Tales of the Past - Geralt

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    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 06.03.2010, 22:05

    Tales of the Past - Geralt
    Vierzehn Jahre lang war Geralt der Sohn eines Bauern gewesen, hatte beinahe ebensolange auf den Feldern geholfen, hatte mit seinen beiden älteren Brüdern und seinen Eltern zusammen gearbeitet, hatte das Land, das sich der Hofgründer Imric einfach angeeignet hatte, bebaut. Hier, im Osten Ruhtas, waren Menschen selten, auf verstreute Bauernhöfe beschränkt, die die wenigen Städte versorgten und von dort aus auch mit dem Westen hinter dem großen Wald handelten. Selten war der junge Geralt vom Hof heruntergekommen, und er beneidete seine Brüder um jedes Mal, wenn sie mit dem Vater auf dem Fuhrwerk davonfuhren und ihn mit seiner Mutter zurückließen. Zweimal erst hatte er Mencha gesehen, der einzige Ort im Umkreis von hunderten Meilen, an dem man mehr als zehn Menschen auf einmal antraf: Imric hatte Geralts Flehen nur nachgegeben weil beide Male einer der Älteren krank gewesen war und er eine andere Hilfe brauchte. Aber die Reisen waren ohnehin selten, denn es galt, zwei Ernten von etlichen Feldfrüchten einzutragen. Das Land war fruchtbar, dank der vielen Flüsse, die es auf dem Felsengrund unter der fruchtbaren Erde durchflossen, aber die meisten Dinge außer Nahrungsmitteln waren so teuer, dass man kaum mit dem erhandelten Geld kaufen was man nicht selbst herstellen konnte. Dennoch, seine Familie hatte es bisher immer geschafft, sie lebten in einem guten Fachwerkhaus und es gab sogar einen eigenen Stall, sodass sich Menschen und Tiere nicht, wie so oft, ein Dach über dem Kopf teilen mussten. Außerdem waren die Winter mild, und man konnte auf lang anhaltendes Feuern verzichten, um Mensch und Vieh gleichermaßen zu wärmen. Es wäre auch schwierig geworden, viel Feuerholz herbeizuschaffen, denn Bäume wuchsen nicht sehr gut und meist nur vereinzelt in der nicht eben tiefen Erde.
    Vierzehn Jahre, die an einem Tag bedeutungslos wurden. Gerade erst, spät abends, waren die Männer des Hauses zurückgekehrt, nachdem sie die frühe Ernte des Sommers verkauft hatten. Müde hatten sie sich um den Tisch auf die Hocker fallen lassen und trotz ihrer Erschöpfung von ihren Erlebnissen berichtet. Sie hatten von der Stadt erzählt und von all den Leuten und Wundern, die Geralt so selten zu Gesicht bekam. Neid war ihn ihm aufgestiegen, gefolgt von unterdrücktem Zorn über die Ungerechtigkeit, dass er jedes Mal daheim bleiben musste. Schließlich hatte er das Haus verlassen, unter dem Vorwand, Wasser holen zu wollen. Das war auch nötig denn er hatte sich damit gedrückt als er mit seiner Mutter allein gewesen war. Der Bach war nur einige hundert Schritte entfernt, aber es hätten auch Meilen sein können; Zumindest konnte er die fröhlichen Stimmen seiner Brüder nicht mehr hören. Wütend warf er den Eimer, mit dem er gekommen war, beiseite und ließ sich neben das ruhig fließende Wasser fallen. Düster stützte er den Kopf in die Hände und dachte über das, was gerade hinter ihm geschah, nach. Vermutlich würden sich die anderen bald fragen, wo er bliebe, und keine Antwort darauf finden; Vielleicht waren sie aber auch so in ihr verfluchtes Familienglück vertieft, dass sie gar nicht an ihn dachten. Er wollte in die Stadt, er wollte fort von dem Hof, der ihm jetzt schon klein und eingeengt vorkam. Die Mühelosigkeit, mit der seine großen Brüder das aushielten, befremdete ihn. Erst Minuten später stand er auf, zog lustlos den Eimer durchs Wasser und begann ihn langsam, nur halb gefüllt, zum Haus zurückzutragen. Sofort jedoch sah er etwas das ihn sofort in helle Aufregung versetzte. Fünf Pferde standen vor der Tür des kleinen Hauses, die offensichtlich samt ihren Reitern aus einer anderen Richtung über die Ebene gekommen waren. Gäste? Es gab keine Besucher, hier in der unendlichen Graswüste. Selbst Pferde waren hier selten, wurden nicht oft gezüchtet, sie waren empfindlicher und schwieriger zu halten als Rinder, die sich dagegen großer Beliebtheit erfreuten. Neugierig und froh über die Ablenkung lief er auf das Haus zu. Auf halbem Wege aber kam ihm ein neuer Gedanke, der ihm eigentlich schon früher hätte kommen müssen, und sein Gang wurde langsamer, unsicher: Räuber! Immer wieder hatte ihnen der Vater davon erzählt dass kleine Banden die hilflosen, verstreuten Höfe überfielen und auslöschten. Bisher waren es nur Geschichten für ihn gewesen, und er hatte versucht zu ergründen warum sein Vater sie ihm erzählt hatte. Die abgetriebenen Mähren, wie Geralt sie nun erkannte, wirkten aber selbst schon fast wie heimtückische Diebe. Unentschlossen machte er einige weitere Schritte in Richtung des Hauses, als plötzlich dessen Tür aufgeschlagen wurde und ein massiger, offensichtlich betrunkender Mann herauswankte. Nein, das waren keine Besucher. Wieder flog der Eimer beiseite und der Junge warf sich selbst gleich hinterher ins halbhohe Feld, das von grünen Halmen der zweiten Aussaat bedeckt war. Der Fremde verzog sich hinter das Haus. Reglos blieb Geralt liegen, wagte kaum zu atmen, schalt sich selbst einen Feigling, dass er es nicht wagte, sich dem Haus weiter zu nähern. Es mochte feige gewesen sein, aber auch vernünftig. Gebannt, verängstigt und besorgt beobachtete er was dort unten geschah. Die anderen Vier tauchten wieder auf, beladen mit Vorratssäcken und ein paar Wertsachen, die sie an ihre Pferde hängten und verstauten. Geralt hoffte schon, dass sie weiterreiten und verschwinden würden, aber stattdessen öffneten sie einen der Säcke und holten einen Brotlaib heraus, einen von denen, die seine Mutter gebacken hatte. Ein anderer suchte eine Rinderkeule heraus, und ein dritter holte Bierschläuche aus ihren eigenen Taschen. Nein, das waren keine Besucher. Der größte Teil seines Körpers wurde taub, als er beinahe eine Stunde regungslos beobachtete, wie die Diebe hemmungslos verzehrten, was seine Familie, er selbst, mühevoll erarbeitet hatten, und den Rest einfach stahlen. Wut wechselte sich mit Verzweiflung ab, Ungeduld mit dem Wunsch, nie zu sehen was in seinem Heimathaus passiert war. Sie lachten und grölten und prosteten sich zu, und immer wieder lehnte sich einer zurück und schien eine Weile zu schlafen. Sie standen erst langsam auf, als das Bier alle war, gingen zu ihren Pferden und saßen auf. Johlend verschwanden sie über die Ebene, langsam, schien es Geralt. Langsam wie in einem bösen Traum richtete er sich auf, strauchelte auf den tauben Beinen und stolperte zum Haus, endlich, nach einer Stunde der nagenden Ungewissheit. Zögernd, obwohl sein Herz brannte, ging er über den letzten Abschnitt des Weges zur Holztür, die immer noch halb geöffnet in den Lederschlaufen, die sie hielten, hing. Als er eingetreten war wurde ihm klar dass er nicht in den Hauptraum des Hauses gehen würde. Er hatte dort geschlafen, sie hatten dort gegessen, sie hatten dort gesessen und sich unterhalten, und die meisten seiner Sachen waren dort. Was ihn dennoch davon abhielt war ein scheußlicher, dunkelroter, feuchter Fleck auf den hölzernen Dielen dieses Raumes, der in den schmalen Blickwinkel Geralts reichte. Alle Gedanken die er gehabt haben mochte waren fort, als ob sie nicht mehr wert gewesen seien gedacht zu werden, ausgelöscht von der Unfassbarkeit vor seinen Augen. Minutenlang blieb er fast reglos stehen, starrte nur auf den langsam einsickenden Fleck. Langsam keimte ein schwarzer Gedanke, ein so einfacher und doch unbegreiflicher, dass es das Leben von einem von seiner Familie gewesen war das hier versickerte, im Boden verschwand. Er hatte vorher schon daran gedacht, als er eine Stunde Zeit gehabt hatte sich auszumalen was die Räuber tun würden, aber dennoch war der greifbare Beweis ein Abgrund, ein unendlich dunkles Loch vor ihm, in das er, schwindelnd, hineinzustürzen drohte.
    Langsam, traumwandlerisch, wandte er sich ab, zog sich seine Lederschuhe an - im Sommer gingen sie alle - waren sie alle ohne Schuhe gegangen, um das wertvolle Leder zu schonen, und drehte sich nach der Vorratskammer um, die auf der anderen Seite des Flures lag. Diese Tür war ganz aus den Angeln gerissen worden, und Geralt musste über die Trümmer hinweg in den dunklen Raum steigen. Hier hatten die Mörder ohne Sinn gewütet, und alles, was sie nicht gestohlen hatten lag auf dem Boden, durcheinandergeworfen wie von der Willkür eines weltfremden Riesen. Dennoch suchte er sich mit zitternden, tauben Fingern einen beinahe unbeschädigten Brotlaib und nahm ihn als Proviant mit. Denn Proviant würde er brauchen. Wie von selbst waren Schlussfolgerungen in seinem Kopf aufgetaucht, ohne dass er ihren Ursprung zu Ende gedacht gehabt hätte, denn er scheute sich davor; Mehr noch, es war ihm unmöglich, sein Geist schreckte davor zurück darüber nachzudenken was geschehen war. So blieb nur eine dünne, kühle, trügerische Decke, die zu der ausdruckslosen Maske seines Gesichtes schrecklich gut passte. Er zog sich vor dem Loch zurück, floh, aber es war immer noch da.
    Alleine konnte er auf dem Hof nicht leben, nicht die Tiere versorgen, nicht die Äcker bestellen, und am allerwenigsten die Vergangenheit aushalten. In die Stadt wollte er nicht, nicht mehr, jetzt wo er gezwungen schien, sich dort als billiger Knecht zu verdingen oder betteln zu gehen, und so blieb der Weg durch den Wald, hinter dem, wie sein Vater gesagt hatte, eine andere Welt zu beginnen schien. Es war eine Art Traum, ein Wunschbild gewesen, immer schon, das, was hinter dem Wald war. Logisch kam es Geralt in diesem Moment vor dorthin zu gehen, nachdem hier alles was er kannte zerstört worden war. Er spürte keine Verzweiflung, keine Trauer, kein Bedauern, keine Ungewissheit, aber auch keine Zuversicht, keine Hoffnung, keine Aufbruchsstimmung. Er spürte gar nichts mehr.
    Immer noch traumwandlerisch stockend und unsicher ging er vielleicht eine Viertelmeile fort von dem Haus, ohne sich umzusehen, langsam und unsicher, stolperte mehr als einmal. Dann hielt er es nicht mehr aus. Seine Familie lag tot, vielleicht auch nur sterbend, nach Hilfe stöhnend, im Haus, und er rannte davon ohne ihnen auch nur den letzten Dienst zu erweisen. Er rannte den Weg zurück, warf achtlos das Brot auf der Schwelle beiseite, stürmte in die Stube und fiel, auf einmal kraftlos, auf die Knie. Vor ihm lagen die Leichen seiner Familie, so tot wie es nur ging; Auch Geralt, der zum ersten Mal einen toten Menschen sah wusste dass man derart verwundet nicht mehr leben konnte. Er hätte sich übergeben mögen, fühlte schon das Würgen in seinem Hals, aber die Kälte in seinem Kopf verdrängte auch das. Er hatte etwas Wichtigeres zu tun, den letzten Dienst an seiner Familie. Zuerst schloss er allen Toten, die lagen, wie sie niedergemacht worden waren, die Augen, auch seinem Bruder Ekke, dessen Kopf zerschlagen war. Tränen verschleierten seinen Blick, tropften unablässig herab. Dann und wann drang ein ersticktes, ungläubiges Schluchzen aus Geralts Kehle. Er schleifte, mit großer Mühe, alle vier nebeneinander, seinen Vater und seine Mutter nebeneinander, er, der im Tod streng und ehrwürdig aussah, und gramvoll mit seinem grauen Gesicht. Eine breite Wunde klaffte in seiner Brust, mitten im Herz. Sie hatte sich ihre Schönheit erhalten, doch nur über den Tod - ihre Züge begannen schon zu erstarren, hart zu werden, wie eine verwelkende Rose auf einem Grab. Nie hatte Geralt verstanden warum sie so anders war als die anderen Bauersfrauen, die meisten von ihnen herbe Gestalten von viel groberer Erscheinung. Alles was davon bleiben würde war die Erinnerung. Links und rechts von ihnen bahrte er seine Brüder auf, die Hände über der Brust gefaltet, so gut es ging, denn die Leichen wurden bereits steif. Geralt bemühte sich nicht mehr in ihre Gesichter zu sehen in denen der Schmerz ihres Todes geschrieben war. Seinen Eltern faltete er die Hände nicht, er legte sie zwischen ihnen zusammen, sodass sie sich noch im Tod ihre Liebe zeigten. Einmal noch strich er seiner Mutter über die Wange, steif und zitternd. Er hockte lange neben ihr. Schließlich richtete er sich auf, blinzelte mit geringem Erfolg die Tränen fort und machte sich an das, was getan werden musste. Nachdem er seine Pflicht an den Toten getan hatte war ihm auf einmal viel klarer im Kopf, und auch wenn sein Herz gleichzeitig vor Trauer brach und nach Rache schrie handelte er rasch und mit falscher Sicherheit, holte sich eine Hose und ein Hemd aus dem groben Regal aus Stammabschnitten und rohen Bohlen, in dem immer seine Kleidung gelegen hatte, verstaute sie draußen bei seinem Proviant in einer kleinen Tasche und ging nach draußen, zum Stall. Er öffnete die Tore des Gebäudes weit, scheuchte die Rinder und Schweine heraus, half nach, wo ein Tier allzu lethargisch an seinem Platz verharrte. Sie konnten nicht dort bleiben, und in dieser Gegend hatten sie eine Chance zu überleben, ohne natürliche Feinde und mit einer jungen Aussaat als erstem Futter. Dann ging er wieder zurück zum Haus, im Kopf einen kühnen, verzweifelten Plan, seine letzten Brücken hierher abzubrechen, seiner Familie die letzte Ehre zu erweisen. Begraben konnte er sie nicht. Er vermied es, in Richtung der vier Leichen zu sehen, während er vorsichtig die Glut aus dem Ofen, in dem die Mutter vor kurzem noch gebacken hatte, zu einem Feuerchen auf dem Fußoden schürte. Schnell fütterte er die Flammen mit allem, was in der Nähe war, Kleidung, Feuerholz und Holzgeschirr. Er tat alles was er konnte damit das Feuer das gesamte Haus erfassen würde. Danach ging er fort, hob sein Päckchen auf, und ohne sich umzusehen ging er fort, in die gleiche Richtung wie zuvor, doch mit festeren Schritten, mit grimmiger Entschlossenheit, die seine Unsicherheit, was die Zukunft betraf, einfach überdeckte. Die Tränen waren nicht getrocknet, wollten immer noch hervorbrechen, doch jetzt waren sie eingesperrt, verschlossen hinter einem dünnen Panzer wie eine frisch verschorfte Wunde.
    Erst nach fast einer Meile drehte er sich um, und tatsächlich schien bereits ein unruhiges Licht aus dem Haus zu dringen, und die Tiere, die er noch erkennen konnte, flohen vor dem sich beinahe unsichtbar in den Himmel windenden Rauch, malerisch vor dem glühenden Sonnenuntergang.
    Sein Leben hier war vorbei, endgültig. Stattdessen schritt er weiter durch das grüne Gras, dessen sanftes Wiegen und Rauschen, dessen Leben seiner inneren Zerrissenheit widersprach. Es strich um seine Beine, schien ihn zu kosen und zu trösten wollen, während er abwechselnd grimmig vor Zorn die Stirn zerfurchte und die Tränen niederzwingen musste. Irgendwann würde er sich an den Mördern rächen, irgendwann, würde sie wiederfinden. Mit jedem Schritt in Richtung des Waldes sank die Wahrscheinlichkeit dazu, aber er würde zurückkehren ... Diese Gewissheit schwand der Erkenntnis, dass er seiner Zukunft furchtbar hilflos gegenüberstand. Was ihm, einem Vierzehnjährigen, nun geschehen sollte konnte er wohl kaum selbst bestimmen oder auch nur abwenden, und auf einmal kam er sich schrecklich klein vor, unter dem langsam erscheinenden Sternenhimmel, ohne eine Heimat, die ihm einen festen Halt gab, ohne eine Familie, die ihm zur Gesellschaft und zur Hilfe gewesen wäre. Und der Wald war noch weit fort. Rings um ihn war nichts als Grasland, in einer Richtung eine Trauerweide, die sich über einen Fluss beugte, aber das Einzige, was ihn den Weg finden ließ waren Sonne und Mond, von denen er gerade genug wusste. Im Westen ging die Sonne auf, in den Westen ging er, der Sonne entgegen. Aber jetzt schien keine Sonne und sah schützend auf ihn herab, nur die Sterne schienen kalt und unendlich weit fort zu funkeln, zwischen ihnen Meere, Unendlichkeiten von Dunkelheit. Geralt blieb stehen, setzte sich kraftlos in das trockene Gras und sah zu den Sternen auf. und zu dem Mond, der als Silberscheibe über dem Horizont stand. Er versuchte, etwas von dem Gerstenbrot zu essen, er wusste, dass er es brauchte, aber er bekam keinen Bissen herunter, denn sein Hals schien verschlossen von hinuntergeschluckten Tränen. Sanft legte er es beiseite, ließ sich langsam auf den Rücken herabsinken und sah in den Himmel hinauf, schloss bald die Augen und lauschte den Grillen, die mit ihrem Konzert begannen, sah bald zu dem Gestirnen auf, die wie Diamanten in einem Samttuch zu glitzern schienen, zwei Dinge, die Geralt noch nie gesehen hatte. Er fand es dennoch wunderschön, wunderschön und beängstigend in seiner Großartigkeit. Einige Tränen durchbrachen wieder den Panzer, rannen noch seine Wangen herab und versickerten im Gras, aber es waren stumme Tränen, eine verborgene Trauer. Irgendwann dabei schlief er ein, erschöpft von den Schrecken eines einzigen Abends, während der Mond über ihn wachte, mit seinem zernarbten und dennoch schönen Gesicht. Niemand war da um es zu hören, aber mehr als einmal wimmerte er im Schlaf, stöhnte, krümmte sich zusammen. Vielleicht verhinderte nur die Wache des Mondes über ihm dass er schreiend, heulend, aufschreckte.
    Am nächsten Morgen fröstelte ihn furchtbar. Der Tau war gekommen, und im Licht der in Pracht erstehenden Sonne strahlte jeder Grashalm, wenn man ihn genau ansah. Die Kristallperlen hatten jedoch mehr als das zur Wirkung, denn die, die sich auf Geralt und in seinen Haaren niedergesetzt hatten, sickerten in seine Kleidung herab und berührten ihn mit eiskalten Fingern. Er vermisste sein Bett. Verbrannt. Bestimmt war die Asche noch heiß ... Er zwang sich, den Gedanken an seine Vergangenheit beiseite zu schieben, die Zukunft würde hart genug werden, dräute es ihn, als er sich steif vor Kälte aufrichtete. Wenn er im Winter unterwegs war, würde er sicherlich erfrieren, dachte er, und schüttelte sich, dass die Tropfen aus seinen blonden, kurzen Haaren flogen. Wie mit hölzernen Gliedmaßen, die trotz ihrer Gefühllosigkeit zitterten, begann er, sich erst umzuziehen, denn im Beutel war die andere Kleidung zwar kalt, aber nicht nass geworden, und sich dann wieder auf den Weg zu machen. Er trug sein Bündel um einen guten Teil des Brotes erleichtert weiter, denn nun am Morgen schienen ihm seine Gedanken und Gefühle ebenso klar wie die Tauperlen, und er fühlte weniger von der Bedrückung des letzten Abends, die ihn am Essen gehindert hatte. Es würde wiederkommen, wusste er, würde ihn verfolgen, aber er brauchte auch Ruhe vor seiner Vergangenheit. Er strich weiter durch das hohe Gras, immer weiter in die Richtung, die ihm die Sonne als diejenige wies, in der seine Zukunft liegen sollte, aber der Tau durchnässte schon wieder den Saum seiner groben Wollhose und sickerte ihm von dort in die Schuhe. Es war furchtbar unangenehm, ohne ein Dach über dem Kopf zu leben, ging ihm auf, selbst im Sommer, wieviel mehr noch in Herbst und Winter. Aber er hatte nun einmal keines mehr, also wischte er pragmatisch den Gedanken dran beiseite und ging energisch voran. Er musste sich beschäftigt halten, wandern, über andere Dinge nachdenken, denn jedes Mal wenn er sich zurückerinnerte, Leichen sah, zerschlagene Körper, ein gespaltenes Gesicht, riss die zarte Wappnung seines Herzens wieder auf.
    Die Sonne würde ja noch aufgehen und den ganzen Krams ein bisschen wärmer machen, tröstete er sich. Die Landschaft war eigentlich wunderschön; flache, murmelnde Bäche durchkreuzten immer wieder endlose, wogende grüne Ebenen, in denen gelegentlich kleine Blumenkolonien andere Farben einstreuten, und an diesen Bächen standen unberührte Bäume, einige jung und in dem ganzen Saft ihrer reinen Jugend, einige uralt und kaum von jemandem gesehen, denn niemand hatte diese Ebenen bisher ganz durchmessen. Und der Wind, die hier wehte, war noch nie über Menschen oder ihre Tiere gestrichen, roch nach nicht mehr als feuchtem Gras, ein wenig Holz, ein wenig Wasser, ein wenig Blumen, befreite Geralt von seiner Erinnerung und freute ihn. Die Sonne ging immer weiter auf, ließ diesmal den Himmel, an dem kaum Wolken standen, in zarten Rosatönen erstrahlen und machte sich daran, die Tautropfen wieder in den Himmel zurückzutreiben, wo sie hingehörten. Eine Zeit noch fühlte er die Wärne ihrer Strahlen nur auf der Haut, aber bald schon erwärmte sich auch seine klamme Kleidung und machte das Wandern viel einfacher. Dieser Tag versprach, viel wärmer zu werden als der letzte. Aber immer noch war der Wald weit entfernt, und er wusste kein bisschen, wie er sich hier in der Ebene ernähren sollte, wenn nicht von den kleinen Tieren hier, Fedells, Kaninchen, Dinge, die er noch nie gejagt hatte. Er hatte überhaupt noch nie gejagt. Es gab zwar keine Jagdprivilegien eines Adels, der ohnein nicht bestand, aber die Bauern hatten weder Zeit noch Nutzen zur Jagd. Er würde es wohl lernen müssen, oder verhungern, und das war eine Alternative, die er nicht recht in Betracht zog. Vom Moment dieser Gedanken an hielt er Ausschau nach Löchern im Boden oder huschenden Schatten im Gras, die ihm vielleicht verraten würden, wo sich ein harmloses Tier versteckte. Er fand nichts davon, nicht, bis er an eine kleine Birkengruppe kam, die an einem Fluss stand und ihre hellen Blätter übers Wasser rauschen ließ. Er holte die nasse Kleidung, die er am Morgen noch getragen hatte, aus seiner Tasche und hängte sie zum Trocknen über die Zweige, denn hier wollte er ein wenig Pause machen, nachdem er bereits Stunden gelaufen war, denn die Sonne stand schon hoch am Himmel. Die Füße schmerzten schon von der recht ungewohnten Belastung, und weil auch das Wasser des Bächleins im Lauf des Vormittags wärmer geworden war, zog er die Schuhe aus, setzte sich an einen der Birkenstämme und ließ die Füße über die Böschung ins Wasser hängen, nachdem er sich entsprechend die Hose hochgekrempelt hatte. Widerum eine Zeit dämmerte er vor sich hin, lauschte dem Rascheln im Gras, das jedesmal einen Windstoß ankündigte, dem beständigeren Rauschen der Birkenblätter und dem Gluckern des Wassers direkt vor ihm. Einmal kitzelte ihn etwas zwischen den Zehen, und als er verwundert aufsah, ob irgendein Halm dort im Wasser trieb, sah er einen kleinen, silbernen Fisch dort schwimmen, der an ihm zu knabbern schien. Es war nicht unangehm, also ließ er das Tier gewähren, bis ihm ein Anderes Anlass gab, aufzuspringen. Der Ruf eines Raubvogels erklang über ihm, vielleicht ein Bussard, der ein kleines Tier im Gras erspäht hatte. Er wollte die Beute nicht aufschrecken, ehe er nicht wusste, wie er an sie kommen sollte, also starrte er angestreng in den Himmel, um zu erkennen, ob der winzige kreisende Punkt über ihm herabstoßen würde. Tatsächlich brach plötzlich der Kreis, in dem sich der Bussard bewegte, denn es war einer, wie Geralt mühelos erkennen konnte, als er kaum hundert Schritt von ihm entfernt ins Gras eintauchte und mit einem ängstlich quiekenden Fedell schwer schlagend wieder aufstieg. Keine Gelegenheit, dem Räuber seine Beute zu rauben, ergab sich, auch wenn er so schnell er vermochte dorthin rannte, dass ihm das Gras die bloßen Beine peitschte. Immerhin, ein zweites schattenhaftes Wesen huschte durch die Halme davon, augenscheinlich ein zweites der flachen, bepelzten Wesen, die sich mit ihrer Farbe so ausgezeichnet zu tarnen vermochten. Geralt lief ihm hinterher, mit einer Entschlossenheit, als ginge es um sein Leben. Vielleicht tat es das ja auch. Er kam gerade noch rechtzeitig, um das Fedell zu packen, ehe es in einem Kaninchenloch verschwand; Selber konnten sie keine Höhlen graben. Mit dem Kopf steckte es bereits in der Erde, als der Junge den grüngrauen, biberhaft flachen Schwanz ergriff und daran zu ziehen begann. Die Fedells waren schwach, verglichen mit anderen Wesen wie Kaninchen, sie überlebten nur dank ihrer Tarnung und ihrer immensen Vermehrungsrate, und es machte Geralt nicht viel Mühe, es herauszuziehen, gerade genug, um sich einzustemmen und mit verbissenem Gesicht daran zu zerren. Sofort fing die Beute an sich zu wehren und nach den Händen des Häschers zu schnappen, und die flachen Zähne bissen zu wie eine Zange, auch wenn sie nur dem Abrupfen von Gras dienen mochten. Geralt schrie auf, vor Schmerz wie vor Zorn über die Gegenwehr, und versuchte dem Wesen den Hals umzudrehen, wie es seine Brüder auf dem Hof mit Hühnern gemacht hatten, aber dieses Wesen hatte weniger Hals als ein Fisch. Ein böses Fauchen erklang und es entbrann ein kurzer Kampf, in dem sich das kleine Biest unverhältnismäßig gut schlug, ehe seinem Feind ein glücklicher Hieb gelang, der dem Tier knirschend das Genick brach. Schwer atmend saß Geralt im Gras, drei blutende Wunden an Hand und Armen, vor sich ein pelziges, niedliches, schlaffes und vor allem totes Tier. Er hatte es selbst umgebracht. Er schluckte hart, griff seine eigene Jagdbeute am Schwanz und trottete langsam zurück zu der Baumgruppe. Den Arm ein wenig abgespreizt hielt er sie von sich fern, vermied sie anzusehen. Es tat ihm Leid um das tote, flauschige Ding, das unglücklich die Mundwinkel verzogen zu haben schien. Irgendwie war es etwas Anderes als bei den fetten, trägen Hühnern gewesen, und auch bei denen hatte er jedesmal in seinem Herzen ein mulmiges Gefühl gehabt, einen versteckten Ekel vor dem Töten eines völlig harmlosen Tieres bis jemand Anderes sie genommen und ganz andere Sachen mit ihnen angestellt, sie gerupft und ausgenommen hatte.
    Er hatte doch überhaupt keine Wahl gehabt, belehrte er sich selbst, aber es war nicht so leicht, diesen kalten Gedanken richtig zu verinnerlichen. Die Wunden hatten den geringsten Anteil daran als ihm wieder Tränen in die Augen stiegen. Wie hart das Leben war ... Wieder am Fluss angekommen warf er zuerst die Leiche beiseite, zu seinem Rucksack, dahin, wo er nicht so schnell danach sehen müsste. Dann kniete er sich über die Flussböschung, trank etwas von dem klaren Wasser und wusch seine Wunden, die unsauber ausgerissen schienen und ziemlich übel schmerzten. Ihm blieb noch viel Zeit bis zur Nacht, die er nicht mehr wandern wollte. Stattdessen setzte er sich wieder unter die Birken und lauschte ihrem Rauschen, in albtraumhafte Gedanken versunken. Er, ein Mörder? Er wurde doch nicht etwa zu dem, was ihm das hier aufgezwungen hatte? Es war Jagd, rechtfertigte er sich selbst, nichts als ein Tier, nicht anders als die Rinder, die mein Vater zuhause schlachtet. Schlachtete. Jetzt, wo er seine Beute hatte, kam sie ihm nutzlos vor. Wie sollte er hier ein Feuer entzünden, aus grünem Holz und Gras etwa? Wie musste er das Tier überhaupt vorbereiten? Seine Brüder und sein Vater hatten so etwas daheim gemacht, und ihn dafür sanft verspottet, dass ihm übel bei dem Anblick der ausgeweideten Tiere wurde. Sie waren fort ... Geralt sah ein, dass es Zeitverschwendung war, nicht noch weiterzugehen, und dass er außerdem nichts als finstere Gedanken haben würde, wenn er sie nicht durch irgendeine Aktivität vertriebe. Mühsam, mit der zerbissenen Hand kaum etwas bewirkend, zog er sich wieder seine Schuhe an, ergriff sein Bündel, stopfte seine Kleidung und nach einigen Zögern auch seine armselige Beute hinein und stolperte weiter in Richtung des Waldes. Der Jagdausflug hatte auch seinen Füßen nicht gut getan, ohne den Schutz des harten Leders, und so hatten sich sein Körper und sein Geist gleichermaßen daran zerschlagen. Wunderbar, dachte er übellaunig, wie wirds werden, wenn ein Wolf ankommt, wenn ich mich kaum gegen eine solche Tarnratte wehren kann. Er würde Waffen brauchen, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Zuallererst ein Messer. Warum hatte er kein Messer mitgenommen? War er so unbedacht gewesen? Natürlich, sonst hätte er ja eins gehabt. Erst als die Sonne wieder unterzugehen begann, nachdem er auf seinem Weg drei der Bäche gekreuzt hatte, davon abgesehen aber kaum ein Maß seines Fortschrittes in Richtung Wald feststellen konnte, kamen ihm wieder dunkle Zweifel an seinem Tun. War es nicht närrisch von einem Jungen wie ihm, der kaum etwas von der Welt wusste, einfach fortzulaufen und in einer Richtung nach einem neuen Leben zu suchen, in der es kaum etwas anderes als unklare Andeutungen von einem großen Waldgürtel und dann von einer völlig fremden Welt gab, an die er seine Suche knüpfte? Er hätte einfach in die Stadt gehen sollen, als irgendein Knecht arbeiten und über die Runden kommen. Seine Gedanken wurden immer finsterer, je dunkler es wurde, und weil es im Sommer lange dauerte, bis die Sonne endlich verschwand, hatte er lange mit seinen Gedanken zu leben. Schlussendlich jedoch kam er an eine einsame Trauerweide, die beinahe abgestorben im Wind knarrte und müde ihre Zweige schüttelte, sich mit dem krumm wachsenden Stamm über einen dünnen Wasserlauf beugend, der augenscheinlich einmal größer gewesen war, denn das Bachbett lief breiter dahin als das Wasser darin. Geralt beschloss, hier die Nacht zu verbringen, ein Bach war ja so gut wie der andere. Die Hitze hatte ihm zu schaffen gemacht, also trank er gierig von dem wenigen Wasser, das an ihm vorbeilief und den Baum speiste, von dessen Stamm bereits die Rinde abzublättern begann. Neben dem Stamm legte er sich nieder, als es endlich gründlich dunkel war und nicht mehr als ein sachter Fabverlauf in einem helleren Blau am Horizont daran erinnerte, dass hier vor kurzem das große feurige Auge am Himmel gestanden hatte. Aber trotz der Nähe des Wassers war ihm heiß, und er konnte unmöglich einschlafen, gleichzeitig von der Hitze, und den Wunden geplagt, denen seines Körpers und denen seiner Erinnerungen, zu denen erst vor so kurzer Zeit eine neue hinzugekommen war. Seine Familie war tot. Das war die Erste. Tagsüber hielt er den Gedanken irgendwie aus, oder dachte vielmehr nicht so oft daran, indem er versuchte, sich beschäftigt zu halten, aber nachts kam die Erinnerung über ihn, wie eine Schleppe, der er davonlief, und die ihn zu ersticken drohte, wenn er innehielt. Er hatte selbst ein kleines, harmloses Tier getötet, das war die Zweite - nun, harmlos vielleicht nicht sehr, aber immerhin friedlich - und hatte vor, es zu essen. Irgendwie. Ihm graute davor, das Fleisch roh verschlingen zu müssen, aber vielleicht würde ihm wieder keine Wahl bleiben. Unruhig von solchen Überlegungen drehte er sich hin und her, versuchte in jeder Lage, einzuschlafen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Zuletzt zog er sich sein Hemd aus und band es sich fest um die Wunden im linken Arm und durch den Winkel der Hand, in dem die dritte Wunde lag. Das half gleichermaßen gegen die Schmerzen und auch gegen die Hitze, fand er, als er die provisorische Bandage mit dem Wasser des Baches tränkte. Jetzt strichen zwar die Grashalme über seinen Oberkörper, und er wagte nicht, seine Tasche mit dem toten Fedell darin als Kopfkissen zu benutzen, aber zuletzt gelang es ihm doch, einzuschlafen, vom Wind umschmeichelt, vom klagenden Knarren des Holzes im Wind getröstet und vom leisen Geräusch des Baches an ein sanftes, freundliches Lachen erinnert. Kaum eine Träne vergoss er diese Nacht, als lägen die Geschehnisse von vor zwei Tagen schon viel weiter zurück. Aber er wusste, es würde wiedekommen ...
    Der nächste Morgen war ein Angenehmerer als der vorhergehende. Der Abend war warm genug gewesen, um den Nachtnebel davon abzuhalten, sich wieder über die Ebene zu legen, und kaum ein Tautropfen lag auf Geralt und um ihn herum, als er vom Gesang eines Vogels geweckt wurde, der in den Zweigen der Weide über ihm saß und seine Freude am Leben verkündete. Dem jugendlichen Wanderer war weniger danach zumute, aber auch ihn bewegte das Bild der Sonne, die über den Horizont stieg und abermals die Graslande mit ihren Strahlen und dem Versprechen ihrer Wärme bedachte, die dünne Wolkendecke in Tönen färbte, die Geralt noch nirgendwo außer in diesem Ebenenhimmel gesehen hatte. Daheim auf dem Hof hatte er wenig darauf geachtet, war zeitweise nicht einmal früh genug wach gewesen, um den Sonnenaufgang zu erleben. Eine Wanderschaft wie diese hatte also auch ihre Vorteile; Magere Vorteile, ärgerte er sich gleich wieder. Kein Essen wartete hier auf ihn, wie seine Mutter früher immer den Morgen mit frischem Brot hatte beginnen lassen, keine lächelnden Gesichter an einem gemeinsamen Tisch, einfach nur aufwachen und mit dem weitermachen, was man zu tun hatte. Allein schon damit schoben sich wieder Erinnerungen vor und bedrängten ihn, aber er ignorierte nicht nur das, sondern auch seinen rebellierenden Magen - das letzte Stückchen des Brotes hatte er schon am Tag zuvor gegessen - und richtete sich auf. Als er sich mit der Linken am Baum hochziehen wollte, durchfuhr wieder ein reißender Schmerz seine drei Wunden, die augenscheinlich gerade wieder aufgerissen waren. Er stöhnte auf, zog hastig die Hand zurück und benutzte die Gesunde, um sich aufzuraffen. Nachdem die Wunden nun einmal wieder offen waren wollte er das Hemd darum nicht mehr abnehmen, sondern als einen Verband belassen, und stattdessen zog er sich das Zweite an, das noch kühl von der Nacht war, auch wenn der Abscheu vor dem inzwischen absolut steifen Tier in seiner Tasche ihn kurz davor zögern ließ die Kleidung darunter zu suchen. Mit seinem kleinen Paket über der Schulter brach er wieder auf, denn nichts hielt ihn an dem kleinen Bach zurück. Er war wie ein Büschel Werg geworden, dass der Wind den Weg entlangtreibt, ohne ein klares Ziel.
    Einige Tagesreisen weit, so hatte Imric eines Abends am Esstisch die Entfernung zum Wald angegeben, und Geralt hatte nicht genauer nachgefragt, von der Geschichte gebannt, die sein Vater erzählt hatte. Einige, das konnte drei heißen, das konnte ein halbes Dutzend heißen, und zwei hatte er bereits hinter sich. Er wusste dass er nicht noch vier weitere aushalten würde, hoffte auf eine möglichst kurze Reise. Er würde verhungern, denn nicht nur, dass sich hier kaum etwas fand, er konnte es auch nicht zubereiten. Wie hätte er das Fedell denn bloß essen sollen, ohne ein Messer, ohne Feuer? In Stücke reißen und samt dem Fell verschlingen? Bereits bei der Vorstellung wurde Geralt übel, und er spuckte neben sich ins Gras, während er darüber wanderte. Warum hatte er das Tier überhaupt getötet? Diese Frage hatte er einige Zeit aufgeschoben oder sich selbst mit einfachen Antworten beruhigt. Dass es hatte sein müssen, dass er etwas zu essen brauchte, dass so eine Gelegenheit nicht so schnell wieder gekommen wären. Aber er hatte doch schon während er dem Fedell noch hinterhergelaufen war gewusst dass er es nicht einfach so in den Mund stecken konnte. Nein, er kannte die unbequeme Antwort: Mit dem Tod des Nagers, mit dem Kampf war der Großteil des Zorns aus Geralt gewichen, und aus Zorn hatte er ihn getötet. Trotz dieser Erkenntnis bewegte ihn keine Bestürzung über sein eigenes Verhalten. Dunkel wusste er dass es so hätte sein sollen, aber seine Gefühle waren immer noch taub, sein Herz verhärtet.
    Der gesamte Morgen verstrich kaum anders als der vorhergehende, einfach einen Fuß vor den anderen setzen, viele tausend Male, in einer Richtung, in der seiner Hoffnung nach Hoffnung lag. Welch vage Begründung eines wahnwitzigen Unternehmens, kam ihm einmal mehr in den Geist, bis er rüde von seinem unzufriedenen Bauch unterbrochen wurde, welcher sich abermals bemerkbar machte. Langsam fühlte er auch dort Schmerzen, flächige, dumpfe Schmerzen, die ihm mitteilten, dass etwas zwar überhaupt nicht stimmte, aber immerhin nicht auf eine derart beißende Art wie in seinem linken Arm. Dieser fühlte sich langsam ihmmer schlechter an, und Geralt war kurz davor, Wundbrand oder etwas ähnlich unbrauchbares zu vermuten. Einer der beiden Schmerzen sollte Linderung finden, an einem Fluss widerum. Er wanderte immer noch durch ein ewiges, grünes Land - gerade in diesem Bereich übersät mit kleinen Blumen mit sternförmigen, weißen Blüten - als eine Baumkrone in Sicht kam. Der Wald, sagte seine höchste Hoffnung, die eine winzige Flamme in seinem Herzen zu entfachen vermochte, nur irgendein Strunk, der in der Gegend herumsteht, kündete seine aktuelle Stimmung. Weder das eine noch das andere erwies sich als richtig, denn es war ein Apfelbaum in voller Frucht, der auf einer schmalen, länglichen, grasbewachsenen Insel in einem ungewöhnlich kräftigen Fluss stand. Er wusste es nicht, aber hier begann der Felsboden bereits, sich zu senken, und machte auch größere Pflanzen und tiefere Bachbetten möglich. Hier nun hingen Äpfel, rote, runde Früchte, nicht sehr prächtig, nicht sehr groß, aber wie ein Festmahl anzusehen für einen derart hungrigen Jungen. Als er sich dem freundlichen Anblick näherte, flogen zwei Vögel von dem Baum auf, die offenbar auch die späten Früchte des Sommers genießen wollten. Er zog sich die Schuhe aus und watete durch den ersten Teil des rauschenden Flusses, durch das sandige Bachbett, das seine Zehen umschlang, anstatt wie die überwucherten, steinigen Flussgründe, die hinter ihm zurücklagen, zuoberst glitschig und unangenehm zu sein, darunter aber von Kieseln bedeckt, in denen ein unachtsamer Fuß einfach umknicken oder sich einklemmen konnte. Dafür war diese Variante schlammiger, sah er, als er auf der grasigen Insel wieder aus dem Wasser stieg und sich die Füße mit den Halmen abwischte. Seine Hose war beinahe bis zu den Knien durchnässt, denn er hatte sie nicht hochgekrempelt; Wieder schien die Sonne mit einer Kraft, die jede Abkühlung angenehm erscheinen ließ. Barfuß kletterte er den Baum herauf, was mit einem Arm nicht wenig Mühe machte; aber er griff mit dem gesunden Arm nach einem der Äste und suchte mit den Füßen nach jedem Halt in der Rinde und an anderen Ästen, und so kam er langsam Schritt für Schritt den Stamm herauf. Jedes Mal wenn er versuchte sich mit der verletzten Hand festzuhalten ging ein Reißen durch die Wunden, ließ ihn beinahe wieder herabstürzen. Auch wenn sein rechter Arm sich bald wie zum Zerreißen gedehnt anfühlte saß er schließlich doch in einer der unteren Astgabelungen und angelte ungeduldig nach dem ersten Apfel, der ihm in Reichweite der rechten Hand kam. Gierig verschlang er ihn mit wenigen Bissen und ließ nicht mehr als den Stiel übrig, ebenso wie bei den nächsten, die er erreichen konnte. Mit viel Mühe und Strecken und zweimal beinahe Herunterfallen, weil er sich mit dem linken Arm nicht einmal am Stamm festhalten konnte - allein schon der Versucht trieb ihm Tränen in die Augen -, stillte er schließlich seinen Hunger, der von einem Morgen ohne irgendetwas im Mund zu gewaltiger Größe aufgeblasen worden war. Halbwegs zufrieden saß er danach auf einem Ast und rubbelte seine Hände aneinander, denn im klebrigen Saft der kleinen, eingetrockneten Äpfel blieb der gesamte Schmutz der Rinde haften. War das Leben vielleicht immer so, immer zwischen Glück und Verzweiflung? Ein schmaler Grat am Wahnsinn schien das Geralt zu sein. Eine Weile stützte er sich einfach nur auf den starken Ast, schaukelte vor und zurück und schloss die Augen, um auf das einzige Geräusch des Windes zu hören, der durch Blätter und Gräser strich, und das Wasser, das rings um ihn strudelte. Ihm wurde klar, dass dieses Land seine Heimat war, die er verließ; Sein Leben lang hatte er inmitten von Gras gelebt, und die Bäume, die er in den Tagen seiner Wanderung gesehen hatte, waren ihm schon fremd genug gewesen. Ein Wald davon war für ihn kaum vorstellbar, bisher war das Bild, das er von dem Waldgürtel hatte, das einer Wiese, auf der mehr Bäume standen als sonst, und das musste schön sein. Ihm gefiel das mächtigere Rauschen der Blätter, das sanfte Wiegen der Stämme, das Lichtspiel der Sonne durch das Laub. Es betäubte seinen Geist, verwöhnte ihn, verglichen mit den Nachtschatten, die ihn zuvor heimgesucht hatten. Auf sanftem, heimlichen Wege kamen sie trotz allem an seine Seele heran, umgingen den traurigen Panzer wie Wasser um eine Rüstung spülen mochte, ohne von ihr abgewehrt zu werden.
    Er würde sich bald wieder auf den Weg machen, war ihm klar. Vorerst aber kam er an keine weiteren Äpfel mehr heran, die er doch als Proviant brauchen würde. Vorsichtig stieg er wieder den Baum herab, indem er mit beiden Füßen den Stamm herabging, während die rechte Hand sich an dem tiefsten Ast festhielt. Unten angekommen versuchte er ebenso vorsichtig, das Hemd von seinem Arm zu entfernen, und zupfte unentschlossen am groben, braunen Wollstoff. Jedesmal durchfuhr ihn eine kleine Schmerzwelle, und schließlich sah er auch, warum: Die erste Lage des Stoffes war von Blut durchsickert und klebte fest an den drei Wunden, die schon dick verschorft waren. Mit viel Arbeit und einigen schmerzvollen Grimassen löste er schließlich diese unselige Bindung, wobei zwei der Wunden wieder ein wenig zu bluten begannen, aber nur an kleinen Stellen, an denen der Schorf abgegangen war. Es tat immer noch weh, wenn er die gezackten Risse irgendwie belastete, aber er hielt es aus, in die Zweige des Baumes heraufzusteigen und Äpfel zu pflücken; Einige fielen ins Wasser und trudelten fröhlich kreiselnd davon, während über ihnen leise Geralt fluchte, aber die meisten landeten im dichten Gras des Ufers, an das er ohnehin müsste, und mit acht der Früchte begnügte er sich schließlich. Vorsichtig ließ er sich auf die Insel fallen - einen verknacksten Knöchel konnte er sich, alleine in der Ewigkeit, kein bisschen leisten -, watete an das andere Ufer, an dem seine Reise wohl weitergehen musste, den Beutel und seine Schuhe über der Schulter. Seine Rechte baumelte von der Anstrengung nutzlos herab, und seine Fußsohlen schmerzten vom krampfhaften Heranpressen an den Stamm. Die Äpfel musste er mit der Linken aufheben, so sehr es dabei auch in den verschorften Wunden riss.
    Diesmal sorgte er dafür, dass seine Hose nicht nass wurde, denn in vollgesogenen Hosen zu wandern war noch etwas anderes. Er wusch sich die von Schlamm und der feuchten Rinde verdreckten Füße und die klebrigen Hände im Fluss, spülte auch kurz über die Wunden und sein Gesicht. Was hätte seine Mutter nur zu so einer Katzenwäsche gesagt? Kurz huschte ihr Gesicht blass, geisterhaft, durch seine Erinnerung, ließ einen qualvollen Riss im Horn seines Herzens entstehen, aus dem Tränen drangen. Minutenlang saß Geralt weinend am Bach und ließ die Füße hineinhängen, das Gesicht in die Hände gestützt. Schließlich jedoch verblasste die Erinnerung wieder, ließ ihn allein in der Unendlichkeit zurück. Er stand schwerfällig auf und zog sich die Schuhe wieder an. Die Äpfel und das blutige Hemd verschwanden in der Tasche, die langsam wirklich voll wurde, aber immerhin war jetzt der unbequeme Kadaver ordentlich bedeckt.
    So wanderte er weiter, und die kurze Episode, kaum eine halbe Stunde, hatte ihm trotz der Erinnerung den Mut wiederhergestellt. Vielleicht würde der Wald bald kommen, und falls nicht, villeicht gab es noch mehr solcher Bäume auf dem Weg, oder anderer Wunder, die man essen konnte. Er war nur ein kleiner Junge auf einem lange Weg, ja, das mochte sein, aber die Welt schien ein Auge auf ihn zu haben, nur ein kleines, brennendes Auge am Himmel weit fort, aber es war da ... Geflissentlich ignorierte er dass dieses Auge anscheinend erst seit zwei Tagen über ihn wachen müsste. Er sah zum Himmel auf, und nicht nur die Sonne stand da, sondern auch ein winziger Stern, der kaum zu erkennen war, aber Geralt ins Auge fiel, als er nach Wolken und dem Stand der Sonne Ausschau hielt. Ein kleiner, rötlicher Punkt, der sich kaum gegen den Mittagshimmel abzeichnen konnte. Er blieb stehen und sah genauer herauf, kniff die Augen zum Schutz vor den Flammen des ungleich größeren Sonnenrades zusammen, und tatsächlich, immer noch schien ein kleiner roter Punkt mitten im blauen Himmel. Minuten veringen damit, dass Geralt dieses unmögliche Wunder betrachtete, aber es verschwand nicht wie eine Illusion, sondern stand dort, wie eine Botschaft die sagte: Alles ist möglich. Gibt es keine Grenzen des Möglichen, fragte sich Geralt. War es unmöglich für einen Vierzehnjährigen, alleine zu überleben? Nein, es war möglich. War es dann auch möglich, nicht einfach nur zu sein, nicht einfach nur zu leben ... Es ging über die Grenzen des Möglichen. Ebensowenig wie das unnahbare Wunder von dort oben herabsteigen würde, würden auch hier die Grenzen stets sichtbar bleiben. Geralt schüttelte den Kopf, zwang sich, wieder nach unten zu sehen und stapfte verdrossen weiter. Ein viel nahbareres Problem begann ihm Ärger zu machen, sein Magen war nämlich keineswegs an Äpfel gewöhnt. Selbst wenn wäre er kaum mit so vielen auf einmal fertig geworden, auf nüchternem Magen gegessen. Bald plagte ihn ein ihm unerklärliches Ziehen im Unterleib, das sich in Kürze zu boshaften Bauchschmerzen auswuchs. Äpfel waren nicht giftig, so viel wusste Geralt, denn hin und wieder hatte er einen gegessen, den sein Vater aus der Stadt mitgebracht hatte, aber in diesem Moment kam es ihm durchaus so vor, als ob er bald daran sterben müsste; Unwillig über eine derartige Dummheit ging er weiter, zusammengekrümmt und eine Hand auf den Bauch gelegt. Ihm kam in den Sinn, dass er vielleicht zu viel auf einmal gegessen haben könnte, vor allem, weil die Äpfel teils ziemlich sauer gewesen waren, und er schalt seine eigene Unvorsichtigkeit. Schließlich sank er mit einem Stöhnen in die Knie, legte sich einige Minuten einfach nur ins hohe Gras um sich ausruhen zu können. Er musste sich zwingen sich nicht immer wieder krampfhaft zusammenzukrümmen. Trotz den Schmerzen, die ihm einen gequälten Seufzer nach dem anderen entrangen, fielen ihm mit der Wange direkt am Erdboden an den Pflanzen gleich ganz andere Dinge auf. Er hatte sich nie richtig damit beschäftigt was eigentlich auf dem Boden wuchs und auf welche Weise, nur mit dem was sie auf dem Hof angepflanzt hatten. Einige dicke Hummeln schwirrten herum und sammelten Nektar aus den Blüten der Blumen, die im Gras herumstanden, kleinen mit zarten, violetten, runden Blütenblättern, höher aufgeschossenen mit weißen, traubenhaften Dolden, die zerbissen und kraftlos herunterhingen, wenn die Hummeln sie ausgesaugt hatten. Geralt wusste, dass es einen Grund dafür geben würde, dass sich die Blumen zerbeißen ließen, auch wenn er ihn nicht verstand. Es kam ihm wie ein schicksalhaftes Rätsel vor, dessen Lösung ihm vielleicht helfen würde, aber er kam nicht dahinter. Stattdessen beobachtete er gebannt das Treiben um ihn herum, kleine Ameisen, die ihm fremde Körner trugen und in einer langen Kette an ihm vorüberzogen, ein Schmetterling, der traumwandlerisch flatternd von Dolde zu Dolde wankte und dabei mit den rotgrünen Flügeln schlug. Irgendwann hatte er genug gesehen und gestaunt und richtete sich langsam wieder auf. Überrascht stellte er fest dass die Schmerzen sich zwischendurch verflüchtigt hatten - er hatte sich einfach vergessen, in seinem Staunen gebannt. Der Junge wischte sich mit einem winzigen, zaghaften Lächeln die Erde von der Wange und von den Kleidern, stand noch eine Zeit herum, in der er einfach nur der Natur um ihn herum gedachte, und ging schließlich weiter, den Kopf schüttelnd über derart viele Wunder, die er täglich gesehen haben musste und über die er sich nie einen Gedanken gemacht hatte. Niemanden auf dem Hof hatte es recht gekümmert, woher all diese Dinge überhaupt kamen. In Mencha verehrten sie irgendwelche Göttinnen dafür und für andere Sachen, fiel Geralt wieder ein, aber ihm hatten sich derartige Mysterien nie recht erschlossen. Sein Magen begann wieder, ein wenig zu ziehen, aber es war nichts im Vergleich zu dem, was ihn davor niedergeworfen hatte. Langsam begann auch seine Schulter zu schmerzen von dem Lederriemen des Beutels, der ständig das Wollgewand darüber scheuern ließ, und er wechselte die Schulter, aber nun musste er die Tasche mit dem verletzten Arm tragen, was diesem immer noch nicht recht gefiel. Er kam dennoch gut voran, denn seine Beine arbeiteten auch noch, wenn sein Verstand mit gänzlich anderen Dingen beschäftigt war. Schließlich kam er zu einem weiteren Fluss, dem letzten vor dem Wald, und sofort bemerkte Geralt, dass an diesem etwas anders war, und es war zu offensichtlich, um es nicht sofort zu erkennen: Dieser hier lief parallel zu seinem Weg und darüber hinaus auch noch auf ihn zu, während er bisher jeden anderen hatte kreuzen müssen. Der Schluss daraus, nämlich dass das Land hier anstieg und einen bewaldeten Gebirgskamm bidete, blieb ihm allerdings verschlossen, ebenso wie das ganze Konzept eines wirklichen Gebirges. Er wandte sich ein wenig weiter nach rechts, um nicht den Fluss kreuzen zu müssen, und das war klug, denn der Bach führte direkt in den Wald, oder, besser gesagt, von einem der Gebirge im Norden durch den Wald in das Grasland herab. Eine dunkle Linie erschien kurz am Horizont, verschwand wieder, als sich Geralts Schritt senkte, tauchte beim Nächsten wieder über einem Hügelchen auf, und schließlich blieb sie und wurde immer breiter, eine dunkle Linie in Tannengrün und schwarz, denn der Wald bestand hier aus vielen Nadelbäumen, und Schatten war zwischen ihnen. Geralt hatte sich den Wald anders vorgestellt, aber allein der Kontrast zum Grasland machte offensichtlich, dass dies der Wald war. Atemlos begeistert von dem ihm noch viel fremderen Anblick, als es ein einzelner Baum war, begann er, auf die Linie zuzulaufen, die sich immer mehr in spitze Baumformen zerteilte, unten bräunlich, nach oben hin aber von einem stumpfen Grün. Und der Boden! Über und über war er mit abgefallenen Nadeln bedeckt, die alle diese Bäume hier kleideten, wie er feststellte, als er mit offenem Mund, vor Erschöpfung und Staunen hörbar atmend, und starrenden Augen die Decke des Nadelwaldes betrachtete.
    Grob wurde er aus diesen verträumten Betrachtungen gerissen, auf eine Weise, die ihn zusammenfahren ließ, dass er meinte, sein Herz müsse bersten.
    "Wer bist'n du, kleiner Junge?"
    Er fuhr zu der Stimme herum, der ersten, die er seit Tagen hörte, zuckte dabei zusammen als hätte ihn jemand schlagen wollen. Sie gehörte einem Mann der nicht aussah als könne man ihm sein Vertrauen schenken; Fettige schwarze Haare hingen über ein aufgedunsenes Gesicht mit einem irgendwie gemeinen Grinsen darauf. Seine Kleidung war aus besserem Stoff als die Geralts, aber nicht sehr viel, und sie war um vieles schmutziger und abgewetzter. Ein Messer hing an seinem Gürtel, eine einfache, kurze Klinge mit einem Holzgriff, ohne eine Scheide dazu. Geralt überlegte noch ängstlich ob und was er antworten sollte, als die Gestalt schon bei ihm war und ihm den Beutel abgenommen hatte. Unsicher stand Geralt daneben, während der Kerl sich durch seine Sachen wühlte, die Äpfel und das Fedell herausholte.
    "Woher hast du denn den Burschen hier?", fragte er, und hielt das Tier am Schwanz hoch.
    Immer noch fand der Junge keine rechten Worte zur Antwort, und gerade wollte er sich zu einem gekrächzten "Im Grasland" zusammenraufen, als sich der Mann schon abwandte.
    "Komm mit, den essen wir gemeinsam."
    Eigentlich war es seine Beute, sein Essen, aber als der Mann schon einen der Äpfel zerbiss und sich auf den Weg tiefer in den Wald hinein machte beeilte er sich, seine Sachen aufzusammeln und ihm zu folgen. Immerhin Gesellschaft. Vor sich hin plappernd, von seinen Reisen, von dem Wetter, von dem Wald hier, glücklich, jemanden mit Ohren gefunden zu haben, wanderte er voraus, in Richtung einer Feuerstelle, die einen geschwärzten Steinkreis inmitten des vielen Laubes bildete, mit kleinen Knochen ringsherum, und zwei grob geschnittenen Holzspießen darüber. Ein kleiner Stapel von Holzstückchen lag daneben, unordentlich aufgestapelt.
    "Mächtig steif schon, der Kerl hier, wie alt ist der denn schon?" Der Fremde begann, das Fedell abzuhäuten und auszunehmen, ohne eine Antwort abzuwarten, die Geralt sowieso nicht geben wollte. Stattdessen setzte er sich auf einen kleinen Felsen ein paar Schritte von der Feuerstelle entfernt, in der schon wieder einige kleine Flammen zuckten, die der Mann zu hegen begann, und dafür brauchte er seinen ganzen Atem, weshalb das Geschwätz eine Zeit aussetzte. Zerstückelt lag das Tier schon auf einem der Steine, bereit, aufgespießt zu werden, und die Innereien bildeten einen widerlichen Haufen direkt daneben, dessen Anblick den Jungen ebenso anekelte wie schon daheim. Wahrscheinlich müsste er solche Gefühle überwinden lernen, dachte er sich skeptisch, als er sah, wie wenig dem Mann diese Arbeit auszumachen schien, aber das flaue Gefühl im Magen blieb. Und es brachte die Erinnerung zurück, wenn auch nur die ans Schlachtwerk, aber auch das hatte dazugehört. Und die hereinbrechende Dunkelheit förderte seine Melancholie noch. Als die Sonne wieder den Himmel aufflammen ließ, brieten die Fleischstücke schon über den Flammen, und während Geralt die Schuhe auszog und sich, geistig mit völlig anderen Dingen beschäftigt, die Füße massierte - das harte Leder mochte ein ausgezeichneter Schutz gegen scharfe Gräser und Schmutz sein, aber es war eben hart und unbequem geschnitten - holte der Fremde eine Flasche hervor, ohne auch nur ein wenig auf den wunderschönen Himmel zu achten. Nach einem tiefen Schluck versuchte er, ein Gespräch in Gang zu bringen. "Ich bin übrigens Bekin. Wie heißt du?"
    Er wandte sich ab, um nach dem Fleisch zu sehen, aber nach dreißig Sekunden, in denen keine Antwort kam, drehte er sich wieder misstrauisch zu Geralt um, der immer noch seine Füße knetete und selbstvergessen in den Sonnenuntergang sah.
    "He, bist du stumm?" Ein Kopfschütteln antwortete ihm, bedächtig und abwesend. "Bist du blöde?" Wieder kam keine Antwort als nur ein langsames Kopfschütteln.
    Nun war Bekin an der Reihe mit seinem eigenen Kopfschütteln, diesmal aus Verwunderung und nicht der Verneinung wegen, und er wandte sich ab und kümmerte sich stattdessen um das Fleisch am Feuer. Als er schließlich nach einem der Stücke griff und es sich in den Mund steckte, obwohl es kaum einen Platz dort fand und Bekin die nächsten Minuten angestrengt kauen musste war auch Geralt lautlos da, zupfte vorsichtig eines der Fleischstücke vom Spieß und zog sich wieder zu seinem Felsklotz zurück, um dort wesentlich gesitteter zumindest vor dem Verschlingen Stücke davon abzubeißen. So kam es auch, dass am Ende Geralt drei der Stücke bekam, Bekin aber acht. Trotzdem beschwerte sich der Junge nicht, und zufrieden lehnte sich der Mann gegen einen Baum und widmete sich wieder seiner Flasche, nahm keine Notiz mehr von Geralt, der ja ohnehin kein interessanter Gesprächspartner zu sein schien. Dieser begnügte sich damit, in die Flammen zu sehen, die nun, da der Himmel sich verdunkelt hatte, die einzige Alenkung vor Nachtgedanken boten. Wie die Funken aus dem Holz stieben, das sich schwärzte, zusammenzog, weiß wurde und zu Asche zerfiel, wie ein Zeichen der Vergänglichkeit, aber es war schön, den glühenden Teilchen zuzusehen, wie sie bis zum Blätterdach aufstiegen, obwohl die meisten schon in ein paar Fuß Höhe erloschen. Als das Feuer beinahe erloschen war, nur ein wenig Glut und viel Asche noch in dem Steinkreis lagen, rollte sich Geralt neben dem Felsen auf dem Nadelteppich zusammen, auf der der Feuerstelle abgewandten Seite, um das wenige Licht der letzten Flammen abzuschirmen, und um Bekin nicht mehr zu hören. Jetzt plagten ihn wieder finstere Gedanken an seine Familie, aber weniger als Geralt angenommen hatte, denn Bekin vertrieb allein durch seine unangenehme Anwesenheit die körperlosen Schrecken, indem er sie durch seinen eigenen, viel handfesteren und daher viel harmloser scheinenden ersetzte.
    Bisher war er noch jedes Mal von der Sonne und den Vögeln am Morgen geweckt worden, aber diese Nacht wachte er durch einen viel weniger erfreulichen und erhabenen Grund auf. Kalte Finger, Bekins Finger, machten sich an ihm zu schaffen, suchten unter seinem Hemd nach etwas, glitten seinen Körper herab ... Blanke Angst schoss in einer weißen Flamme durch sein Rückgrat in den Kopf, lähmte ihn kurz. Dann kam Bewegung in ihn. Mit einem Schrei war Geralt hellwach, roch den trunkenen Atem des Mannes, der mit einem überraschten Grunzen zurückwich, riss Augen und Mund in ungläubigem Starren auf. Entsetzt sprang der Junge auf und floh durch den nachtschwarzen Wald, ließ seine Schuhe und seine Tasche wo sie waren, rannte barfuß über die Nadeln, bis er schließlich einen Tannenzweig hart durch sein Gesicht peitschen fühlte, einen schwarzen Schatten dem er nicht mehr hatte ausweichen können. Das brachte ihn zur Besinnung, und da er nur noch seinen eigenen panischen Atem hörte, keine schweren Schritte eines Anderen, zwang er sich zur Beruhigung, rieb sich die Augen, die unter dem Stich der Nadeln gelitten hatten, und suchte sich vorsichtiger einen Weg weiter in den Wald hinein, versuchte aber, sich den Weg zu merken, den er ging, irgendwie ... Angst packte sein Herz wieder, als die Aufregung abklang, Beklemmung in der Düsternis des Waldes ringsumher. Er konnte unmöglich weitergehen. Wie sollte er denn ohne Schuhe durch einen Wald kommen, dessen Boden von Nadeln bedeckt war, wenn ihm nach drei Minuten Laufen darüber bereits die Sohlen davon schmerzten? Und auch seine Kleidung wollte er nicht zurücklassen, war sie doch alles, was er besaß.
    Daher kehrte er sich trotz aller Angst um und versuchte, den Weg zurück zu finden, wobei ihm der Stand der bleichen Mondscheibe, obwohl kaum durch die dichten Nadelzweige zu erkennen, die größte Hilfe war; Kaum hätte er sich Merkmale seines Weges merken können, im Dunkeln, auf einer panischen Flucht durch einen ihm völlig fremden Wald. Schließlich hörte er ein Geräusch, das weder das leise Tappen seiner bloßen Füße auf den Nadeln war, und auch nicht sein eigener Atem, sondern ein die geheimnisvolle Dunkelheit des Waldes nicht achtendes Schnarchen. Bekin, wusste Geralt. Vorsichtig schlich er näher, tastete bei jedem Schritt, ob er nicht auf einen Zweig treten würde, hielt beinahe den Atem an, um auf keinen Fall den Betrunkenen zu wecken. Er lag kaum fünf Schritte von der Stelle entfernt, wo er Geralt überrascht hatte, die Gliedmaßen weit von sich gestreckt. Damit war er immer noch furchtbar nahe an der Feuerstelle, wo seine Sachen noch liegen mussten. In einem Bogen um Bekin machte er sich auf den Weg, wobei ihm selbst das leise Kratzen seiner Kleidung auf der Haut laut genug erschien, den Schläfer aufzuschrecken. Angstschweiß brach ihm jedes Mal aus wenn sich Bekin auch nur ein wenig rührte, im Schlaf ein leises Stöhnen von sich gab. Schließlich jedoch war er an seinem Ziel, und der Mann schnarchte immer noch so ungestört wie zuvor. Atemlos schlüpfte er in seine Schuhe, die sich schon eiskalt anfühlten, und griff nach dem Beutel mit seinen Sachen. Gerade wollte er sich wieder zum Verschwinden abwenden, als ihm ein kühner Gedanke kam. Er brauchte doch immer noch ein Messer, und Bekin hatte eines ... Und nach dem, was heute Nacht beinahe passiert wäre, hatte er kaum Bedenken, es für sich zu nehmen. Es zu stehlen, sagte ein kleiner, unbequemer Gedanke tief in seinem Kopf, aber er hörte nicht darauf. Stattdessen näherte er sich Bekin, allmöhlich, vorsichtig, mit leisen Schritten, und je näher er kam, desto länger verharrte er vor seinem nächsten Schritt, immer wieder zögernd vor Angst dass der Mann doch noch erwachen würde. Nur noch zwei Schritte trennten ihn von seinem Ziel, als über seinem Kopf im Geäst eines Baumes ein Vogel schrie. Eine kalte Kralle der Angst schloss sich um Geralts Herz, würgte seine Kehle, lähmte seine Glieder. Obwohl Geralt nichts von den Legenden um den todbringenden Schrei der Eulenvögel wusste kam ihm dieser dumpfe Ruf doch genau so vor, schreckte er doch auch Bekin aus seinem Schlaf auf. Mit einem scharfen Einatmen öffnete der die Augen, murmelte einen bösen Fluch auf den Vogel, der ihn geweckt hatte, drehte sich gerade zu der Geralt abgewandten Seite und rührte sich nicht mehr. Minuten blieb der Junge an seinem Platz hocken, zu Tode erschrocken wagte er kaum noch zu atmen.
    Erst als wieder regelmäßiges Schnarchen von dort drüben erklang, wo Bekin nun schlief atmete er überhaupt wieder aus. Noch schwächer war das Licht des Mondes inzwischen geworden, und mit vor Angst und Nervosität zitternden Fingern tastete Geralt nach dem Messer, dort, wo er meinte, einen schwachen Lichtschimmer auf einer Klinge erkennen zu können. Zweimal berührte er den Stoff der Kleidung des Schläfers, aber der erwachte nicht noch einmal, und schließlich schlossen sich seine schlanken Finger um den Messergriff, zogen ihn behutsam aus dem Gürtel und hielten ihn fest umklammert, während er sich etwas weniger vorsichtig entfernte, während er im Inneren frohlockte über seinen Erfolg. Die Angst war beinahe verschwunden seit sein Entkommen ihm gesichert schien, und verblasste außerdem vor dem gelungenden Diebstahl. Räuber, sagte eine andere Stimme in seinem Gewissen. Er ignorierte es entschlossen und erfolgreich, Bekin hatte schließlich das Gleiche oder noch Schlimmeres vorgehabt. Ohne eine besondere Richtung verschwand er wieder vom Lagerplatz, um nur so viel Weg wie möglich zwischen sich und den Mann zu bringen. Er würde sich am Morgen wieder orientieren, jetzt war ihm sein Fortschritt erst einmal egal, denn er stolperte bereits müde über vorstehende Wurzeln und stieß sich an den Bäumen, die sich in der Dunkelheit kaum noch abzeichneten. Nur ein winziger silberner Schein drang noch durch die Decke der Nadeln über ihm, vermischt mit noch viel weniger Rot, einem kleinen Schimmer, der sich manchmal an feucht glänzenden Kanten von Nadeln abzeichnete. Er musste von diesem Stern kommen, den Geralt schon am Tag gesehen hatte. Ein ungewöhnliches Ding ... Von seinem Schicksal durch derartige Gedanken abgelenkt schlief er abermals ein, diesmal unangenehm zwischen den verwachsenen Wurzeln einer Tanne gebettet, die wie Hexenfinger aus dem Boden erschienen und wieder verschwanden. Er schlief dennoch wie ein Stein, gelegentlich in Erinnerung erschauernd.
    Der Morgen zeigte Geralt nicht nur den Weg, den er verloren hatte - er war etwa rechtwinklig zu seinem Kurs nach Süden geflohen - sondern auch, was für eine unangenehme Sache es war, mit einer Wurzel im Rücken zu schlafen. Völlig verkrümmt richtete er sich auf und machte sich wieder auf den Weg, leise, fast vorsichtig, als fürchte er jeden Moment, Bekin durch die Zweige zu sehen. Aber nichts geschah, während er steif dahinstolperte, und so wandte sich seine staundende Aufmerksamkeit anderen unbekannten Wundern zu: Den Tautropfen, die wie Kristalle an den Nadeln hingen, den Spinnennetzen, die, so abscheulich ihre Schöpfer Geralt auch vorkommen mochten, mit den Perlen des Morgens besetzt wie ein Netz von Sternen zwischen den Stämmen der Fichten hingen, dem sanften, feuchten Geruch von Erdboden, Nadeln, Harz und Holz.
    Angenehm klopfte bei jedem Schritt das Messer gegen seine Hüften, angenehm obwohl wenn es ihn immer wieder an seine Zeit mit dem Räuber erinnerte. Und an das Fleisch, das sie gegessen hatten. Endlich war er den verfluchten Kadaver los, aber er wusste schon, dass er bald mehr würde beschaffen müssen: Noch hielt das Essen vom Abend vor, aber der Hunger meldete sich schon wieder zu Wort. Jagen. Was für Tiere gab es in diesem Nadelwald überhaupt? Eine Spinne anzuknabbern war das Letzte, was Geralt in den Sinn kam, und davon abgesehen hatte er nicht viel gesehen.
    Das sollte auch so bleiben, den ganzen Vormittag über, und er fand keine Gelegenheit, sein neues Messer zu prüfen, bis sich der Wald plötzlich vor ihm auftat und er ins beinahe Freie stolperte, oder sich, besser gesagt, gerade noch halten konnte, denn vor ihm lag ein kleiner See, der im Sonnenlicht, das von Zweigen ungebrochen dorthin scheinen konnte, funkelte. Das Wasser wirkte dunkel und tief und geheimnisvoll, und es war auch kalt, wie Geralt sogleich prüfte. Ein kleiner, stiller Bach, beinahe verborgen unter endlosen Nadelmengen, speiste ihn. Dennoch beschloss er schließlich, nachdem er sich einige Male umgesehen hatte, in diesem See zu baden, denn er war noch von daheim gewohnt, gewaschen zu sein, und der Dreck der vergangenen Tage fühlte sich unangenehm an; Mehr noch, als er sich in der glatten Oberfläche betrachtete, erkannte er kleine Zweige und Blätter in seinen Haaren, Schmutz in seinem Gesicht. Doppelt unangenehm kamen ihm die Erinnerungen an seine Mutter, einerseits die strengen Zurechtweisungen wenn er nicht sauber genug für ihre hohen Ansprüche war, andererseits - wie sehr er sie vermisste, dass er sie nie wieder sehen würde ... Zögernd legte er seine Kleidung ab, warf sein Bündel darauf und stieg in das kalte Wasser, auch, um wieder etwas zu tun zu haben und nicht in Gedanken zu versinken. Es reichte ihm gerade bis zum Bauch, und er beeilte sich, sich darin zu säubern, tauchte einmal ganz unter, auch wenn die Wunden am Arm davon wieder schmerzten, und rieb sich die Haut ab - und als nur noch sein Kopf über die Wasseroberfläche ragte, erschien plötzlich ein brauner Schatten zwischen den Bäumen. Ein Tier wie ein Pferd, nur kleiner und schlanker, mit zarten Beinen und gespaltenen Hufen, einer großen, feuchten Nase, riesigen dunklen Augen und wachsam aufgestellten Ohren, schritt vorsichtig heran, und Geralt wagte kaum, sich zu rühren, aus Angst, das schöne Tier zu verscheuchen. Seine Flanken hatten eine hübsche weiße Zeichnung, fiel ihm auf, als das Reh neugierig mit der Schnauze gegen einen seiner Schuhe stieß, ihn ableckte und umwarf, über seine Kleidung stolzierte und daran roch, und schließlich, als Geralt sich einfach bewegen musste, weil ihm langsam wirklich kalt wurde, schnell mit einigen Sprüngen wieder zwischen den Bäumen verschwand. Zitternd kletterte der Junge aus dem Wasser und trocknete sich mit seinem Hemd ab, rubbelte sich warm, bis seine Haut sich rötete, ehe er sich im Wasser des Sees betrachtete, das langsam wieder zur Ruhe kam. In den wenigen Tagen war er schon hagerer geworden, er war immer schlank gewesen, von der Kost eines Bauernhofes wurde man nicht fett, aber inzwischen zeigten



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Fellknäuel - 06.03.2010, 23:56


    *wird von einer Wall of Text um ein Haar erschlagen und kann sich gerade noch so retten*

    *reicht Warmonger einen Beutel mit Absätzen*

    Nutze sie weise, junger Padawan, und vor allem - nutze sie reichlich! :mrgreen:



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Ena - 07.03.2010, 12:01


    Nee, bin natürlich nicht böse...
    Aber Felli hat Recht, am besten haust du ein paar Absätze rein, im Word gings ja ganz gut zu lesen...allerdings hat das Forum wohl andere Maßstäbe. :mrgreen:



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 07.03.2010, 12:02


    ehe er das andere aus dem Beutel holte und sich wieder anzog. Zuletzt wischte er sich die Füße von der Erde und den Nadeln ab, die allein wegen des Wassers an ihnen klebten - anscheinend war hier im Wald nichts richtig sauber - und schlüpfte in die ein wenig feuchten Schuhe.
    Das Tier war schön gewesen ... Aber es hatte nicht sehr wehrhaft ausgesehen. Vielleicht würde er eins davon jagen können, er brauchte doch bald wieder etwas zu essen, Nadeln zu kauen war nichts für ihn, und mehr hatte er schwerlich gesehen. Der Gedanke alleine ließ ihn vor sich selbst zurückschrecken, sich selbst verabscheuen. Sich etwas anzusehen und nachzudenken wie man es töten konnte!
    Vorerst jedoch wanderte er weiter durch den Wald, nachdem er mit einiger Sicherheit den Sonnenstand und den Weg, den er gehen musste, herausgefunden hatte. Geralt hatte sich nie viel darum gekümmert, sich zurechtzufinden, und deshalb blieb ihm kaum mehr als Hoffnung, nicht im Kreis zu gehen. Den ganzen Nachmittag verbrachte er damit, durch den Wald zu strolchen, sich wieder an den Spinnweben, die überall zwischen den Bäumen hingen, an der Bäumen, deren nasse Rinde grünbraune Spuren auf seiner Haut hinterließ, und an den endlosen Nadelzweigen schmutzig zu machen, bis er schließlich meinte, eine Änderung in der Beschaffenheit des Waldes feststellen zu können, dass nämlich die Bäume ein wenig auseinanderrückten und nicht mehr wie ein endloser Zaun versuchten, ihn zurückzuhalten, dass der Nadelteppich ein wenig dünner und an einigen Stellen sogar von wagemutigem Grün durchbrochen war und dass ein wenig mehr Licht durch die Zweige schien, aber viel änderte sich nicht, bis er schließlich an einen Busch kam, dessen blassgrüne Zweige dicht mit kleinen Blättern und ebenso kleinen, roten Beeren besetzt waren. Er streckte schon, hungrig wie er war, die Hand danach aus, als ihm der Gedanke kam, dass sie genausogut giftig sein konnten, und noch war er nicht so weit, es zu riskieren. Unentschlossen blieb er eine Zeit neben dem Busch stehen, und er beschloss, hier zu bleiben und die Nacht zu verbringen, die wieder einmal dämmerte, indem die Sonne sich langsam abwärts bewegte, auch wenn noch einige helle Stunden bevorstehen würden. Er klaubte sich einige kleine Zweige aus den Haaren, wobei er angewidert eine kleine Spinne fortschleuderte, die sich dort verlaufen hatte, rubbelte ein bisschen Dreck von der Haut und ruhte sich dann, an eine Kiefer gelehnt, aus. Hier sangen mehr Vögel als im tiefen Wald, und beruhigend schienen Dutzende um ihn herum zu zwitschern, einige sah er in den Zweigen sitzen, aber kaum einer kam ihm irgendwie bekannt vor. Amseln, Spatzen, mehr hatte sich kaum einmal auf den Hof verirrt, denn die Ebene war uninteressant für Vögel. Die kleinen Tiere pickten ungerührt nach den Beeren an den Büschen, aber Geralt war immer noch nicht überzeugt, dass sie auch für ihn harmlos sein würden. Ob der Wald wohl bald enden würde? Er wäre unerwartet schmal gewesen, aber da er sich schon lichtete, hielt der unerfahrene Wanderer es durchaus für möglich, schon am Ziel seiner Reise zu sein. So schön es hier auch war, das Land jenseits des Waldes hatte er sich anders vorgestellt. Paradiesischer ... Nicht konkret, nur als eine Gegend, in der er nicht mehr arbeiten müsste, wo Frieden sein würde. Und Gesellschaft. Immer hatte er auf dem Hof Gesellschaft vermisst, nie kam Besuch, nie konnte er mit jemandem außer der Familie reden.
    Hier war Geralt immer noch alleine. Und weil er ganz offensichtlich noch nicht am Ziel war musste er weiter. Mit einem Seufzen lehnte er sich vor und wollte aufstehen, als er bemerkte, dass seine Haare in einer harzigen Wunde im Baum festklebten. Nur noch davon gehalten verlor er die Balance, riss von dem klebrigen Harz los und fiel aufs Gesicht. Stolpernd kam er wieder auf die Beine und stöhnte unzufrieden; Gerade war er noch ziemlich sauber vom Seewasser gewesen, jetzt wälzte er sich schon wieder auf der Erde. Es ging leicht bergab, und bis auf die nächste, grasige und mit wenigen Bäumen bestandene Bodenwelle konnte er kaum etwas von dem Weg sehen, der noch vor ihm lag, aber vielleicht wäre ihm ein dünner Rauchfaden aufgefallen, der sich von dort aus in die Luft wand, wenn er genauer hingesehen hätte. Das hätte er jedoch als Letztes erwartet, und so kamen die Blockhütten und Holzhäuser, die er in dem kleinen Tal zwischen den Bodenwellen erblickte, sehr überraschend. Wie paralysiert blieb er auf der Hügelkuppe stehen und starrte hinab, bewegungslos, schweigend. Und dann zuckte er wieder zusammen, als er dem zweiten Menschen auf seiner Wanderung begegnete, als er auf einmal eine Hand auf der Schulter spürte und eine sanfte, alte und ein wenig belustigte Stimme hörte.
    "Mein Junge, du stehst hier und bewunderst den Sonnenuntergang, aber willst du nicht lieber mit nach unten ins Dorf kommen?"
    Geralt schreckte aus seiner Erstarrung auf und drehte sich mit einer Heftigkeit herum, die den Sprecher zurückschrecken ließ, aber als er erkannte, dass der Junge vor ihm noch viel erschrockener war, mit seinem sprachlos aufgerissenen Mund und den ebenso weit offenen Augen, trat wieder ein warmes Lächeln auf seine Züge.
    "Wo kommst du denn her, dass du so schreckhaft bist? Los, komm mit, aus dem Dorf bist du jedenfalls nicht."
    Der Mann schritt beschwingt den Hang herab, und Geralt stolperte ihm nach. Jetzt sah er den Fremden erst genauer: Er war kurz und untersetzt, mit mehr grauen als dunklen Haaren, und seine Kleidung war gut für einen Bewohner solcher Hütten, nach dem, was der wenig herumgekommene Bauernsohn bisher gesehen hatte. Als sie sich gegenüber gestanden hatten war ihm noch mehr aufgefallen. Das Gesicht des Mannes war von Falten bedeckt, die von einer größeren Lustigkeit zeugten als sie sein eigener Vater Imric wohl jemals besessen hatte, bei dessen harten Zügen. Aber er war fremd, und Geralt hatte eine Radikalkur in Sachen Misstrauen hinter sich. Als sie vor einer der Hütten in der Ansammlung standen, die man nur in einer großzügigen Übertreibung "Dorf" nennen konnte, wenn man schon einmal ein Echtes gesehen hatte, blieb er unschlüssig stehen, anstatt dem Mann ins Haus zu folgen. Neugierig sahen ihn andere Bewohner der Hütten an, Männer und Frauen, fast alle in Fellkleidung, und ein paar barfüßige Kinder, sogar zwei oder drei Jungen in Geralts Alter. Die wenigsten trugen Leinensachen wie der Fremde, der so plötzlich aufgetaucht war und trotzdem wie selbstverständlich vom Ältesten eingeladen worden war. Nachdem er sich derart umgesehen hatte gab sich Geralt einen Ruck und folgte seinem Gastgeber in dessen Haus. Drinnen herrschte ein eher dumpfes Licht, weil kaum Fenster eingebaut waren, aber dennoch schien alles sauber und ordentlich gepflegt zu sein. Eine Frau stand an der Feuerstelle, ebenso weißhaarig wie ihr Mann, die sich von ihrer Suppe abwandte, als die Neuankömmlinge durch die Tür traten. "Thom! Wen hast du mir denn mitgebracht? Ein Reisender hier? Und so jung?"
    In ihrem einfachen Kleid, das Geralt schmerzhaft an seine Mutter erinnerte, kam auf ihn zugestürzt und legte ihm die Hände auf die Schultern, strahlte aus ihrem ebenfalls eindrucksvoll faltenreichen Gesicht an und führte ihn zu dem langen Tisch, der aus Holzplanken über einigen Böcken bestand. Sicher konnten zehn Leute daran Platz nehmen, anscheinend gab es hier häufiger Besucher. Täppisch folgte Geralt der Frau, die sofort wieder zu ihrem Suppentopf eilte.
    "Du hättest mir Bescheid sagen sollen! Jetzt habe ich gar nichts Besonderes da für unseren Gast, schämst du dich nicht?"
    "Ach, gib Ruhe, Frau, ich hatte doch selbst keine Ahnung, dass der Bursche hier vorbeikommen würde."
    Der liebevolle Schlagabtausch der beiden setzte sich fort, als wollten die Alten sich bloß die Zeit damit vertreiben, und Thom setzte sich Geralt gegenüber auf einen Holzklotz. Schnell folgte der seinem Beispiel. "Genug geredet, erzähl mir von dir." Jetzt war Geralt an der Reihe. Ihm kam es vor als sei es ewig her, dass er ein Wort gesagt hatte. Seit dem Tod seiner Eltern. Er sagte nichts. Wie auch, er war sich so unsicher, sollte er von all dem erzählen, was ihm auf der Seele lag? Es widerstrebte ihm, die Erinnerung mit anderen zu teilen. Weshalb, war ihm nicht klar, ob er befürchtete, den Anderen schwach zu erscheinen, oder dass sie ihn nicht verstehen würden, ihm mit Unverständnis begegnen. So senkte er bloß den Kopf und legte die Hände auf den Tisch, betrachtete sie peinlich berührt. Mitfühlend schaute ihn der alte Mann an, aber Geralt sah es nicht. Erst als er eine Hand auf dem Rücken spürte sah er wieder auf, die Hand der Frau, die ihn mit einem ebenso freundlichen Gesichtsausdruck ansah. "Du hast eine harte Zeit hinter dir, wie du aussiehst. Lass dir Zeit ... Uns kannst du vertrauen."
    Schweigen antwortete ihr, aber auch ein zaghaftes Lächeln, ein Unsicheres, und sofort sah Geralt wieder auf die Tischplatte herab. Leise betrachtete Thom ihn, während seine Frau sich um die Suppe kümmerte, so lange, bis das Essen fertig war. Dann kamen vier einfache Holzschüsseln auf den Tisch und mit ebenso einfachen Holzlöffeln aßen die beiden Alten und ihr Gast das eher karge Mahl. "Danke." Die leise, heisere, beinahe gekrächtzte Artigkeit kam Geralt einfach aus dem Mund geglitten, ehe er darüber nachdenken konnte. Überrascht sahen ihn die Gastgeber an, und wieder wurde er rot, Aufmerksamkeit schon gar nicht mehr gewohnt.
    "Stumm bist du also nicht. Aber nicht sehr gesprächig, anscheinend."
    Sie blieben sitzen, und die beiden Eheleute unterhielten sich leise, während Geralt nur zuhörte. Es tat gut, einem Gespräch zu folgen, nicht nur dem egozentrischen Geplapper eines Banditen zu lauschen, der sich die Einsamkeit verschwatzte. Er legte die Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände, müde vom Tag, Thom verstummte. "Anne, wir reden zu viel. Unser Gast ist schon müde von unseren Geplapper." Mit diesen Worten stand er auch schon auf und forderte Geralt auf ihm zu folgen, treppauf, wo zwei Türen auf einen kleinen Absatz folgten. Thom öffnete die rechte Tür, und ein kleines Zimmer lag dahinter, mit einem ebenso kleinen Fenster, das mit einer geölten Leinwand verschlossen war, und einem Bett in einer Ecke. Es war bloß grob gearbeitet und die Matratze bestand aus nichts als einem Strohsack, aber daheim hatte Geralt auf der Erde am Feuer geschlafen. Selbst dieser bescheidene Luxus kam ihm wie Reichtum vor. Erwartungsvoll sah Thom ihn an, was er dazu sagen würde, und Geralt schien sich erstlich mit den Worten abzumühen, damit zu ringen, ob er etwas sagen sollte oder nicht. Gerade schon wollte der Alte die Achseln zucken und wieder verschwinden, da sprach der Junge wíeder, wieder mühsam.
    "Das ... Ist mein Bett?"
    "Das ist dein Bett, Junge. Siehst ja aus als hättest du noch nie in einem geschlafen."
    "Hab ich nicht."
    Langsam wurden Geralts Stimmbänder wieder warm, er erinnerte sich daran wie es war zu reden, begann selbst wieder damit. Die Gegenwart der freundlichen Alten hatte ihm die Zunge gelöst.
    Thom lehnte sich in den Türrahmen und sprach noch einmal, mit freudiger Stimme, ehe er wieder zu seiner Frau verschwand und Geralt die Treppe unter seinem Gewicht knarren hörte.
    "Schlaf gut. Wenn du etwas brauchst, zögere nicht, uns zu wecken oder zu fragen; Ich und Mara haben eh einen leichten Schlaf und brauchen nicht mehr so viel wie ein junger Kerl."
    Kurz noch stand Geralt unschlüssig herum und sah Thom nach, dann schloss er die Tür und legte sich voll angezogen auf das Bett. Das Stroh stach ein wenig durch den Sack, in dem es herumlag, aber es schien recht frisch und duftete noch nach Ernte. Durch die Leinwand fiel ein gelblicher Lichtschimmer an die Wand, sonst war es sehr dämmrig in der Kammer, und es war kein Wunder, dass Geralt nach ein paar Minuten schon eingeschlafen war, ohne sich große Gedanken gemacht zu haben. Hier war er in Sicherheit, ganz bestimmt.
    Er schlief länger als draußen, und er schlief besser als draußen. Keine Kälte biss ihm durch die Kleidung, keine Sonne schien ihm ins Gesicht, kein Tau durchtränkte seine Kleidung. Stattdessen wache der davon auf, dass er einfach ausgeschlafen war. Er blieb noch liegen. unmotiviert, sich zu bewegen, bis ihn das Stroh allzu sehr stach. Träge schwang er die Beine aus dem Bett und stand auf, vorsichtig, wollte seine Gastgeber nicht wecken. Zu seiner Überraschung hörte er sie aber bereits unten arbeiten, als er den Kopf aus der Tür steckte. Er hatte nie erfahren, dass alte Leute weniger Schlaf brauchten als junge, also hatte er angenommen der Schlafbedarf würde mit dem Alter eher steigen, obwohl Thom ihm die Wahrheit gesagt hatte. Er lief die knarrende Bohlentreppe hinab und sah sich nach den beiden um: Thom war gerade dabei, den Tisch abzuräumen, an dem die beiden gemeinsam gegessen hatten, und Mara packte alles zusammen, um es schließlich am Bach spülen zu können. Als Geralt kam wandten sich die beiden ihm zu, ein warmes Lächeln flog auf ihr Gesicht. Als er sich jedoch näherte rümpfte Mara ein wenig die Nase. "Junge, da hinten steht noch Haferbrei für dich, aber wirklich, du musst dich erst einmal waschen. Meine Güte, du hast ja den Strohsack gleich mitgebracht!" Emsig aufgebracht begann sie, Strohhalme von Geralts Kleidung und aus seinen Haaren zu zupfen. Thom zeigte sich verständnisvoller und schritt ein, als Geralt hilflos die Hände hob. "Mara ... Mach mal halblang, wir wissen doch gar nicht wo er herkommt." Seiner Frau war das sichtlich egal. "Du gehst jetzt erst einmal runter zum Fluss, da sind die anderen Jungen auch schon. Meine Güte, du willst doch sauber sein, oder?"
    Allerdings, Geralt hatte die Sitten, die ihm seine Mutter beigebracht hatte, noch lange nicht vergessen. Und sich mit anderen zusammen am Fluss zu waschen war ihm auch nichts Neues - aber hier kannte er nun wirklich niemanden. Trotzdem nickte er. Mara drückte ihm ein Tuch in die Hand, das ziemlich dick und weich war - Geralt hatte so eins noch nie gesehen, aber er verstand sofort, wofür es da war. Dann machte er sich auf den Weg, beeilte sich - immerhin wurde der Haferbrei kalt.
    Unten am Fluss waren tatsächlich schon andere Jungen, um die zehn, die sich im Fluss vergnügten und dabei ganz am Rande auch noch sauber wurden, was ihre Mütter bestimmt viel wichtiger fanden. Ihr Geschrei drang bis hoch zu den Häusern. Als er näher kam sah Geralt, dass sie beinahe allen Altersgruppen angehörten, obwohl die meisten etwa so alt wie er selbst zu sein schienen. Ihre Kleidung hatten sie achtlos auf das taunasse Gras am Ufer geworfen. Unschlüssig ob er einfach so dazukommen durfte blieb er einige Meter weit entfernt stehen und sah den Jugendlichen zu. Schließlich schüttelte sich ein Blondschopf das Wasser aus der halblangen Mähne, grinste zu ihm hinüber und winkte. "Komm doch rein - raus kommen wir jedenfalls nicht!"
    Nach dieser Einladung waren Geralts Zweifel größtenteils zerstreut. So schnell er konnte zog auch er sich aus und trat in den Fluss hinein. Er war kalt, aber nicht so kalt wie der stille See im Wald, und die Anderen hielten sich warm, indem sie herumtobten, sich unter Wasser drückten, Fangen spielten und miteinander rangelten. Er selbst hielt sich abseits des Ganzen, wusste nicht, wie er in diese Gesellschaft hineinkommen sollte und wusch sich schweigend - bis ebender Blondschopf, der ihn angerufen hatte, auf einmal mit den Händen auf seine Schultern sprang und ihn fachgerecht versenkte. Prustend kam Geralt wieder hoch und revanchierte sich. Er warf sich auf den Fremden, stieß ihn vor die Brust und sah zu, wie der überrascht hintenüber im Wasser versank. Er musste grinsen, aber Sekunden später riss ihm sein Gegner von den Beinen, fegte Geralts Knöchel mit seinen eigenen Füßen auseinander. Noch unter Wasser gerieten sie wieder aneinander, Geralt klemmte seine Knie hinter die des Anderen, der dagegen umfasste seine Fußgelenke, befreite sich und stand auf, sodass Geralt kopfüber im Wasser stand. Er hatte nie richtig schwimmen gelernt, und auch jetzt ruderte er eher wild mit den Armen und kam nicht los - aber ehe er sich auch nur größere Sorgen machte wurde er schon wieder losgelassen. Mit einem tiefen Japser tauche er weider auf, direkt vor dem grinsenden Kontrahenten.
    "Woher kommst du? Ich bin Nate."
    Geralt atmete erst einmal tief durch, ehe er seine Antwort gab. Inzwischen hatten sich auch viele der Anderen um sie gesammelt und schauten mit unverhohlener Neugierde an seinem Körper herab. Er war brauner als die meisten der Jungen hier, sonst allerdings erkannte man in ihm unmöglich einen Außenseiter.
    "Geralt. Ich ... bin aus dem Osten. Hab bei zwei Alten übernachtet. Und ihr? Gehört ihr alle zum Dorf?"
    Die Umstehenden grinsten und nickten, einige raunten sich auch ein paar Worte zu.
    "Aus dem Osten? Durch den Wald? Davon musst du uns erzählen ... Du alleine durch den Wald? Na, gehen wir erst mal raus hier, wird schon lausig kalt, und unsere Eltern warten auf uns."
    Allesamt mit einer Gänsehaut kletterten neun nackte Gestalten aus dem Fluss und begannen schnatternd, sich mit ihren Tüchern abzureiben. Keiner achtete auf den Anderen, jeder bemühte sich nur, rechtzeitig trocken zu werden, ehe er erfror. In einer halben Minute standen sie alle wieder in ihren Hosen da. Geralt war der einzige, der sich noch seine Schuhe anziehen musste, die Dorfjungen liefen alle barfuß herum. Nate, dessen Haare jetzt wie eine wilde Gloriole um seinen Kopf herumstand, ging neben Geralt her zurück zum Dorf.
    "Für uns ist jetzt die Feldarbeit dran. Du hilfst uns doch, oder? Siehst aus, als wärst du auch schon mal auf dem Acker gewesen."
    Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, heute zu arbeiten. Aber eigentlich hatte er gar nichts vorgehabt, also, warum nicht? Vielleicht konnte er hier in dem Dorf bleiben. Als ein Adoptivkind.
    "Klar. Auf der anderen Seite vom Wald. Lange her."
    Nate sah Geralt an, dass der nicht über seine Vergangenheit reden wollte und davon abgesehen auch noch in Gedanken versunken war. So verschwand er von seiner Seite und schwatzte stattdessen mit einem anderen Jungen weiter. Wie als Ersatz kam ein anderer, Älterer, der eine kurze Zeit neben Geralt herging und ihn finster von der Seite betrachtete. Erst als er das bemerkte und fragend zur Seite blickte ergriff er das Wort. "Und, wann ziehst du weiter?"
    Überrascht sagte Geralt erst einmal gar nichts, sondern versuchte stumm, den Sinn in den Worten zu erkennen. Ungeduldig runzelte der Andere die Stirn.
    "Wann du weiterziehst. Nach der Ernte können wir Wanderarbeitern wie dir kein Obdach mehr geben, weißt du. Ich hab schon gehört, dass du bisher als Schmarotzer bei den Ältesten gelebt hast, aber lange geht das nicht so."
    Wie vor den Kopf gestoßen blieb Geralt stehen und sah dem Älteren fassungslos hinterher. Hundert Gedanken rotierten auf einmal in seinem Kopf und verdrängten alle Zukunftspläne, die er schon hoffnungsvoll geschmiedet hatte. So sahen ihn also die Leute hier. Sie dachten, er sei nur für die Arbeit gekommen, und mehr wollten sie anscheinend auch gar nicht.
    Er bemerkte nicht, dass sein Gesprächspartner mit einem siegessicheren Grinsen davonspazierte. Er bemerkte überhaupt nichts mehr, denn mit Tränen in den Augen und gesenktem Kopf machte er sich auf den Weg zurück, fühlte sich, als müsse er gleich an dem Brocken in seinem Hals ersticken. Er bekam auch nicht mit, wohin die anderen Jungen liefen, also wusste er auch nicht, wo er mithelfen konnte. Er würde wohl Mara fragen müssen, aber eigentlich hatte er dazu überhaupt keine Lust mehr.
    Wer fragte schon nach seiner Lust? Er musste für sein Essen arbeiten. Das war immerhin nur zu deutlich aus dem kurzen Gespräch hervorgegangen. Unwillig suchte er sich den Weg zurück zum Haus der Dorfältesten, und so wie er durch die Tür geschlurft kam sah Mara sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie eilte herbei und nahm Geralt das Handtuch ab.
    "Geralt? Was ist, haben dich die Anderen so geärgert? Oder was ist los? Thom ist leider unterwegs, einen kleinen Streit schlichten."
    Der Junge schüttelte bloß verneinend den Kopf und überlegte, wie er erklären sollte, was los war. Unschlüssig stand er eine ganze Weile da und sah die wartende Mara an, ehe er eine Antwort formulieren konnte. Stockend und mit leiser Stimme erzählte er davon, was der zweite Junge gesagt hatte, und mit einem noch leiseren Murmeln fügte er hinzu, dass er gerne für immer da geblieben wäre. Oder zumindest ein wenig länger als nur eine Erntezeit. Während er erzählte waren Maras Augen erst immer größer geworden, dann immer kleiner, bis sie mit einem Stirnrunzeln ziemlich bedrohlich aussah. Ziemlich wütend. "Das war mit Sicherheit Laon, der Junge vom größten Hof im Dorf. Spielt sich auf wie die Stimme aller Anderen, aber ... Ach, vergiss ihn einfach, Geralt. Kümmer dich nicht um ihn."
    Irgendwie gereizt fuhr sie fort ein zerissenes Hemd zu nähen, während Geralt ihr schweigend dabei zusah. Irgendwann räusperte er sich um die trockene Kehle wieder loszuwerden und fragte zögernd, in welcher Richtung denn die Felder lägen, auf denen gerade Nate arbeiten würde. Maras Gesicht hellte sich ein kleines Bisschen auf. "Hat er dich also schon für die Arbeit eingespannt, was? Nate ... Guter Junge. Seine Familie hat es nicht leicht, aber er ist ein guter Junge. Also, da links runter, durch den kleinen Wald durch, dahinter sind die Felder. Ich glaube, das von Nates Vater ist das ... zweite da. Viel Spaß bei der Arbeit."
    Geralts Laune hatte sich wieder ein wenig verbessert. Hoffentlich war dieser Laon nicht in der Nähe, denn arbeiten musste der bestimmt auch. Schnell und beschwingt lief er über den lehmigen Weg, während sich ein paar Frauen nach ihm umschauten. Er bemerkte es nicht, aber einige wirkten regelrecht missbilligend. Schnell fand er das Wäldchen, kaum mehr als ein paar Bäume, die rund um eine kleine Brücke standen, die sich über einem Bach wölbte. Er verlangsamte seinen Schritt in ihrem Schatten, genoss das leise Plätschern des Baches. Schließlich blieb er ganz stehen und schloss die Augen, atmete tief den angenehmen Duft der Umgebung ein. Er roch schon das Heu auf den Feldern ... Er stellte sich vor wie es aussähe, wenn jetzt jemand vorbeikäme, ihn hier faul herumstehen sähe. Bestimmt würden sie ihn direkt hochkant herauswerfen, oder zumindest noch viel schiefer ansehen. Mit einem Ruck öffnete er die Augen und ging weiter. Tatsächlich konnte er schon Nates bemerkenswerten Schopf sehen, sobald er aus dem Schatten der Blätter trat; Der Junge stand gebückt in einem Kornfeld und schnitt mit einer Sichel Garben. Seine Eltern, die doch eigentlich mit ihm auf dem Feld arbeiten sollten, waren anscheinend nicht da. Schnell ging Geralt zu ihm herab, kümmerte sich nicht um die anderen Felder und anderen Leute, die meist kurz aufsahen und sich dann wieder ihrer Arbeit widmeten. Der Weg war schlammig und zertreten, er konnte sich nicht vorstellen, ohne Schuhe darüber zu gehen; Auf ihrem eigenen Hof hatte es das nicht gegeben, die meisten Wege waren einfach nicht ausgetreten gewesen, von fünf Menschen nicht genug benutzt. Geübt arbeitete er sich durch die dicht stehenden Roggenhalme zu Nate vor, der angestrengt arbeitend nach unten sah. Erst als er Geralt durch das Feld rascheln hörte blickte er kurz auf, streckte sich dann den Rücken. "Schön dass du da bist. Da liegt die Sichel von meinem Vater, ich glaube, du weißt ja schon wie das geht." Geralt nickte bloß und griff nach dem Werkzeug. Es war beruhigend langweilige Arbeit, das Getreide zu schneiden und zu Garben zu binden, man wusste, was man am Abend hatte, man wurde nicht von plötzlich auftauchenden Fährnissen unterbrochen. Ganz besonders nicht hier, am Rand der Welt. Allerdings, man bekam auch Rückenschmerzen davon. Geralt war jedoch jung und geübt, und die ersten paar Stunden arbeitete er stumm vor sich hin, während Nate irgendwo hinter ihm schnitt. Gemeinsam arbeiteten sie eine unregelmäßige, kreisartige Form in das Feld hinein, auf dem alle paar Meter ein dickes Bündel von Halmen stand. Das Land hier war fruchtbar. Nicht so fruchtbar wie das Grasland, das Geralts einziger Vergleich dazu war, aber der Unterschied war nicht allzu groß. Auch hier strömten viele Flüsse aus dem Gebirge herab und tränkten das Land. Die Sonne schien angenehm herab, brannte nicht so furchtbar wie im Hochsommer, und beide Jungen dachten lange nicht einmal an eine Pause, bis Nate seine Sichel hinwarf und zu Geralt herüberkam. "Komm, für heute sind wir schon halb fertig. Ich hab was von meiner Mutter dabei, das essen wir jetzt erst einmal."
    Vergnügt setzten sie sich beide auf dem Feld nebeneinander, auch wenn ihre Hosenböden dabei dreckig wurden, unterhielten sich mit vollem Mund, während sie Roggenbrot mit ein wenig Fleisch darauf aßen. Der Roggen ringsumher reichte ihnen sitzend beinahe über die Köpfe, sodass sie niemand faulenzen sah. Und selbst wenn, das war doch ihre Sache - dachte Geralt, der noch nicht wusste, wie viel Einfluss die Meinung der Anderen von einem bedeuten konnte. Nate wusste es, aber sein Ruf war zur Hälfte schon zerstört, zur anderen unzerstörbar, also brauchte es ihn auch nicht mehr zu kümmern. "Da drüben, in eurem Dorf, warum bist du da weg? Bist doch ein netter Kerl, rausgeworfen werden sie dich schon nicht haben. Sag schon, ich sags auch nicht weiter, wenns peinlich ist."
    Geralt schwieg eine Weile, bevor er, sichtlich ungern, antwortete. "Nichts peinliches. Nicht mal ein Dorf. Frag nicht, bitte."
    Unangenehmes Schweigen folgte, in dem die Laune beider sichtlich getrübt war. Grübelnd, wie er das Gespräch wieder in Gang bringen könnte, kaute Nate auf seinem Brot herum, während Geralt trübsinnig das gleiche tat. "Eh ... Und die anderen Jungen? Wie findest du die hier eigentlich?"
    "Die meisten wirken nett. Ein paar nicht so. Aber irgendwie ... Haben die alle noch nichts anderes als das Dorf hier gesehen, oder?"
    Nate verdrehte die Augen, als Geralt die weniger netten Exemplare erwähnte. Er wusste gut genug, wovon der Neuankömmling sprach.
    "Hast Recht, die meisten hier sind nicht viel rumgekommen. Na ja, eigentlich alle. Und da erwarten sie halt auch, dass das so bleibt. Alles bei allen gleich ist."
    Nate, der selbst ein bisschen kritisiert wurde, hatte einen etwas objektiven Standpunkt als man von einem Dorfjungen annehmen mochte, auch wenn seine schärfste Kritik noch sehr verhalten wirkte. Lange Jahre hatte er selbst völlig dazugehört und hatte sich genausowenig um den Rest der Welt gekümmert wie jeder andere.
    Sie schwiegen noch ein bisschen, dann richtete sich Nate wieder auf, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab, schniefte mit der Nase, die vom Baden noch ziemlich verschlossen war, und griff wieder nach seiner Sichel. Geralt tat es ihm gleich, und stumm arbeiteten sie weiter. Während der Arbeit dachte er über dieses Gespräch nach. Er war wohl kein allzu begabter Gesprächspartner, hatte mehrmals den Faden abreißen lassen, Fragen nicht beantwortet, Antworten unkommentiert gelassen. Hatte er all das auf dem Weg vergessen, oder hatte er es zu fünft daheim einfach nicht nötig gehabt? Dort hatten sie sich mit wenigen, oft ganz ohne Worte verstanden. Während dieser Gedanken hatte er sich schon bis zum Rand des Feldes vorgearbeitet, sah durch die dünnen, verbleibenden Halme schon die anderen Felder. Viele waren schon abgeerntet, auf anderen luden Familien die Garben schon auf grobe Handkarren - einige, die auf den größten Feldern, auch auf von Eseln gezogene - und verschwanden schließlich mit dieser Ladung Richtung Dorf, ohne sich mit mehr als einem abschätzigen Blick um sie zu kümmern, ohne ihnen zu helfen. Geralt überlegte, ob er ausspucken sollte, aber die Situation hätte das wohl auch nicht verbessert, also ließ er es eben. Stattdessen arbeitete er umso verbissener weiter, bis die Sonne ihren Zenit schon überschritten hatte, und dann war er so weit fertig mit dem Feld, dass er sich zu Nate umschauen musste. Der war auch fleißig gewesen, hatte die andere Seite des Feldes abgeerntet. Er wischte sich den Schweiß aus dem Nacken und Gesicht, grinste halb und kam zu Geralt herüber. "Bleibt noch, das Zeug nach Hause zu bringen. Wofür wir uns natürlich 'nen Karren holen müssen, verdammt." Normalerweise kam ein Teil der Familie zwischendurch mit dem Wagen und Nachschub, gelegentlich auch mit Ablösung, aber zu ihnen war niemand gekommen. Geralt konnte gar nicht mehr anders als zu fragen warum. Nate verzog ärgerlich das Gesicht, zögerte lange, bevor er mürrisch antwortete. "Mein Vater ist tot, meine Mutter zu schwach zum arbeiten. Sagt sie. Daher arbeite ich eben alleine, normalerweise." Es verband sie also auch der Tod eines Elternteils. Schweigend registrierte Geralt das, bis ihm einfiel, dass das vielleicht tröstlich auf Nate wirken mochte. Während sie schon auf dem Weg zum Dorf zurück dahintrotteten, einen Karren zu holen, öffnete er endlich den Mund. "Mein Vater ist auch tot." Und meine Mutter, und meine Brüder auch, dachte er dazu, aber sagen würde er es nicht. Ein toter Vater oder eine tote Mutter waren gar nicht so ungewöhnlich, bei einem Unfall oder im Kindbett gestorben. Eine tote Familie würde schon mehr Aufsehen erregen, aber Geralt war auch nicht wirklich danach, jemandem davon zu erzählen. Damit gab es nichts mehr zu sagen; Er fand es falsch weiter nach Nates Hintergründen zu fragen, und der schien ähnliche Gedanken zu haben, denn auch er hüllte sich in Schweigen, bis sie vor einem ehemals schmucken, inzwischen aber heruntergekommenen Fachwerkhaus standen. Es war niedrig und klein, einstöckig wie die meisten anderen Häuser hier auch, aber der Zustand war doch ein wenig bedenklicher. Das Reetdach war schwärzlich verfärbt, teilweise auch grün, faulend und moosig. Das Fachwerk war mit Efeu überzogen, mindestens ein Balken schien sich schon verzogen zu haben, was Risse im Lehmwerk rundherum hervorgerufen hatte. Der Putz darüber war an vielen Stellen schon abgesprungen, an den noch erhaltenen dagegen schmutzig grau. Windschiefe Vierecke sahen aus der Fassade hervor, nur eines davon mit einer Haut verschlossen, das andere als ein einfaches Loch ins Innere klaffend. Vielleicht ein Stall, hoffte Geralt, wohnen sollte dahinter jedenfalls keiner. Auch der Garten war verwahrlost, Gras und Unkraut wuchsen wild, sodass nicht einmal mehr der Weg erkennbar war - abgesehen von einem schmalen, nieergetrampelten Pfad zu der so schräg in den Angeln hängenden Tür, dass auf allen Seiten ein großer Spalt blieb. Unbeirrbar hielt Nate auf dieses Hexenhaus zu, bog kurz davor links ab und kämpfte sich durch das hohe, wild wachsende Gras, bis er an einer kleinen, fast zugewachsenen Seitenpforte ankam. Geralt folgte ihm, neugierig und gleichzeitig ein wenig bange - wohnte Nate etwa wirklich hier? Als er wieder mit einem kleinen Karren im Schlepptau zum Vorschein kam eilte er sofort zu ihm und half ihm dabei, das schwerfällige Konstrukt auf den etwas ausgetreteneren Weg zurück zu den Feldern zu zerren. Wenn sie nicht gerade das Hausvon irgendjemandem plünderten der eh schon tot war, dann wohnte Nate wohl wirklich hier. Er wagte nicht, das zu konstatieren, und so schwiegen sie abermals, während sie den widerspenstigen Wagen mit fürchterlich schleifender Achse und unregelmäßigen Rädern über die Wege zerrten, einmal nach links, einmal nach rechts ausbrechend wie ein bockendes Pferd. Geralt war schon erschöpft als sie wieder beim Feld angekommen waren, und das war ja nur ein Bruchteil der Arbeit: Jetzt mussten sie die großen, sperrigen Garben im Karren stapeln. Und, als wäre das nicht genug, ihn wieder zurückziehen ... Darüber hinaus, als sei das Leben dazu da, sich ihm selbst schwer zu machen, war gut zu erkennen, dass selbst wenn sie abenteuerlich hoch stapeln würden, sie mehrmals würden fahren müssen. Und das taten sie, immer noch schweigend, inzwischen ein Gespann, den man zutrauen mochte, dass sie Brüder waren, so wenig unterhielten sie sich. Die Sonne neigte sich schon bedenklich dem Horizont zu, als ob sie bald umkippen und versinken wollte, und es zog sich schon ein leichter goldener Schimmer über die Wolken, als sie endlich fertig waren und das gesamte Getreide in der heruntergekommen Scheune lagerte. Freundlich, aber auch müde, verabschiedete sich Nate von ihm - ohne ihn auch nur zum Essen einzuladen. Eigentlich war das fast eine Beleidigung. Geralt allerdings, einsam aufgewachsen, hatte wenig Ahnung von den Konventionen, und selbst wenn verstand er, dass Nate vermutlich kaum genug für sich und seine Mutter hatte. Erschöpft kam er durch die Tür in das Haus seiner Gastgeber herein. Niemand schien da zu sein. Anscheinend war Thom noch unterwegs und auch Mara anderweitig beschäftigt. Unschlüsig, was er tun sollte, blieb Geralt eine gute Weile einfach stehen, ehe er sich enttäuscht in das Gästezimmer trollte und auf den Strohsack fallen ließ. Er war wirklich müde, und noch ehe es draußen ganz dunkel war war er schon eingeschlafen, hungrig, aber irgendwie glücklicher als auf seiner Wanderung zuvor. Ein Bett, ein Dach über dem Kopf, Arbeit, die sich bewältigen ließ. Trotz allem, was an diesem Tag geschehen war hoffte Geralt immer noch hier bleiben zu können, vielleicht mit der Zeit akzeptiert zu werden. Er wusste nicht, dass bereits über ihn geredet wurde, und dass Thom und Mara deshalb noch nicht wieder da waren weil sie in Gesprächen mit anderen Dörflern über ihn festgehalten wurden. Und dass es mit der Akzeptanz bisher nicht allzu gut aussah.
    Spät in der Nacht öffnete Mara die Tür zum Gästezimmer einen Spalt weit und sah hinein, betrachtete kurz den Jungen, der in der Dunkelheit und auf dem groben Lager klein und verwundbar aussah. Vielleicht nur wegen seiner zusammengerollten Haltung. Vielleicht nur, weil Mara wusste, was für Ärger dieser Junge jetzt gerade hatte, und ahnte, was er in der Vergangenheit mitgemacht hatte. Seufzend schloss sie die knarrende, dünne Holztür wieder und überließ Geralt seinem Schlaf.
    Der nächste Morgen kam wieder und weckte ihn mit den trüben Sonnenstrahlen, die durch die Haut vor dem Fenster schimmerten. Er fühlte sich beinahe daheim, als er die Erschöpfung von der Arbeit des letzten Tages in seinen Knochen spürte. Erst als er aufgestanden war und, sich die Augen reibend, an die Tür trat wurde ihm wieder klar wo er war. Natürlich. Daheim hatte er kein Zimmer für sich gehabt.
    Daheim. Geralt vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm liegen würde. Nicht in die Unendlichkeit der Zukunft, nur das, was er heute tun musste. Und gerne tun würde, um die Schatten und Geister der Vergangenheit fortzubekommen. Arbeit. Feldarbeit vermutlich. Gestern hatten sie einen guten Teil des Feldes geschafft, aber heute wartete mehr als die andere Hälfte auf sie. Und danach war die übliche Ernearbeit noch lange nicht getan. Vielleicht hatte Nates Familie ja einen zerstückelten Besitz, mit so einem Feld kam man jedenfalls nicht aus. Vielleicht brachte er seine Mutter und sich selbst aber auch bloß über die Runden indem er auf fremden Feldern arbeitete. Ihm war alles recht. Langsam, mit schweren Schritten, kam er die Treppe herab, aber es war niemand da. Vermutlich war es schon so spät dass das Ehepaar schon außer Haus war. Vielleicht wusch Mara ja gerade Wäsche, oder war mit irgendeiner anderen Frauentätigkeit beschäftigt. Ein wenig enttäuscht wollte er sich schon zum Gehen wenden, vor nur langsam verfliegender Müdigkeit ein wenig unsicher auf den Beinen, da sah er einen unscheinbaren Tonteller auf dem Tisch stehen. Ein Teller voller Hafergrütze, mit einem Rest Wärme, gerade so viel dass er einmal heiß gewesen sein musste. Aber nicht unangenehm für Geralt, dessen Magen sich schon auf ausgeraufte Ähren eingestellt hatte. Ein kleines Stück Haut lag daneben, nur ein Fetzen, mit einer Art schwarzem Befall, sonderbar verschlungen für die unwissenden Augen des Jungen. Ein wenig befremdet schob er es beiseite bevor er aß. Es gab Geralt ein Rätsel auf; Warum ließ jemand ein Stückchen halbes Leder auf einem Tisch liegen? Er kam darauf, dass es eine Botschaft sein mochte, aber wenn verstand er sie nicht. Unwillig, Zeit auf die Lösung einer nebensächlichen Frage zu verschwenden ließ Geralt den Teller stehen und verließ das Häuschen, trat ins helle Licht des Sommers. Es war angenehm warm, und die erste Idee die ihm kam war sich in das recht kurze Gras das rings um das Gebäude wuchs zu legen und von der Sonne bescheinen zu lassen. Manchmal war daheim Zeit dafür geblieben ...
    Unwillig schüttelte Geralt den Kopf. Jetzt nicht. Er trottete herab zum Fluss, in dem sich schon lange niemand mehr wusch, machte sich mit dem klaren, kalten Wasser Gesicht und Gedanken sauber und ging eilig weiter, auf die kleine Brücke zu, die zu den Feldern führte. Er hielt sich kein zweites Mal auf, bis er am Feld von Nate ankam, aber er sah die missgünstigen Blicke, die ohne jede Rücksicht nich nur seinen Rücken bedachten. Geralt befürchtete, dass sie ihn für faul hielten, dass er zu spät zur Arbeit kam, für einen Schmarotzer. Es kam ihm nicht in den Sinn dass er als Gast eigentlich gar nichts zu tun gehabt hätte, ob es an seiner mangelnden Erfahrung oder am wie selbstverständlichen Mangel an Höflichkeit im Dorf lag. Er war schon bedrückt als er am Feld eintraf, und noch ein wenig mehr, als er sah wie Nate bereits seine Sichel darin schwang. Schweigend lief er herbei und griff die andere Sichel, die schon am Feldrand auf ihn wartete, als hätte Nate gewusst dass er noch kommen würde, und machte sich an die Arbeit. Es war anders als gestern, weniger unbschwert. Allein, nicht, dass der vorhergehende Tag zu seinen liebsten gezählt hätte! Immer wieder sah er sich verstohlen um, versuchte zu erkennen, wie ihn die Anderen von den anderen Feldern aus ansahen. Misstrauisch, feindselig. Warum sollte man ihm gegenüber misstrausch sein? Was konnte er schon tun, was unterschied ihn schon von ihnen? Und warum sollten sie feindselig sein? Inwiefern war er denn eine Gefahr? Vermutlich war es nur, dass sie ihn noch nicht richtig kannten, nicht wussten, woran sie bei ihm waren. Er würde ihnen schon zeigen dass er ein mindestens so guter Arbeiter war wie sie, und gute Gesellschaft auch. Er würde Mara bitten ihn am nächsten Morgen zu wecken, damit er so wie alle anderen auch zur Arbeit kommen können würde.
    Über solchen Gedanken ging die Ernte schnell voran. Nicht angenehm, aber zumindest schnell. Obwohl die Sichel ziemlich stumpf war bemühte Geralt sich keinen Halm stehenzulassen, um den besten Eindruck zu hinterlassen. Das machte die Sache noch anstrengender, und als Nate ihn schließlich mit einem Räuspern aufschreckte ging sein Atem schon ein wenig tiefer und sein Hemd klebte beinahe an ihm. "Geralt? Genug gearbeitet, wir machen Pause."
    Der Gedanke war verlockend. Nate hatte den gleichen Zeitpunkt gewählt wie die meisten anderen Familien,

    Nate stupste ihn noch einmal an der Schulter an, versuchte ihn doch dazu zu bewegen eine Pause zu machen, aber Geralt arbeitete einfach weiter. Mit einem unbehaglichen Schulterzucken ging der Blondschopf fort und aß sein Brot alleine, immer wieder herübersehend, ob Geralt sich nicht doch anders entscheiden würde.
    Er arbeitete fast den ganzen Tag, bis schließlich das gesamte Feld von Nates Familie abgeerntet war, und Nate half ihm, obwohl viele andere Grüppchen schon abgerückt waren. Er hielt es für seine Pflicht. Außerdem trieb ihn die Neugierde. Auf dem Rückweg, auf dem der erschöpfte Junge über jeden zweiten Stein stolperte und den Kopf wie unsicher zu Nate wandte, während er ging, platzte er heraus. "Warum ... Hast du heute so gearbeitet? Das wäre nicht nötig gewesen. Also, wegen mir jedenfalls nicht, ich komm bestimmt auch so klar."
    Geralt nickte unsicher, wusste nicht, was er erwidern sollte. Die Wahrheit? Ja. Nate war der einzige, dem er bisher sein Vertrauen geschenkt hatte - abgesehen von seinen Gastgebern, die er in Gedanken schon fast als eine Art Großeltern sah. Seine eigenen waren gestorben als er noch ein Kind gewesen war, aber die Erinnerung an sie deckte sich überraschend mit den Erfahrungen mit Thom und Mara. "Ich wollte sie überzeugen. Dass ich arbeiten kann. Dass ich ... hierbleiben kann ..."
    Geralt stiegen Tränen in die Augen, als er an seine Hofnung dachte, hier eine Heimat zu finden. Ein Dorf, in das er hineinpassen würde, in dem er leben konnte, fast so, wie er es schon immer getan hatte. Aber das schien nicht ganz so zu funktionieren wie er sich das vorgestellt hatte.
    Taktvoll schwieg Nate, obwohl er nicht ganz verstand was eigentlich los war; Er hörte nichts von dem Gerede, das über seinen neuen Freund im Gange war, und spürte nicht wie der die Blicke auf sich liegen. Und er war nicht in seinem Namen angefeindet worden. Stattdessen nahm er Geralts Hand in seine, drückte sie einmal, wie zum Gruß oder als Bestätigung, und bog dann zu seinem Haus ab, während Geralt geradeaus weiterging. Die Sonne ging bereits unter, als er mit bereits zufallenden Augen in das Haus der Ältesten hineinstolperte. Mara und Thom saßen noch immer am Küchentisch, im Schein einer Talgkerze, die flackernde Schatten auf ihre alten Gesichter warf und jede Falte gramerfüllt und sorgenvoll erscheinen ließ. Vielleicht waren es auch nicht nur die Schatten, denn Maras Gesicht glättete sich, als Geralt hereinkam, sie sprang auf, so schnell es ihr alter Körper vermochte, eilte zu ihrem Gast und umarmte ihn herzlich. Thom, der anscheinend gerade mit ihr im Gespräch gewesen war, stand ebenfalls auf, mühsamer allerdings, und von seiner Stirn mochten die Furchen nicht ganz schwinden.
    "Du hast doch nicht etwa bis jetzt gearbeitet? Das kann doch nicht sein, normalerweise hören doch alle schon früher am Abend auf? Ist etwas passiert?"
    "Mir gehts gut. Hab gearbeitet. Könntest du ... Mich morgen wecken? Wenn ihr auch aufsteht."
    Geralt wirkte erschöpft, todmüde, und Mara fragte sich ob er von irgendeinem der Bauern für sich eingespannt worden war. Aber er wirkte auch inrgendwie ... Ein bisschen zufrieden. Als ob er etwas erreicht hätte. Mit einem gemurmelten Abschied verschwand Geralt die Treppe hinauf in seinem Zimmer, wobei seine schweren, langsamen Schritte die Bohlen der Stiege knarren ließen. Mara sah ihr nach, mit gemischten Gefühlen. Sie konnte sich keinen Reim auf Geralts Verhalten machen. Hatte er freiwillig so lange gearbeitet? Er würde sich noch kaputtmachen ... Dann spürte sie die Hand ihres Mannes, seinen Arm, der sich von hinten sanft um sie legte.
    Es wird schon gut werden, sagten dieser Arm und ein Blick, den er ihr schenkte, als sie sich umdrehte.
    Der nächste Tag verlief ganz ähnlich. Geralt kam früh herunter, geweckt von Mara, die ein schlechtes Gewissen hatte, den Junge aus dem Schlaf zu werfen, obwohl sie sonst ein noch schlechteres gehabt hätte, seinen Wunsch nicht beachtet zu haben. Schlaftrunken, mit verwirrtem Haar und kleinen Augen saß er ihnen gegenüber und aß seinen Haferbrei. Thom, bemüht, vor dem Tagewerk und zu Geralts Erleichterung noch ein wenig Konversation zu treiben, fragte fast gespielt fröhlich: "Hat dir das Essen gestern morgen auch geschmeckt? Mara hat sich schon Vorwürfe gemacht weil sie es einfach stehen gelassen hat."
    Geralt sah überrascht von seiner Schale auf, dachte kurz nach, während sich seine müden Gedanken langsam ordneten, und antwortete dann höflich. "Ich hätte es lieber warm gegessen, aber war auch so gut."
    Überrascht sah jetzt Mara, die bis jetzt in Gedanken versunken dagesessen hatte, auf. "Warm? Hast du es denn nicht auf dem Ofen wieder warm gemacht? Ich hab dir doch einen Zettel hinterlassen, da stand drauf, dass da noch Feuer drin ist."
    Zu ihrer beider Verblüffung wurde Geralt rot und drehte den Kopf ein wenig weg, senkte das Gesicht wieder der Holzschüssel zu und murmelte etwas in sie hinen. "Kann nicht lesen."
    Im Dorf lernte jeder lesen. Abends brachten die Eltern ihren Kindern Buchstaben und Worte bei, sodass alle zumindest stockend eine Nachricht entziffern konnten. Aber Geralt hatte auf seinem kleinen Bauernhof nie Gelegenheit dazu gehabt. Seine Eltern waren ungebildet gewesen, und zu selten in der Stadt um es dort zu lernen, obwohl sie davon wussten und der Vater es auch durchaus praktisch gefunden hätte Nachrichten in Zeichen zu verpacken. Nicht, dass ihr Sohn das für eine Schande gehalten hätte, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Thom und Mara schreiben zu können von ihm zu erwarten schienen gab ihm das Gefühl die enttäuscht zu haben. Thom Reaktion überraschte ihn daher ziemlich.
    "Ich werd's dir beibringen. Ist ganz einfach, jeden Abend ein Bisschen."
    Begierig sah Geralt wieder auf, bereit, seinem Gastgeber zu danken, bereits den Mund geöffnet, als er durch die weit offen stehende Tür die aufgegangene Sonne sah. Es war schon spät, die anderen waren sicher schon bei der Arbeit! Tatsächlich trudelten gerade die ersten langsam und sehr gemächlich auf den Feldern ein, aber Geralt sah sich schon wieder einen Spießrutenlauf der Blicke durchstehen. Hastig schluckte er den letzten Löffel des klebrigen Breis, erhob sich und wandte sich mit einer entschuldigenden Geste zum Gehen. "Ich muss los. Arbeiten."
    Und er ging los, während seine Gasteltern ihm besorgt hinterhersahen, und er arbeitete wieder, den Tag lang, bis sie ihm spätabends besorgt entgegensahen. Vier Tage lang ging das so. Ohne Schonung stand Geralt früh auf, arbeitete lange und hart, bis er zerschlagen wieder nach Hause zurückkehrte. Selbst Nate begann sich schließlich Sorgen zu machen. Aber noch mehr als Sorgen machten sich inzwischen Thom und Mara, die, immer gut über die Gerüchte informiert, wussten, was im Rest des Dorfes los war.
    Geralt selbst hatte sich in den letzten Tagen eingebildet die feindseligen Blicke ihm gegenüber hätten nachgelassen, seit er sich mit der Arbeit mehr abmühte als alle anderen. In seinem Wunschdenken sah er Anerkennung in ihren Augen, Bewunderung, vielleicht ein wenig Neid oder Verwunderung ob seiner Arbeitskraft. Tatsächlich hatte ihm der eine oder andere verwundert zugesehen, wie er über die Felder berserkte, erst über das von Nate, dann über die von anderen Familien, die nichts dagegen hatten, sich bei ihrer Ernte helfen zu lassen. Aber viel mehr Aufmerksamkeit bekam die Tatsache dass er sich abzuschotten schien, nicht mit dem Rest des Dorfes verkehrte. Gemurmel und giftiges Gespött über Hochmut und Feindseligkeit kam auf, schon bald, nachdem es keinen Grund mehr gab über seine Arbeit zu klagen. Es war nicht mehr als der Versuch einen Grund zu finden Geralt doch noch zu vertrauen, aber aus der Perspektive der Dörfler - der einzigen, die sie schließlich kannten! - auch durchaus verständlich. Jeder von ihnen war hier aufgewachsen, von Kindesbeinen an in die kleine Gesellschaft eingebunden, die sich selbst genügte. Geralt dagegen wusste nichts von den ungeschriebenen Gesetzen des Dorfes, nichts von der Weise, in der die Dorfkinder miteinander umgingen, und nichts von dem, was von ihm erwartet wurde.
    Die Felder waren beinahe abgeerntet und Geralt war gerade wieder auf dem Weg zur Arbeit, schritt über die Brücke, als er neben sich einen zweiten Schritt auf dem hallenden Holz und einen zweiten Atem hörte. In Erwartung von Nate, einem der wenigen, die seine Gesellschaft zu schätzen schienen, wandte der Junge den Kopf zur Seite. Es war nicht Nates freundliches, spielerisches Lächeln unter dem wirren Blondschopf, sondern Laons breite Züge mit den dunklen Haaren darüber. Die Begrüßung blieb Geralt im Hals stecken, und das Strahlen in seinen Augen erlosch. Unmutig schloss er den Mund und ging weiter, dachte über einen angemessenen Gruß für Laon nach, als dieser schon das Wort ergriff. "Unhöflich und faul, was? Machst das, was dir gefällt. Feldarbeit, ja, aber beim dreschen habe ich dich noch nicht einmal gesehen. Und auch nicht bei den Reparaturen. Und bei den Bauarbeiten. Na, und als wär das nicht genug, du wäscht dich auch nicht mehr mit uns. Und bei einem von uns hab ich dich noch nie gesehen, nur bei Nate, und der ist sowieso ein bisschen komisch."
    Geralt, wie von einem Faustschlag getroffen, hatte keine Antwort, wandte den Kopf ab, wieder nach vorne, ging mit steifen Schritten weiter. Seine Hoffnungen, sein Gedankengebäude einer Zukunft, zerstört. Zerschmettert von der Hand eines launischen Bauernkindes, von seiner plumpen Stimme. Hätte Laon gewusst, was er bereits angerichtet hatte, er hätte sich vermutlich zufriedengegeben mit dem Maß an Unfrieden, das er gestiftet hatte; Unverständig, was die Emotionen seines Gegenübers anging, sah er nichts als Desinteresse in der Abwendung Geralts. Grob packte er ihn im Nacken und zerrte ihn zurück, sein gewaltverständiger Griff viel mächtiger als der doch ebenso starke Geralts. Dieser stolperte, aus seinen abgründigen Gedanken gerissen, riss sich los, sah ungläubig Laon in die Augen. Er war keine Schlägerei gewohnt. Seine Brüder hatten ihn nie zusammengeschlagen, egal, wie sehr er sie verärgert hatte, denn erstens schreckten sie davor zurück, ihrem eigenen kleinen Bruder Gewalt anzutun, und zweitens war überall der Vater, der Acht gab und Gerechtigkeit wahrte. Eine freundliche Rangelei war das Schlimmste, was Geralt hatte durchstehen müssen.
    Die Kopfnuss, die ihn jetzt etwas oberhalb der Stirn traf, war kein Bestandteil einer solchen. Sie unterbrach Geralts stammelnden Versuch einer Entschuldigung, er wusste nicht wofür, jedenfalls für das was Laon dazu getrieben hatte ihn jetzt tätlich anzugreifen. Halb betäubt von Erschütterung und dem stechendem Schmerz in seinem Kopf fiel er rückwärts hin, fing sich mit einer Hand ab und erhob die andere instinktiv zur Verteidigung, aber der hinterhältige Tritt in Geralts Unterleib traf trotzdem mühelos. Im Dorf waren Schlägereien häufiger, so häufig, wie sie es eben unter Jungen waren, die sich jeden Tag sahen und zusammen lebten. Laon achtete darauf keine allzu sichtbaren Spuren seiner Tat zurückzulassen, deshalb trat und schlug er Geralt nur dorthin, wo seine Kleidung die Blessuren verdecken würde, und er tat es nicht kräftig genug um ihm offene Wunden zu reißen. Wer zusah wusste er sehr gut, denn bevor er Geralt abgepasst hatte waren schon die meisten der Dorfjungen informiert gewesen, zusammengerufen, um sich das Spektakel anzusehen. Ein böses, spöttisches Lachen klang auf, als Geralt versuchte sich wieder aufzurichten, zusammengekrümmt wegen seiner Schmerzen auf einem Knie, doch Laons nächster Tritt gegen seine Schulter warf ihn wieder auf den Rücken. Hinter ihm war jedoch die schmale Brücke schon zu Ende, und ganz nach Laons boshafter Berechnung fiel Geralt unter johlendem Gelächter herab ins Bachbett, wo er hart auf den Kieseln aufschlug, die den Grund bildeten. Das Wasser überströmte ihn sofort, tief genug um seine liegende Gestalt zu bedecken dass nur die angezogenen Knie herausragten. Sein Kopf schien zu platzen von dem stechenden Schmerz, der ihn vollständig erfüllte, ausgehend von Stirn und Hinterkopf, wo ihn Laons harte Stirn und die nicht weniger harten Steine getroffen hatten. Hinter diesem Stechen blieben die Schmerzen seines restlichen Körpers wie ein blasser Schatten zurück. Dennoch flutete noch etwas anderes in Geralts Kopf als nur Schmerzen. Zorn kochte in ihm auf, ein wilder, lodernder Zorn wie ein verzehrendes Feuer, eine ihm bisher unbekannte Macht. Zehnfach stärker war sie als alles, was er bisher in dieser Richtung erfahren hatte, zehnmal die Demütigung, die er daheim erhalten hatte, als er als einziger der Jungen daheim hatte bleiben müssen, als er die weniger angenehmen Arbeiten hatte übernehmen müssen weil sie einfacher waren. Geralt vergaß seine Schmerzen, im Kopf wie im Körper, sprang unter Wasser auf dass eine Fontäne aufzusprühen schien. Kurz hustete er prustend Wasser, bevor er gehindert von der Trägheit des Wassers um ihn und in seinen Kleidern ans Ufer watete, nur drei Schritte etwa, und den kleinen Hang heraufsprang, ohne Rücksicht auf sich oder den Hang selbst. Er hielt sich grob an Büschen fest, die er damit zerriss und sich selbst die Hand aufscheuerte, ohne auf das eine wie das andere zu achten. Dann war er oben, nach ein paar Sekunden, mit denen niemand gerechnet hatte, und sprang Laon an, der noch mit Spotten beschäftigt war, kurz bevor er erkannte dass Geralt diesmal auch kämpfen würde. Der größere Junge wurde umgerissen, obwohl er auch an Körpermasse und Standfestigkeit wohl überlegen war, und wie ein Berserker schlug der Verzweifelte jetzt auf ihn ein. Normalerweise wäre er davor zurückgeschreckt jemanden auch nur im Gesicht zu berühren, aber jetzt war er vollständig frei von allen Barrieren, ließ heraus, was sich in den letzten Tagen, Wochen aufgestaut hatte. Seine Faust traf Wangenknochen, Stirn, Nase und Mund gleichermaßen mit aller Kraft, die der eher schmale Junge dahinter legen konnte. Kurz sah es aus als hätte er schon gewonnen, als die Angst aus Laons Augen schien und Blut aus seiner Nase lief, und aus Geralts Augen nur der Furor. Aber er war doch ungeübt, unfähig. Der Dorfjunge warf den auf ihm Knienden ab, der keine besonder sichere Position gewählt hatte und auch die Arme seines Feindes nicht fixiert hatte, und sprang wieder auf. Jetzt war auch er nicht nur grausam, sondern wütend. Geralt wollte schon wieder aufspringen und sich auf Laon stürzen, aber diesmal schmetterte ihm ein Knie ins Gesicht, ein wenig seitlich zu seinem Glück, aber mit einiger Kraft. Immer noch ungebrochen richtete er sich wieder auf, stand mühsam auf, wurde abermals zu Boden gestoßen, zu Füßen der begeistertem Zuschauer, die mit der Zeit immer näher gerückt waren. Mit harter, geübter Hand wurde er auf den Bauch gedreht, und Laon kniete sich auf ihn. Geralts linker Arm war unter ihm begraben und von Laons Gewicht an den Boden gepresst, sein Rechter frei, aber gerade als er ihn zu seiner eigenen Befreiung benutzen wollte wurde er am Handgelenk gepackt und mit einem grausamen Ruck auf den Rücken gedreht. Er spürte Laons Knie in seinem Rücken, als der ihn herunterdrückte, hörte seinen keuchenden, hasserfüllten Atem, kurz bevor er ihn auch noch in den Haaren packte und das Gesicht in den Boden kurz vor der Brücke drückte, den von Rädern zerfahrenden, schlammigen Weg. Im Verlauf des Kampfes waren sie von der Brücke herabgekommen. "Friss Dreck, streunender Hund, feige Ratte", zischte Laons Stimme über ihm, aber Geralt hörte es kaum, verzweifelt versuchend trotz des Schlamms zu atmen und sein Gesicht seitlich davonzuwinden. Es gelang ihm nicht loszukommen, während Laon immer fester drückte und seinen Kopf an den Haaren hin und her riss.
    Es war eine Erlösung als auf einmal mit einem Ruck sein Kopf wieder nach oben gerissen und losgelassen wurde, bevor er wieder in den Dreck fiel, sich hustend und nach Luft schnappend auf einen Arm stützte. Er sah nicht was geschah, sah nicht, wie Nate wutschnaubend Laon am Kragen zurückgerissen hatte, der in seiner Rage die Warnungen siener Kumpane gar nicht rechtzeitig bemerkt hatte, ihm die Stirn an den Hinterkopf gerammt hatte, den Verwirrten dann umgestreht und mit einem Hieb in den Magen niedergestreckt hatte. Auch in seinen Augen funkelte Zorn als er sich über der liegenden Gestalt aufbaute, sein Haar wie eine wilde Flamme. Jetzt sah auch Geralt zu, der sich mühsam auf den Rücken gedreht hatte, und hörte mit, was Nate noch zu sagen hatte. "Mich zu schlagen riskierst du nicht mehr, machst dich lieber an den nächsten, nachdem du dir die Zähne ausgebissen hast?" Seine Lippen zuckten, als ob er noch einige Beleidigungen auszuspucken gehabt hätte, einige böse Kommentare, aber stattdessen wandte er sich ab und Geralt zu, der gerade versuchte sich aufzurichten, immer wieder keuchend und hustend zurückfiel. Die übrigen Jungen hatten sich fast vollständig zerstreut, waren zur Arbeit verschwunden, um nicht auch noch Nates Zorn zu spüren. Geralt wurde klar, dass er vermutlich den mächtigsten Beschützer im Dorf hatte was die jugendliche Bande anging, als dieser ihm aufhalf und ihn mit starker Hand stützte, während sie sich auf den Weg zum Fluss machten, zur Waschstelle, über die Brücke hinweg, ohne ihn zu beachten an Laon vorbei, der gerade auch wieder aufstand und seine Feinde von hinten beäugte, aber nicht wagte anzugreifen. Schon auf dem Weg begann Geralt zu schniefen, und Tränen bahnten sich ihren Weg über das Gesicht des Jugendlichen,
    machten Spuren im Dreck frei, die seine scham- und zorngeröteten Wangen wieder freilegten. Nate verlangsamte seinen Schritt und versuchte Worte zu finden seinen Gefährten zu trösten, während er ihn nervös von der Seite ansah.
    Er fand keine, und schweigend kamen sie bis zum flachen Flussufer, an dem sie erst vor etwa einer Woche zusammen herumgetollt waren. Geralt legte seine Schuhe ab und stieg in seiner Kleidung ins Wasser, das von der Sommersonne gewärmt angenehmer um den Körper herumspülte als frühmorgens, wenn man sich beeilen musste um nicht zu erfrieren. Als erstes wusch er sich das Gesicht, dann die Hand, über die blutende Striemen von den harten Zweigen des Busches liefen, in die während des Kampfes Schmutz geraten war. Inzwischen zitterte Geralt, unregelmäßig, und Nate wusste dass nicht nur die Kälte daran Schuld war. Er selbst schob sich bloß die Hosenbeine hoch und ließ die Füße ins Wasser hängen, während er Geralt zusah und sich fragte, ob er jemals mit ihm darüber reden würde. Der fremde Junge schien ihm so verschlossen. Er teilte seine Gedanken nicht und lud nicht dazu ein Gedanken mit ihm zu teilen.
    Geralt hatte unterdessen ganz andere Gedanken, wütende, mörderische, verzweifelte. Warum war er allein gewesen gegen Laon, warum hatte ihn niemand der anderen geholfen? Und warum hatte ihn Laon überhaupt angegriffen? Der einsame Junge verstand nicht viel von Gewalt und dem Verhalten bestimmter Leute in Gruppen, wie sie sich bewiesen und ihre Stärke zeigten. Für Nate dagegen war es inzwischen so selbstverständlich geworden dass er nicht einmal dachte es zu erklären, und Geralt dachte nicht daran zu fragen. Schließlich stieg er schwerfällig wieder aus dem Fluss, nahm dankbar Nates helfende Hand und schüttelte sich, dass ein Wirbel aus Tropfen aus seinem Haar und seiner tropfnassen Kleidung stäubte. Nate, der dabei ebenfalls nass wurde, beschwerte sich nicht, es kam ihm wie ein allzu geringer Preis verglichen mit dem den sein Freund gerade gezahlt hatte vor.
    Stöhnend von den Blessuren des Kampfes bückte Geralt sich und hob seine Schuhe auf, dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Haus der Dorfältesten. Nate trat vor die Tür, versperrte sie kurz, nur um sich zu fassen um doch noch etwas zu sagen. "Tut mir leid dass ich nicht schneller da war. Dass ich dich nicht gewarnt habe."
    Geralt fror natürlich selbst unter der Sommersonne in seinem nassen Hemd und der Hose, die ihm am Leib klebte und Rinnsale hinter ihm ins Gras rinnen ließ. Ungeduldig winkte er ab und drängelte sich vorbei, zog sich das Hemd über den Kopf, ehe er noch einmal zögerte und sich umdrehte. Eine Weile sah er den ungewohnt selbstkritischen Jungen an, dachte darüber nach, was er jetzt sagen sollte, aber in seinen hin und her jagenden Gedanken kam er zu keinem Schluss. "Schon gut. Danke auf jeden Fall."
    Mit diesem müden Abschied schloss er die Tür hinter sich, breitete Hose und Hemd mehr oder weniger ordentlich zum Trocknen über eine Stuhllehne und lief ohne länger zu verweilen in sein Zimmer. Einladend strahlte die Sonne in ihrer ganzen Kraft durch das aufgespannte Pergament im Rahmen, und Geralt, der immer noch jämmerlich fror, kam eine Idee. Vorsichtig zog er an den kurzen, einfachen Nägeln, die die Art Scheibe an ihrem Platz hielten, und tatsächlich lösten sie sich fast mühelos aus dem alten, rissigen Holz. Schließlich hing die Haut nur noch an der unteren Nagelreihe, sodass die Sonne ungehindert auf das Strohlager brannte. Geralt vermochte es nicht recht zu genießen als er sich schließlich darauflegte und zusammenrollte, als versuche er sich vor der ganzen Welt draußen zu schützen, aber immerhin wurde er wieder trocken und warm, während er langsam in einen längst überfälligen, aber unruhigen Schlaf fiel. Nur sein Gesicht blieb feucht von Tränen.
    Die Dorfjungen erzählten keinem Erwachsenen was geschehen war, und wenn auch der eine oder andere sich aus Geralts Anblick schon alles zusammenreimen konnte informierte niemand Mara oder Thom. Vielen wäre es übertrieben erschienen wegen einer Sache unter Jungen irgendwelchen Aufwand zu treiben, vor allem allerdings wenn es nur um einen Fremden ging. Die Dörfler verstanden nicht recht warum die Ältesten sie überhaupt beherbegten, immerhin brauchten sie keine Hilfe, und man wusste ja nie was diese Fremdlinge so anstellten. Er hatte Schuhe und ein Messer, musste also irgendwoher kommen wo es ihm besser gegangen war. Warum war er dann hierher gekommen? Eine schnelle Folgerung war dass er vertrieben worden war, aus offensichtlichen Gründen, denn aus ihrem Dorf wurde man vertrieben wenn man jemanden erschlug oder stahl. Vermutlich war das also überall so, und Geralt ein Übeltäter, dem man am Besten gar keine Zuflucht gewährte. Als das zerschlagene Objekt ihrer Diskussionen gerade genug von seinem Dämmerschlaf hatte und früh am Abend wieder aufstand saßen sie zusammen im Haus von Laons Vater, der drei Felder besaß und regelmäßig die Hilfe von mehreren anderen Feldarbeitern in Anspruch nahm. Er war der einflussreichste Mann im Dorf, sah man einmal von Thom ab, der als Ältester den Respekt aller genoss - aber selbst er wurde langsam vom Engagement Ellons übertroffen. Der schenkte gerade seinem Freund Alf vom Nachbarshof Bier aus seiner Kanne ein, einer echten Metallkanne, die er vor vielen Jahren sehr teuer von einem Reisenden gekauft hatte. Dabei ließ er einen nachdenklichen Ausdruck um seinen Mund im dunklen, eckigen Gesicht spielen, schüttelte dann den Kopf und seine kurze schwarze Mähne, und schnitt dann das Thema an das bisher noch niemand hatte ansprechen wollen, aus Respekt gegenüber Thom. "Der Junge, der bei den Ältesten wohnt, was unternehmen wir wegen dem? Heute hat er Ärger gestiftet, sich mit meinem Sohn geschlagen als der gerade zu mir aufs Feld kommen wollte; Zum Glück hat Laon es ihm so ziemlich heimgezahlt. Davor hat er die ganze Zeit nur die leichteste Arbeit auf dem Feld gemacht, den ganzen Tag dageblieben, damit ihn ja keiner zum Dreschen oder so holen kann."
    Alle Männer des Dorfes waren bestrebt Ellon zu gefallen. Er hatte Einfluss, war wohlhabend und freigiebig wenn es darum ging sich beliebt zu machen. So sahen sie zu ihm auf, zu seiner Rechten Alf, der einen tiefen Zug aus dem Bierkrug nahm, sich mit dem Handrücken über das stoppelige Gesicht wischte, gewichtig sein blondes Haupt neigte und ebenfalls das Wort ergriff. Er redete Ellon nach dem Mund, aber auch nach seiner eigenen Meinung; In diesen Belangen waren sie einstimmig, auf die gleiche Weise konservativ. "Wir sollten ihn vielleicht gleich loswerden ehe er noch mehr Ärger macht. Er sagt er sei durch den Wald gekommen, zumindest hat mir das mein Sohn Yeven erzählt. Dann war er bestimmt nicht auf dem Weg hierher und sollte sich lieber bald wieder aufmachen."
    "Viel mehr hat er aber nicht gesagt. Er hält sich von den anderen fern, hält sich wohl für besser."
    "Glaubt ihr ihm etwa dass er durch den Wald gekommen ist? Ein Junge wie er? Gerade hier herausgekommen anstatt im Norden oder im Süden, wo viele Meilen mehr auf ihn gewartet hätten?"
    "Vielleicht hatte er ja einfach Glück."
    "Vielleicht ist er auch ein böser Geist der Unfrieden bringen will! So viel Glück hat ein Kerl wie er nicht. Sollte er jedenfalls nicht."
    Zufrieden mit dem losgetretenen lärmenden Streitgespräch lächelte Ellon in sich hinein und trank seinerseits von dem Bier das vor ihm stand. Es war einfaches Gerstenbier und schmeckte nicht besonders, war auch nicht besonders stark, aber es war etwas Besonderes und allein schon deswegen gut. Dann war für ihn die Nächste Gelegenheit gekommen behutsam die Gesprächsleitung ansich zu reißen. "Mara und Thom beherbergen ihn, und wir sollten uns nicht gegen die beiden stellen - was sie tun wird schon das Richtige sein. Deshalb sind sie ja die Ältesten. Vielleicht sehen die beiden aber auch einfach nicht richtig wen sie da haben ... Sie sind viel zwischen uns unterwegs und arbeiten auch noch in ihrem eigenen Haushalt. Wir sollten vielleicht einmal Thom ... informieren."
    Zustimmung zeigte sich in anerkennendem Nicken und Gemurmel, das bereits Pläne schmiedete wer gehen und was sagen sollte. Zufrieden nahm Ellon einen tiefen Schluck und lächelte in den Krug hinein - sein Lächeln hätte vermutlich selbst hier noch Misstrauen erregt, so sehr triefte es von Selbstgefälligkeit.
    Schließlich verließ eine kleine Delegation von drei Mann das Haus, die sich so viel Mut angetrunken hatten wie nötig für die doch eher feige Tat und durch das schwache Bier überhaupt möglich war, also eher wenig. Es waren Alf, sein Bruder Ulf, mit dem gleichen ovalen Gesicht, wenn er auch braune H



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Ena - 07.03.2010, 12:05


    Meine kennst du ja schon :wink:



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Talok - 07.03.2010, 17:18


    Das problem ist, es ist wirklich so einfach verdammt anstrengend das ganze zu lesen.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Ape - 07.03.2010, 17:38


    würds mir ja durchlesen, aber bei so ner Textwand verlier ich dauernd den Faden ... mach dir doch mal bitte die Mühe und mach da Absätze rein, danke.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 07.03.2010, 17:44


    wenn er auch braune Haare hatte und seinen Bart besser pflegte, und Thoms eigener Sohn Marek.
    Niemand im Haus der Ältesten ahnte etwas von der herannahenden Abordnung, vor allem nicht Geralt, der sich schwerfällig vom Strohlager erhob, seine bereits aufflammenden blauen Flecke beklagte und missgestimmt die Tür öffnete, als er bemerkte, dass seine Kleidung über dieser hing. Anscheinend hatte Mara sie dorthin gehängt, eine gute Idee, denn Geralt hatte eigentlich damit gerechnet noch allein zu sein wenn er aufwachte und nicht nackt vor den Ältesten herumlaufen zu müssen. Mit einem schwachen Lächeln darüber zog er sich an. Die Kleidung war noch feucht und kalt, aber sie ließ sich tragen, und Geralt hatte ohnehin vor bald wieder in der Sonne zu sein. Er musste wieder arbeiten. Wenn er jetzt dreschen gehen würde würde er es ihnen schon zeigen, dass er vor gar keiner Arbeit zurückschreckte, so hart sie auch sei. Dann mussten sie ihn akzeptieren.

    (Ungefähr ab hier sollte neu sein ...)

    Barfuß tappte er die Treppe herab, sodass ihn Thom und Mara hörten, die nervös am Tisch auf ihn gewartet hatten. Sie wollten wissen warum Geralt mit schmutziger, nasser Kleidung nach Hause kam, obwohl sie schon fast wussten was geschehen sein musste. Sie kannten keinen Grund dafür, zumindest keinen konkreten, aber es war klar dass bei der feindseligen Atmosphäre um Geralt irgendwann so etwas geschehen musste, auch ohne irgendeinen Anlass. Gerade nahm Geralt die letzte Stufe und drehte sich zu seinen Gasteltern um wollte sie mit einem Lächeln begrüßen, um sie nicht zu betrüben, ihnen zeigen dass alles nicht so schlimm war, denn er sah ihre sorgenvollen Mienen, als dreimal an die Tür geklopft wurde, nicht besonders laut, eher höflich. Erstaunt erhob sich Thom, aus anderen Gründen schwerfällig als blauen Flecken. Mit großen Augen starrte Geralt auf die sich öffnende Tür in der drei Männer schtbar wurden die den Ältesten respektvoll grüßten, einer von ihnen umarmte ihn auch herzlich. Freudig bat Thom sie herein, glücklich, dass sie einmal besucht wurden, nichtsahnend was der Anlass war. Mit einem schnellen, misstrauischen Seitenblick auf Geralt, der immer noch am Treppenabsatz stand, ging Alf zum Tisch und setzte sich. Ulfs Blick war eher neugierig, und der von Marek fast mitleidig. Auch Mara begrüßte die Neuankömmlinge freundlich. "Wie schön, dass ihr uns einmal besuchen kommt! Was bringt euch hierher?"
    Mit einer Kopfbewegung die auf den Jungen im Hintergrund deutete verdeutlichte Ulf das Thema, ohne Geralt misstrauisch zu machen, der Gestik und Dinge, die vor ihm verborgen werden sollten, kaum kannte. Marek wurde deutlicher, ersparte aber auch den Ältesten ihren Gast fortzuschicken, denn er kannte die Art seines Vaters. "Geralt ... Magst du nicht gehen und, äh, vielleicht den Anderen beim Dreschen helfen?"
    Wie du bisher ja erfolgreich vermieden hast, fügte er in Gedanken hinzu. Der Angesprochene bekam den verborgenen Sinn gar nicht mit, vielleicht weil die Aufforderung ohnehin seiner Intention entsprach. "Wo drescht ihr denn? Ich hab's bisher noch nirgendwo gesehen."
    Ein wenig überrascht antwortete Marek wieder mit einer erhobenen Augenbraue. Er hatte kaum daran gedacht dass es vielleicht einen anderen Grund als Faulheit hätte geben können, hatte vemutet dass sich Geralt jetzt sträuben würde. "Hättest ja jemanden fragen können. Links hoch, bis zur großen Scheune."
    Voll Tatendrang wollte der Junge in die Ecke seitlich der Tür laufen und seine Schuhe holen als ihm die erwartungsvollen Blicke von allen Seiten auffielen. Nun gut, er würde auch ohne zurechtkommen, dachte er sich und ging aus der Tür in die angegebene Richtung. Der Weg fühlte sich ungewohnt unter seinen bloßen Sohlen an, aber nicht unangenehm. Nur der Gedanke an den Dreck den er vermutlich mitbringen würde war ihm ein wenig peinlich, aber das taten hier ja schließlich alle. Nicht einmal alle Erwachsenen hatten hier Schuhe. Nach ein paar hundert Metern, drei oder vier Häuser weiter, sah Geralt die Scheune, einen großen, rohen Bau mit einem Tor das beinahe die gesamte Frontseite einnahm. Staubwolken waberten aus der Öffnung, trieben in den Himmel, und hin und wieder kam jemand mit einer neuen Ladung Korn heraus, um es mit nach Hause zu nehmen. Gedroschen wurde hier gemeinsam, aber eine große Mühle gab es nicht. Geralt betrat erwartungsvoll die Scheune, von wo bereits das unregelmäßige, laute Klatschen der Dreschflegel zu hören war, die die Körner aus ihren Hüllen in der Ähre lösten. Mehrere junge Männer schlugen auf losgebundene Garben ein, Jungen worfelten daneben, ein paar Mädchen fegten immer wieder die herumfliegenden Halme und den wirbelnden Spreu auf einen Haufen. Der Schweiß glänzte bereits auf den nackten Rücken der Drescher, die lange und ausdauernd auf die zähen Gerstenähren schlagen mussten um sie aufzulösen. Kein anderer Junge in Geralts Alter arbeitete daran, wie er erleichtert feststellte - vielleicht nahm es ihm ja doch niemand richtig übel dass er bisher selbst noch nicht gedroschen hatte. Worfeln konnte er schließlich ebensogut. Etwas hilflos stand Geralt am Eingangstor, wusste nicht wer hier die Arbeit organisierte oder was er tun sollte. Er hoffte gerade noch dass niemand seine Untätigkeit als Faulheit oder hämische Neugierde ob der arbeitenden Anderen deuten würde als einer der Männer am Dreschflegel das grobe Werkzeug beiseite legte und sich dem Neuankömmling zuwandte. Er war sicher nicht älter als zwanzig, hatte ein verschmitztes, freundliches Gesicht mit einer breiten, leicht hakenförmigen Nase, umrahmt von braunem Haar, mit einem etwas verwilderten Bart um den Mund. Sicherlich wusste er wer der verschüchterte Junge am Eingangstor war, immerhin gab es nicht unübersehbar viele Kinder im Dorf. Trotzdem grinste er auf eine etwas grobe, ungeschlachte Art und kam auf ihn zu, wischte sich mit dem braungebrannten Arm den Schweiß von der Stirn. "Hast es vorhin dem Bengel von Ellon ganz schön gegeben, eh? Ich hab's nicht gesehen, aber die Jungs sagen ... Na, was solls, schnapp dir 'ne Worfschaufel und fang an. Ich bin übrigens Lask."
    Die Worte klangen aufmunternd und freundlich, in der Selbstverständlichkeit, in der sie Geralts Anwesenheit akzeptierten. Geralt lächelte zurück, unsicher, weil es bisher so wenig zum Anlächeln gegeben hatte. Lask erinnerte ihn an seine Brüder. Er wollte antworten, seinen Namen erwidern, aber der Ältere war schon vorbei, schweißglänzend aus der Scheune heraus, vielleicht um sich einmal zu waschen. Spreu und Staub klebten auf dem Schweiß, bis sich fast eine Art Kruste bildete.
    Schließlich entschloss sich Geralt auch ohne Gruß einzutreten und ging, wie geheißen, zu der Stelle, an der zwei Jungen hockten, ein oder zwei Jahre jünger als er, die großen, grob gearbeiteten Holzpfannen in beiden Händen. Misstrauisch wurde er gemustert, beide rückten auf seinen schüchternen Gruß hin ein wenig ab, sodass Platz für ihn entstand, aber sie begrüßten ihn nicht. Ebenso misstrauisch begutachteten sie sein Tun, wie er mit der Schale umging; Geralt konzentrierte sich und lieferte weder zu Kritik noch zu Spott Anlass. Es war ermüdend darauf achten zu müssen keinen Fehler zu machen, ermüdender als die recht leichte Arbeit selbst, und immer wieder huschte Geralts nervöser Blick herüber zu den beiden Anderen, beobachtete ihre Reaktion, musterte sie aber gleichzeitig. Der eine, schwarzhaarig und gedrungen, wirkte für Geralt fast hässlich, mit breiten Lippen, die immer verächtlich geschürzt schienen, der andere mit einem etwas angenehmeren Gesicht, das nur von zurückweichenden Wangenknochen und dem herabhängenden, tiefblonden Haar ein wenig verunstaltet wurde. Immer wieder standen sie auf um sich neues, frisch gedroschenes Getreide zu holen, und irgendwann bei so einer Gelegenheit begannen die beiden sich wieder zu unterhalten, über Geralts Kopf hinweg und ohne ihn einzubeziehen. Geralt sah nur grimmig zu Boden, die Stirn ein wenig gerunzelt, aber er mischte sich nicht ein. Nicht weil es ihm unangemessen vorgekommen wäre sondern weil er genau wusste dass sie nur darauf warteten. Anscheinend wurde es ihnen bald langweilig. Verschwörerisch lehnte sich der Dunkle zum Blonden, als sei ihm eine Idee gekommen.
    "Wie der Kerl mit dem Korn um sich schmeißt, als gäb's zu viel davon. Meinste der hat schon mal geworfelt? Schaut ja nicht so aus."
    Im Auge des Blonden blitzte es auf, vielleicht bösartig, vielleicht schalkhaft. Geralt kam es bösartig vor, und seine beiden neuerlichen Widersacher konnten ohne größere Probleme erkennen wie die Kiefermuskeln hart hervortraten, so fest biss er vor Zorn zu. Er war kurz davor sich über die Worfschaufeln hinweg auf sein Gegenüber zu stürzen, hielt jedoch auch die Antwort reaktionslos aus. "Und jetzt macht er schon schlapp, der Schwächling. Was mach er eigentlich hier, außer sich durchfüttern zu lassen?"
    Keine der Tränen der Enttäuschung die dem Jungen auf einmal in den Augen standen floss. Geralts Gesicht war vor Zorn verzerrt als er sich erhob und die Schaufel vor die Füße warf. Wénn sie sagten dass er nicht arbeitete auch wenn er sich alle Mühe gab, wenn sie ihn verspotteten wenn er Anerkennung suchte, warum dann noch mühen, warum dann noch suchen? Langsam verschwand er, achtete nicht mehr auf den vorsichtigen Spott, der ihm hinterherklang, um von niemandem anderes als ihm bemerkt zu werden. Im allgemeinen Lärm war das nur ein geringes Problem. Schon wieder vollständig gefasst, aber mit leerem Gesichtsausdruck, schob sich Geralt um die Ecke der Tür. Sofort waren alle Geräusche von drinnen gedämpft, als hätte er sie schon weit hinter sich gelassen. Wohin? Es gab keinen Ort im Dorf mehr, der ihm irgendetwas bedeutet hätte, zumindest nicht im Moment, denn selbst das Haus seiner Gastgeber war von Leuten besetzt die ihn wieder loswerden wollten. Die Hände zu Fäusten geballt, verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten, stand er eine Weile da, in den Augen Ratlosigkeit und Verzweiflung. Wieder einmal Verzweiflung, der er hatte entkommen wollen. Wie eine schwarze Welle aus einem lauernden Meer wollte alles hervorschwappen das er bisher verdrängt hatte, aber gerade als das Unglück der Welt Anlauf zu nehmen schien, um ihm umso heftiger treffen zu können, packte eine kräftige Hand Geralt an der Schulter. "Was machst du denn hier? Du solltest doch drinnen worfeln. Nur weil du fremd hier bist ..."
    Geralt drehte sich zu Lask, ruckartig, heftig, wie ein angegriffenes Tier. Als der junge Mann sein Gesicht sah wurde ihm immerhin klar dass hier noch etwas anderes als Faulheit im Spiel sein musste. Mit einem leichten Stirnrunzeln setzte Lask seinen Satz fort. "Geh wieder rein, mach weiter mit der Arbeit. Die anderen ... Achte nicht auf sie. Ein bisschen Fell anlegen, hm?"
    Kameradschaftlich klopfte er Geralt noch einmal auf die Schulter, aber das half nur wenig. Langsam kehrte er zu seinem Platz zurück, versuchte eine unbeteiligte Maske aufzusetzen. Verbissen arbeitete er weiter. Nur einmal noch wagte einer der beiden einen kurzen Kommentar, als Geralt ein paar Körner von der Schaufel fielen, aber sofort starrte Geralt ihn mit einem Blick an, in dem so viel bodenloser, lodernder Hass lag dass er wieder verstummte.
    Die Arbeit ging nur langsam voran, quälend langsam für Geralt. Weniger körperlich als vielmehr geistig, immer wieder von dem Gefühl überfallen dass rings um ihn nichts als Feinde lauerten, dass er selbst hier, in der Gesellschaft, die er gesucht hatte, noch allein war. Als schon viele Säcke Getreide durch die Hände der Jungen gegangen waren kamen andere und lösten sie ab. An Geralt sahen sie beinahe vorbei, als sie an die beiden anderen herantraten. Er blieb noch sitzen, während seine Widersacher mit einem Ausdruck neuen Triumphs im Gesicht Geralt gegenüber feixend verschwanden. Niemand sollte sagen können er würde weniger arbeiten als die beiden, weder sie noch Lask noch irgendjemand sonst. Nicht ohne zu lügen jedenfalls, dachte er sich trotzig, als er an den Spott über die Worfschaufeln hinweg erinnerte. Erst als ihn wieder die Hand des jungen Mannes auf der Schulter aufstörte blickte er wieder auf. "He, genug gearbeitet. Kannst gehen und spielen ... Oder so." Die letzten beiden Worte kamen hinterhergeschoben, wie eine Ergänzung, als sei Lask eben noch eingefallen, dass Geralt wohl nicht der war der mit den anderen Jugendlichen spielen würde. Ob freiwillig oder nicht. Sorgfältig legte er die Schaufel beiseite und stand auf, strauchelte kurz auf den eingeschlafenen Beinen, hielt sich aber aufrecht. Jetzt erst bemerkte er den fragenden Blick eines der beiden von der Ablösung. Er war ein wenig jünger, elf Jahre alt vielleicht. Beinahe hastig stieß dieser zwei Worte hervor, dann senkte er selbst wieder den Blick. "Machs gut", waren diese, und sie trösteten Geralt mehr als er auch nur zu zeigen vermochten. Nicht alle.

    Die nächsten Wochen glichen denen zuvor aufs Haar. Geralt bemerkte keine Veränderung im Verhalten von irgendjemandem zu ihm, umso bitterer für ihn, als sich die Welt rundherum sehr wohl wandelte, auf den Herbst zuging. Schon wurde der Wind kälter, und auch die Ernte wies ganz in Richtung Winter. Jeder Haushalt begann, sich Vorräte für den Winter anzulegen - große, runde Laibe von Gerstenbrot, die nie schimmeln würden, wenn man sie richtig lagerte, die nur eine Kruste wie Stein ausbildeten.
    Wenn es denn eine Veränderung gab, dann in der falschen Richtung. Ellons Umtriebe zeigten Wirkung, rascher, als sogar sie selbst es erwartet hätten. Die Verschlossenheit des Dorfes gegenüber allem und jedem Neuen war unglaublich, wie an eine schützende Hülle klammerten sich die Dörfler an die Ablehnung aller Veränderung, als würden mit ihren Sitten und Familien auch sie selbst unsterblich werden. Allein die Ältesten schienen sich bei all den Vorwürfen gegenüber Geralt, die hinter seinem Rücken ausgetauscht wurden, unbehaglich fühlen. Dennoch erzählten sie ihm nicht davon, was hinter den Kulissen gegen ihm vorging.
    Bis zu einem feuchten, kalten Herbsttag, der nur zu gut zu seinen Geschehnissen passen sollte, wusste Geralt nichts von irgendetwas. Wolken trieben über den Himmel und grauten das Sonnenlicht aus, und Geralt fröstelte schon, wenn ein Windhauch seine nackten Arme streifte. Vor dem Haus seiner Gastgeber saß er auf einer uralten Bank, ein großes Stück Holz auf den Beinen. Lustlos schnitzte er an dem Joch herum, das bisher nutzlos herumgelegen hatte; Nate hatte ihm gesagt, dass man es vielleicht noch einmal verwenden konnte, wenn die ganzen Splitter erst einmal herausgeschnitten wären und man das Holz neu schliff. Er gab sich nicht mehr viel Mühe mit der Arbeit. Inzwischen war ihm klar geworden, dass wenn er die Arbeit gut machte sich die Leute über etwas anderes beklagen würden. Wütend riss er mit der stumpfen Klinge ein paar der spitzen Fetzen von der Untersete des Jochs, wo es nach Jahren der Nutzung gebrochen und gesplittert war, als er jemanden über den Feldweg zum Haus der Ältesten laufen sah. Müde sah Geralt zu, war nur wegen der blonden Haare des Läufers ein wenig interessiert. Dann jedoch schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, es war tatsächlich, wie er gehofft hatte, Nate. Ohne einen weiteren Gedanken an es zu verlieren ließ er das Joch zur Seite sinken, legte das Messer auf die Bank. In freudiger Erwartung stand er auf - warum rannte Nate denn so? - und versuchte sich einen angenehmeren Gesichtsausdruck zuzulegen als seinen Unmutsbeweis. Stattdessen entgleisten ihm die Züge vollständig, als er Nates Gesicht erkennen konnte, und sah, wie er lief. In immer neuen Schüben hetzte er vorwärts und hielt sich die Seite, schnappte nach Luft, quälte sich weiter. Die Furchen in der Stirn des Gastes vertieften sich nur noch, als er seinem Freund entgegenlief. Ohne ein Wort des Grußes krümmte sich Nate vor ihm mit schmerzverzerrtem Gesicht, stützte sich auf seine Knie, schwankte, ehe er sich wieder halb aufrichtete. Er keuchte heftig und der Schweiß stand ihm in dicken Perlen auf der Stirn, Haarsträhnen klebten in ungewohnter Achtlosigkeit daran. Mit einem Stöhnen zwang der Junge sich, Worte hervorzubringen, doch um sie zu verstehen musste auch Geralt in die Knie gehen. Mit aufgerissenen Augen und trotz allem, was ihm widerfahren war, ungläubigem Mund hörte er zu. "Sie ... Kommen. Ellon ... Lauf ..."
    Wie vom Donner gerührt blieb Geralt genau da, wo er war. Sie? Ellon? Laufen? Wohin denn? Aus seiner Wahlheimat fort, der ersten Zuflucht, die er gefunden hatte, seit ...
    Seine Gedanken verloren sich, glitten in einem Abgrund, und wie einen zusammenbrechenden Turm sah er sein Leben einmal mehr stürzen, kippen, umgewälzt werden. Erst ein heftiger, schmerzhafter Stoß vor die Brust riss ihm wieder aus seiner Bewegungslosigkeit, ließ ihm zurückstolpern. Mit wutverzerrtem Gesicht stand Nate vor ihm, keuchte immer noch, schluckte mühsam. "Ich ... Bin nicht so gerannt ... Damit du ... Lauf!"
    Endlich lief Geralt. Sein Verstand hörte auf, sich zu fragen was gerade geschah und fasste nur noch den einen Gedanken - lauf. Er wusste nicht weshalb oder wohin, aber jedenfalls fort, im Vertrauen auf seinen einzigen Freund. Mit langen Sätzen sprang er die Treppe hoch wie ein gehetztes Reh, unter den Tritten krachten die Bohlen geqält, als wollten sie brechen. Aufgeschreckt sahen ihm seine Gasteltern nach. Die Sorge stand in ihren Gesichtern geschrieben. Wahrscheinlich füchteten sie, dass Geralt wieder in irgendeine Quälerei hineingeraten war, und ahnten nicht, wie schlimm es tatsächlich bestellt war. Ebensowenig wie der Junge, der oben seine wenigen Habseligkeiten zusammenraffte - das Messer, den alten Beutel mit seiner wenigen Kleidung, das war alles, was er besaß. Im Dorf war nichts dazugekommen, er hatte gearbeitet, aber außer Essen und Unterkunft nichts dafür bekommen. Vielleicht war das schlecht, vielleichr auch gut so, denn seine Last war leicht, als er mit fliegenden Schritten wieder nach unten lief. Dort jedoch erwarteten ihn schon Mara und Thom, aufgestanden, um nach oben zu kommen und nach ihm zu sehen. Entschlossen stellte sich ihm der Älteste in den Weg, als er wieder aus der Tür rennen wollte, um zu Nate zu kommen und ihn zu fragen was eigentlich los war.
    "Was ist los, Geralt? Hattest du wieder Ärger mit Laon? Bleib hier, ich kümmere mich darum."
    Gehetzt versuchte Geralt sich an ihm vorbeizuschieben, während er nur eine bruchstückhafte Erklärung hervorbrachte.
    "Nate wartet draußen ... Ich weiß nicht, was los ist, lass mich bitte!"
    Mit einem gequälten Seufzen gab Thom den Weg frei, lehnte sich gegen den Türpfeiler, mit plötzlich gekrümmtem Rücken, als sei er gealtert und bedürfe dieser Stütze nun. Geralt hatte seine wenigen Sachen dabei, dass sah er mühelos, und der Gedanke, dass der Junge sie jetzt vermutlich verlassen würde machte ihn noch trauriger als er erwartet hätte. In der kurzen Zeit, in der er als Gast bei ihnen gelebt hatte war er ihm beinahe wie ein Ziehsohn geworden. Seine stille, ruhige Art, sein unbedingter Wille, seinen Platz im Dorf zu finden, und sein trauriger Blick, in dem immer noch verborgen lag, was diesem Jungen zugestoßen war, waren ihm lieb geworden. Er wollte nicht, dass Geralt ihn verließ. Es trieb ihm einen Dorn ins Herz zu sehen, wie er hastig zu Nate ging, der sich inwischen ein wenig erholt hatte und mit einer Hand an die Wand gestützt am Haus stand, die andere Hand in der Seite, von Seitenstichen gequält. Gepresst und eilig stieß er endlich hervor, warum er Geralt aufgeschreckt hatte. "Ellon ... hat sie gegen dich aufgehetzt. Laon ist verschwunden, und sie sagen ... Du hättest ihn ermordet."
    Der Schreck ließ Geralts Herzschlag kurz aussetzen, die Augen ungläubig aufgerissen, den Mund ebenso, obwohl er gar nicht mehr atmete. Stotternd setzte er zu einer verzweifelten Antwort an, aber bevor dabei irgendetwas Verständliches herauskam drängte ihn Nate schon weiter vom Haus weg. "Du musst los, sie kommen schon ... lauf in den Wald, schnell!"
    Ein letztes Mal drehte sich Geralt zu denen um, die ihn willkommen geheißen hatten, statt ihn zur wieder gehen sehen zu wollen. Ein letztes Mal sah er ihnen in die Augen, in Thoms, die nicht zu wissen schienen, was sie jetzt von Geralt erwarteten, und in Nates, in denen nur Angst um ihn stand, und das Drängen, dass er doch endlich gehen möge. Und Geralt ging. Nein, er ging nicht, er rannte fort, den sanften Abhang hinab, als hätte er auf dem Weg vom Bergkamm herab nur eine kurze Pause im Dorf gemacht. Immer lauter und schneller ging sein Atem, übertönte die Schritte auf dem Boden in seinen Ohren, nicht nur von der Anstrengung. Ein Gefühl überkam ihn, als ob eine gewaltige Hand sienen Brustkorb zusammendrücken wollte, wie schon einmal. Als er seine Eltern gefunden hatte. Es war nur wenig schlimmer gewesen, damals - nein, es war weniger schlimm gewesen. Diesmal erinnerte er sich zurück, und der Schmerz von Verlust und Betrug verstärkte sich nur gegenseitig, anstatt sich abzulösen.
    Und dennoch wurde sein Atem übertönt. Ein wütendes, enttäuschtes Gebrüll klang auf, als die heranstürmenden Bauern ihre Beute fliehen sahen, und es rauschte Geralt in den Ohren wie Wasser, das über ihn hereinbrach, wie eine Sturzflut, die ihn überwältigen wollte. Er sprang vorwärts, rammte nur noch die Spitzen seiner Schuhe in den Boden und stieß sich ab, immer in Gefahr zu stolpern und eingeholt zu werden. Aber selbst als er einen pansischen Blick auf die Horde hinter ihm warf blieb ihm sein Glück hold - so viel Glück immerhin, dass er stets neben Wurzeln und Maulwurfshaufen trat. Und er rannte noch schneller, nachdem er gesehen hatte, wer ihm da folgte. Mindestens ein Dutzend Bauern rannte dort, was ihre Beine hergaben, Äxte und Knüppel in den Händen. Aufgehetzt von Ellon wollten sie ihn nicht zur Rechenschaft stellen oder vertreieben - sie wollten ihn erschlagen, um Laon zu rächen. Doch der Waldrand kam immer näher, schwoll zu einem dunkelgrünen und schwarzen Band an, eingeklemmt zwischen dem offenen, grauen Himmel und der grünen Wiese, über die er hetzte.
    Seine Verfolger kamen näher, ihr Geschrei schwoll an, bis er meinte, es müsse jeden Moment seinen Kopf sprengen. Und dann war er auf einmal im Wald. Es war, als würde er in einen See aus Dunkelheit tauchen, als er in die Schatten, den die dicht stehenden Bäume warfen, sprang. Sofort peitschten ihm Zweige durchs Gesicht. Einerseits waren sie schmerzhaft, aber Geralt wusste genausogut, dass sie hinter ihm zurückschnellen würden, ihn, wenn er Glück hatte, bald verbergen würden. Gebückt rannte er zwischen den Bäumen hindurch; im Takt seines stoßartig gehenden Atems sprang er über baumwurzeln und tauchte unter Zweigen hinweg, bis die Bäume um ihn nur noch verschwimmende Schemen am Rande seines Blickfelds waren. Er wusste nicht, dass es daran lag, dass ihm langsam die Luft ausging und Schwindel in ihm aufstieg, aber er erkannte jedenfalls, dass es nicht an seiner Geschwindigkeit liegen konnte. Er kam nicht eben schnell voran, obwohl er seinen Vorsprung vergrößerte - die Erwachsenen und älteren Jugendlichen kamen nicht so gut durch den dichten Wald wie Geralt, der zusätzlich keine Rücksicht mehr auf sich nahm und durch Zweige preschte, die seine Verfolger erst beiseiteschieben mussten. Dennoch hätten sie ihn wohl früher oder später erwischt, einfach, weil sie ausdauernder waren und ihre Energie nicht so freigiebig verschleuderten wie ihre Beute. Doch das Schicksal erbarmte sich einmal des Jungen, vielleicht, weil sein Maß an Unglück schon ausgeschöpft war - oder, weil noch mehr auf ihn warten sollte.
    In den letzten Tagen war der Himmel oft grau gewesen, von gewaltigen Wolkenungetümen bedeckt, die die Sonne auslöschten und auf die Stimmung drückten, und manchmal regneten sie über dem Dorf ab. Dann flohen alle vor den Wassermassen, die wie ein Sturzbach von oben herabprasselten, in die Häuser, die dem Ansturm manchmal kaum standhalten zu können schienen; wild pfiff der Wind durch jede Ritze, während das Wasser unter der Tür hindurchsickerte. Und jetzt begann es einmal mehr zu regnen.
    Dieser Regenschauer gehörte zu den heftigsten, die Geralt je erlebt hatte; Es schien, dass die Tore des Himmels geöffnet worden wären, um einem Wasserfall Bahn zu bieten. In Sekundenschnelle waren die dichten Nadelzweige der Bäume durchnässt, dass es von ihnen nur so herabtriefte. Das kalte Wasser hielt Geralt nicht auf, er achtete gar nicht darauf, es erschien eher wie eine Linderung, wenn er durch einen Zweig mehr rannte und das Wasser seine Striemen kühlte. Von hinten allerdings wurde das gewaltige Rauschen jedoch noch hier und da von wütenden Flüchen unterbrochen. Seine Häscher kamen mit dem Regen weniger gut zurecht. Nicht nur, dass sie darauf achteten, dass ihnen die Kleidung nass auf der Haut klebte, sie verloren auch den Sichtkontakt zueinander, so dicht verschmolzen in der plötzlichen Wolkendämmerung der dichte Regen und die unter seiner Last schwankenden Zweige. Und viel wichtiger noch, bald verloren sie die Richtung, in die Geralt floh, Haken schlagend wie ein gehetzter Hase. Die Rufe wurden leiser, seltener, verstummten schließlich hinter ihm.
    Seine Energie schwand, sein Lauf wurde langsamer, und auf einmal hatte in seinem Kopf wieder ein Gedanke Platz. Erschöpft und verzweifelt brach er auf die Knie zusammen. Zum ersten Mal seit dem Beginn seiner Eskapade stürzte, wie der Regen, alles auf ihn ein, was geschehen war. Als hätten sich mit den Toren des Himmels auch die Schlösser seiner Seele geöffnet brach auf einmal alles hervor, was zuvor unter einer dünnen Kruste versteckt gewesen war. Abermals sah er seine toten Eltern. Seine Familie. Ihre Mörder, wie sie trunken davonritten. Die Einsamkeit der Ebene. Der widerwärtige Bekin, der ihn in der Nacht ausrauben wollte. Das Dorf, seine Hoffnungen, als er es am Hang sah, die Enttäuschungen, die erneute Hoffnung durch einige, wenige Freunde, und schlussendlich nicht der Lohn seiner Mühe. Nicht Lohn, sondern Strafe, unverdiente Strafe, so wie alles, was er erlebte, eine einzige, unverdiente Strafe zu sein schien. Verzweiflung und Zorn, Hilflosigkeit und Enttäuschung brachen sich gewaltsam Bahn, ließen Geralt sich aufbäumen. Mitten im Wald, an einem kalten Herbstabend, bäumte sich ein Junge auf den Knien auf, wandte das verzerrte Gesicht dem grimmigen Himmel zu und ließ in einem einzigen, langen, brüllenden Schrei heraus, was bisher unter einer zarten Hülle geschlummert hatte. Er übertönte den Regen, der eintönig rauschend mit millionen von Stimmen auf den Zweigen sprach, übertönte sogar seine eigenen Gedanken, die in seinem Kopf klagten, fluchten und um Rache schrien.
    Der Schrei brach ab, unvermittelt, in einem Wimmern, mit dem auch sein Körper wieder in sich zusammenbrach. Als schluchzendes Bündel rollte Geralt sich auf dem Nadelteppich zusammen und verbarg den Kopf in den Armen.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 07.03.2010, 17:58


    So, geabsatzt. Stellenweise ein bisschen wahllos, though.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 09.03.2010, 15:51


    So, jetzt wo ihrs lesen könnt, tuts auch, und anstatt zu mokieren, gebt Feedback ... Sonst werd ich vielleicht entmutigt und beende meine schreiberische Karriere T_T



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Fellknäuel - 09.03.2010, 15:59


    Ich zögere noch... eigentlich laß ich mir die Vorgeschichte eines Chars lieber von diesem selber innerhalb der MSG schildern, anstatt sie OT aus der 3rd-Person-Perspektive zu lesen.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 09.03.2010, 16:06


    In der Geschichte wirst du sie aber bestimmt nicht erleben ... Er hatte ja schon keine Lust, sie vor May auch nur ein bisschen breitzutreten. Er ist wie sein Namensvorbild, falls den irgendjemand kennen sollte; Geralt z Rivii.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Talok - 09.03.2010, 16:56


    Nunja wenn man sie in der story nicht erfährt, dann ist sie ja wohl nicht für die story wichtig und somit muss man sie sich ja nicht durchlesen oder?



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 09.03.2010, 17:37


    Und ich hatte gehofft man würde sie aus Interesse lesen <.<



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Talok - 09.03.2010, 18:24


    Das problem ist, sie ist doch recht lange xD



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Fellknäuel - 10.03.2010, 14:43


    Warmonger hat folgendes geschrieben: In der Geschichte wirst du sie aber bestimmt nicht erleben ... Er hatte ja schon keine Lust, sie vor May auch nur ein bisschen breitzutreten. Er ist wie sein Namensvorbild, falls den irgendjemand kennen sollte; Geralt z Rivii.

    Selbst dann ist sowas ein zweischneidiges Schwert, da mir das Wissen Einblicke in deinen Char ermöglicht, die ich gar nicht haben dürfte.
    Das kann mich in der MSG unbewußt zu Entscheidungen verleiten, die ich, würde ich die Geschichte des Chars nicht kennen, nicht mal in Erwägung ziehen würde.

    Naja aber wenn´s schon mal da steht, könnte ich eigentlich... *noch am überlegen ist*



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 10.03.2010, 16:23


    Vielleicht spielts mal eine Rolle, aber erst sehr spät, wenn sie in Geralts eigentliche Heimat kommen, und das wird noch dauern; Ganz im Osten : P



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 25.05.2010, 20:05


    Habs aktualisiert, was ich schon längst mal hätte tun sollen. Allerdings ... Die Formatierung ... Well, seid hartnäckig :P



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Grimbor - 26.01.2011, 12:09


    Auf besondere Bitte hin habe ich mich in den letzten beiden Tagen hier durch gearbeitet und liefere hier nun meine Kritik an der Geschichte - denn als solche muss man diesen Hintergrund aufgrund seines Umfangs ja wohl schon bezeichnen. Gemäß meiner Devise, dass man nur aus Fehlern lernt und Lob zwar schmeichelhaft, aber wenig hilfreich zur Verbesserung der Fertigkeiten ist habe ich hohe Maßstäbe - sowohl inhaltlich als auch stilistisch - angelegt und werde recht unerbittlich mit der Geschichte ins Gericht gehen. Es darf jedoch nicht - das möchte ich gleich vorweg nehmen - aus dem Verhältnis von Lob und Kritik an der Geschichte auf meine persönliche Meinung hierüber geschlossen werden: nur weil mehr Fehler aufgezählt als Stellen lobend hervor gehoben werden heißt das nicht, dass die Geschichte einen insgesamt negativen Gesamteindruck bei mir hinterlassen hätte.

    Zum Stil:
    Um gleich einmal mit dem lobenden Teil zu beginnen: insgesamt schreibst du ja auf einem sehr hohen Niveau, Warmonger. Dein Stil ist abwechslungsreich, deine Sätze sind komplex und vielfältig, Rechtschreibungs- und Zeichensetzungsfehler treten kaum auf und die wenigen, die ich finden konnte, sind bei einem Text dieser Länge absolut zu verkraften. Konsequenz hiervon ist, dass sich die Geschichte insgesamt sehr flüssig liest und der Lesefluss ist ja eines der Hauptqualitätsmerkmale.
    Was mir allerdings auch aufgefallen ist ist, dass die Textqualität dazu tendiert, zu schwanken. Der Großteil ist wirklich gut geschrieben, aber es gibt auch immer wieder Passagen, die deutlich stockender, weniger glatt zu lesen sind. Das liegt vor allem daran, dass einige der Formulierungen, die du verwendest, von eher fragwürdigem Charakter sind. Manche klingen einfach an dieser Stelle nicht gut (was mein persönliches Empfinden sein kann), manche wirken irgendwie unbeholfen, plump und bei manchen - sehr wenigen - Phrasen habe ich mich beim Lesen gefragt, ob sie in der deutschen Grammatik überhaupt zulässig sind. Solche Formulierungen finden sich immer wieder einmal, aber auffällig und störend sind sie eigentlich nur dann, wenn sie gehäuft auftreten. Das ist zum Beispiel in der ersten Passage bis zu Geralts Abreise von seinem Hof der Fall. Da sind mir diverse stilistische Unstimmigkeiten aufgefallen. Später wird es im großen und ganzen allerdings deutlich besser.
    Ansonsten sind mir noch einige spezielle Worte aufgefallen, die irgendwie in einem Text wie diesem fehl am Platz wirken. Das sind alles recht hochgestochen klingende Worte (z.B. 'Effizienz'), die unpassend wirken wenn man bedenkt, dass der Protagonist ein sehr einfacher, naiver und wenig gebildeter Bauernjunge ist. Ich weiß nicht, ob das nur Geschmackssache ist, aber ich persönliche würde versuchen, mich nicht nur in der direkten Rede und den Gedanken, sondern auch im allgemeinen Stil der Geschichte am Charakter meines Protagonisten zu orientieren.
    Und dann ist da natürlich noch der bereits von anderen Leuten erwähnte Punkt mit den Absätzen. Ich weiß, ich neige selbst dazu, zu sparsam mit ihnen umzugehen und sollte insofern den Mund nicht so weit aufreissen, aber gerade in einem so umfangreichen Text sind Absätze sehr wichtig. Versuche doch ruhig auch einmal, wenn es sich gerade anbietet - etwa wegen einem Zeitsprung in der Geschichte - nicht nur einen neue Zeile zu beginnen, sondern eine komplette Leerzeile einzufügen. Neue Zeilen kannst du dann auch sehr viel öfter beginnen - etwa wenn der Redeanteil einer Figur endet und der einer anderen anfängt - und so eine insgesamt leichtere Lesbarkeit erreichen.

    Zum Inhalt:
    Auch inhaltlich muss die Geschichte im großen und ganzen gelobt werden. Es entsteht ein insgesamt stimmiger Gesamteindruck, die Handlung ist glaubhaft und detaillreich beschrieben. Du kannst vor allem - das möchte ich besonders hervor heben - Handlung in sehr viele Worte verpacken ohne, dass es langatmig wirkt oder die Spannung darunter leidet. Das ist eines der Hauptprobleme bei Schreibanfängern: sie neigen dazu, zu viel Handlung auf zu knappem Raum zu bringen, nicht auszuschmücken oder eben um mehr Umfang zu gewinnen dies derart krampfhaft zu tun, dass der Lesefluss darunter leidet. Beides ist bei dir nicht der Fall.
    Aber auch hier habe ich einige Kritikpunkte. Zum einen fallen hier und dort logische Unstimmigkeiten auf. Auf dem Hof musste Geralt Hühnern den Kopf umdrehen, aber er ekelt sich vor dem Kadaver des Fedells? Das ihn der unerwartet harte Kampf mitnimmt - in Ordnung, aber die Gewissensbisse danach kommen mir in Anbetracht seiner Vorgeschichte fragwürdig vor. Mit verbundenem Arm kann er sich kaum am Baum festhalten ohne heftige Schmerzen zu erleiden, aber als er den Verband abnimmt klettert er mühelos nach oben? Wieder so ein Punkt. Und - meiner Meinung nach schwerste Unstimmigkeit - der Umgang mit dem Tod seiner Familie. Für einen Vierzehnjährigen, der einen derart schweren Schlag erlitten hat und der sein Leben lang niemanden außer diesen Leuten, die nun tot sind, gehabt hat, geht er erstaunlich gelassen damit um. Während die Räuber auf dem Hof zechen scheint er gar nichts zu fühlen und selbst danach, als er das Haus betritt, ist wenig von Schock, Panik, Trauer zu spüren. Er wirkt so kalt, so distanziert zu alledem. Und er kommt relativ rasch über all das hinweg. Er denkt sehr selten an seine ermordete Familie. Es kann natürlich sein, dass du das bewusst als Charakterelement so angelegt hast, aber eine derartige Gefühlskälte überrascht mich dann doch. Wirklich realistisch wirkt das nicht.
    Damit kommen wir auch schon zu meinem zweiten, vielleicht noch wichtigeren inhaltlichen Kritikpunkt: du hast ein recht unausgewogenes Verhältnis von innerer zu äußerer Handlung. Meiner Meinung nach komtm die innere Handlung entschieden zu kurz. Du beschreibst all das Äußere wirklich toll, aber alles was Gefühle, Gedanken, Empfindungen betrifft wirkt irgendwie ein wenig knapp. Normalerweise sagt man, die Textanteile sollten in etwa gleich für beide Handlungen sein. Der Mangel an innerer Handlung macht es einem Leser sehr schwer, sich in den Protagonisten hinein zu versetzen, sich mit ihm zu identifizieren.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 26.01.2011, 14:16


    Danke sehr, wird beherzigt; Ich stimme nämlich zu. Das mit den unpassenden Ausdrücken ist mir auch aufgefallen, ich dachte ich hätte sie halbwegs raus, aber scheints ist mein Alltagsstil hartnäckig. Die Baumszene hat Ena schon einmal kritisiert, sieht aus als bräuchte sie einige Überarbeitung. Das mit dem Fedell ist mir gar nicht aufgefallen, da werd ich einiges ändern müssen : x

    Das einzige wo ich ein bisschen verwirrt war ist das mit seiner Familie. Eigentlich sollte Geralt geschockt wirken, nicht kalt. Wenig Panik, ja, aber Lethargie und Paralyse danach ... Wie er bis zum Ende hin kaum redet, lagnsam und stumm durch die Welt schleicht ... Wirkt das kalt? Wie könnte ich das ausbessern?
    Was das drüber-hinweg-kommen angeht, ich weiß dass ich das nicht könnte (vermutlich gar nicht) aber ich bin auch ein Weirdo der sich zu viele Gedanken macht und hab mich deshalb von mir distanziert. Zu sehr? Mehr Gedanken daran? Würde das auch die innere Handlung ein bisschen fueln? Und was ließe sich an der allgemein verbessern?



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Grimbor - 26.01.2011, 19:01


    Das Problem ist halt, dass du ihn generell sehr wenig fühlen lässt. Man bekommt keinen Einblick in sein Inneres. Und auch Schock, auch Apathie kann man ja beschreiben. Auch Verdrängung, die Schatten, die immer wieder ungewollt aufsteigen. Aber wenn du die Gefühlswelt insgesamt so knapp hältst, dann muss ich als Leser davon ausgehen, dass er eben gar nichts fühlt. Und das wirkt kalt. Und ja: wenn du uns mehr Einblicke in seine Gedanken, seine Gefühle über seine Situation und das Schicksal seiner Eltern geben würdest, dann wäre das natürlich auch mehr innere Handlung, sodass das ganze lebendiger wirkt und nicht wie eine bloße Beschreibung der (äußeren) Vorgänge.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 26.01.2011, 19:23


    *nod*.

    Ich werd Stelle nfinden wo's passt und Geralt ganz fürchterlich viel fühlen lassen :>



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 01.02.2011, 10:41


    Updated. Bis zu einem gewissen Punkt überarbeitet, lies mal rein.



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Grimbor - 24.06.2011, 23:20


    Normalerweise hätte ich an dem Text wenig auszusetzen, aber du bist ein guter Schreiber, Monger, also lege ich auch hohe Maßstäbe an und beurteile unverhältnismäßig streng. Ich hoffe doch stark, dass das in deinem Sinn ist. Ich werde dir diesmal auch keine thematisch gegliederte Revision mehr schreiben, sondern gehe einfach chronologisch die überarbeiteten und neuen Punkte durch.

    Die drei überarbeiteten Stellen hatte ich ja alle zuvor schon einmal kritisiert, was wohl der Grund dafür sein dürfte, dass du eben diese überarbeitet hast. Insgesamt muss ich leider sagen, überzeugt mich die neue Überarbeitung nicht wirklich. Die Stellen mit dem Fedell und dem Apfelbaum sind besser geworden aber immer noch nicht wirklich überzeugend. Wenn ich so drüber nachdenke müsste man zumindest dei Apfelbaumgeschichte nicht nur umformulieren, sondern wahrscheinlich ganz umschreiben. Was mich immer noch ganz massiv stört ist Geralts Umgang mit dem Tod seiner Familie. Er kommt viel zu schnell über den Schock hinweg. Im einen Moment bricht er fast zusammen, ist kurz davor auf den Boden zu kotzen und im nächsten hat er sich soweit gefasst, dass er seine Familie aufbahrt? Da ist ein ganz massiver Bruch, der mir höchst unglaubwürdig erscheint.

    Den neuen Text kann man ganz gut in zwei Passagen unterteilen, vor und nach dem Absatz. Der Teil vor dem Absatz beim Dreschen gefällt mir insgesamt ganz gut, da habe ich recht wenig dran auszusetzen. Man merkt recht deutlich, dass du hier versuchst, eine Menge Fachwissen in die Geschichte einzuschmuggeln. Im Prinzip nicht schlecht, aber man bemerkt einen leichten Stilbruch.

    Der zweite Teil, der Teil nach Absatz und Zeitsprung, gefällt mir wieder eher weniger. Nicht aufgrund von irgendetwas greifbarem. Man merkt nur, dass es an einem anderen Tag geschrieben wurde als der vorherige Teil, an einem Tag, an dem du wohl schlechter drauf warst, vielleicht weniger konzentriert, vielleicht unmotiviert. Der Stil ist schlechter, ungelenker. Insgesamt wirkt der Absatz weniger geistreich als der Vorherige, irgendwie... stumpfer. Aber wie gesagt: es lässt sich nicht an konkreten Punkten festmachen, das ist so der Eindruck, der beim Lesen hängen bleibt...



    Re: Tales of the Past - Geralt

    Warmonger - 24.06.2011, 23:32


    Hm. Am Fedell werd ich wohl nichts Wesentliches mehr ändern, vielleicht noch was Kleines.

    Den Apfelbaum ... Ich schätze, ich muss ihn fällen oder noch mal ganz neu schreiben. Sieht aus als würde das so nichts.

    Was die Familie angeht ... Wie könnte ich einen Schock besser darstellen? Ich will ihn verdrängend, traumwandlerisch, unfähig zu verarbeiten, ohne viele Gedanken an das, was hinter ihm liegt, weil seine Psyche es ganz nach hinten sperrt. Der Bruch damit ist ganz am Ende vom derzeitigen Text, an dem das Gewitter sozusagen die Blockade löst. Sollte ich detaillierter auf das Konzept eingehen? ... Behalten wollte ich es eigentlich, vielleicht noch verstärken, wenn du meinst, dass dazwischen zu viel liegt, das einer Blockade widersprechen würde.



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