Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

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    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    umananda - 04.11.2010, 15:06

    Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.
    Es ist nichts Neues für die Juden in Wien, wenn ein äußeres Ereignis sich niederschlägt im Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden. Was heute der Gaza-Konflikt und Israel ist und für Randale türkischer Demonstranten sorgt, waren früher andere Dinge ...

    1986 durchleuchtete der Jüdische Weltkongreß in New York die Kriegsvergangenheit des neuen Staatsoberhaupts Kurt Waldheim ... und ich hörte zum ersten Mal in der Bim, als ich mit meinen Mitschülern zu einem gemeinsamen Theaterbesuch unterwegs war und drei männliche Mitschüler die Kippa trugen, das Wort "Saujuden" an mich gerichtet. Zumindest zu jener Gruppe, zu der ich auch gehörte. Wir waren Kinder ... noch nicht einmal neun Jahre alt und über Waldheim wussten wir nichts ... selbst der Jüdische Weltkongreß sagte uns nichts.

    Nach kurzem Erstaunen über diese Anrede, die unser kindliches Durcheinanderplappern kurzfristig zum Verstummen brachte und das Schweigen sich durch die ganze Bim wie ein Vorhang ausbreitete, lachten wir wieder und das Plappern ging weiter, bis die Bim schlagartig stehenblieb und eine drohende Männerstimme sich durch die Sprechanlage unmissverständlich Gehör verschaffte. "Der Herr mit dem blauen Mantel verlässt augenblicklich mein Fahrzeug, sonst werde ich sehr grob, mein Großvater wurde im 34iger Jahr von den Faschisten erschossen, in meiner Bim sagt niemand Saujud!"

    Nachdem der Herr im blauen Mantel ausgestiegen war, fuhr die Bim weiter. Da wir das Geschehene nicht richtig zu deuten wussten, waren wir kurz darauf wieder mit uns beschäftigt.

    Ich wusste damals nicht, was 1934 geschehen war, in Wien ... erst viel später verstand ich den Bimfahrer ... er steht für das andere Österreich. Genauso wie sein erschossener Großvater für das andere Österreich stand. Es waren die sogenannten Februarkämpfe, in der Zeit zwischen dem 12. und 15. Februar 1934 fanden bewaffnete Kämpfe statt, die zu mehreren Hundert Toten führten.

    So lernte ich vorzeitig, bevor der Lehrplan diese Vorgabe setzte, dass man unerwartet "Saujud" genannt werden konnte und ein Bimfahrer der Wiener Linien die Notbremse ziehen kann.

    Servus umananda



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    umananda - 04.11.2010, 15:07


    "Die Juden und Radfahrer sind schuld"

    „An allem sind die Juden schuld! „...und die Radfahrer“. Mit großer Wahrscheinlichkeit kommt die Frage: „Warum die Radfahrer?“anstatt „Warum die Juden?“ Diese Anekdote geisterte durch meine Schulzeit.

    Als wir als Schüler, wir waren im Durchschnitt 14 eine Klassenfahrt nach Auschwitz beendet hatten und wieder mit dem Bus die österreichische Grenze überquerten, hatten wir ein echtes Gefühl von Beklommenheit. Mitgebracht aus jenem Ort, an dem Österreicher mitgewirkt hatten, um Frauen und Kinder, Alte und Junge auf unvorstellbare Weise bestialisch und skrupellos mit organisatorischer Akribie zu ermorden. Millionenfach ... bürokratisch "korrekt" und mit den Gesetzen dieses Landes abgesegnet.

    Wir waren die Nachgeborenen ... mehr als 30 Jahre später geboren, in Wien, Klagenfurt, Salzburg oder an irgendeinem anderen Ort in Österreich.

    Jüdische Österreicher oder doch nur Juden, die in Österreich geboren und zur Schule gehen.

    Als wir allmählich das Schweigen um uns herum bemerkten, das eintrat, sobald man uns als Juden wahrnehmen konnte, fingen wir an darüber nachzugrübeln. Die Shoah war uns bekannt, denn irgendwie wurden wir alle mehr oder weniger damit innerhalb der Familie konfrontiert.

    Aber das Österreich, das wir alle kannten, als unsere Heimat, tat sich immer noch schwer. Unsere Eltern und vor allem unsere Großeltern trugen immer ein gewisses Unbehagen mit sich ...

    Dann verließ ich Wien - wohnte eine Zeit bei meiner Großmutter in Paris, besuchte dort die Schule und zwei Jahre später kehrte ich nach Wien zurück ... machte die Matura und schaute auf dieses Land. Anders als vor meinem zweijährigen Aufenthalt in Paris. Gelassener und irgendwie als Außenstehender.

    Wien hatte sich nicht verändert ... Thomas Bernhard und sein Heldenplatz war schon viele Jahre Geschichte und meine begann erst. Matura und das Nachdenken darüber ... wo ich studieren werde.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Heldenplatz_%28Drama%29

    Am Nationalfeiertag bewarfen Demonstranten österreichische Soldaten mit roter Farbe ... ein junger Soldat, der mit roter Farbe beschmiert ziemlich ratlos zu sein schien .. fand meinen ebenfalls ratlosen Blick und nahm ein Packerl Papiertaschentücher von mir entgegen und ich zeigte auf sein Gesicht. Ich hielt ihm meinen Taschenspiegel vor und er konnte wenigstens sein Gesicht von der roten Farbe reinigen.

    Er bedankte sich und zeigte plötzlich auf meinen Hals ... ein Davidstern, sagte er und ob ich Jüdin sei. Ich bejahte es und er nickte und fragte, ob ich eine gläubige Jüdin wäre. Wieder bejahte ich seine Frage und er erwiderte ... gut, das sei sehr gut. Er sei gläubiger Katholik.

    Er gab mir die Hand und sagte ... man sieht sich immer zweimal im Leben ... ich bin dir noch ein Packerl Papiertaschentücher schuldig und er verschwand, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen, um mir zu winken.

    So lapidar wurde ich selten als Jüdin erkannt ... damals am Heldenplatz. Es war wohl unser beider ganz persönlicher Nationalfeiertag. Ich bin an diesem Tag endlich nach Wien zurückgekehrt.

    Der Generationswechsel birgt viel alltägliche Normalität in sich ...

    Servus umananda



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    umananda - 04.11.2010, 15:10


    Juden in Wien ... ein Versuch eine etwas andere Geschichte zu erzählen

    Es gab sie schon, die Juden von Wien - als das Wien noch nicht als prunkvolle Weltstadt ein Weltreich repräsentierte - auch in jener Zeit, als dieses Weltreich plötzlich eine Alpenrepublik wurde und der Glanz nur noch als Touristenattraktion weltweite Aufmerksamkeit auf sich zog.

    Als 1981 palästinensische Terroristen einen Terroranschlag auf die Hauptsynagoge von Wien verübten .. war ich noch ein Kleinkind ohne Kindergartenerfahrung, aber seitdem war die Synagoge eine kleine Festung. Ich habe sie nie anders kennengelernt.



    http://www.hagalil.com/austria/gemeinde/artikel/2001/terror.htm

    Und trotzdem habe ich mich nie bedroht gefühlt ... und dieses Wien immer als einen Ort meiner Wiege betrachtet, die Stadt meines Vaters ... in der ich geboren wurde. Dieser Versuch soll sich hauptsächlich mit der Nachkriegszeit auseinandersetzen ... der Jubel am Heldenplatz im 38.Jahr ist allgemein bekannt und wird von mir nur als historische Fußnote eingefügt.

    Ich werde hier in den nächsten Tagen einige Beiträge hineinstellen und vielleicht auf Fragen antworten oder Diskussionen kommentieren ... es werden hauptsächlich persönliche Erfahrungen sein ... historische Eckdaten zu den einzelnen Punkten werde ich eventuell mit einen Link versehen, da ich Copypaste noch nie sonderlich ausstehen konnte.

    Dieser Versuch will einen innenpolitischen Aspekt zwischen Juden und Nichtjuden in Wien aus dem persönlichen Erleben wiedergeben.

    Servus umananda



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    umananda - 04.11.2010, 15:20


    Es war 1999, als ich zum ersten Mal bei einer Nationalratswahl mein Wahlkreuzerl machen durfte ... und ich mitten im Umzug nach Paris ein Chaos lebte. Mein Entschluss, das Studium von Wien nach Paris zu verlegen, hatte vielerlei Gründe ... einer von ihnen war die Stimmung in Österreich, die schon während meiner Schulzeit bis zur Matura herrschte - während den Wiener Gemeinderatswahlen im Jahre 1996, bei denen ich noch nicht wahlberechtigt war ... als ein FPÖ-Plakat die Straßen von Wien verunstaltete ... „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk…oder Kunst und Kultur?“

    Diesen Satz konnte man in großen Lettern auf Plakaten der FPÖ lesen. Eine Geige als vermeintliches Symbol der Hochkultur war noch abgebildet, darunter der Zusatz: „Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler“. Eine indirekte Anspielung auf die ehemalige Geigenschülerin Elfriede Jelinek ... zum ersten Mal fand in Österreich seit 1938 ein direkter Angriff auf Künstler statt ... namentlich erwähnt ... Burgtheaterdirektor Claus Peymann und Jelinek ... das gab es bisher nicht und die rechtspopulistischen FPÖ ließ diese alte "Tradition" wieder aufleben.

    Es herrschte Entsetzen darüber ... nun, drei Jahre später war ich wahlberechtigt und wählte gezielt gegen Haider - wie die meisten meiner Freunde und Schulkameraden. Selbst die Lehrer ... und trotzdem erhielt die Haider-Partei knapp 27 Prozent. Das höchste Ergebnis, das im Nachkriegsösterreich jemals eine rechts-populistische Partei bei Nationalratswahlen auf sich vereinigen konnte.

    Ich war schon auf dem Weg zum Flughafen Schwechat, als die ersten Hochrechnungen eintrafen ... mein Vater schwieg ... während meine Mutter mir auf Französisch zu verstehen gab, dass ich eine sehr gute Entscheidung getroffen hätte, mein Studium an der Universität Paris-Sorbonne zu absolvieren und ich solle mir keine Gedanken machen ...

    Es war eine seltsame Stimmung ... die ich nicht sonderlich ernst nahm ... und ich wechselte meinen Pass ... überreichte meiner Mutter den österreichischen Pass und sagte zu ihr, sie solle ihn in meine Schreibtischschublade legen ... es reicht wohl mein französischer Pass.

    In Paris war ich sehr beschäftigt und in den ersten Tagen musste ich viele Dinge erledigen. Aber immer wenn ich in einem Café saß und Zeitung las ... war in den Schlagzeilen immer von L’Autriche die Rede. Haider und L’Autriche ... auch in anderen ausländischen Zeitungen ... aus Deutschland und den USA war Österreich in den Schlagzeilen gerückt.

    Man schüttete Verachtung und Spott über meine Heimat ... französische Kommilitonen und Freunde fragten mich, was ich als Jüdin aus Österreich von diesen Ungeheuerlichkeiten halten würde, die sich in Österreich abspielten. Ob man dieses Land boykottieren solle ... ob man ein faschistisches Land in der EU akzeptieren könne und ob ich nun für immer in Paris bleiben würde.

    Ich wurde fast starr und taub ... irgendwie kam mir das alles wie ein böser Traum vor. Aber umso mehr man mir dieses Schreckgespenst Österreich vor Augen führte, je mehr rückte ich in die Verteidigungshaltung. Ohne es zu beabsichtigen, fing ich jedes mal an, ein Plädoyer für Österreich abzugeben. Zuerst war es für die anderen völlig unverständlich, dass ich als Jüdin die Partei Österreichs ergriff ... aber allmählich dämmerte es meinen französischen Freunden.

    Sie ist halt eine Österreicherin ... ob Jüdin oder nicht ... sie bleibt eine Österreicherin.

    Und es ist wohl so ... was hat ein Haider oder sonst ein Volldepp mit meiner Liebe zu Österreich zu tun? Nichts!

    Servus umananda



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    Maxvorstadt - 05.11.2010, 17:29


    Das hast du auf dem CPF geholt. Streichst wohl endgültig die Segel dort. Ist auch besser so. Man soll abgestandenes Wasser nicht unbedingt wieder aufbereiten. :big_smoke

    Zitat: Man schüttete Verachtung und Spott über meine Heimat ... französische Kommilitonen und Freunde fragten mich, was ich als Jüdin aus Österreich von diesen Ungeheuerlichkeiten halten würde, die sich in Österreich abspielten. Ob man dieses Land boykottieren solle ... ob man ein faschistisches Land in der EU akzeptieren könne und ob ich nun für immer in Paris bleiben würde.

    Ich wurde fast starr und taub ... irgendwie kam mir das alles wie ein böser Traum vor. Aber umso mehr man mir dieses Schreckgespenst Österreich vor Augen führte, je mehr rückte ich in die Verteidigungshaltung. Ohne es zu beabsichtigen, fing ich jedes mal an, ein Plädoyer für Österreich abzugeben. Zuerst war es für die anderen völlig unverständlich, dass ich als Jüdin die Partei Österreichs ergriff ... aber allmählich dämmerte es meinen französischen Freunden.

    Sie ist halt eine Österreicherin ... ob Jüdin oder nicht ... sie bleibt eine Österreicherin.

    Diesen Ausschnitt finde ich sehr treffend.Geht mir manchmal auch so.



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    Senator74 - 09.12.2010, 13:20

    CPF
    Nur umananda kann den IG der Diaspora dort löschen...
    Ich habe nichts dagegen,bin dort als Solist ein einsamer Rufer in der Wüste!



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    umananda - 09.12.2010, 13:29

    Re: CPF
    Senator74 hat folgendes geschrieben: Nur umananda kann den IG der Diaspora dort löschen...
    Ich habe nichts dagegen,bin dort als Solist ein einsamer Rufer in der Wüste!

    Vielleicht sollte man sie löschen ... letztendlich kann man dieses Refugium auch als erweiterte Interessengemeinschaft betrachten ....

    Servus umananda



    Re: Von hier nach dort - Jüdisches aus der Diaspora und Israel.

    Senator74 - 09.12.2010, 13:35

    Mach es bei Gelegenheit!
    Hier sind diese Interessen auch gut aufgehoben und werden mit Anstand beleuchtet/diskutiert...



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