Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Roth, Philip - Empörung




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Roth, Philip - Empörung

Beitragvon Dr.Who » 09.02.2009, 19:52

Bild

Vielleicht fehlt mir das Literarische Verständnis oder auch einfach die Bildung um diesen Roman richtig besprechen zu können so daß ich hier nur einige Gedanken einbringen will die mir beim lesen des Buches durch den Kopf gingen.

Die Geschichte handelt vom gerade erst 19 jährigen Marci (Marcus) wie er versucht seinem Leben eine Richtung zu geben. Wie er Selbstständigkeit und auch Unabhängigkeit vom Elternhaus erlangen möchte und dafür 500 Meilen weit von zu Hause wegzieht. Hauptsächlich möchte er Distanz zu seinem Vater der, nach dem er die High School abgeschlossen hatte, angefangen hat sich irrationale Sorgen um seinen Sohn zu machen. Sein Sohn, der Musterschüler der immer nur Einsen nach Hause brachte, der hochanständig und fleißig mit ihm in der Metzgerei gearbeitet hat, war ihm die Arbeit auch noch so sehr zu wieder.
Um seine Ziele zu erreichen studiert Marci Jura und besucht nebenbei noch Kurse in Militärwesen. Dies ist auch sein wahres streben, nämlich im Koreakrieg (1951) im Nachrichtendienst eingesetzt zu werden und nicht wie viele andere als Gefreite in irgendeinem Schützengraben als Kanonenfutter herhalten zu müssen.

Zu vorderst war ich überrascht wie leicht sich Roth lesen lässt und wie offenherzig er seine Charaktere zeichnet so das auch dem Leihen ersichtlich wird in welche Zerrissenheit sich Marci hineinmanövriert. Der Hauptcharakter scheut jegliche Auseinandersetzung mit jedem und allen und ist nicht bereit Kompromisse einzugehen. Zuerst studierte er an der Uni in seiner Heimatstadt bis er an seinen Vater geriet, einige Tage später war er auch schon ausgezogen und 500 Meilen weit weg.
Auch im Studentenheim die selbe Situation. An statt sich wirklich mit Konflikten auseinanderzusetzen packt er vorher seine Sachen und zieht in ein anderes Zimmer.
Dennoch ist er ein sehr konservativer Charakter. Keine Partys, keine Mädchen, kein Spaß. Nur lernen um der Beste seines Jahrgangs zu werden. Jedoch ist Marcus kein Stereotyp, er hat seine Beweggründe und diese sind für den Leser auch nachvollziehbar.

Genau so sehe ich auch im Vater eine sehr interessante Figur. Der Vater der seinen Sohn mit seinen eigenen Ängsten zu erdrücken droht. Weniger um den Sohn sondern mehr hat der Vater vor der Zukunft angst. Die Geschäfte gehen immer schlechter, nicht nur in der Metzgerei, jemand der heute noch ein Haus hatte könnte morgen schon auf der Straße stehen und unter einer Brücke schlafen. Ich hatte das Gefühl das ich, in solchen Situationen im Buch, ein leises aber doch deutlich vernehmbares Einatmen hörte. Ein Einatmen das ruhig aber dennoch bestimmt alles mit sich zog und den Charakteren im Buch immer weniger Luft zum atmen lies. Ein gewaltiges Einatmen dass große Veränderungen über das ganze Land bringt und an seinem Nullpunkt, an dem Punkt wo die imaginäre Lunge sich bis zum Rand mit Luft gefüllt hat, jener schon fast schmerzhafte, brennende Punkt dem ein erlösendes Ausatmen folgen sollte, dieser Punkt ist auch der Übergang in ein Zeitalter das wir heute unter dem Begriff die “goldenen 60er Jahre” kennen.
Die Mutter schien mir am liberalsten und auch am stärksten zu sein. Oberflächlich kleidet sie sich zwar in eine konservative Rolle, als nichtjüdische Frau eines koscheren Fleischhauers nimmt sie den Spruch “In guten wie in schlechten Zeiten” sehr wörtlich, denkt aber hinter dieser Fassade über Scheidung von ihrem Manne nach oder hat auch nichts dagegen das der jüdisch erzogene Sohn eine Nichtjüdin heiratet. So schien sie mir, trotz ihres alters und der Tatsache das sie doch nicht ausbrechen kann aus ihrer Rolle, moderner zu denken als ihr Sohn Marci oder ihr seelisch immer mehr aus dem Gleichgewicht geratener Mann.

Und dann ist da natürlich noch die Tochter des Arztes die Marcus kennen lernt und in die er sich verliebt. Dieser jungen Frau fehlte es nie an Zuwendung und Geld trotzdem hat sie mit ihren 19 Jahren bereits einen Alkoholentzug und einen Selbstmordversuch hinter sich. In gerade jener Person könnte man die Ängste von Marcis Vater wieder finden wie er mit nacktem Zeigefinger auf sie deutet und sagt:
“Ja Marcus, sie sie dir nur an, ich hatte immer Recht…”
Dennoch sehe ich sie nicht als Gegenentwurf zum Hauptcharakter viel mehr zeigt sie das Roth ein bodenständiger Erzähler ist und ihm mehr die Charakterisierung der einzelnen Figuren am herzen liegt als die Taten die sie vollbringen um ihre Zeit, in der sie leben, zu gestalten und ihren Ambitionen, Wünschen und Zielen unterzuordnen.

Als vor einigen Jahren Schriftsteller wie Updike oder Márquez ihre aktuellen Romane raus brachten war immer von einem “Alterswerk” die Rede. Bei Philip Roth wäre so eine Bezeichnung Humbug, egal was andere Kritiker sagen. Trotz seiner Jahre (Jahrgang 1933) schreibt Roth frisch und routiniert. Zugegeben, manchmal schon etwas zu routiniert aber dennoch Lust auf mehr machend.
Zwar ist er kein Meister vor dem es auf die Knie zu fallen gilt, dafür gibt es zu viele gute zeitgenössische Schriftsteller, dennoch macht er in seinem Buch “Empörung” alles richtig und ist dabei sogar noch einen Hauch unterhaltsamer als der schon eben genannte John Updike.
Dr.Who
 

von Anzeige » 09.02.2009, 19:52

Anzeige
 

Beitragvon Monika » 10.02.2009, 15:24

Krümel hat geschrieben:
Dr.Who hat geschrieben:
Krümel hat geschrieben:Kommt dann ins Blog, okay?

Wenn du möchtest. Vielleicht könntest du auch noch die zwei, drei kleinen Fehlerchen da ausmerzen bevor es auf die Öffentlichkeit losgelassen wird? :oops:


Ich werde mal schauen, aber erwarte bitte von mir nicht all zu viel :wink:


Wird es etwa Zeit für einen Sprachniveau-Thread?
:mrgreen:

@Dr. Who. Danke für die ausführliche Rezi, die einen guten Eindruck von dem Buch vermittelt. Vor allem hast Du mir unwillentlich die Erklärung geliefert, warum ich mit Roth nie so ganz warm werde und Updike bevorzuge. Ich dachte immer, es läge daran, dass Roth mir zu distanziert und intellektuell ist, aber ich glaube, er schreibt mir einfach zu routiniert, mit zuviel professioneller Gewandheit, die bei Updike zumindest besser kaschiert ist.

Gruß
Monika
Gruß Monika


Sigrid Damm - Ich bin nicht Ottilie
Jean-Luc Bannalec - Bretonische Verhältnisse
Jung Chang - Wilde Schwäne

Benutzeravatar
Monika
Buchstaplerin
Buchstaplerin
 
Beiträge: 831
Registriert: 19.01.2009, 10:35
Wohnort: Italien

Beitragvon Krümel » 10.02.2009, 16:23

Ich mochte im "Menschlichen Makel" den ganz hocherhobenen, also höher geht gar nicht, Fingerfinger nicht. Das Buch las sich wirklich wie neunmalklug, was ich ja überhaupt nicht mag. Bei Updike habe ich so was noch nie gelesen, er zeigt zwar auf, aber er ist im Geschehen mitten drin, von daher kann er den Finger gar nicht erheben.
Also mit deiner Distanz Monika, das würde mir persönlich besser gefallen. Ich denke routinierte Autoren sind (waren) beide. :wink:
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

Beitragvon Pippilotta » 11.02.2009, 17:19

Für mich ist Philip Roth eine feste Bank, da wurde ich noch nie enttäuscht. Am wenigsten hat mir "Verschwörung gegen Amerika" gefallen, das war mir - obwohl vom Plot her gut - zu "amerikanisch-patriotisch". Aber wenn ich an "Jedermann" denke, da komme ich ins Schwärmen.

"Empörung" werde ich auf jeden Fall auch lesen, ich verspreche mir sehr viel davon!
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon Dr.Who » 11.02.2009, 18:03

Pippilotta hat geschrieben:Für mich ist Philip Roth eine feste Bank, da wurde ich noch nie enttäuscht. Am wenigsten hat mir "Verschwörung gegen Amerika" gefallen, das war mir - obwohl vom Plot her gut - zu "amerikanisch-patriotisch". Aber wenn ich an "Jedermann" denke, da komme ich ins Schwärmen.

"Empörung" werde ich auf jeden Fall auch lesen, ich verspreche mir sehr viel davon!


Auch wenn ich, ausser diesem hier, noch kein Buch von ihm gelesen habe getraue ich mich zu behaupten das dies nicht sein bester Roman ist. Wie ich oben schon geschrieben habe gab es für mich Momente im Buch wo ich mir doch dachte das er sich beim schreiben nicht wirklich anstrengen musste und das ganze etwas zu routiniert heruntergeklappert hat. Kann mich aber auch irren, hab ja noch zwei Bücher von ihm die noch gelesen werden wollen.
Dr.Who
 

Beitragvon Pippilotta » 29.03.2009, 20:45

In Philip Roths neuem Roman treffen wir auf Altbekanntes: Amerika im Koreakrieg, Schauplatz ein amerikanisches College, Protagonist Marcus, ein neunzehnjähriger Student aus Newark, Sohn jüdischer Einwanderer, aufgewachsen wohlbehütet in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater ist Metzger, ein rechtschaffener Mann, der es nur gut mit seinem (einzigen) Sohn meint. Sein Sohn solle es einmal besser haben, unter eigenen finanziellen Einbußen wird Marcus ein Studium ermöglicht. Marcus ist sich dieser Verpflichtung bewusst, enttäuscht seine Eltern nicht und ist stets Jahrgangsbester. Doch mitunter werden der Druck und die Erwartungshaltung seines Vaters zu groß, die Fürsorge erdrückt den jungen Mann förmlich und er sieht als letzten Ausweg nur die Flucht aus dem Elternhaus. Hin- und hergerissen zwischen Gehorsam gegenüber dem Elternhaus, seinen eigenen Wünschen und auch erste Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht in Gestalt der psychisch labilen Olivia begeht Marcus eine Verfehlung, die für ihn schwerwiegende Folgen haben wird.

Schon in den ersten Kapiteln des Buches erfährt man, dass Marcus sein (kurzes) Leben aus dem Jenseits erzählt und gerade diese Vorwegnahme des Endes gibt dem Buch eine unheimliche Spannung. Roth erzählt mit Routine und atemberaubender Dichte, auch in diesem Buch spart er nicht mit Seitenhieben auf den American way of life, auf religiöse Frömmelei und politische Zustände. Obwohl es für mich an „Jedermann“ nicht ganz heranreicht, kann ich dieses Buch uneingeschränkt weiterempfehlen!

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Re: Roth, Philip - Empörung

Beitragvon Katia » 06.03.2010, 10:22

Ich habe den Roman auf englisch gelesen und ihn sehr genossen - nur eine Woche Lesezeit ist bei meinem momentanen Lesetempo sehr wenig :-)
Der Leser findet viel wieder, was er von Roth kennt: Newark, Eltern, die mit ihrer liebenden Sorge, das Kind fast erdrücken (hier der Vater statt wie sonst meist die Mutter). Marcus flüchtet aus dieser Welt, in eine, deren Regeln er nicht versteht, in ein provinzielles Landcollege. Und er will sich diesen Regeln nicht anpassen, keine Burschenschaft, kann ihn locken (schon weil er wegen seines Judentums nur in zwei aufgenommen werden könnte), er entzieht sich dem "Saufen und Mädchen und Sport"-Lebensinhalt seiner Kommilitonen. Und dann kommt noch Olivia dazu, Marcus verliebt sich, doch die "Regeln" versteht er wiederum nicht, Olivias Verhalten kann er nicht verstehen, nicht nachvollziehen. Sein Ziel ist eigentlich so einfach wie banal: nicht im Koreakrieg als kleiner Soldat und damit Kanonenfutter enden. Wie Pippi schon erwähnt, weiß der Leser sehr früh, dass ihm das nicht gelingen wird....Puzzleteil für Puzzleteil setzt Marcus sein gescheitertes Leben zusammen und auch im Jenseits kann er immer noch nicht verstehen, was er falsch gemacht hat, was da mit ihm passiert ist.

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

Katia
Benutzeravatar
Katia
techn. Chefkrümel
techn. Chefkrümel
 
Beiträge: 3364
Registriert: 17.07.2006, 11:35
Wohnort: München



Ähnliche Beiträge

Roth, Philip - Jedermann
Forum: Zeitgenössische-Literatur
Autor: Pippilotta
Antworten: 10
Roth, Philip - Exit Ghost
Forum: Zeitgenössische-Literatur
Autor: Pippilotta
Antworten: 2

Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron