Rezension zu Traumabuch von Michaela Huber

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    Re: Rezension zu Traumabuch von Michaela Huber

    schmetterling - 05.07.2009, 14:23

    Rezension zu Traumabuch von Michaela Huber
    Hier noch eine Rezension zu einem Buch von Michalea Huber, die mich als Traumatherapeutin und Autor sehr anspricht:

    Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung Teil 1

    Michaela Huber, Junfermann Verlag, Paderborn, 2003.
    ISBN 3-87387-510-1
    22,50 Euro
    Rezensentin: Berit Lukas
    Michaela Huber ist vielen sicherlich noch durch ihr Buch: Multiple Persönlichkeiten bekannt. Auch in ihrem neuen Buch beschäftigt sie sich mit den Folgen von Traumata und Gewalt, weil vielen Betroffenen und professionellen Helfern oftmals immer noch nicht klar ist, welche Auswirkungen komplexe Traumatisierungen tatsächlich für den Einzelnen, aber auch für Psychiatrie und Gesellschaft haben.

    Erfreulicherweise ist das Buch sehr übersichtlich gestaltet, und erlaubt dem Leser "seine eigenen Leseschritte". Betroffene verfolgen sicherlich andere Leseinteressen als Therapeuten oder Ärzte. Durch die klare Lesbarkeit, ist es jederzeit möglich sich einzelnen Kapiteln zu widmen oder das Buch von "vorne bis hinten" durchzuarbeiten. Viele Beispiele werden ausführlich dargestellt, so dass ein Nachvollziehen des theoretischen Rahmens möglich wird. Erst in den letzten Jahren hat sich die Wichtigkeit der Bindungsfähigkeit von Kindern erwiesen, die bereits von Bowlby vor über 30 Jahren vorgestellt worden war. Michaela Huber geht auch hierauf ausführlich ein, wodurch bestimmte Risikofaktoren bei Trauma-Patienten deutlich werden.

    Viele Betroffene ahnen nämlich nur, daß ihre Depressionen, Schlaflosigkeit, Eßstörungen usw. möglicherweise mit Kindheitstraumatisierungen in Zusammenhang zu bringen sind. Manche haben ihre Kindheit "völlig ausgeblendet" und wissen gar nichts mehr, andere vermuten nur einen geringen Zusammenhang, weil Gewalt in Familie und Umfeld immer noch ein Mantel des Schweigens umgibt. Falls es im Rahmen einer psychiatrischen Diagnostik zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung kommt, erklärt Huber: (S. 118)
    Traumatisierungen wie frühe Vernachlässigung, Verwahrlosung, körperliche, seelische und /oder sexuelle Gewalt erklären mehr als 80 Prozent aller Persönlichkeitsstörungsdiagnosen.

    Die Erkenntnisse der Psychotraumatologie gehen zum Glück mittlerweile soweit, daß bekannt ist, daß Extremtraumatisierungen auf Gefühle, Verhaltensweisen oder Gedankenschleifen Auswirkungen haben, die auch unterbrochen werden können.
    Doch der Alltag auf psychiatrischen Stationen sieht nach Huber leider im 21. Jahrhundert noch anders aus.
    • "PatientInnen, die unbequeme Gefühlsäußerungen von sich geben oder sich selbst verletzen oder zugeben, dass sie sich mit Suizidgedanken tragen, ohne Umschweife auf die "geschlossene" Abteilung verlegt werden...
    • PatientInnen bei Wut- oder Verzweiflungsausbrüchen "niedergespritzt" werden (manchmal stürzen sich mehrere Pfleger auf eine Patientin, werfen sie buchstäblich nieder und injizieren ihr schwere Psychopharmaka)" (S. 26)

    Huber: "Wenn ich in psychiatrischen Kliniken Vorträge, Fortbildungen und Supervision gebe, kommt mir - auch vom Pflegepersonal – oft noch das "alte psychiatrische Denken", wie es genannt wird, entgegen und macht mich manchmal ratlos, verzweifelt oder wütend..." (S. 27).

    Wann beginnt für die Betroffenen also das Trauma oder in Kliniken die Retraumatisierung? Huber beschreibt es sehr anschaulich und für die Betroffenen sehr klar:

    "Wenn aber alles nichts hilft – no Fight, no Flight" – dann bleibt dem Gehirn nichts anderes übrig, um der äußersten Bedrohung, nämlich der Auflösung des Selbst, zu entkommen, als: Freeze und Fragment." ... Und vom Moment der Freeze-Reaktion an ist klar: Jetzt findet für den Menschen das Ereignis als Trauma statt." (S. 43).

    " ‚Der Vergleich eines Spiegels, der im Augenblick des traumatischen Stressgipfels zerspringt, macht deutlich, dass die zurückbleibenden Spiegelsplitter nicht mehr erkennen, was passiert ist, sondern nur noch, dass etwas passiert ist" ' (S. 43/44).

    Wichtig wird hierbei die Fähigkeit zur Dissoziation.

    Jeder kennt bestimmt eine Form der alltäglichen Dissoziation, die nichts krankhaft, pathologisches an sich hat, wie z.B. das Abschalten beim Absorbieren, indem bestimmte Dinge fokussiert werden ( beim Lesen, Fernsehn, Kino) und gleichzeitig Lärm, Klingeln des Telefons usw. aus der eigenen Wahrnehmung herausfallen. Manche können dies besser, andere wiederum "müssen" vieles mitbekommen und können schlechter "abschalten", was sich dann u.U. in Form von Kopfschmerzen bemerkbar machen könnte.

    Unter Stress werden alle Formen der Dissoziation verstärkt.
    Huber unterscheidet drei Problembereiche, bei denen die Dissoziation vermehrt eingesetzt wird.
    • traumatischer Stress als Sonderform
    • Alkohol, Drogen und Medikamente
    • hirnorganische Syndrome: Temporallappen-Epilepsie, Hirntumoren, Demenzerkrankungen

    Dissoziation ist das Spezialgebiet von Michaela Huber und nimmt deshalb auch einen besonderen Raum in dem Buch ein. Mehrere Begriffe werden eingeführt, um verschiedene Arten der Dissoziation deutlicher zu machen.

    Dabei haben sich zwei Formen einer "strukturellen Dissoziation" bei Traumatisierungen gezeigt: 1.
    • ein Persönlichkeitsanteil (ANP), der keinen Zugang zu den Emotionen während der Traumatisierung hat und mehr oder minder als "Fassade" im Alltag funktioniert 2.
    • ein weiterer Anteil wird EP genannt: Emotionaler Persönlichkeitsanteil

    Anschaulich wird das in dem Beispiel, indem man der Alltagspersönlichkeit ihre eigene Trauma-Geschichte vorliest. Sie reagiert darauf hirnphysiologisch als wäre es einem Fremden passiert. Wird dieselbe Geschichte allerdings von einem abgespaltenem emotionalen Persönlicheitsanteil gelesen (EP), werden die Teile im Gehirn getriggert und es kommt zu starken emotionalen und/oder körperlichen Reaktionen. (S. 123). Bei anderen Menschen vollzieht sich allerdings keine gesamte Abspaltung, und sie erleben Teile des Traumas in Alpträumen, im Halbschlaf oder in "Nischen des Alltags", wie Huber sie nennt (Tagträume, beim Spülen usw. S. 124)

    Eine chronifizierte Form der Dissoziation wird als:Ego State Disorder bezeichnet. Hierbei handelt es sich um abgespaltene Ich-Zustände, die kaum steuerbar sind. Die schwerste Form aller Abspaltungen ist die dissoziative Identitätsstörung (ehemals multiple Persönlichkeit), die mehrere ANPs und Eps, wenn man der Theorie der strukturellen Dissoziation folgt, besitzt und folglich auch in verschiedene Alltagsanteile "wechseln" kann. Diese müssen von dem Therapeuten oder Diagnostiker klar unterschieden werden können, um die Diagnose einer: Dissoziativen Identitätsstörung vergeben zu können.

    Der traumatische Stressfaktor für Gehirn und Gesamtpersönlichkeit.

    Es gibt sogenannte "Erstreaktionen" mit denen das Gehirn "fertig werden muss". Diese sind normale Reaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse und werden als Posttraumatische Belastungsreaktion bezeichnet. Abgespaltene Inhalte, Verwirrungszustände müssen wieder integriert werden. Dieser Prozess kann wochenlang andauern und folgende Zustände werden bei vielen Betroffenen hervorgerufen: ( S. 68)
    • Angstreaktionen
    • Schlafstörungen
    • Albträume
    • Wiedererleben des Traumas
    • Vermeidung von Reizen
    • Empfindungslosigkeit
    • Beeinträchtigung der Wahrnehmung
    • Konzentrationsstörungen

    Dauern die Probleme an, wird von einer Posttraumatischen Belastungsstörung gesprochen, die allerdings auch erst sehr viel später in Erscheinung treten kann, z.B. wenn eine erneute Traumatisierung stattgefunden hat oder der Jahrestag des Traumas sich nähert. (S. 70). Huber hat eine Liste von Ereignissen erstellt, nach denen schwere Traumareaktionen zu erwarten sind und somit dissoziierte Inhalte und das Trauma selbst schlechter integriert werden können. Auch beschreibt sie bestimmte Risikofaktoren näher, weshalb ein Mensch eher "normal" auf ein Trauma reagiert oder sich eine PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung) entwickeln kann.

    Ein wichtiges Thema sind Suizidgedanken, Suizidalität und selbstverletzendes Verhalten bei Trauma-Patienten. Huber beschreibt die Hintergründe und gibt Erklärungsansätze, die in der früheren Literatur nicht beachtet wurden.
    Ihr Fazit: (S. 154)
    Viele suizidale Mädchen und Frauen wollen niemanden erpressen, wollen gar nicht mehr das Leben und die Hilfeleistung anderer, sondern sie suchen den Tod, weil sie so verzweifelt sind, dass das Leben keine "prima Alternative" mehr ist.
    Der Suizid wird möglicherweise als letzter autonomer Akt betrachtet, der vorletzte Akt wäre bei manchen Betroffenen das selbstverletzende Verhalten: "Offenbar ist mit Hilfe der Selbstverletzung ein eigenes Handeln, eigenes Eingreifen, eine Form von ‚Ich bestimme!' möglich, das die Betreffende auf keine andere Weise erreichen kann." (S. 167) Huber berichtet über Selbstverletzung als wichtiges Signal, das verstanden werden will. Es kann auch sein, dass zu viel Traumamaterial an die Oberfläche gekommen ist und die Klientin keine andere Stressbewältigung kennt.

    Das letzte Kapitel ist den Opfern von ritueller Gewalt gewidmet, worauf ich hier nicht näher eingehen möchte, da die Möglichkeit der Triggerreize für Betroffene gerade bei diesem Thema sehr groß ist.

    Es befinden sich vielerlei Diagnostikinstrumente in dem Buch oder es wird auf weitere therapeutische Hilfsmittel verwiesen. Diese sind nicht zur Selbstdiagnostik geeignet, sondern gehören in die Hände von erfahrenen Traumatherapeuten, die die Ergebnisse auch zu deuten wissen. Insgesamt macht das Buch neugierig auf den zweiten Band, der demnächst an dieser Stelle besprochen werden wird.


    Den zweiten Band gibt es mittlerweile auch schon und das neuste Buch von Frau Huber, in Zusammenarbeit mit Pauline C. Frei, heißt: Von der Dunkelheit zum Licht. Auch sehr empfehlenswert!

    Euer Schmetterling



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