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James, Henry - Das Bildnis einer Dame




James, Henry - Das Bildnis einer Dame

Beitragvon Krümel » 27.03.2009, 10:18

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Im Mittelpunkt des Geschehens steht Isabel Archer. Eine junge Amerikanerin, die ihre Eltern verloren hat und von ihrer Tante mit nach Europa genommen wird um die alte Welt kennen zu lernen.
Der Leser begegnet Isabel in England auf einem Landgut, eine idyllische Landschaft umgeben vom alten englischen Geschlecht. Ihr Onkel liegt im Sterben und Isabel kümmert sich rührend um ihn. Sie lernt ihren Vetter Ralph kennen, einen Lord und später Madame Merle.
Und ehe die Handlung richtig beginnt steht Isabel in einer Sonderstellung. Sie wird von allen Figuren umworben und beobachtet, es wird ihr eine hohe Intelligenz zugesprochen, einen ausgeprägten Willen zur Freiheit, und es wird allgemein angenommen, dass sie einen besonderen Weg einschlagen wird.
Nach dem Tod ihres Onkels erbt Isabel ein beträchtliches Vermögen. Ihr Sonderstatus kann nun in jeder Beziehung voll zur Geltung kommen, denn nun ist die junge Dame finanziell unabhängig.

Freier und Verehrer
Isabel wird umgarnt von Verehrern.
Zunächst ist da ihr Vetter, ein unheilbar erkrankter Philosoph, der keine lange Lebenserwartung mehr hat. Sein Geist ist frei von Konventionen, denn seine Krankheit (Lungen TB) erlaubt ihm ein freies Leben. Er verliebt sich direkt in seine Cousine und ihre Außergewöhnlichkeit. Aus pflichtbewussten Gründen entzieht oder verbietet er es sich aber eine Liaison mit ihr einzugehen.

Den ersten Heiratsantrag erhält Isabel von Lord Warburton. Einen sehr reichen englischen Adeligen, einen Liberalen oder Revoluzzer. Sein Gemüt ist sehr edel, er ist ein glänzender Erzähler, liebenswürdig und er steht zwischen neuen Ansichten und alten Traditionen.

Aus Amerika reist ein erfolgreicher Geschäftsmann der Protagonistin hinterher. Mr. Goodwood ist ein sehr männlich ausgeprägter Charakter, stark, unbeirrt, reich und konsequent. Auch er macht Isabel einen Heiratsantrag, und wird von ihr an der langen Leine gehalten, da sie zunächst die Welt und ihre Menschen studieren möchte.

Zum Schluss taucht dann noch Mr. Osmond auf, ein verkappter Maler ohne Erfolg und Geld, aber von Isabel sehr angetan. Dieser gewährt ihr zunächst ihre Freiheit, sein gesetzteres Alter weist Geduld auf, da er vom Lebenshunger in jungen Jahren weiß. Isabel ist von dieser Handlung, welche sie der Großzügigkeit unterstellt, beeindruckt.

Weibliche Verkettungen
Hier möchte ich zunächst Madame Merle vorstellen, obwohl Isabels Tante vorher erwähnt werden müsse.
Madame Merle umgarnt die junge Frau von Beginn an. Der Leser rätselt lange, wieso diese Figur so viel Zeit und Mühe aufbringt, da sie doch direkt erkennt, dass sich hinter Isabels hoher Intelligenz mehr Naivität und Idealismus verbirgt als weise Erfahrung. Dass ihr Wille sehr wankelmütig ist, eben der Jugend entspricht, in der man sich noch finden muss. Dass sie von Idealen träumt und die Wirklichkeit von ihr eher verschwommen wahrgenommen wird. Sie spielt mit Isabel, aber das Spiel entschlüsselt sich dem Leser sehr langsam.

Ihre Freundin aus der neuen Welt, Henrietta Stackpole, begleitet unsere Protagonisten über große Strecken. Sie versucht ständig die amerikanische Heimat in Isabel zu verwurzeln, und empfiehlt ihr Mr. Goodwood. Doch lange Zeit bleibt uns ihr wahrer Charakter verborgen.

Mrs. Touchett, Isabels Tante, ist eine „verbitterte“ alte Dame. Sie ist schroff, pflegt kaum soziale Kontakte, sagt immer genau das was sie denkt, ohne auf Konsequenzen Rücksicht zu nehmen. Auch diese Frau nimmt sich Isabels an, und möchte ihr Europa zeigen. Ihr größter Vorteil ist es, dass sie sich niemals in die Angelegenheiten ihrer Nichte einmischt, und nur still beobachtet.

Und gegen diese ganzen Reigen um sie herum, soll Isabel nun ihren Weg finden. Der Roman ist eine Entwicklungsstudie, man könnte auch sagen, eine psychologische Fallstudie. Dies steht von Anfang an fest, denn immer liegt die Frage im Raum: Wie verhält sich Isabel?

Der Spannungsbogen, oder der Aufbau des Werks zum Höhepunkt, bis die einzelnen Beweggründe aufgedeckt worden sind, fand ich sehr plätschernd, Henry James hat einen sehr langen Atem. Ich musste mich teilweise überwinden zum Weiterlesen, denn immer wieder, wenn man als Leser den Eindruck hatte, jetzt löst sich etwas auf, kamen im nächsten Kapitel neue Figuren oder andere Einsichten; das Netz zog immer größere Kreise, holte immer weiter aus, so dass oft das Gefühl der Verschwommenheit, das Unklare entstand. Man war es nach über 400 Seiten fast leid, dass man sich immer noch auf der Stelle bewegte, und keinen Schritt vorwärts kam.
Aber der Schluss belohnt dann dieses frustrierende Gefühl, am Ende wird der Leser erhört, und es gibt so manche Überraschungen.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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