Was ist schon eine Seele wert, wenn der Held der Geschichte vor den Gutsbesitzern Russlands tritt und wie Mephisto um die Seelen seiner Bauern feilscht? Nicht so viel wie man annehmen könnte, kriegt er sie meist schon geschenkt. Sein Augenmerk liegt auf die Namen und Seelen verstorbener Bauern, die in den Revisionslisten noch als lebend verzeichnet sind und für die der Gutsbesitzer bis zur nächsten Revision weiterhin Kopfsteuer zahlen muss. Aus dem Grund sind viele der Eigentümer dankbar, ihre Unterschrift unter dem Kaufvertrag setzen zu können. Der Leser erfährt erst spät, was den Helden antreibt, wie sein Lebenslauf aussieht und was es mit dem Kauf der Seelen auf sich hat – doch wird ihm sehr früh klar, dass er betrügt und über eine ausgeprägte teuflische Ader verfügt. Kein wahres Wort verlässt seine Lippen, keine Geste ist aufrichtig. Er übt seine Rolle in Perfektion aus, blendet seine Mitmenschen, indem er ihnen nach dem Mund redet, ihnen Interesse vortäuscht. Jedes seiner Reuebekenntnisse ist verflogen, sobald die sündhaften Luxusgüter der westlichen Welt seinen Blick streifen. Er schließt Bekanntschaft mit den Beamten, Politikern und Stadtverwaltern der Stadt, reist von Hof zu Hof um die Gutsbesitzer von seinem Vorhaben zu überzeugen. Diese aber reagieren und handeln ihrerseits eingegrenzt durch die Fesseln ihrer verwerflichen Eigenschaften. Geiz, Aberglaube, Wollust und Völlerei – um nur einige zu nennen, werden durch sie auf glänzende Weise karikiert, mit sehr viel Witz und Augenzwinkern vorgeführt. Dabei wirken diese stereotypen Menschen ironischerweise selbst wie leblose Gestalten. Oscar Wilde schrieb im „Brief aus dem Gefängnis“ an seinem Freund Alfred Douglas ziemlich treffend über ihn, was man auch für jene Gutsbesitzer hätte nutzen können, um sie zu beschreiben:
„Man kann Verblendung so weit treiben, dass sie grotesk wird, und eine phantasielose Natur, wenn nichts geschieht, was sie aufrüttelt, wird schließlich zu völliger Fühllosigkeit versteinern, so dass der Leib zwar essen und trinken und seinen Genüssen frönen mag, die Seele aber, die er beherbergt, wird gänzlich abgestorben sein, wie die Seele des Branca d’Oria bei Dante.“
Überhaupt verfügt Gogol über eine große Menschenkenntnis, weiß um deren Schwächen und Eigenarten, die er in grotesken Szenen und Beschreibungen auf die Spitze treibt; durch seine überzeichnete Weise wird umso deutlicher, dass der Mensch nur eine groteske Abbildung seiner Selbst darstellt. Der erste Teil des Buches ist faktisch ohne positive Figuren besetzt, was nicht bedeuten soll, dass diese Figuren grundlegend schlecht sind. Wenn der Geizhals den Schimmel vom Zwieback kratzt, um ihn dem Gast vorzusetzen, zeigt es die hilflose Versklavung seiner Lebensart. Doch schon der zweite Teil lässt hingegen einige viel versprechende Lichtblicke zu, sofern dieses löchrige Manuskript dies gestattet. Der fehlende Rest wurde Opfer der Flammen.
„Der jetzige feurige Jüngling wiche voller Entsetzen zurück, zeigte man sein Bild im Alter. Wenn ihr die sanften Jünglingsjahre verlasst und in das raue, hart machende Mannesalter eintretet, so nehmt alle menschlichen Regungen mit, lasst sie nicht am Wegrand liegen, ihr hebt sie dann nicht mehr auf! Furchterregend, entsetzlich ist das vor euch liegende Alter, und es gibt nichts wieder heraus oder zurück! Barmherziger als es ist das Grab, auf dem Grab steht: Hier liegt ein Mensch begraben! Doch nichts liest man in den kalten, gefühllosen Zügen des unmenschlichen Alters.“
Gogol wird nicht müde, vor den Gefahren der Verlockung des Bösen zu warnen. Er sieht den russischen Charakter in Drangsal, den er so wohlwollend ehrt und schätzt, ein Patriot seiner Herkunft. Das Buch ist durchtränkt von der Leidenschaft zu seinem Volk, seinem Land und es macht einfach Spaß, ihm dabei zuzuhören. Die Versuchungen westlicher Einflüsse schreibt er dem Teufel zu und kennt die Handhabung, ihnen zu entgehen:
„Ich weiß aus Erfahrung, Bruder: All die dummen Gedanken kommen einem nur in den Kopf, wenn man nicht arbeitet.“
Zu der Frage, ob man seine Zeit einem Fragment opfern soll, ihr kann ich heftig nickend zustimmen. Im ersten vollständigen Teil ist alles enthalten, was zu erfahren sich lohnt. Die Fortsetzung stellt den zukünftigen Werdegang Tschitschikows dar, der wohl zum ersten Mal mit einem frommen Menschen zusammentrifft, der aus Dostojewskis Feder entsprungen sein könnte. Insofern ist es nicht zu tragisch, wenn die Geschichte hier endet. Die Gefahr, in allzu christlich geprägten Ideologien zu stranden, wäre an dieser Stelle nicht gering.
Gruß,
chip