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Highsmith, Patricia "Ediths Tagebuch"




Highsmith, Patricia "Ediths Tagebuch"

Beitragvon marilu » 26.04.2006, 12:28

Inhalt (aus der amazon.de-Redaktion):

"Ein amerikanischer Albtraum" könnte man dieses Buch überschreiben -- banal in seiner Alltäglichkeit, entsetzlich in seiner Konsequenz. Und in einem Maße spannend, die eine reine Zusammenfassung der Handlung nie vermitteln kann.
Zu Anfang ist noch alles nett und viel versprechend: Edith Howland, junge Mutter und engagierte Journalistin, zieht mit ihrem liebevollen Mann in eine ländliche Gegend. Dort sucht sie das richtige Umfeld für ihren zehnjährigen Sohn, dort hofft sie, ihren Traum von einer eigenen kleinen Zeitung verwirklichen zu können. In ihrem neuen Haus mit Garten fühlt sie sich wohl, und auch gleich gesinnte Nachbarn und Freunde finden sich bald.

Nur von Cliffie sind die jungen Eltern enttäuscht. Ihr Sohn entspricht so gar nicht ihren Erwartungen, er ist träge und unehrlich. Auch mit George ist er ihnen keine Hilfe, dem bettlägerigen Onkel, den sie bei sich aufgenommen haben.

Ergänzende Inhaltsangabe von mir:

Nach einigen Jahren verliebt sich Ediths Ehemann Brett in seine Sekretärin und verlässt die Familie, um in New York eine neue Familie zu gründen. Obwohl er bereit ist, Exfrau und Sohn mit Geld zu unterstützen, wird klar, dass er froh ist, sich von seinem mißratenen Sohn lossagen zu können. Ganz nebenbei kann er auch die Sorge um SEINEN Großonkel George an Edith übergeben, die mit der Pflege des halsstarrigen Mannes und ihrem neuen Teilzeitjob überfordert ist, aber nicht fähig ist, George zu dem Umzug in ein Pflegeheim zu überreden, geschweige denn Brett an
seine Verantwortung für den Verwandten zu erinnern.
Brett sieht nur den finanziellen Aspekt der Pflege, den er bereitwillig abdecken wird. Über die Gefühle und Bedürfnisse seiner Exfrau kann er bequem hinwegsehen.
Und so lebt Edith allein mit zwei Männern im Haus die sie in keinster Weise stüzen und ihr keine Entscheidungen abnehmen.

In ihrem Unglück beginnt sie in ihrem Tagebuch ein glücklicheres Leben zu ersinnen. Brett und George hält sie fast komplett aus ihrem "Zweitleben" hinaus, und Cliffie ist der erfolgreiche Sohn, den sich jede Mutter erhofft und auf den sie Stolz sein kann.

Ebenso wie ihr Haus mit der Zeit verfällt und verwahrlost (in all den Jahren nimmt sie lediglich Malerarbeiten an der Hausfassade vor), verschlechtert sich ihr Zustand. Nach außen wahrt sie das Gesicht und erzeugt die Illusion von einem normalen Alltag, doch innerlich brodelt es...

Eine Stelle im Buch erscheint mir sehr prägnant:

Seine Mutter schien überhaupt oft Tagträumen nachzuhängen, obgleich Cliffie zugeben musste, dass sie den Haushalt gut versorgte. Und mit ihren Artikeln gab sie sich so viel Mühe, schlug Einzelheiten in allen möglichen Büchern nach, und meistens kam nichts dabei heraus. Seine Mutter kämpfte eine verlorene Schlacht, weil sie versuchte, gegen die Mehrheit zu kämpfen. Die Mehrheit schlug nichtmal zurück, sie blieb einfach gleichgültig.



Erst sehr spät werden Freunde und Brett aktiv....


Meine Meinung:

Ich war sehr überrascht von dem Buch. Es beginnt wie eine idyllische Familiengeschichte, einzige Enttäuschung der Familie ist der gefühlskalte Cliffie. Erst nach ca. 120 Seiten beginnt man den Abgrund in der Beziehung der Protagonisten zu entdecken.

Neben der eigentlichen Handlung wird immer wieder Bezug auf die politischen Ereignisse der Zeit genommen. Es hat mir sehr geholfen, gerade zuvor eine Biografie über John F. Kennedy gelesen zu haben, so erschlossen sich mir einige der Zusammenhänge aus den 60er Jahren besser (z.B. das Friedenscorps von dem Edith als Karriereeinstieg ihres Sohnes träumt). Über die 70er Jahre weiß ich leider zu wenig Bescheid, um dort jede Anspielung in seinen Zusammenhang zur Geschichte setzen zu können.

Nichtsdestotrotz ein sehr bewegendes Buch!
Obwohl mir die generell fehlende Bereitschaft Ediths, für ihr Glück zu kämpfen (weil
"das Leben sowieso ohne Sinn ist"
und der Kampf so
"unsauber"
ist), nicht verständlich ist, trifft man doch immer wieder auf Gefühlsregungen und Handlungen von ihr, die nachvollziehbar sind.

Es ließen sich noch Seiten über dieses Buch schreiben, doch das würde den Rahmen bei weitem sprengen, deshalb möchte ich lediglich noch sagen, dass ich dieses Buch sehr empfehlenswert finde, auch wenn einem bei jedem Satz durch den Kopf geht: "Was kann der armen Frau denn jetzt noch passieren?"
...und man kann sicher sein, dass ihr Leid immer wieder einen neuen Höhepunkt findet!

ACHTUNG SPOILER:


Da Ediths das Leben für sinnentleert hält, stellt sie weder an ihren Alltag, ihr Familie noch an sich große Erwartungen. Nur ihrer Tante Melanie gelingt es bei ihren (zu seltenen) Besuchen, Edith aus ihrer Passivität zu locken. Als Melanie stirbt, nimmt Ediths Einsamkeit noch mehr zu.

Ausdruck ihrer Hilflosigkeit und ihres nicht eingestandenen Versagens in der Erziehung von Cliffie, ist m.E. ihre Hinwendung zu Autorität und Kontrolle. Anfangs eine liberale Frau mit linken Ansinchten, wird sie durch ihre Erfahrungen immer konservativer. Sie hält Grenzen für wichtig, das Annehmen von Verantwortungen in heiklen Situation.
Und so schreibt sie engagiert für mehr Engagement in Vietnam und kreidet den ungeordneten Abzug der US-Streitkräfte an, zieht daraus aber keine Verbindung zu ihrem Verhältnis zu ihrem Sohn.

Ich denke, die Entwicklung ihres Lebens ist zum einen abhängig von den unbeeinflußbaren Dingen, aber zu großen Teilen auch in ihrem Charakter angelegt.



:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Patricia Highsmith: Ediths Tagebuch

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von Anzeige » 26.04.2006, 12:28

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Beitragvon Krümel » 26.04.2006, 13:01

Auch notiert, hi, auf das mein SUB stetig wächst :mrgreen:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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