Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Geiger, Arno - Es geht uns gut




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Geiger, Arno - Es geht uns gut

Beitragvon Pippilotta » 24.04.2006, 19:07

Inhalt

Philpp Erlach, Mitte 30, seines Zeichens Schriftsteller, lethargisch und ohne wirkliche Perspektive, erbt das Haus seiner Großeltern. Weil ihn die Geschichte seiner Familie nicht interessiert, entsorgt er wahllos sämtliche Gegenstände, Briefe und andere Erinnerungsstücke in einen großen Müllcontainer. Zwischen den Kapiteln über Philipps Aufräumaktion und sein Leben im Jahr 2001 wird in Rückblenden die Geschichte seiner Familie erzählt, beginnend mit der Naziherrschaft 1938. Die wechselnden Erzählerperspektiven (Großvater, Großmutter, Mutter, Vater) und auch Zeitsprünge verleihen der Geschichte einen sehr großen Horizont, Begegnungen, Gefühle, politische Strömungen werden so von mehreren Seiten beleuchtet und machen das Buch sehr lebendig.

Geschildert werden die falschen Illusionen der der Jugend während der Hitler-Herrschaft, von den schweren Nachkriegsjahren, Ehefreud und Eheleid, von den Anfängen der Emanzipation der Frauen, von Idealen und Wünschen, von Enttäuschungen und Schicksalen und v.a. vom Umgang mit der Vergangenheit und der Erinnerung. "Ganz normale" Lebensläufe, wie man denkt, und doch so voller Wehmut, voller verpasster Gelegenheiten und der Gewissheit, dass man Geschehenes nicht ungeschehen machen kann.

Arno Geiger wikipedia

Geiger wuchs in der vorarlbergischen Gemeinde Wolfurt auf. Er studierte Deutsche Philologie, Alte Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft in Innsbruck und Wien. 1993 verfasste er eine Diplomarbeit über Die Bewältigung der Fremde in den deutschsprachigen Fernreisetexten des Spätmittelalters.

Seit 1993 lebt er als freier Schriftsteller. 1986 bis 2002 war er im Sommer auch als Videotechniker bei den Bregenzer Festspielen tätig.

1996 und 2004 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. 2005 erhielt er für "Es geht uns gut den Deutschen Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Geiger lebt in Wolfurt und Wien.

Meine Meinung:

Ich fand das Buch ganz großartig!
Es werden so viele Themen angesprochen, die Geschichte ist so schön verwebt, man erfährt erst nach und nach und mit großen Zeitsprüngen von der Familie. Die traurigen Momente überwiegen, was dem Buch doch eine melancholische Stimmung verleiht, dennoch bleibt Hoffnung und Zuversicht.

Vieles bleibt offen und doch ist am Ende alles gesagt. Geiger verzichtet auf genaue Details, Mutmaßungen und Spekulationen bleiben großteils dem Leser überlassen.

Das Hauptthema - wie gehen wir mit der Vergangenheit und mit Erinnerungen um, sind sei Teil unseres Lebens oder können wir sie verwerfen, uns ihrer entledigen - wird von vielen Seiten beleuchtet. Es geht um vertane Chancen, vergeudete Zeit, um Fehler, die nicht mehr gutzumachen sind und Gelegenheiten, die verpasst wurden.

Doch auch der Humor kommt nicht zu kurz und für mich gab es viele Erinnerungen an meine Kindheit (Geiger ist fast mein Jahrgang), die schon in Vergessenheit geraten sind.

Für mich ganz große Literatur mit österreichischer Färbung! Empfehlenswert!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Zuletzt geändert von Pippilotta am 04.06.2006, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

von Anzeige » 24.04.2006, 19:07

Anzeige
 

Beitragvon Karthause » 24.04.2006, 19:17

Ich habe schon bei eurer Leserunde die Postings verfolgt und habe mir das Buch in der Bibliothek vorbestellt. Nun bin ich schon ganz gespannt, es muss ja wirklich ein beeindruckendes Buch sein. Danke für den Tipp. :wink:
Viele Grüße
Karthause

Mein Blog

Fliegen kannst du nur gegen den Wind.
Benutzeravatar
Karthause
SuB-Betreuerin
SuB-Betreuerin
 
Beiträge: 7199
Registriert: 19.04.2006, 19:07
Wohnort: Niederrhein

Beitragvon marilu » 30.04.2006, 20:15

Seit ich es gelesen habe, verkaufe ich es täglich zwischen 1-2mal. In dem kleinen Laden, in dem ich arbeite, ist das ein sehr, sehr guter Schnitt. Und das witzige ist, ich muss selten mehr sagen als "Oh, das Buch ist wunderbar..." als Auftakt zur Lobhudelei, aber da sind die Kunden schon überzeugt... :lol: ...irgendwie fühle ich mich um meine Beratungstätigkeit gebracht... :-( :wink:
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
Benutzeravatar
marilu
Hilfskrümel
Hilfskrümel
 
Beiträge: 2183
Registriert: 23.04.2006, 20:46
Wohnort: Hannover

Beitragvon Krümel » 30.10.2006, 19:35

Es geht uns gut – Arno Geiger


Kurzbeschreibung von Amazon:
Philipp Erlach hat das Haus seiner Großmutter in der Wiener Vorstadt geerbt, und die Familiengeschichte, von der er definitiv nichts wissen will, sitzt ihm nun im Nacken. Arno Geiger erzählt sie, als sei sie gegenwärtig: Von Alma und Richard, die 1938 gerade Ingrid bekommen und nichts mit den Nazis zu tun haben wollen. Vom fünfzehnjährigen Peter, der 1945 mit den letzten Hitlerjungen durch die zerbombten Straßen läuft. Von Ingrid, die mit dem Studenten Peter eine eigene Familie gründen will, und von Philipp, dem Sohn der beiden. Arno Geiger gelingt es, ein trauriges und komisches Jahrhundert lebendig zu machen.


Aus der Kurzbeschreibung entnimmt man: „Arno Geiger erzählt sie, …“, aber eben nicht Philipp, und das ist eine sehr gelungene Erzählform. Nach und nach kann sich der Leser ein Bild von der Familiengeschichte machen, lediglich der Protagonist tappt im Dunkeln.
Auch hat es mir sehr gefallen wie Geiger diese Geschichten erzählt: Er lässt die einzelnen Figuren wie in einem Tagebuch einen Tag Revue passieren. Dabei werden oft banale Alltagsgeschehnisse beschrieben, aber gerade das bringt Nähe und erweckt die Menschen. Es gab Tage (1945), die haben mich sehr bewegt, andere waren humorvoll, und immer waren sie voller Gefühl und Lebendigkeit.

Mir hat dieses Werk außerordentlich gut gefallen, und ich kann es gerne weiterempfehlen :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

Beitragvon Voltaire » 30.10.2006, 19:38

Eine sehr lesenswertes Buch, welches durch eine ganz besondere Stimmung besticht. Arno Geiger erzählt unaufgeregt aber trotzdem sehr emotional von einer Familie, die letztendlich an sich selbst scheitert. Er erzählt nicht chronologisch sondern springt immer wieder in neue Zeitabschnitte. Trotzdem verliert man nie den roten Erzählfaden. Mich hat das Buch wirklich begeistert.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Voltaire
 

Beitragvon Coco » 15.05.2007, 18:22

"Es geht uns gut" - die Standard-Antwort auf die Frage "wie geht es Euch ?" ...
Floskeln, Alltäglichkeit.

Arno Geiger zeigt uns drei Generationen einer ganz normalen Familie, eingebunden in ihrer jeweiligen Zeit. Ehepaare, Eltern, Großeltern die sich größtenteils sprachlos gegenüberstehen, unfähig, ihre Gefühle, die sie füreinander hegen, auszudrücken.
Wir dürfen in kurze Ausschnitte aus dem Leben der Protagonisten Einblick nehmen, erfahren durch die Beobachterrolle, die wir innehaben, aber mehr als die beteiligten Personen. Manchmal kommt der Wunsch auf, einzugreifen, Ratschläge zu erteilen, z.B. zu sagen: "nun sag doch was Du denkst und fühlst".

Ein Buch, das bei mir noch lange Zeit nachklang und das ich wirklich bemerkenswert fand.

Einzig, Geiger schafft es leider nicht in allen Ausschnitten die Intensität zu halten, die er in anderen vorlegt.
Aus diesem Grund:

:stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüsse
Coco

-----------

:studie:

Charlotte Bronte - Villette
Gerhard Henschel - Abenteuerroman
Benutzeravatar
Coco
Susi Sunshine
Susi Sunshine
 
Beiträge: 4718
Registriert: 04.04.2007, 07:44
Wohnort: Darmstadt


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron