schwoll rasch an, wusch das Blut der Ermordeten fort und durchnässte Wachoffizier Jaxon bis auf die Haut, sodass niemand hätte erkennen können, dass sich zwischen all den Regentropfen auch eine einzelne Träne der Verzweiflung den Weg in seinen Bart suchte.



    Re: Unter Dieben

    Grimbor - 11.08.2010, 13:15


    Der Sturm nahm langsam an Fahrt auf und peitschte den Regen, der inzwischen in dichten Bindfäden auf die Stadt herunter trommelte, gegen Dächer, Wände und Fenster. In reißenden Strömen rann er die Dachschindeln hinab und rauschte Sturzbächen gleich in die Gassen hinab. Wer es noch nicht getan hatte beeilte sich, sein weniges Hab und Gut ins Trockene zu bringen und die Fensterläden zu verrammeln. Niemand bemerkte die beiden Gestalten, die eilig und die Arme schützend vor die Gesichter haltend durch das Labyrinth der Altstadt hetzten. Die tiefschwarzen Regenwolken schluckten jegliches Licht der untergehenden Sonne, sodass ganz Stormwind in Zwielicht getaucht da lag und der rollende Donner sowie das unermüdliche Prasseln des Regens verschluckten die Geräusche ihrer hastigen Schritte. Keine der beiden trug eine Laterne, die ihnen in dieser Finsternis den Weg gewiesen hätte, aber offensichtlich kannten sie sich gut genug aus, denn schließlich blieben sie vor einer niedrigen Hütte stehen. Die vordere Gestalt, hager und im Vergleich zur imposanten, breitschultrigen Statur des Wachoffiziers Jaxon auch nicht sonderlich groß gewachsen, zog einen schweren, eisernen Schlüssel aus ihrem Mantel und schloss die Tür des kleinen Hauses auf. Mit einem undefinierbaren Seufzer trat sie ins Trockene und riss sich ein völlig durchnässtes, grob-braunes Mundtuch vom Gesicht, dass sie achtlos in eine Ecke pfefferte. Sie ließ die zweite Gestalt, ähnlich hager aber noch einmal einen halben Kopf kleiner, eintreten, aber kaum, dass diese die Tür ins Schloss geworfen hatte schoss die Hand der ersten Gestalt nach vorn, packte die andere an der Kehle und drückte sie unsanft gegen die unverputzte Wand.
    „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?", zischte Karim Wills seine Partnerin zornfunkelnd an, „Warum musstest du sie abstechen?"
    „Was hätte ich denn sonst tun sollen?", entgegnete Mina Garring nicht weniger scharf während sie versuchte, sich trotz des unerbittlichen Griffs ebenfalls das Tuch vom Mund zu ziehen, „Sie hat sich gewehrt. Wollte mir die Kette nicht geben. Und DU hast doch gesagt, ich solle schnell machen..."
    „Natürlich hättest du schnell machen sollen! Du hast die Stadtwache doch auch gehört, Mina!", antwortete Karim unwirsch, aber er ließ zumindest von ihr ab, stapfte tiefer in den schummrigen Raum und beugte sich über den unscharf zu erkennenden Schemen eines Tischs. Kurz darauf flackerte ein Funke auf und der warme Schein einer Kerze erhellte den Raum. Er war klein und bis auf einen Tisch mit drei wackeligen Stühlen, zwei Strohmatten und einen schweren, grob gearbeiteten Schrank leer.
    „Hör mal, ich hatte keine Wahl...", begann Mina erneut, diesmal in versöhnlicherem Tonfall, doch Karim machte nicht einmal Anstalten, sich zu ihr umzudrehen. Er hatte sich mit beiden Armen auf den Tisch gestützt und starrte auf den dicken Wachsstummel der Kerze. „Ich hätte ihr die Kette sonst nie schnell genug abnehmen können..."
    „Du hättest einfach abhauen können, so wie ich es gesagt habe!", fauchte Karim so scharf, dass Mina unwillkürlich unter seinen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammen zuckte. Doch langsam stieg auch ein unverhohlener Groll gegen ihren Partner in ihr auf. „Karim, ich brauche das Geld! Ich habe eine Tochter! Weißt du, wie lange Amara nichts mehr zu essen bekommen hat? Die Kette hier bringt uns mindestens einen Monat lang durch..." Geschickt fummelte sie eine silberne Kette aus ihrem Wams hervor. Die Stränge waren gerissen, deutlich waren die gebrochenen, feinen Kettenglieder an beiden Enden zu erkennen als Mina sich auf einem der Stühle nieder ließ und das Schmuckstück ins Licht der heruntergebrannten Kerze hielt. Ein kleiner aber geschmackvoll gearbeiteter Anhänger mit einem im flackernden Schein bläulich leuchtenden Stein darin hing an der Kette. Mina hielt Karim das Schmuckstück hin, doch dieser schnaubte nur verächtlich und wandte sich demonstrativ ab. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt wuchtete er sich wieder hoch und trottete einige Schritt vom Tisch weg. Als er den Mund öffnete sprach er anstatt zu ihr an eine der Wände gewandt:
    „Und dafür hast du getötet, Mina? Für ein bisschen Silber und einen glitzernden Stein?" Die Verachtung troff nur so aus seiner Stimme. Und dann, plötzlich aufbrausend fuhr er zu ihr herum. „Weißt du überhaupt, was du da getan hast?", fuhr er sie mit vor Zorn bebender Stimme an, anklagend den Finger auf sie gerichtet, „Weißt du, was das bedeuten wird? Für mich? Für uns alle hier? Weißt du, wie viele die Stadtwache als Vergeltung dafür hängen wird? Weißt du, wie lange man sich jetzt nicht mehr auf die Straße wagen kann? Wegen einer albernen Silberkette!" „Karim ich hatte keine Wahl!" Auch Mina schrie jetzt fast, als sie ihm ins Wort fiel.
    „Man hat immer eine Wahl!" Auch Karim gab sich jetzt keinerlei Mühe mehr, die Stimme zu senken. „Karim ich brauche das Geld! Jetzt! Und niemand leiht mir mehr etwas, niemand!" „Du kannst immer noch zurück zu Jorn Courthey wenn du nichts mehr zu fressen für dein Kind hast!" Doch diesmal musste Karim einen Schritt zu weit gegangen sein, denn einen Herzschlag später segelte die Kerze durch die Luft und traf ihn schmerzhaft am Ohr. Mit einem scharfen Zischen erlosch die Flamme und der Raum wurde abermals in vollkommene Dunkelheit getaucht, sodass nur ein dumpfes Poltern davon zeugte, dass Karim gegen die Wand taumelte.
    Vom Tisch her erklang plötzlich Minas Stimme, leise, beinahe erstickt, aber jedes Wort wirkte wie ein Schwertstreich. „Ich werde mich nie wieder für Jorn Courthey an die Straße stellen, Karim Wills! Nie wieder! Und wenn es für Amara und mich den Tod bedeutet!"
    Offenbar zog Karim es vor, darauf nichts zu antworten, denn nur noch das dröhnende Prasseln des Regens auf das Schindeldach der Hütte drang an Minas Ohr. Den Schatten nach, die sie in der stockfinsteren Hütte ausmachen konnte, hatte er sich wohl gebückt und suchte nach der Kerze. Mina hoffte inständig, dass er sie nicht finden würde. Sie wollte nicht, dass das Licht wieder aufflammte, wollte nicht, dass ihr Schein die Hütte wieder erhellte. Die Dunkelheit war ihre Freundin, sie verbarg die stummen Tränen, die Minas Wangen hinab rannen. Sie gab ihr Schutz, sie barg sie in ihrem warmen Schoß. Sie versteckte all das, was Mina gar nicht so genau sehen wollte. Das Licht war erbarmungslos, es zwang sie, der grausamen Realität ins Auge zu blicken. Tag für Tag!
    Verdammter Karim!, dachte sie bei sich, während sie seinem unterdrückten Fluchen lauschte, dass trotz des Lärms dort draußen zu ihr drang. Er sollte sie in Frieden lassen mit seinem verdammten Licht, seinen verdammten Vorwürfen. Er hatte ja keine Ahnung, wie es war, sie zu sein, Mina Garring zu sein. Nur weil das Leben zu ihm ebenso ungerecht gewesen war wie zu ihr hieß das noch lange nicht, dass es ihm nicht dennoch besser ging. Er war wenigstens ein Mann, wenn er es darauf anlegen würde würde er schon irgendwo Arbeit finden. Normale, ehrbare Arbeit! Dachte er etwa, sie tat das alles hier zum Spaß? Dachte er, sie würde gerne andere Bürger überfallen und ausplündern? Sie hatte Schlichtweg keine Wahl, sie musste doch ihre Tochter durchbringen! Sie selbst würde es nie aus der Gosse heraus schaffen, aber vielleicht hatte ja wenigstens Amara eine winzig kleine Chance. Wenn sie denn nicht eines Tages einen grundlosen Hungertod sterben würde...
    Da waren sie wieder, die düsteren Gedanken! Jene Vertrauten, ohne die die Dunkelheit nie zu kommen schien, die sich immer an ihre Fersen hefteten wie gierige Bluthunde, die über Mina herfielen, sobald sie sich im Schoß der Dunkelheit halbwegs geborgen fühlte. Wo die Dunkelheit sie sanft zudeckte, sie von ihrem Kummer erlöste, Trost spendete, dort waren diese Bekannten so gar nicht nett! Vorstellungen von furchtbaren Dingen, die kommen könnten, Gedanken an furchtbare Dinge, die jetzt waren und Erinnerungen an furchtbare Dinge, die sie bereits erlebt hatte. Karim gelang es manchmal, diese bösartigen Geister zu vertreiben, oder sie zumindest einzulullen, auf dass sie Mina wenigstens für eine Weile in Frieden ließen. Doch von Karim, der noch immer auf den Knien robbend den Boden nach dem Kerzenstummel, diesem wertvollen Besitz absuchte, wollte sie im Moment nun wirklich keinen Trost. Er, nur er allein war schuld daran, dass sie sich nun so mies fühlte! Er, dieser vermaledeite, kleine Taschendieb! Nein, auf ihn konnte sie verzichten!
    Aber so blieb ihr nur noch ein einziger Freund, der ihr helfen konnte: der Schlaf. Ihr letzter, bester Freund, der Freund, der alleine kam wo die Dunkelheit ihre dämonischen Begleiter mitbrachte, der einfühlsam war, wo Karim sie nicht verstehen wollte. Oder konnte. Wie auch immer...
    In der vollkommenen Finsternis der Hütte streifte sie die nassen Sachen ab, das Wams, die Hose, den schweren Wollumhang, hängte sie über die Lehne des Stuhls. Ihre Stiefel warf sie achtlos unter den Tisch. Nur mit einem kurzen Leinenhemd und einer knappen Hose bekleidet schlüpfte sie unter die grobe Decke auf ihrem Strohsack und weinte sich stumm in den Schlaf. Komm, guter Freund, bester Freund! Vertreibe die Dämonen, beschütze mich!
    Als Karim Wills schließlich mit einem verhaltenen Jubelruf die davon gekullerte Kerze unter dem Schrank hervor zog und sie mit wenigen geschickten Handgriffen wieder entfachte waren nur noch Minas flacher Atem und das unentwegte Prasseln des Regens zu hören.



    Re: Unter Dieben

    Grimbor - 29.08.2010, 15:53


    „Abgelehnt?" Ungläubig blickte Marschall Barras Valiard von dem Pergamentbogen in seinen Händen auf. Sein Schnurrbart, buschig und bereits überwiegend grau durchsetzt, begann zu zucken. Kein gutes Zeichen bei ihm. Auch in seiner Stimme schwang unverhohlener Groll mit.
    „Das ist korrekt, Marschall. Die Finanzkammer des Stadtrats von Stormwind hat sich entschieden, eurem Antrag nicht statt zu geben." Valiards Augen wanderten zu seinem Gegenüber, einem kleinen Mann mit auffallend feingliedrigen Fingern und einem geckenhaften Spitzbart. Die rotblonden Haare trug der Mann beinahe schulterlang, obwohl sie bereits weit zurück gewichen waren und scharfe Geheimratsecken bildeten. So ziemlich alles an ihm widerte Marschall Valiard an, seine Frisur, seine Art zu sprechen, ja, allein die Tatsache dass er der Prototyp des Stormwinder Beamtenarschs zu sein schien, penibel, überheblich, realtitätsfern. Nur mit Mühe konnte er die hochkochende Wut unterdrücken, seine Schnurrbartspitzen bebten gefährlich. Doch sein Gegenüber, der noch immer gelangweilt dreinblickend an seinem Pult saß, schien es nicht einmal mitzubekommen.
    Valiard riss sich zusammen, versuchte seine Stimme zu ruhig zu halten. Die Sache hier war zu wichtig, er durfte das hier nicht durch einen seiner Wutausbrüche vermasseln. „Und warum, wenn ich fragen darf, hat der Stadtrat mein Gesuch abgelehnt? Ich nehme an, dass den Herren mein letzter Lagebericht vorlag?"
    „Marschall Valiard, haben sie überhaupt eine Vorstellung von der Komplexität des städtischen und des staatlichen Haushalts?" Dieser Drecksack von einem Verwaltungsmenschen sprach mit ihm wie mit einem Kind! Ein erneuter, gefährlicher Schauer lief durch Valiards Schnurrbart, es kostete ihn eiserne Willensanstregung, nicht mit der gepanzerten Faust auf den Tisch dieses Schnösels zu schlagen. Ruhig, Barras, ruhig! Bürokratie ist eben ein Taktikspiel. Der mit dem kühlsten Kopf gewinnt!
    „Mein werter Herr Landolm..." Das klang furchtbar gestelzt, furchtbar angestrengt! Ruhig bleiben, Barras! „Ich habe vielleicht keine Ahnung von euren Zahlenspielchen im Stadtrat, aber ich habe Fakten vorgelegt und diese Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Ich habe es dem Rat inzwischen dreimal geschrieben, wir können das Problem nicht mehr ignorieren. Ohne zusätzliche Mittel ist es uns nicht möglich, für Ruhe und Ordnung zu sorgen."
    „Das ist wirklich bedauerlich, Marschall Valiard...", erwiderte Landolm. Es war unglaublich, mit einer wie anteilnahmslosen Stimme ein Mensch Bedauern heucheln konnte. „... aber der Stadtrat muss Prioritäten setzen. Geld wächst nicht auf den Bäumen und wir haben laufende Kosten, die einen Großteil unserer Einnahmen auffressen..." Oh ja! Nutzloses Pack wie dich mit horrenden Gehältern versorgen, so sehen diese Ausgaben doch aus!
    „Herr Landolm..." So, jetzt war es soweit. Seine Stimme war deutlich lauter als beabsichtigt. Da brach der Zorn durch. Aber nun war es auch schon egal, was gesagt werden musste musste gesagt werden! „Ihr wollt doch nicht behaupten, dass Stormwind vollkommen pleite wäre. Und ich dachte wirklich, ich hätte die Dringlichkeit meines Antrags hervor gehoben. Wir hatten allein in der letzten Woche in der Altstadt neunzehn Raubüberfälle, siebenundsechzig Einbrüche, zwei Morde und achtundneunzig ernsthafte Schlägereien. Und das sind nur die Delikte, die zur Meldung gebracht wurden. Dieses Pack hat diesen Monat bereits einen meiner Männer umgebracht und drei weitere sind so schwer verletzt, dass sie mindestens vier Wochen lang nicht mehr einsatzfähig sind. Die Kriminalität ist um eine Rate gestiegen wie zuletzt unmittelbar nach dem Wiederaufbau der Stadt. Ich habe den Stadtrat um Finanzmittel für vierundzwanzig zusätzliche Stellen gebeten, vierundzwanzig! Ich bräuchte eigentlich sechzig um die Lage wieder halbwegs in den Griff zu bekommen. Und jetzt kommt ihr und wollt mir sagen, dass sie wichtigeres zu tun hätten. Herr Landolm, könnt ihr mir sagen, was so viel wichtiger sein kann als für den Schutz unserer Bürger hier in unserer Hauptstadt zu sorgen?" Valiardhatte seine Stimme während dieser kurzen Rede zu einem regelrechten Brüllen erhoben und sein Schnurrbart bebte nun so heftig, dass selbst Landolm es nicht mehr ignorieren konnte.
    „Bitte, Marschall Valiard", begann der Beamte, nun plötzlich einen versöhnlichen Tonfall einschlagend. Wie leicht sich diese Pergamentkritzler in ihren Schreibstuben doch einschüchtern ließen. „Ich kann euren Unmut ja verstehen und glaubt mir, auch ich schlafe nachts besser wenn ich weiß, dass die Stadtwache dort draußen für Ordnung sorgt. Aber mir sind die Hände gebunden. Die Entscheidung ist gefallen und es liegt weder in meiner Macht noch in meinem Zuständigkeitsbereich, sie abzuändern. Ihr könnt natürlich eine neue Petition einreichen, aber ich fürchte, der Stadtrat wird über sie nicht anders entscheiden..."
    Landolm versuchte wohl, ihn mit diesen ruhigen, verständnisvollen und doch so nichtssagenden Worten zu beruhigen, aber dafür war es jetzt zu spät. Er wollte sich aufregen, er hatte es satt permanent in der Ausübung seiner Pflicht behindert zu werden, nur weil diesem Haufen fetter, verkommener Aristokraten egal war, ob die armen, wehrlosen Bürger Stormwinds vor die Hunde gingen! Es war ihm doch gleich, ob Landolm etwas dafür konnte oder nicht, dass sein Antrag abgelehnt worden war, er hatte sich mit diesem schmierigen System eingelassen und im Moment war Valiard jeder dessen Vertreter so lieb wie der andere. Hatte er eben Pech gehabt, der Geck! Jetzt hatte er halt die Konsequenzen zu tragen. Wenn er, Valiard, sich nicht abreagieren konnte, dann würde er irgendwann noch an dem Zorn platzen, den er in sich hinein fraß. Er steckte oft genug zurück, wirklich! Aber diese Unverschämtheit brachte das Faß wirklich zum Überlaufen!
    Offenbar erahnte Landolm Valiards Gedanken, vermutlich da all das Blut, dass ihm in den Schädel schoss seinem Kopf das Aussehen einer riesigen, reifen und überaus bärtigen Tomate verpasste. In jedem Fall schien der Beamte alles darauf zu setzen, ihn loszuwerden, denn hastig schlug er vor: „Ihr könntet euren Antrag natürlich auch direkt bei der Kommandantur einreichen. Möglicherweise ist eine Umverteilung der Truppen möglich, sodass..." „Glaubt ihr etwa, ich hätte nicht schon hundert mal mit Johnathan darüber geredet?", polterte Valiard los. Jetzt gab es endgültig kein Halten mehr. „Aber der hat selber nicht genug Männer. Seine Garnison wurde das letzte mal vor vier Jahren aufgestockt und er muss mit dieser lächerlichen Handvoll Männer nicht nur das Haupttor und die Außenmauern sichern, sondern auch noch den Hafen bewachen, den seine Majestät ja errichten musste!"
    „Marschall Valiard!", empörte sich der Beamte, der nun doch noch zu so etwas wie Courage zu finden schien, „Ich muss doch sehr bitten! Es steht euch nicht zu, den König zu kritisieren." Natürlich hatte Landolm damit vollkommen recht, doch Valiard hatte sich bereits so sehr in Rage geredet, dass der Widerspruch dieses Wurms ihn nur noch mehr anstachelte. „Und was wollt ihr deswegen tun? Mich festsetzen lassen wegen Aufwiegelei? Oder gar wegen Hochverrats?" Wie ein Schmiedehammer fuhr seine Faust herab und donnerte auf das Schreibpult des Verwaltungsbeamten. Ein Tintenfass kippte um und vergoss seinen tiefblauen Inhalt, sodass Landolm spitz aufschrie und eilig einige verstreute, garantiert hochwichtige Pergamente in Sicherheit brachte. „Ich versichere euch, Landolm, dass ihr in der ganzen Stadt keinen Wachsoldaten finden werdet, der die Zeit hat auch nur daran zu denken wen-auch-immer wegen einer abfälligen Bemerkung zu verhaften. Meine Leute kämpfen da draußen einen Krieg, einen Krieg sage ich euch, um Bürgern wie euch ein sicheres und bequemes Leben zu ermöglichen!" Unsanft stieß Valiard den Beamten mit dem gepanzerten Zeigefinger gegen die Brust, sodass dieser wenn auch nicht das Gleichgewicht, so doch zumindest einige der lose in seinen Armen liegenden Pergamente verlor.
    „Marschall Valiard! Beruhigt euch oder ich muss ein Disziplinarverfahren gegen euch einleiten lassen! Ihr könnt einen königlichen Verwaltungsbeamten nicht so behandeln!"
    „So? Aber der Stadtrat meint, er könnte seine eigene Wache, könnte die Männer und Frauen, die tagtäglich ihren Kopf da draußen hinhalten so behandeln, wie er es hier tut?" Und wutentbrannt schleuderte er den inzwischen arg zerknüllten Antrag, über den breit in roten Lettern „Abgelehnt" gekritzelt stand, auf Landolms tintennassen Tisch.
    „Wir haben nicht das letzte mal von einander gehört!", grollte er den nun doch arg in sich zusammen geschrumpften Beamten an und drehte sich zackig von diesem ab, ehe er grußlos aus dessen Schreibstube stampfte.



    Mit folgendem Code, können Sie den Beitrag ganz bequem auf ihrer Homepage verlinken



    Weitere Beiträge aus dem Forum Unbesiegbar

    (Steckbriefe) Runners - gepostet von Talok am Dienstag 03.02.2009
    Avatare - gepostet von Fellknäuel am Sonntag 20.04.2008



    Ähnliche Beiträge wie "Unter Dieben"

    urlaub - gepostet von my-key am Montag 17.07.2006
    S. 216 2 a) + b) - gepostet von J-nick am Samstag 26.08.2006
    sms oda telen oda ICQ? - gepostet von saints am Sonntag 17.09.2006