Krümels-Bücherwelt ...

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Mercier, Pascal - Lea




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Mercier, Pascal - Lea

Beitragvon Krümel » 30.07.2007, 10:07

[center]Lea von Pascal Mercier

Bild[/center]

Unsagbar gefühlvoll geschrieben, lebendig und tief!

In einem Café in der Provence lernen sich der Protagonist Martijn van Vliet und der Erzähler kennen. Beide sind Ende Fünfzig und haben ein bewegtes Leben hinter sich. Sie verabreden sich zu einem gemeinsamen Diner, wo van Vliet seine Geschichte zu erzählen beginnt:
Als Lea, seine Tochter, acht Jahre alt war, starb ihre Mutter, und von da an war das Mädchen ruhiger und zurückgezogen, nicht mehr das lebhafte Kind, sondern irgendwie leer. Nach der Schule holte Martijn sie oft ab, und sie gingen zusammen nach Hause. Eines Tages trafen sie in der Bahnhofspassage eine Geigenspielerin. Sie blieben stehen und lauschten ihrer Musik. Martijn bemerkte sofort den klaren Blick in Leas Augen; etwas fing wieder an zu leben in ihr; und so brauchte es auch kaum 24 Stunden, dass er mit einer Geige nach Hause kam. Lea strich liebevoll über das Holz und zupfte zögernd an den Saiten.
Etwas schwieriger war es, die geeignete Lehrerin zu finden, da Lea nur eine weibliche Ausbildnerin erwünschte. Doch diese fand sich mit Marie. Und seit dem ging es schnell aufwärts mit Lea: Ihre Züge wurden selbstbewusster und selbstsicherer; es gab nur noch die Geige, das Üben und Marie. Schon nach drei Jahren hatte sie ihren ersten Auftritt.
Martin jedoch fühlte sich zurückversetzt, und wetteiferte mit Marie. Er buhlte seit diesem Tag in dieser Bahnhofpassage um die Zuneigung seiner Tochter, kaufte ihr eine neue, sehr teure Geige, und erkannte, dass in dieser Konstellation, in diesem verwobenen gemeinsamen Schicksal, auch die Geburt einer Tragödie lag.
Hin und Her gerissen, und mit dem vollem Bewusstsein, dass er in eine Sackgasse hineingeraten war, und dennoch nicht dazu fähig irgendeine Wendung herbeizuführen ...

Sprachlich hat mich dieses Werk sehr beeindruckt, zu einem weil es so gefühlvoll geschrieben ist: “Sie hatte gespielt, als baute sie sich eine imaginäre Kathedrale aus Tönen, in der sie einmal geborgen sein könnte, wenn sie das Leben nicht mehr ertrüge.” Und weil das wirklich Menschliche von Mercier so absolut lebendig und tief transportiert wird, man kann die Handlungen der Figuren ohne zu zögern nachvollziehen, obwohl es eine Farce ist.
Die ganze Atmosphäre in dieser Novelle ist dicht und treffend! Schade eigentlich nur, dass sie lediglich 250 Seiten hat, ich hätte gerne weitergelesen!

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:)
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von Anzeige » 30.07.2007, 10:07

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Beitragvon wolves » 30.07.2007, 14:14

Deine Rezi hört sich nicht schlecht an. Ich finde es ja unglaublich interessant, wie unterschiedlich die Meinungen über dieses Buch sind. Vielleicht hat ja der eine oder andere einen neuen "Nachtzug nach Lissabon" erwartet und wurde dann enttäuscht? Wie auch immer, ich warte darauf bis "Lea" als Taschenbuch erscheinen wird.
Bis dahin habe ich noch zwei andere Bücher von Mercier auf meinem SUB liegen.
Liebe Grüße
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Beitragvon tom » 30.07.2007, 16:41

Der Mercier steht eh auf einer WuLi weiter zu verfolgender Autoren: Du gibst mir dabei Argumente! Danke!
tom
 

Beitragvon wolves » 31.07.2007, 08:11

@tom: Was hast du schon von Mercier gelesen und wie hatte es dir gefallen?
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Beitragvon tom » 31.07.2007, 08:29

wolves: ich hatte den "Nachtzug" mit viel Freude gelesen und war daraufhin quasi schon überzeugt, dass es von diesem Autor noch andere "gute Sachen" geben muss! Sprachlich gefällt mir sein Stil sehr gut. Irgendwo fand ich die passende Bemerkung: etwas pathetisch, schnörkelig, aber ohne Kitsch - oder was ähnliches.
Kruemels Rezi jetzt hier verstärkt den Wunsch nach "mehr", auch wenn ich dieses Jahr wohl nicht mehr dazu komme.
tom
 

Beitragvon wolves » 31.07.2007, 09:08

@Tom: Der "Nachtzug nach Lissabon" war ein tolles Buch. Seit dieser Lektüre liegen "Der Klavierstimmer" und "Perlmanns Schweigen" auf meinem SUB. Ob ich dieses Jahr noch dran komme, steht bei mir auch noch in den Sternen. :wink:
Liebe Grüße
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Beitragvon Krümel » 31.07.2007, 09:36

tom hat geschrieben: Irgendwo fand ich die passende Bemerkung: etwas pathetisch, schnörkelig, aber ohne Kitsch - oder was ähnliches.


Ich liebe das ja :love:

Eine bildhafte, blumige, poetische Sprache, eben ins Lyrische gehend. Da schmelze ich zusammen, und bin hin und wech :D
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Beitragvon Pippilotta » 08.11.2007, 06:40

Ich habe jetzt ca 50 Seiten gelesen und weiß noch nicht, ob es mir gefällt oder nicht.
Mir ist diese Schreiberei doch etwas zu salbungsvoll, zu pathetisch. Bisher ist es eine Gratwanderung, aber noch nicht ins Kitschige abgerutscht. Hoffentlich bleibt es so.

Die Ausgangssituation (2 Männer mit tragischer Vergangenheit treffen sich in Südfrankreich zufällig, machen sich gemeinsam auf den Weg in die Camargue) fand ich jedenfalls glaubwürdiger als bei "Nachtzug nach Lissabon". Ich ertappe mich aber dabei, dass ich auf die Story des Adrian Herzog neugieriger bin als auf die Geschichte der Lea und ihres Vaters 8)
Herzliche Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 15.11.2007, 19:15

@Krümel: es tut mir echt leid, das zu sagen, aber ich komme mit dem Buch überhaupt nicht zurecht. Für mich ist es einfach nur langweilig. Bin jetzt auf Seite 120, werde heute noch bis Harald Schmidt beginnt, weiterlesen und denke, ich werde es morgen in die Bib zurückbringen.

Mir ist es viel zu pathetisch, viel zu abgehoben und eigentlich zu schwülstig. Es ist sicherlich unvorstellbar für jemanden, der es nicht selber erlebt hat, als 8-jährige die Mutter zu verlieren. Ich will und kann darüber auch nicht urteilen. Doch diese Lea mit ihrem Gehabe geht mir gehörig auf den Wecker, jetzt mal grob gesagt. Und es heißt doch noch lange nicht, dass ich als Vater mich zum Affen machen muss und jeder Laune des Kindes nachgeben muss, mir alles, sogar Gemeinheiten - denn so wie sich das Kind aufführt das muss für ihn verletzend und erniedrigend sein - gefallen lassen muss? Das alles hat doch meiner Meinung nach überhaupt nichts mit Trauerarbeit oder ähnlichem zu tun? Oder versteh ich das jetzt irgendwas nicht?
Herzliche Grüße
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Beitragvon Krümel » 15.11.2007, 20:54

Pippilotta hat geschrieben: Das alles hat doch meiner Meinung nach überhaupt nichts mit Trauerarbeit oder ähnlichem zu tun? Oder versteh ich das jetzt irgendwas nicht?


Das ist aber oft im Leben, dass man sich der Situation nicht stellt, und einfach nach Ersatz Ausschau hält. Dieser Ersatz kann dann vieles bewirken, gleichwohl wenn innerlich der Bär tobt (die Mutter ist eben gestorben, daran ändert auch die Geige nichts). Und wie schwierig es für den Vater ist, a. als Lea nur noch wie tot vegetiert, b. wie froh und glücklich er zunächst ist als Lea Geige lernt; doch ab dem Zeitpunkt sieht er ja schon den Untergang. Ab da weiß er es, er ahnt es, und kann dennoch nicht anders handeln. Denn wenn er ihr die Geige nimmt, wird sie sich von ihm abwenden und ... auch.

Also mir hat das total gut gefallen :D
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Beitragvon Pippilotta » 16.11.2007, 20:35

Ich habe beschlossen, mich doch durchzukämpfen. Vor "Tannöd" noch ein neues Buch anfangen macht auch wenig Sinn.

Bin jetzt ohndies schon fast durch und die Erzählung so ab Leas Erwachsenenalter gefällt mir wieder besser. Der sukzessive Fortschritt ihrer Krankheit bzw. der Auswirkungen werden recht gut beschrieben. Auch die ausweglose Situation.

Aber ich hätte viel lieber die Geschichte des Adrians erfahren, von ihm wird nur bruchstückhaft erzählt. Aber vielleicht kommt da noch was .....
Herzliche Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 18.11.2007, 13:27

Leider, @Krümel, kann ich nichts Gutes berichten! :-(

Ich konnte mich bis zur letzten Seite nicht für das Buch begeistern und es ist meiner Meinung nach in keinster Weise mit dem "Nachtzug nach Lissabon" vergleichbar. Hat "Nachtzug nach Lissabon" schon phasenweise Platitüden und aufgewärmte Klischees vermittelt, so schießt dieses Buch den Vogel ab.

Über 250 Seiten werden nichts als Banalitäten beschrieben. Jeder versinkt in Selbstmitleid, besonders der Protagonist und Vater von Lea sieht sich sehr gerne in der "Opfer- und Märtyrerrolle". Mit solchen Menschen habe ich "im wirklichen Leben" ein Problem, und auch im "Buchleben". Merciers ausgefeilte Sprache versinkt hier im Melodramatischen, Trübsinnigen und Pathetischen.
Außerdem hätte ich mir gewünscht, ein bisschen mehr von Adrians Schicksal zu erfahren. Er bleibt zu sehr im Hintergrund und seine Vergangenheit wird nur angedeutet.

Das Buch hat alle Chancen, (neben Katharina Hackers "Habenichtse") zum Flop des Jahres zu werden! Leider.

Ich "muss" heuer noch den Klavierstimmer für unseren Lesekreis lesen, ich hoffe, ich bekomme keinen Mercer-Koller :roll:

:stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon chip » 14.01.2008, 01:45

Während im „Nachtzug nach Lissabon“ ein Professor sein altes Leben verlässt, indem er sich nach einer Eingebung in den Zug setzt, werden einige Figuren aus der Novelle „Lea“ das Gleiche erleben, mit einem Unterschied: Sie tun diesen Schritt nicht freiwillig, weil dieser Zug mit tödlicher Geschwindigkeit gen Fels rast.

Nach einer eher zufälligen Begegnung zweier Fremder im Straßencafé der Provence werden sie zu Verbündeten, entdecken Parallelen zwischen ihren Existenzen und werden sich nach kurzer Zeit ihrer Rolle bewusst, nisten sich dort ein und folgen ihrer Bestimmung während der gesamten Heimfahrt nach Bern. Adrian Herzog als Zuhörer, ein an sich zweifelnder Chirurg und ebenso zweifelnd als Familienvater. Martijn van Vliet, als erfolgreicher Kybernetiker und Erzähler. Erzähler der Geschichte seines Lebens, seines Schicksals und allem voran das seiner Tochter Lea.

Lea, nachdem sie durch den Tod der Mutter verstört durchs Leben stolpert, wird eines Tages von Geigenklängen aus der Bahnhofshalle aufgerüttelt, ihre Augen leuchten, sie findet wieder einen Platz im Leben, nimmt Geigenunterricht, probt Tag und Nacht, bis sie mit dreizehn ihren ersten öffentlichen Auftritt hat. Martijn ist von der Entwicklung wenig begeistert. Anfangs unterstützt er ihre aufflammende Lebensfreude, doch mit jedem weiteren Tag entfernt sich Lea von ihm, flüchtet in ihrem Raum von Klängen, den sie sich mit rasendem Ehrgeiz errichtet hat und sich darin abschottet, in dem Martijn sich ausgeschlossen fühlt. Und doch nährt ihn die Eifersucht, Verletztheit und Liebe, wird Sklave ihrer Wünsche, vernachlässigt seine eigenen Bedürfnisse, wird zu Leas Marionette, verliert die Zügel seines Verstandes, taumelt durch seine Machtlosigkeit in den Abgrund, in den sie ihn hineinzieht, sie, die vom Druck des Erfolges gepeinigt wird und zerbricht.

Die Geschichte, die sich als Klischee anhört, rettet sich durch Merciers Sprache, die eindringlich, bedrückend, meisterhaft komponiert ist und sich mit ihr in die Tradition alter Meister einreihen darf. Melancholisch, hoffnungslos, zerschmetternd. Manchmal erhalten diese Sätze einen pathetischen Anstrich, der dem Genuss jedoch keinen Abbruch tut. Würden die Protagonisten nicht bisweilen Autofahren, ich würde mich ins 19. Jahrhundert versetzt fühlen.
:stern: :stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip
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Beitragvon Krümel » 14.01.2008, 11:52

Auch hier haben wir wieder eine Übereinstimmung, chip. Auch ich mochte "Lea" sehr gerne lesen.
Ich schreibe da später mal meine Gedanken zu auf.

PS Chip du schreibst so wunderbare Rezis, darf ich evtl. die oder andere von dir auch ins Blog einstellen?
Unserer Literaturblog findest du oberhalb vom Logo. (Verlinkung)
Falls ja, möchtest du als chip oder mit deinem richtigen Namen erscheinen?
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon chip » 14.01.2008, 19:36

Hallo Krümel,

sind Blogschreiber denn nicht bemüht, so viele Leser wie möglich anzulocken? Wieso möchtest Du dann meine Rezis dort einstellen? :D

Nein, das ist doch überhaupt kein Problem, wenn ich meine Rezis denn weiterhin ins Forum stellen darf? Denn im Literaturreport schrieb ich auch einige Rezis für die Hauptseite, die ich hinterher nicht mit ins Forum nehmen durfte. Das fand ich bedauernswert, denn ich finde, Rezis sind eine solide Grundlage, um eine Diskussion zu starten.

Chip oder Patrick?

What is a name? That wich we call a rose.
By any other name would smell as sweet.


Gruß,
chip/patrick
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