Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Pausewang, Gudrun - Die Wolke




Pausewang, Gudrun - Die Wolke

Beitragvon marilu » 30.04.2006, 19:28

Inhalt:

Klappentext
Tschernobyl ist fast vergessen, da geschieht ein Reaktorunfall in Grafenrheinfeld - die Bundesrepublik hat ihren SuperGAU. Die Behörden beschwichtigen, doch in der Bevölkerung bricht Panik aus. Die 14jährige Janna-Berta und ihr kleiner Bruder Uli sind völlig schutzlos den schrecklichen Folgen der Katastrophe ausgeliefert. Dieser utopische Roman über die Gefahren der Atomkraft polarisierte die Öffentlichkeit. Rita Süßmuth, die damalige Familienministerin, verlieh ihm 1988 den Deutschen Jugendliteraturpreis mit den Worten, dass politische Streitkultur ein wichtiger Bestandteil jedes demokratischen Systems sei.

Meine Meinung:

Ich habe das Buch in den letzten Tagen wiedergelesen. Das letzte Mal war vor ca. 15 Jahren - in der Zwischenzeit hatte ich doch einiges vergessen.

Obwohl "Die Wolke" ein Jugendbuch ist und es ganz klar im Zusammenhang mit der Zeit, in der es geschrieben wurde, bewertet werden muss, hat es mich wieder tief berührt. Es ist ein wichtiges Buch mit dem Appell, sich mit der politischen Wirklichkeit auseinanderzusetzen.

Gudrun Pausewang plädiert, meiner Meinung nach, nicht unbedingt dafür, Atomkraft komplett abzuschaffen, sondern vielmehr für einen verantwortungsbewußten Umgang damit. Sie betont bei ihrer Schilderung der Super-GAU-Folgen wiederholt, dass das Unglück nicht allein Schuld der Politiker und Kraftwerkbetreiber ist, sondern auch von den Bürgern zu tragen ist, die sich nicht stärker gegen die Atomkraft gewehrt haben, ohne ausreichend informiert zu sein. Immerhin kam das Anschalten der Kraftwerke durch einen "demokratischen Beschlussprozess" zustande. FAZIT: Wer besser informiert wäre, hätte versucht, den Bau zu verhindern. Ihre Kritik bezieht sich auch auf die zu erwartenden Schuldzuweisungen, -abweisungen und damit einhergehende Ablenkung von den eigentlichen Problemen.

Die Schilderung des Egoismus, der Rücksichtslosigkeit und der einsetzenden Massenhysterie finde ich sehr gelungen, zumal man diese Schilderungen auch aus anderen Krisensituationen kennt. Spontan kamen mir die Bilder aus dem New Orleans im Ausnahmezustand vor Augen...

Nachdem ich letztens einen Film über die "Unterwelt" Hannovers gesehen habe, in dem auch Bunker gezeigt wurden, die zur Evakuierung bei ABC-Alarm benutzt werden sollen, erscheint mir eine Hysterie nicht allzu weit hergeholt, falls eine Evakuierung tatsächlich irgendwann Realität wird... Viel zu wenig Plätze, mangelhafte Aufklärung über die Maßnahmen des Katastrophenschutzes und die weiten Wege...

Andererseits gibt es aber auch viele Menschen, die helfen wollen und aktiv demonstrieren und somit Menschlichkeit beweisen. Und diejenigen, die lieber weggucken, den Geschädigten zu verstehen geben, dass sie ihre sichtbaren Verletzungen verdecken sollen, sind ebenso real gezeichnet.

Zwei Dinge sind mir negativ aufgefallen:

1. Der Name "Janna-Berta". Das ist natürlich ein Trend der 80er-Jahre gewesen, aber dennoch heutzutage unmöglich. :roll:

2. Es wird ausführlich über die Auswirkungen des Super-GAU gesprochen, lahmgelegtes Verkehrsnetz, Stromausfall, Abschaltung andere Kraftwerke, Demonstrationen in Frankreich gegen deren Kraftwerke usw. Aber nach nur 4 Monaten funktioniert bereits in den geschädigten Zonen der Strom wieder, wie die Heimkehrer bei ihrer (zu frühen) Heimkunft feststellen. Wo kommt denn der Strom her?! Ich hätte mir gewünscht, wenn sie dieses Thema auch noch angesprochen hätte.

Was den von Pippi zitierten Artikel angeht (der Vollständigkeit halber hier nochmal eingefügt), kann ich mich von der Sicht nur distanzieren.

Kommentar der anderen: Die Moderne als GAU
Wie uns "Die Wolke" das Fürchten lehrt - von Tobias Kaufmann
Der Autor lebt als freier Publizist in Berlin und war vor zehn Jahren Zivildienstleistender in der Tschernobylregion.

Allein ihr Name war Furcht einflößend. Gu-drun Pau-se-wang. Wenn ich diese fünf Silben als Jugendlicher aussprach, lösten sie eine Kettenreaktion im Gehirn aus: Haarausfall, Fall-out, Tod. Denn Gudrun Pausewang hat "Die Wolke" geschrieben. Das Buch erzählt kurze Zeit nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl von einem GAU im deutschen Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Derzeit läuft "Die Wolke" auch in den Kinos - ein verkitschter Katastrophenfilm, empfohlen von Greenpeace. Mehr muss man eigentlich nicht wissen. Vielleicht aber doch, gerade deshalb. --> die Frage ist wirklich, ob der Film funktionieren kann!? Er wirkt sicher an vielen Stellen sehr pathetisch!

Seit Erscheinen des Buchs mussten es Generationen von Schülern im Unterricht lesen, auch ich. Wir waren damals jünger als die 14-jährige Hauptperson Janna-Berta. Ihre fiebrigen Albträume haben uns nicht ruhen lassen. Aber als sie sich umdrehte, ragte vor ihr die Ruine des Atomreaktors empor, zerrissen, zersplittert, geborsten. Reinhard und Almut waren plötzlich auch da, beide ohne Haare auf dem Kopf. Sie hatten Stöcke in der Hand und scharrten damit in der Asche. "Nicht!", rief Janna-Berta erschrocken. "Das Zeug strahlt doch noch. Lauft fort!"

Pausewang hat mehrere Katastrophenromane geschrieben, darunter "Die letzten Kinder von Schewenborn", das nach einem Atombombenabwurf auf Deutschland spielt, und "Der Schlund", in dem ein neofaschistischer Diktator die Macht übernimmt. Es ist das vermutlich schlechteste gut gemeinte Buch zum Thema Rechtsextremismus: Miserabel informiert, voller Klischees und lächerlicher Pointen.

An einer Stelle wird Thomas Gottschalk in ein Lager gesperrt. "Lehrerin der Angst" hat die Zeit Pausewang einmal genannt. Das trifft es gut. Der Regen in ihren Büchern ist sauer. Moralinsauer. Gut und Böse sind scharf getrennt. Die Guten sind Vegetarier. Sie fahren VW-Bus, nehmen verstrahlte Kinder mit und sagen Sätze wie: "Tschernobyl war noch nicht genug. Es muss erst hier bei uns passieren, damit es dem Bundesbürger den Hintern aus dem Sessel reißt." Böse sind "die Politiker" und allgemein "Bonzen".

Das Weltbild, das "die Wolke" vermittelt, ist einfach und bis heute sehr beliebt: Der Mensch überschätzt sich, er entfremdet sich seiner wahren Natur durch Habgier und Gleichgültigkeit. Sobald eine Katastrophe passiert, "geht die ganze Zivilisationstünche ab". --> dass dem so ist, kann man doch immer wieder beobachten oder in den Nachrichten sehen. Pausewang weist aber auch auf Menschen hin, die sich um andere kümmern, sich für sie einsetzen und Verantwortung übernehmen. Und dabei habe ich nicht das Gefühl gehabt, als ob sie nur "Grüne" meint.

Dann denkt jeder nur an sich, dann werden Kinder überfahren, faschistoide Strukturen aufgebaut.

Nur eine mutige Jugend in bunten Pullis rettet die Gesellschaft, die durch eine Katastrophe gehen muss, um so idyllisch zu werden wie früher, bevor es den Kapitalismus und die Großtechnologien gab. --> Das ist hier überhaupt nicht das Thema. Es werden überhaupt keine Lösungen gefunden. Es geht lediglich um die Beschreibung Pausewangs Thema "Die Wolke".
Dass sich die meisten Menschen im Katastrophenfall keineswegs asozial verhalten - was zuletzt der Tsunami und selbst New Orleans gezeigt haben - passt nicht in dieses moralisch überfrachtete Weltbild. "Jetzt werden wir nicht mehr sagen können, wir hätten von nichts gewusst" ist dem Buch als Motto vorangestellt, so als ginge es nicht um das Für und Wider einer komplexen Technologie, sondern um Auschwitz.

Man stelle sich vor, ein Autor hätte 1987 einen Roman geschrieben, in dem DDR-nahe Ökovegetarier uns zwingen, stromlos in einer vormodernen, egalitären Hölle zu leben. Die Guten wären mutige Kinder von Atomlobbyisten, die Bösen engagierte Lehrer und "die Umweltschützer". Wir wären empört, wenn unsere Kinder so einen Unfug in der Schule lesen müssten. Ein Buch, das die Story umgekehrt erzählt, steht noch 20 Jahre später auf Lehrplänen. Eigentlich ein Albtraum. Doch kürzlich hat just Frau Pausewang in einem Interview auch das gesagt: "Ich glaube, wir unterschätzen unsere jungen Leute. Sie lassen sich nicht ihre Denkweise von Erwachsenen vorschreiben." Ein beruhigender Gedanke. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.4.2006)


Der ganze Artikel wirkt so, als ob sich der Autor vorab eine Meinung gemacht hat, die er durchprügeln wollte. Meine Anmerkungen sind die grünen Sätze.

Wenn ihr es lesen wollt, lasst euch davon nicht abschrecken. Bei dem Buch lohnt es sich, sich selbst ein Bild zu machen.

:stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Zuletzt geändert von marilu am 14.04.2007, 18:26, insgesamt 1-mal geändert.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
Benutzeravatar
marilu
Hilfskrümel
Hilfskrümel
 
Beiträge: 2183
Registriert: 23.04.2006, 20:46
Wohnort: Hannover

von Anzeige » 30.04.2006, 19:28

Anzeige
 

Beitragvon Pippilotta » 01.05.2006, 07:45

Ja, um Gottes Willen, ich hoffe der Zeitungsartikel schreckt niemanden ab!

Ich habe ihn eben diese Woche in der Zeitung gelesen und dachte mir, das hebt sich jetzt aber deutlich ab von dem, was ich sonst über Buch/Film gelesen habe.
Da ich selber das Buch nicht gelesen habe, wollte ich nur eine Meinung darüber haben, was vom Artikel zu halten ist, da er mir ebenfalls sehr kritisch vorkam.

(Außerdem sei noch anzumerken, dass "Der Standard" eine Zeitung ist, die sich von herkömmlichen doch abhebt, für "intellektuelle", bzs. sehr beliebt unter Studenten, mit viel Hintergrundberichten, gegen den landläufigen Zeitgeist.)
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Jugendbücher/Märchen

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron