Reiternomaden

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    Re: Reiternomaden

    Sir Valnar - 13.04.2004, 02:53

    Reiternomaden
    Berittene Bogenschützen als Eroberer und Söldner.
    Eine der revolutionärsten Neuerungen in der Geschichte der Militärtechnik war mit Sicherheit die Nutzbarmachung des Pferdes. Man nimmt an, dass dies irgendwann Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. in den zentralasiatischen Steppen gelang. Das Pferd dient seinem Besitzer nicht nur als Lasttier und Schutzschild es erhöht vor allem seine Geschwindigkeit um rund das Zehnfache. Pferde verhalfen also zu entscheidenden Vorteile bei Mobilität und Versorgung im Kampf gegen langsame und schwerfällige Infanterieaufgebote. Sollte sich die Infanterie im Kampf dennoch als unerwartet stark erweisen, so war für die Reiter nichts einfacher als die Schlacht zu vermeiden und dem Gegner durch schnelle Überfälle und Abschneiden der Versorgung so lange zuzusetzen, bis er mürbe war. Die passende Waffe für diese Taktik, der Komposit- oder Reflexbogen kam wahrscheinlich aus den gleichen Regionen wie das Pferd. Beim Reflexbogen werden Holzstreifen mit Tiersehnen und Horn in einem langwierigen Prozess verleimt. Seine Herstellung kann fast ein Jahr dauern und erfordert großes handwerkliches Können. Da der Reflexbogen entgegen seiner natürlichen Krümmung gespannt wird, beträgt seine Spannung und damit seine Durchschlagskraft das Vielfache von der eines normalen Bogens. Gegenüber dem europäischen Langbogen, der ähnliche Werte erreicht aber erst im Mittelalter entwickelt wurde, hat der Reflexbogen den Vorteil, dass er kürzer ist und deshalb vom Pferd aus verwendet werden kann.

    Anfangs waren die domestizierten Pferde allerdings noch lange zu schwach, um einen Reiter auf ihren Schultern tragen zu können. Man benützte sie deshalb lange zum Ziehen von Streitwagen. Niemand kann mit Genauigkeit sagen wo der Streitwagen zuerst entwickelt wurde. Es liegt jedoch auf der Hand seine Heimat dort zu vermuten, wo das Pferd domestiziert wurde. Die zentralasiatischen Hirtennomaden werden die Pferde anfangs dazu benutzt haben, ihr Hab und Gut auf Wagen ziehen zu lassen. Mit der Zeit haben sie dann wahrscheinlich die Erfahrung gemacht, dass sich von einem kleinen schnellen Wagen aus ihre Herden sehr gut überwachen und dirigieren ließen. Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. müssen sie dann bei den üblichen Überfällen auf ihre seßhaften Nachbarn ihre gewaltige militärische Überlegenheit festgestellt haben. Denn dann überstürzten sich die Dinge mit einer für die damalige Zeit und die gewaltigen Räume geradezu unglaublichen Geschwindigkeit. Um 1700 v. Chr. fielen die mit Streitwagen ausgerüsteten Hyksos in Ägypten ein, um 1500 v. Chr. wurde das Zweistromland von Streitwagenkämpfern überrannt, kurz danach Indien und wenig später China.

    Verglichen mit der sesshaften Bevölkerung waren die Eroberer jedoch in verschwindend kleinen Gruppen gekommen, was dazu führte, dass sie entweder schnell assimiliert oder nach einigen Generationen vertrieben wurden. Ihre überlegene Militärtechnik wurde jedoch übernommen und der Streitwagen verbreitete sich in nur drei Jahrhunderten als entscheidende Waffe in ganz Eurasien, von den britischen Inseln über das Zweistromland bis nach Indien und China. Man nimmt an, dass bei den Kämpfen der einzelnen Reiche Nomaden immer wieder als Söldner geworben wurden und dabei auch als eine Art Instruktoren und Lehrmeister die Verbreitung der neuen Technik förderten.

    Mit ihren adligen Streitwagenkämpfern und ihren Infanterieaufgeboten waren die alten Hochkulturen nicht nur in der Lage sich gegen räuberische Nomaden zu schützen, sie konnten auch ihrerseits hier und da zum Gegenangriff vorgehen. Das änderte sich, als im 8. Jahrhundert v. Chr das Pferd durch Züchtung soweit war, dass es effektiv als Reittier verwendet werden konnte. Bald darauf begann das Reitervolk der Kimmerier, das seinerseits von den viel stärkeren Skythen verfolgt wurde, in Kleinasien einzubrechen. Die Reiter waren den Streitwagenkämpfern an Geschwindigkeit und Flexibilität und dadurch an Kampfkraft noch einmal gewaltig überlegen. Sie kamen über die Seßhaften mit der Gewalt einer Naturkatastrophe und erschienen diesen dann als eine von Gott gesandte Strafe. So schrieb der Prophet Jeremiah über einen Einfall der Skythen, dem ganz Palästina zum Opfer fiel: "Die Tochter Zion ist wie eine liebliche Aue; aber es werden Hirten über sie kommen mit ihren Herden [...]. Siehe es kommt ein Volk von Mitternacht, ein großes Volk wird sich erheben vom Ende der Erde. Sie führen Bogen und Speer, sind grausam und ohne Erbarmen. Sie brausen daher wie ein ungestümes Meer und reiten auf Rossen, gerüstet als Kriegsleute, gegen dich, du Tochter Zion."



    Die Kimmerier verwüsteten Lydien verschwanden dann aber schnell von der Bildfläche, von den Skythen dagegen kann man sich Dank archäologischer Funde und historischer Quellen ein gewisses Bild machen. Herodot hat sie als wilde, blutrünstige Krieger beschrieben: "Wenn ein Skythe seinen ersten Feind erlegt, trinkt er von dessen Blut. Die Köpfe aller, die er in der Schlacht tötet bringt er dem König. Wenn er einen Kopf bringt, erhält er seinen Beuteanteil, sonst nicht. Sie ziehen den Schädeln die Haut ab [...]. Der Reiter bindet die Haut an den Zügel seines Pferdes und prahlt damit. Wer die meisten hat, gilt für den tapfersten Helden. Vielfach macht man sogar Kleider aus diesen Kopfhäuten. Sie werden zusammengenäht wie die Hirtenpelze." Aus den Schädeln ihrer schlimmsten Feinde machten sie vergoldete Trinkbecher. Auch von Verwandten, die sie im Streit erschlagen haben. Wenn sie einem Gast einen Trank daraus vorsetzten, liebten sie es bei dieser Gelegenheit von ihren Kämpfen und Siegen zu erzählen.

    Man könnte jetzt erwarten, dass der zivilisierte Grieche Herodot von diesen barbarischen Sitten abgestoßen wäre, aber er erscheint im Gegenteil eher tief beeindruckt von der wilden Vitalität und der damit verbundenen militärischen Stärke der Skythen. Denn er schreibt zusammenfassend: "Muß nicht ein Volk unüberwindlich und unnahbar sein, das weder Städte noch Burgen baut, seine Häuser mit sich führt, Pfeile vom Pferd herab schießt, nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht lebt und auf Wagen wohnt?"



    Was Herodot an den Skythen ganz offensichtlich bewundert ist nicht nur ihre Fähigkeit als Reiter mit Pfeil und Bogen zu kämpfen, sondern vor allem auch die Härte und Mobilität des Nomaden. Natürlich lernten auch die Sesshaften zu reiten, aber hier bevorzugte man die schwerfällige gepanzerte Adelsreiterei, berittene Bogenschützen mussten immer unter Nomaden geworben werden. In der Antike war nicht ohne Grund die allgemeine Vorstellung verbreitet, Nomaden seien aggressiv und würden die Seßhaften berauben würden. Armut und eine lebensfeindliche Umwelt wurden für ihr "elendes Wanderleben" verantwortlich gemacht, das von Kampf und Gewalt geprägt war. Bei vielen Nomaden ist es üblich in Notzeiten Alte und Kinder auszusetzen. Schon von Kindesbeinen an werden sie an den Kampf gewöhnt, beim Schutz der Herden und beim Streit um Wasser- und Weideplätze. Kein Ritterheer kann ohne Tross und gesicherten Nachschub lange überleben. Ein Nomade dagegen zieht mit seinen Tieren und lebt von ihnen. Ein Deutscher, der um 1400 lange in den Reihen der Mongolen gekämpft hatte berichtete später fasziniert, dass sie keinerlei Getreide aßen, sondern sich ausschließlich von Fleisch, Kamel- und Stutenmilch ernährten, dass sie rohes Fleisch in Leinen wickelten, um es unter seinem Sattel mürbe zu reiten, und in der Not sogar das Blut ihrer Pferde tranken.

    Der Militärhistoriker John Keegan geht sogar noch einen Schritt weiter. Seiner Ansicht nach entwickeln Hirten eine ganz besonders Fähigkeit zum gezielten Töten, sie selektieren Tiere und töten sie mit einem schnellen Stoß. Ähnlich seien sie dann auch mit den Aufgeboten der benachbarten bäuerlichen Bevölkerung umgegangen. Sie umfassten die Flanken, selektierten und töteten die „Leittiere", sie wußten wie man mit Drohgebärden „die träge Masse dem eigenen Willen unterwarf". Die Kampfweise der Hunnen, Mongolen und Türken entsprach genau diesem Muster.

    Wahrscheinlich hätte keine Hochkultur dem Ansturm der Reiternomaden widerstehen können, wenn diese nicht das grundlegende Problem gehabt hätten, ihre Pferde ernähren zu müssen. Ohne Ruhe und ausreichendes Futter sterben Pferde schnell. Reiternomaden benützen zwischen 10 und 20 Pferden pro Kopf, deshalb ist leicht einzusehen, dass ein großes Heer gewaltige Weideflächen benötigt. In Europa stießen die Hunnen, Mongolen und Ungarn deshalb auch nur so weit vor, dass sie in einem Feldzug ihre festen Weideflächen in der ungarischen Tiefebene wieder erreichen konnten. Auch die Skythen haben sich entweder nach ihren Raubzügen wieder in die Steppen nördlich des Schwarzen Meers zurückgezogen, oder sind in den fremden Völkern aufgegangen.

    Die Sesshaften lernten es schließlich sich mit Hilfe von Grenzbefestigungen, Panzerreitern und Schützen - die Chinesen erfanden wahrscheinlich in diesem Zusammenhang die Armbrust - gegen die Überfälle der Reiternomaden zur Wehr zu setzen. Doch auch danach blieben diese als Söldner begehrt. skythische Söldner wurden von Persern, Ägyptern, Indern und Chinesen verwendet, und auch einige griechische Tyrannen haben sich mit ihrer Hilfe an der Macht gehalten. So gelang es den Athenern zwar um 560 v.Chr. den Tyrannen Peisistratos zu vetreiben, doch er kehrte mit fremden Söldern - vor allem skythischen Bogenschützen - zurück und blieb bis zu seinem Tod an der Macht. Die Skythen dienten den Tyrannen als Leibwache, sogenannte „Doryphoroi" und als eine Art Polizeitruppe in Athen. Gerade bei Unruhen und Straßenkämpfen waren die leichtbewaffneten Skythen den schwerfälligen Hopliten weit überlegen, über die nicht ohne Grund gesagt wurde, dass sie sich immer ein ebenes Gelände suchen mussten, um ihre Phalanx aufstellen zu können.

    Einige griechische Vasenmalereien dieser Epochen zeigen skythische Krieger in ihrer typischen Tracht: Hosen, spitzer Mütze und meistens mit dem Reflexbogen bewaffnet. Aus Gräberfunden kennt man ihre Vorliebe für Gold, Menschenopfer und Tätowierungen. Diese Tätowierungen am ganzen Körper waren wahrscheinlich wie die Rituale und Trophäen, von denen Herodot berichtet, Teil der Initiationsriten der Krieger. Die Skythen und die ihnen eng verwandten Sarmaten gehörten zur indoeuropäischen Sprachfamilie aber als Kriegerkultur waren sie ein Produkt der südrussischen und zentralasiatischen Steppen. Nach ihnen kamen von dort Hunnen, Ungarn, Mongolen und Türken, die ähnliche Taktiken verwendeten. Aber auch die germanischen Goten oder die slawischen Kosaken lernten in diesen Regionen den Kampf zu Pferde. Auf der anderen Seite verloren viele Reitervölker, wenn sie sich zu lange von ihren Weideplätzen entfernten viel von ihrer alten, nomadischen Härte. So benötigten die Enkel Dschingis Khans, die als Kaiser über China herrschten, ständig frischen Nachschub aus der Mongolei. Und die Nachkommen der Moguleroberer in Indien verlangten immer wieder nach neuen abgehärteten Rekruten aus Persien, Buchara und Korasan.



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