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Schmitt, Eric-Emmanuel - Das Evangelium nach Pilatus




Schmitt, Eric-Emmanuel - Das Evangelium nach Pilatus

Beitragvon Krümel » 06.05.2006, 20:09

Das Evangelium nach Pilatus von Eric-Emmanuel Schmitt

Kurzbeschreibung von Amazon:
Ein Mann im Garten am Ölberg, allein, am Vorabend seiner Verhaftung. Die Worte der Mutter klingen ihm noch im Ohr: "Jemand, der liebt wie du, wird leiden müssen." Ein schlechter Jude, ein schlechter Zimmermann. Er wartet auf die Soldaten, die ihn holen und abführen werden. Er wartet auf seine Hinrichtung. Ein anderer Mann, ein anderer Ort. Vielleicht fünfzehn Verhaftungen, nur drei Kreuzigungen, es hätten geruhsame Feiertage für ihn werden können. Doch dann verschwindet die Leiche eines der gekreuzigten Männer. Ganz Jerusalem ist erschüttert, die Menschen sprechen von Wunder und Auferstehung, manche sagen, der Gekreuzigte sei ihnen erschienen, oder man habe zumindest davon gehört. Pilatus hat wenig Verständnis für die jüdischen Verrücktheiten, die Lage muß beruhigt, der Tote muß gefunden werden, die Ermittlungen beginnen. Judas, der Verräter, Pilatus, der Henker, und Jesus das Opferlamm? - vergessen wir diese Rollenfestschreibung. Schmitt befreit die Protagonisten der Passionsgeschichte von jeder Überhöhung oder Vorverurteilung, haucht ihnen mit frischer Feder neues Leben ein und erzählt uns eine sehr vertraute Geschichte so spannend und neu, als hörten wir sie zum ersten Mal.

Den ersten Teil des Buches fand ich genau richtig: kurz, prägnant und für meine Teile stimmig. So sehe ich das auch. Ein zweifelnder Jesu, eine nicht verherrlichte Mutter, keine überdimensionalen Wunder, einfach menschlich …

Den zweiten Teil fand ich hochinteressant. Mir ist Pilatus dadurch sehr sympathisch geworden, denn er kämpft mit seiner Ratio gegen Dinge an, die man nicht erklären kann. Das hat ihn mir sehr nahe gebracht. Ich finde es eine große Kunst, wenn ein Mensch diesen Spagat hinbekommt, und dann für innerlichen Frieden sorgt. Na ja, Pilatus schafft es so richtig … „Zwei Seelen in meiner Brust“ dieses Problem kenne ich gut :wink:

Der dritte Teil hat mir eigentlich gar nicht gefallen, das hätte sich Schmitt sparen können. Ich brauche keine Erläuterungen, dass z. B. Judas nicht der Verräter gewesen ist, eine solche Synthese bilde ich mir lieber selber! Obwohl manche Gedanken auch sehr interessant waren …


:stern: :stern: :stern:/:stern: :stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 06.05.2006, 20:09

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Beitragvon Pippilotta » 07.05.2006, 18:14

Mir hat "Das Evangelium nach Pilatus" aus verschiedenen Gründen ganz besonders gut gefallen:

1. Weil es - was bei SChmitt doch eher selten ist - eine Lektüre für länger als einen Nachmittag ist :roll:

2. es wird gezeigt, dass auf beiden Seiten "Menschen" waren, mit all ihren Ängsten und Schwächen. Nicht der "unerreichbare, makellose" Sohn Gottes einerseits und der "Mörder" Pilatus andererseits. Besonders die Schilderung im 2. Teil aus der Sicht des Pilatus sein Hin- und Hergerissensein zwischen Vernunft und Gefühl fand ich sehr eindringlich und beeindruckend.

Im Gegensatz zu Krümel fand ich aber auch den 3. Teil, das Tagebuch des Autors sozuagen, ganz großartig. Er beschreibt sehr nachvollziehbar seine Beweggründe, sich Gott zuzuwenden, sich mit Jesus zu beschäftigen. Ich habe es eigentlich nicht so sehr als eine Erläuterung oder eine Anleitung empfunden, vielmehr als eine biografische, persönliche Stellungnahme.

Einen Absatz habe ich mir rausgeschrieben, der hat mir recht gut gefallen, weil er auch meine Haltung zum Christentum in etwa widerspiegelt:

Meine Rechtfertigung ist der Zweck meines Buches: Ich will diesen Jesus lebendig, nah, intim wiederaufleben lassen, weil seine Gestalt im Lauf der Jahrhunderte hinter den Bildern verblasst ist, weil seine Worte nach unzähligen mechanischen Wiederholungen nur noch wie ein abgedroschener Refrain klingen, weil seine Taten in so vielen berühmten Gemälden erstarrt sind, dass sie nicht mehr gesehen werden, und weil die Kirchen, die zur Erbauung des Volkes einen beruhigenden, selbstsicheren, seiner Bestimmung bewussten Gott präsentieren wollten, seine Schreie, seine Zweifel und seinen Mut ignoriert und erstickt haben.


Und darum:

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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