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Desai, Kiran - Die Erbin des verlorenen Landes




Desai, Kiran - Die Erbin des verlorenen Landes

Beitragvon marilu » 20.02.2009, 22:36

Originaltitel: The inheritance of loss

Man Booker Prize 2006

1980, zu Füßen des Kangchendzönga (dem dritthöchsten Berg der Welt zwischen Nepal und Indien) steht ein allmählich verfallendes Haus, das an den Glanz der Kolonialzeit erinnert. Hier wohnt ein misanthropischer Richter mit seinem Koch und seiner Enkelin Sai. Sai - Tochter seiner Tochter - lebt hier gezwungener Weise, nachdem ihre Eltern in Russland gestorben sind. Damit sie ihre Bildung nicht vernachlässigt, engagiert der Richter erst zwei Damen im nahgelegenen Kalimpong. Nach einer Weile stellen aber alle Beteiligten mit unterschiedlichen Motiven fest, dass es besser ist, einen Tutor für Sai zu finden: den Bengalen Gyan, der bald fester Bestandteil des kleinen Haushalts wird.
Ein zweiter Erzählstrang handelt vom Sohn des Kochs - Biju, der es nach Meinung seines Vaters "geschafft" hat. Biju ist in die USA ausgereist, um dort sein Glück zu machen....


Es ist schwer, das Buch zusammenzufassen, weil es aus vielen verschiedenen Aspekten besteht und einen weiten Bogen spannt. Im Zentrum steht sicherlich die Vielfältigkeit der nordindischen Gesellschaft mit ihren verschiedenen Kulturen, der Unvereinbarkeit der verschiedenen Kulturen und Lebensbedingungen der unterschiedlichen Kasten und Völker (Nepalesen, Sikhs, Engländer, Immigranten, Gurkha...). Die oftmals willkürlichen Grenzziehungen durch die britischen Besatzer wird angesprochen und deren Folgen thematisiert.
Gleichzeitig werden auch die individuellen Wünsche illustriert und dargestellt. Im Mittelpunkt steht dabei das tiefempfundene Bedürfnis nach Identität und Verbesserung der Lebensumstände - ein Bedürfnis, das viele nur durch Emigration zu realisieren vermögen. Um dann in einem fremden Land aufzuwachen und festzustellen, dass das Leben im "goldenen Westen" ebenfalls seine Tücken hat.
Doch auch im eigenen Land beginnt es zu brodeln, als die unzufriedenen Gurkha für ihre Rechte demonstrieren.

Der Roman entwickelt sich langsam in einer melancholischen und mitunter deprimierenden Grundstimmung. Ein Buch, das noch lange nachdenklich stimmt und mir beim Lesen eine Dankbarkeit für alles, das ich habe und bin, eingegeben hat, wie es lange keinem Text gelungen ist. Viele gesellschaftliche Schilderungen waren mir nicht bekannt und so habe ich mir neben der Lektüre einiges an Hintergrundwissen durch Internetrecherechen einverleibt, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Mich hat der Erzählstil der Autorin überzeugt und das von ihr entworfene Panorama nahm mich eine lange Zeit sehr gefangen - ein Effekt, mit dem ich anfangs nicht gerechnet hätte. Dies ist Literatur, die einen in ein fremdes Land entführt und bereichert zurücklässt.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Von mir gelesene Ausgabe:
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PS: Ich möchte noch anmerken, dass ich das deutsche Cover und den übersetzten Titel nicht besonders passend finde. Das Bild ist zu grell für die insgesamt eher traurige Handlung und der Titel suggeriert, dass es eine weibliche Hauptfigur gibt. Der Reiz des Romans liegt jedoch eher in den vielen wichtigen Charakteren mit ihren Eigenheiten, Geschichten und Erfahrungen. Der englische Titel "The inheritance of loss" (Das Vererbung des Verlusts) enthält bereits eins der Motive - Verlust und Enttäuschung als Bestandteile des Lebens und kommt somit der Handlung viel näher.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
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