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Re: Luckenwalder Jahrhundertspiel: Märchen mit ungewissem Ende
Sammy - 16.05.2006, 08:46Luckenwalder Jahrhundertspiel: Märchen mit ungewissem Ende
Luckenwalder Jahrhundertspiel: Märchen mit ungewissem Ende
Frieder Andrich ist wohl der einzige, der in diesem ganzen Wahnsinn die Ruhe behalten hat. Fast gelassen sitzt er da auf der Trainerbank im Werner-Seelenbinder-Stadion von Luckenwalde. Die Mannschaft, die der 58 Jahre alte Coach seit Oktober 2004 trainiert, steckt mitten im Abstiegskampf der Verbandsliga Brandenburg und heißt FSV 63 Luckenwalde.
Am Samstag hat das Team von Frieder Andrich endlich einmal wieder gewonnen, 4:1 gegen Fürstenwalde. „Ein ganz wichtiger Sieg. Jetzt fehlen uns noch drei Punkte, dann haben wir wohl die Klasse gehalten“, analysierte der Trainer trocken. Doch dafür interessiert sich in diesen Tagen eigentlich nur noch der Sportredakteur der „Luckenwalder Rundschau“.
Oliver Bierhoff zog das Los
Denn was in Luckenwalde zählt und die Mannschaft für die Journalisten aus ganz Deutschland plötzlich interessant macht, ist ein ganz anderes Spiel. Im Mannheimer Carl-Benz-Stadion trifft der fünftklassige Klub heute abend auf die deutsche Nationalmannschaft. Am 1. März hat der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, in der Halbzeitpause des Länderspiels zwischen Italien und Deutschland (4:1) in Florenz den FSV 63 Luckenwalde aus einem Lostopf gezogen.
Damit stand diese ungewöhnliche Partie fest. Die engagierte Jugendabteilung des brandenburgischen Traditionsvereins hatte mit einem hohen ehrenamtlichen Engagement in dem Wettbewerb „Klub 2006 - Die Fifa-WM im Verein“ dafür gesorgt, daß der Verein in den besagten „Goldtopf“ kam.
„Fluch oder Segen“, zweifelt der Trainer
„Ich weiß mittlerweile wirklich nicht mehr, ob das Spiel für uns ein Fluch oder ein Segen ist“, sagt Andrich, der Diplom-Sportlehrer aus der ostdeutschen Kleinstadt Beskov, nachdenklich. Denn seit Bierhoffs Griff stand Woche für Woche irgendein Fernsehteam vor dem Stadion des FSV 63 Luckenwalde. „Meine Spieler redeten nur noch darüber, ob sie lieber gegen Schweinsteiger oder Ballack spielen oder wie sie dem Kahn am besten einen reinhauen können“, erinnert sich Frieder Andrich an diese schwierige Phase. In der Hinrunde stand der Klub noch im gesicherten Mittelfeld.
Doch mit dem Losglück von Florenz verlor der FSV 63 Luckenwalde Spiel auf Spiel und fand sich plötzlich mitten im Abstiegskampf der Verbandsliga wieder. Der frühere Fußballprofi Andrich, der zwischen 1968 und 1984 insgesamt 266 Spiele für Stahl Riesa und Vorwärts Frankfurt/Oder in der DDR-Oberliga bestritt, handelte schnell. „Es muß endlich wieder Disziplin und Ordnung einziehen, sonst steigen wir ab“, erklärte der Diplom-Sportlehrer dem Mannschaftsrat. Andrich verschärfte sowohl das Training als auch den Ton gegenüber seiner im Durchschnitt 21 Jahre jungen Mannschaft.
Spiel des Jahrhunderts sorgt für Aufregung
Der 91fache Torschütze der höchsten DDR-Liga, der in den siebziger Jahren mit Vorwärts Frankfurt im Uefa-Cup gegen Juventus Turin und Nottingham Forest und Anfang der achtziger noch gegen Werder Bremen und den VfB Stuttgart kickte, „tingelte nach der Wende als Trainer durch den Osten“, wie er rückblickend berichtet. Mit dem FSV Luckenwalde möchte er langfristig etwas aufbauen. Es ist eine Art letzte Chance in Andrichs turbulentem Fußballerleben, das sich ausschließlich in Ostdeutschland abspielte. Auch deshalb wollte er sich nicht von dem kollektiven Enthusiasmus anstecken lassen, die in der Kreisstadt im März ausbrach.
Er ahnte zu gut, daß „das Spiel des Jahrhunderts“ den Verbandsliga-Alltag der Mannschaft nachhaltig stören kann. Mit dem Sieg am vergangenen Samstag gegen Fürstenwalde scheint der FSV 63 Luckenwalde jedoch noch gerade rechtzeitig die Kurve bekommen zu haben. „Jetzt können wir uns auch auf das Spiel in Mannheim richtig freuen“, sagte der Trainer kurz vor der Abfahrt aus Luckenwalde am vergangenen Sonntag.
Grätschen sind verboten
Rund 2.500 Luckenwalder Fans werden mit zwei Sonderzügen, Bussen und Autos nach Mannheim reisen. Der Abwehrspieler Michael Braune, der in einer Ausbildung als Flugzeuggerätemechaniker steht, soll Michael Ballack bewachen. Da Braune am Spieltag zu Hause noch eine unaufschiebbare Prüfung ablegen muß, wird er gemeinsam mit Rundfunk-Reportern mit einem Learjet nach Mannheim fliegen.
Vor dem Spiel wird sich Andrich mit seinem Trainerkollegen Jürgen Klinsmann über die „Einstellung zum Spiel“ unterhalten. Grätschen sind verboten. „Wir wollen natürlich niemanden verletzen, aber uns auch gut verkaufen. Unser Ziel ist, in den zweimal dreißig Minuten weniger als zehn Tore zu kassieren und möglichst eins zu schießen“, so Andrich. Schon an diesem Samstag hat der FSV 63 Luckenwalde ein anderes, schwieriges Auswärtsspiel zu bestreiten. Dann geht es zum SV Alt-Lindersdorf, und der ist Tabellenführer in der Verbandsliga Brandenburg.
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