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Vargas Llosa, Mario - Lob der Stiefmutter




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Vargas Llosa, Mario - Lob der Stiefmutter

Beitragvon Katia » 02.09.2009, 09:52

[center]Mario Vargas Llosa - Lob der Stiefmutter[/center]

Vargas Llosas schmaler erotischer Roman erzählt von einer Dreierkonstellation: Vater, Stiefmutter und Sohn. Frisch verheiratet führen Don Rigoberto und Dona Lukrezia eine harmonische Ehe mit einem reichen Sexualleben.
Don Rigoberto, im Alltag bei einer Versicherungsgesellschaft eher prosaisch beschäftigt, entwickelt sich abends zu einem Hygienefanatiker und nachts zu einem hingebungsvollen Liebhaber. Die Phantasien, die sich an Kunstwerken entzünden, werden jeweils in einem Kapitel beschrieben.
Diese erotische Idylle wird von dem vorpubertären Sohn Alfonso gestört, der für seine Schwiegermutter mehr als nur kindliche Gefühle zu hegen scheint...

Vargas Llosa beschreibt Erotik in ihrer komplette Körperlichkeit und das ganz ohne banale, oft gehörte und gelesen Worte, ohne einen Hauch von Vulgarität. Don Rigobertos Waschrituale (jeder Wochentag ein Körperteil) sind ebenso Teil dessen wie die bereits erwähnten Phantasien über Kunstwerke. Dabei fehlt ihm nie das Augenzwinkern und er hält die Spannung bis zum Ende. Zwar ist es schon eine Weile her, dass ich den Nachfolger "Die geheimen Aufzeichnung des Don Rigoberto" las - mit über 450 Seiten ein gewichtiger Roman statt einer schmalen Novelle - doch erinnere ich mich, diesen mit weit weniger Vergnügen gelesen zu haben und ihn streckenweise als zäh empfunden zu haben. Davon ist bei der "Stiefmutter" nichts zu merken!

Eigentlich würde ich dem Roman 5 Sterne geben, weil er mir wirklich Spaß beim Lesen bereitet hat, weil das Ende überraschend ist, weil Vargas Llosa gut schreibt und genau komponiert. Er berührt ein Tabu-Thema, auf unkonventionelle Weise, das hinterlässt ein vage unangenehmes Gefühl, also ein fast unbegründeter Sternabzug. Trotzdem: ein wunderbarer Roman, ein Lesevergnügen.

Tipp: statt der SZ-Ausgabe rentiert sich die HC oder TB-Ausgabe von Suhrkamp, denn anstatt SW-Reproduktionen enthalten beide Farbtafeln mit den beschriebenen Bildern! Im Text wird sehr explizit darauf Bezug genommen, auch anhand der Farben!

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Re: Vargas Llosa, Mario - Lob der Stiefmutter

Beitragvon chip » 09.08.2011, 10:24

Schon unglaublich, welche kostbare Perlen sich im Besitz befinden, kleine Schätze versteckt im Bücherregal. Dieses sinnlich erotische Bändchen der SZ beschreibt die Lust und den Dämon der Wollust, der einen Rundumflug durch die Weltgeschichte zieht, eine Reise beginnend bei den Göttern der Antike, deren Begierde sich in der Kunst niederschlägt. Jene lüsternen Götter sind Teil der Rollenspiele zwischen Rigoberto und seiner zweiten Frau Lukrezia, eine Ehe größtenteils sexuellen Charakters. Die gegenseitige Liebe zu ihrem 10jährigen Stiefsohn ist ihr dabei sehr wichtig, weil mangelnde Anerkennung seitens des Kindes das Ende der Ehe hervorrufen könnte. Deshalb freut sie sich, als sie zum Geburtstag einen liebevollen Brief von ihm erhält. Dass diese Liebe jedoch die zulässige Grenze überschreitet, wird erst erkannt, nachdem der kleine Dämon bereits geweckt wurde.

Vargas Llosa schildert überaus kunstvoll die sinnlichen Phantasien des Menschen, die weit über die legalisierte Moralität der Gesellschaft hinausgehen. Alle körpereigenen Tätigkeiten werden in dieser sexuallastigen Ehe zum Vorspiel.

Lukrezia in der Weltgeschichte steht als Synonym für Schändung, als Opfer der Begierde. Ist sie letztlich bloß das Opfer ihrer ungehaltenen Wollust geworden?
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