Bevor es Morgen wird

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    Re: Bevor es Morgen wird

    Anonymous - 01.12.2005, 21:18

    Bevor es Morgen wird
    Bevor es Morgen wird....


    Liebe Frau Marker- Liebe Hedwig
    Sehr geehrte Frau Marker,
    Ich habe Ihre Anzeige in der Fara gelesen. Sie schrieben, sie seinen oft einsam, also wollte ich Ihnen mal ein paar Zeilen schreiben. Ich bin nie einsam. Ich wünschte, es währe so. Ich habe elf Geschwister, ich bin die älteste. Eigentlich lese ich die Klara auch nie, sie ist uns viel zu teuer. So teure Zeitungen dürfen wir uns gar nicht kaufen, sagt Vater. Aber unsere Nachbarin, die alte Müller-Witwe, hat sie auf der Treppe fallen lassen. Da hab ich sie mir genommen und gelesen.
    Mein Vater, er heißt Jost, arbeitet bei einer großen Stahlfabrik. Er ist dort einer, der die Aufträge an Land zieht, wenn Sie sich darunter etwas vorstellen können. Leider ist er deshalb immer unterwegs. Wie sehen ihn kaum und die kleineren wissen manchmal gar nicht, wie Vater aussieht! Meine Mutter Marilu arbeitet in einer Apotheke. Wenn Vater nicht da ist, muss ich auf die kleineren aufpassen, denn Mutter ist ja arbeiten. Wenn ich und meine Geschwister in der Schule oder im Kindergarten sind, passt unsere Oma Almut auf das Baby und die ganz kleinen auf.
    Dabei fällt mir auf, dass ich Ihnen noch gar nicht meine Geschwister vorgestellt habe.
    Wie gesagt, ich, Hedwig, bin mit 14 Jahren die älteste. Meine Schwester Myrte ist 12. Ursula, genannt Usch, ist 11. Hendrik ist 10. Friso ist 8, die Zwillinge Julius und Roxana 7. Daphne ist 5, Tino 3, Mabel ist 2 und der kleine Bengt ist 6 Monate. Das ist schon ganz ordentlich, finden Sie nicht, Frau Marker? Haben Sie auch Kinder und einen Mann?
    Bitte schreiben sie bald!
    Hochachtungsvoll,
    Hedwig Wilpert aus St. Augustin.

    Gerührt las Frau Marker die feinen Buchstaben der Vierzehnjährigen. Flüchtig wischte sie die Tränen aus den Augenwinkeln und lächelte gleichzeitig. Wie lange hatte sie keinen solchen Brief mehr bekommen! Ihre eigene Tochter war schon aus dem Haus, der Mann lange tot. Ihre Enkeltöchter konnten kein Wort Deutsch, sie lebten mit ihren Eltern in Frankreich. Doch Frau Marker konnte kein Französisch. So blieben die großzügigen Geldgeschenke meist ohne jede Reaktion, höchstens ihre Tochter rief einmal kurz an, um sich zu bedanken. Mühelos stieg die Dame aus dem Sessel auf und suchte ihren Füllhalter und die dazugehörenden kleinen Tintenfässchen. Nachdem diese gefunden waren, nahm sie ein Stück feines Papier und schrieb zurück:

    Liebe Hedwig.
    Mein Name ist Clementine Arnhild Marker und ich wohne in Berlin. Ich bin 69 Jahre alt und Witwe. Mein Mann Ernst ist vor 15 Jahren gestorben. Da war meine Tochter Rebecca gerade 20. Heute ist sie 35 Jahre alt und zweifache Mutter. Meine Enkelinen Ruth und Dina kenne ich jedoch nur von Fotos, denn ein Kontakt ist wegen Sprachproblemen nicht möglich. Ich habe leider nur Englisch gelernt, meine Tochter und ihre Familie leben jedoch in Frankreich. Die Kinder können weder Deutsch noch Englisch.
    Deine Familie ist wahrhaftig sehr groß, es muss sehr anstrengend für deine Mutter sein, wobei sie ja auch noch arbeiten geht. Ich habe genug Geld und weiß gar nicht wohin damit. Vielleicht komme ich euch irgendwann mal besuchen und schenke euch allen was, wir werden sehen.
    Ich hoffe du hast deiner Nachbarin auch die Zeitung wiedergegeben! Schließlich hast du sie nur „ausgeliehen“.
    Ich würde mich freuen, wenn du bald wieder schreibst,
    Clementine A. Marker

    Nachdenklich legte Hedwig die Zeilen der fremden Frau zur Seite. Es war wirklich traurig, dass die Enkelinnen der Oma nicht schrieben. Warum übersetzte die Tochter denn die Briefe nicht? Das müsste sie aber im nächsten Brief unbedingt schreiben. Dina und Ruth konnten doch nicht einfach ihre Oma vergessen haben! Wenn sie nur an die eigene Oma Almut dachte. Ohne die hätten sie wirklich einpacken können. Auch ihre Mutter dankte der Schwiegermutter immer wieder. Langsam stand sie vom Boden des engen Zimmers mit den vielen Betten auf und ging zum Esstisch, auf den die Mutter den großen Topf mit Suppe stellte. Hedwig folgte der Mutter in die Küche.
    „Mutter, wusstest du, die Frau aus der Klara hat geschrieben. Sie scheint sehr nett zu sein. Und sehr allein. Ihre Tochter ist in Frankreich und ihr Mann...“
    „Hedwig, bitte jetzt nicht! Das Essen wird kalt. Hol die kleinen, sie spielen unten im Hof. Hol sie, aber beeil dich!“, fuhr die Mutter ihr über den Mund und band sich die braunen Locken zu einem Pferdeschwanz. „Ich muss gleich zum Dienst, Oma Almut ist gleich hier. Los geh schon!“
    Damit raffte sie die weißen Ärmel des Kittels nach oben und suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Portmonee.
    Hedwig ging mit schnellen Schritten aus der Wohnung und ließ den Fahrstuhl kommen. Sie schloss die Augen, während der muffige Aufzug durch da Haus raste.
    Bing! Die Tür ging auf und Hedwig stand in der Empfangshalle des Hochhauses. Durch die geschlossene Türe des Hochhauses drangen Schreie und Lachen von Kindern. Alles Kinder aus der Siedlung, darunter ihre Geschwister.
    „Los, die Wilperts zum Essen! Hendrik, Friso! Holt die Zwillinge. Daphne. Kommt sofort her!“ Sie öffnete mit der rechten Hand die schwere Eingangstür und winkte mit der linken nach den Kindern. Daphne lief mit großen Hüpfern hinein und putzte sich die laufende Nase am Zipfel ihres Kleides ab. Friso, packte sie von hinten an den langen Zöpfen und zog fest daran. Daphne schrie wie am Spieß und der mürrische Pförtner hob mahnend den Kopf. Energisch ging Hedwig dazwischen und nahm Friso die Haare aus der Hand. Dann warf sie sie der Schwester über die Schulter. Hendrik spazierte quer durch das umgewühlte Blumenbeet neben dem Eingang und kickte einen Stein gegen die Türe. Mahnend räusperte sich der Pförtner.
    „Sag mal, spinnst du?“, schrie Hedwig an und klatschte ihm eine. „Weißt du, was so ne Scheibe kostet? Da könne wir hier ausziehen!“ Er verzog keine Miene sondern puffte sie nur in die Seite. In diesem Augenblick schossen die Zwillinge im Wettrennen an den Geschwistern vorbei, sodass der verwelkte Ficcus des Pförtners klirrend von der untersten Stufe flog. Die beiden kümmerten sich jedoch nicht darum sondern liefen weiter die Treppen hoch. Schnell sammelten Hedwig und Daphne die Erde ein und stopften sie zurück in den Topf, denn der Mann hinter dem Tresen war gerade in den Heizungskeller abgestiegen. „Los, jetzt aber dalli! Mutter hat das Essen auf dem Tisch!“

    Liebe Frau Marker!
    Ich habe mich sehr gefreut, dass sie geantwortet haben. Es ist 8 Uhr. Ich habe gerade mit Oma Almut die kleinen zu Bett gebracht. Das Baby schläft ja eh meistens. Aber Mabel und Tino drehen immer total auf! Das nervt tierisch. Am schlimmsten ist es zum Beispiel an Weihnachten. Da sind sie völlig meschugge. Wenn ich nachher ins Bett gehe, dann muss ich ganz leise sein, denn ich teile mir mein Zimmer mit Mabel, Tino, Daphne, Usch und Friso. Die schlafen dann alle schon. Myrte, Hendrik, Julius und Roxana teilen sich das andere und Baby Bengt schläft im Schlafzimmer der Eltern. Dann haben wir noch ein Bad (für 14 Leute!), eine kleine Küche und ein Esszimmer. Ein Wohnzimmer haben wir nicht, denn einen Fernseher oder einen Computer können wir uns nicht leisten. Mutters altes Radio steht auf dem Regal im Esszimmer und wir hören beim Essen Nachrichten.
    Gleich ist es auch schon wieder Zeit um die nächste Gruppe ins Bett zu bringen, nämlich um halb Neun. Das sind dann Daphne und die Zwillinge. Um Neun sind dann Friso, Hendrik und Usch dran. Myrte und ich dürfen bis halb Zehn aufbleiben. Oma nimmt den Zeitplan ganz genau, wie Mutter es ihr gesagt hat. Das find ich in meinem Fall ungerecht, aber sonst würden die kleinen wohl auch nur meckern. Meist reden Myrte und ich noch mit Oma, wenn wir drei alleine sind. Aber heute schläft Myrte bei ihrer Freundin Lena und Oma fühlt sich nicht so gut. Sie sagt, ihr Herz ist nicht ganz in Ordnung und sie müsse sich viel ausruhen. Dann hat sie sich den alten Kinderwagen, in dem schon ich gelegen habe, an Mutters Bett herangezogen und Bengt hineingelegt. Jetzt schläft sie. Ich werde die anderen wohl gleich alleine ins Bett bringen. Hoffentlich wecken sie Oma nicht mit ihrem Lärm! Oh, es ist schon halb Neun...
    So, ich habe jetzt auch Roxana, Julius und Daphne ins Bett gebracht. Die Zwillinge schlafen immer artig ein, nur Daphne braucht noch einen Gutenachtkuss um beruhigt zu sein. Gleich wird wohl Mutter nach Hause kommen. Ich habe aber jetzt Zeit, denn Usch liest in einem alten Buch, dass sie von Vater zu Weihnachten bekommen hat und die Jungen spielen in der Küche mit ihren Matchboxautos. Das ist eigentlich nicht gefährlich, schließlich haben wir in der Küche überall Kindersicherungen. Es wissen jedoch nur Myrte und ich, wie die meisten funktionieren. Das haben die Eltern extra gemacht. Jeder in der Familie kriegt mit 12 Jahren die Entriegelungen gezeigt. Usch kriegt sie nächstes Jahr. Ah, die Haustür geht auf und Mutter kommt. Einen Augenblick bitte...

    „Hallo Große!“, flüsterte sie. „Wo ist Almut?“ Hedwig zeigte mit dem Finger auf die Wand, die das Esszimmer und das elterliche Schlafzimmer verband. „Sie schläft! Bengt auch.“, flüsterte Hedwig zurück. Die Mutter zog die Schuhe aus und tappte auf Zehenspitzen in ihr Schlafzimmer. Plötzlich hörte Hedwig Mutter aufgeregt flüstern und Oma heiser antworten. Das Baby fing an zu schreien, doch die Mutter nahm es nicht wahr. Hastig rannt sie aus dem Zimmer und griff zum klapprigen Telefon der Wilperts. Schnell drehte sie die Wählscheibe, dass es nur so klapperte. Hedwig stand auf und ging ins Nachbarzimmer, denn das Baby weinte immer noch. Es war dunkel im Zimmer und Hedwig packte das Kind blindlings und legte es auf die Schulter. Friedlich summte sie und schaukelte leicht, sodass der Kleine sich beruhigte.
    „Hedwig. Hedwig-Kind.”, sprach die Oma leise. Immer wieder. Hedwig trat mit dem Baby zum Bett der Eltern und suchte im Dunkeln das Gesicht der Großmutter. Was war mit ihr? Warum sprach sie nicht normal? In diesem Augenblick stürzte die Mutter ins Zimmer und drückte auf dem Lichtschalter. Die Oma und Hedwig blinzelten. Hedwig sah die alte Frau an und erschrak. Ihr Gesicht war grau und ihre Hände lagen zitternd auf der Bettdecke. Frau Wilpert hatte ein feuchtes Tuch mitgebracht und kühlte ihrer Schwiegermutter die Stirn und die Schläfen.
    „Oma? Was ist denn, Oma?“, fragte Hedwig ängstlich. Das Baby auf ihrem Arm gluckste.
    „Geh raus!“, befahl die Mutter energisch. „Bring Usch und die Jungen ins Bett.“
    Während Hedwig das Zimmer verließ, hörte sie die Mutter beruhigend auf die kranke einreden.
    „Hendrik, Friso. Ab ins Bett.“ Die Jungen auf dem Küchenboden grinsten sie frech an. „Es ist noch nicht Neun!“, lispelte Friso durch die Lücke seiner Schneidezähne.
    „Mutter hat es so gesagt. Wollt ihr, dass ich euch verpetze? Mutter hast es, wenn man nicht das macht, was sie befiehlt, da wisst ihr!“ Nun gingen die Jungen widerspruchslos in die Betten.
    Hedwig folgte Friso in ihr eigenes Zimmer und machte Ursulas Leselicht aus. Dann schloss sie die Türen der Zimmer und ging mit dem kleinen Bengt in das Esszimmer zurück. Es schellte an der Tür. „Mach auf, Hedwig!“, schrie die Mutter.


    Oma?
    Auf dem Flur standen zwei Sanitäter mit einer Bare zwischen sich.
    „Herzinfarkt hier?“ Hedwig nickte, obwohl sie natürlich nicht wusste, ob Oma einen Herzinfarkt hatte, und die Männer folgten ihr ins Schlafzimmer.

    Oh Gott, Frau Marker. Etwas schreckliches ist passiert. Gerade ist der Krankenwagen gekommen. Meine Oma hat einen Herzinfarkt, haben die Sanitäter an der Tür gesagt. Mutter hat sie eben gerufen. Bengt ist auf meinem Schoß eingeschlafen. Ich hab ihn eben aus dem Zimmer geholt, in dem Oma liegt. Warum habe ich nicht eben mal bei ihr reingeschaut. Ich sitze hier und schreibe und im Nebenzimmer stirbt meine Oma! Was währe, wenn Mutter nicht gekommen währe! Ich hätte es nicht gemerkt, dass es Oma schlecht geht! Ich muss jetzt Schluss machen.
    Ihre Hedwig

    Die Sanitäter hatten Almut Wilpert auf der Bare festgemacht und gingen mit ihr zur Tür hinaus. Immer noch sah sie aschgrau aus. Hedwig legte Bengt in die Wiege im Schlafzimmer und klopfte die Bettdecke glatt. Dann folgte sie der Mutter, die der Bare bis zur Haustür gefolgt war. Mutter sah bedrückt aus, merkte Hedwig und sie legte ihr vorsichtig die Hände auf die Schultern. „Mutter?“, fragte sie mit piepsiger Stimme.
    „Sie bringen sie ins Sankt Aldegundis Hospital. Es ist kein Herzinfarkt.“ Mutter schluckte.
    „Das ist doch gut. Aldegundis ist auch nicht weit. Sie schafft es schon!“, atmete Hedwig auf.
    Doch ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Auch wenn es kein Infarkt war ist es schlimm. Ihr Herz ist zu schwach. Ob sie es schafft? Wer weiß das schon! Gott vielleicht, aber den könne wir nicht fragen.“ Nun fing Hedwigs Mutter an zu schluchzen. Die Tochter fuhr ihr mit der Hand über die Wange. Marilu umarmte sie und zog sie sich auf den Schoss. So verweilten sie lange.

    Liebe Hedwig.
    Hoffentlich geht es deiner Oma bald besser. Vielleicht ist es ja gar kein Herzinfarkt gewesen. Und wenn doch, sterben muss man davon nicht immer. Deine Mutter hat es doch auch direkt erkannt und richtig gehandelt. Sei also nicht so ängstlich. Dich trifft auch keine Schuld! Vielleicht wollte deine Oma nicht, dass du Panik bekommst und sie hat dich nicht gerufen. Bleib ruhig, Kindchen!
    Ich würde deine Geschwister und dich gerne bildlich vor mir sehen. Beschreib euch doch bitte mal. Und auch deine Oma und deine Eltern.
    Viele Grüße, Clementine A. Marker

    Liebe Frau Marker,
    danke für ihre Anteilnahme. Meiner Oma geht es noch nicht besser. Aber auch nicht schlechter. Es war wirklich kein Infarkt, sagt meine Mutter. Ihr Herz ist nur zu schwach.
    Sie wollen eine Beschreibung von uns? Bitte, das lenkt mich wenigstens ab.
    Ich fange mit Vater an. Jost Wilpert hat schwarze Haare und einen graumelierten Vollbart. Er ist normalgroß, so 1,80 m. Und sehr schlank. Meistens hat er zuhause seine Badelatschen an. Wenn er arbeitet hat er immer einen Nadelstreifenanzug an.
    Mutter, Marilu Wilpert, hat lange braune Locken und warme dunkle Augen. Sie ist vollschlank und klein, sie wirkt zierlich, ist aber energisch und stark. Myrte ist pummelig, also nicht dick, aber etwas kräftig. Sie ist ebenfalls braunhaarig und braunäugig.
    Usch hat die selben warmen Augen, aber ihre Haare sind glatt und reichen ihr gerade so über die Ohren, denn sie schneidet sie regelmäßig.
    Hendrik hat Vaters schwarze Haare und dazu blaue Augen. Er hat ein spitzbübiges Gesicht mit einer Stupsnase.
    Friso hat braune Kringellocken, ein breites Gesicht und eine lange Nase, er sieht also ziemlich langweilig aus. Im Moment hat er eine Zahnlücke anstelle seines rechten Schneidezahns.
    Julius und Roxana haben nussbraune Haare, Roxanas gehen ihr bis zur Schulter. Beide haben himmelblaue Augen.
    Daphne hat lange, meist geflochtene brauen Locken, bis zum Po. Ihre Augen sind auch dunkel, aber nicht so warm.
    Tinos Haare sind eine Mischung aus Braun und Schwarz. Seine Augen sind so braun wie eine Nuss und haben grüne Sprenkel.
    Mabel hat, genau wie ich, lange blonde Haare. Sie hat sie bis zur Brust, ich bis zur Schulter. Wir beide haben veilchen-blaue Augen. Wie sehen uns glaube ich ziemlich ähnlich.
    Bengt hat eigentlich noch nichts außer einem Flaum auf dem Kopf.
    Oma Almut hat krause graue Haare, die ihr in Locken um den Kopf stehen. Ihre Augenfarbe weiß ich nicht. Aber sie ist sehr klein, kleiner als ich (1,71 m)
    Jetzt können sie sich uns hoffentlich besser vorstellen, wie wir aussehen. Wie sehen sie denn aus?
    Ihre Hedwig

    Liebe Hedwig.
    So seht ihr also aus. Ich kann es mir vorstellen. Ich selber habe einmal orange Haare gehabt und grüne Augen. Meine Augen sind immer noch grün, aber ich habe jetzt rote Haare. Ich weiß nicht warum, aber es ist so. Meistens trage ich sie zu Schnecken geflochten oder einfach hochgesteckt.
    Du schreibst immer so nette Geschichten von deinem Leben mit den Geschwistern. Ich habe nichts zu berichten. Aber bald kommt meine Tochter mit den Töchtern. Sie wird dolmetschen. Ob sie es kann, wer weiß?
    Viele Grüße an deine Familie,
    Clementine

    Da würde sie sich aber freuen, die Frau Marker. Clementine. Clementine Arnhild. Clementine Arnhild Marker. Wie sollte Hedwig sie eigentlich nennen? Hier hatte sie mit Clementine unterschrieben. Hedwig zerbrach sich den Kopf über das Problem.
    „Mir ist langweilig, Hedwig! Sag mir was, was ich machen kann.“ Myrte kam in Hedwigs Zimmer und schmiss sich auf eines der Betten.
    „Schreib einen Brief.“, riet Hedwig. „An wen? An den Weihnachtsmann?“ Myrte verzog das Gesicht. Myrte hatte keine Frau Marker. Keine Brieffreunde. „Schreib Frau Marker.“, sagte Hedwig in Gedanken. Myrte hob den Kopf. „Klar! Wir schreiben ihr alle! Alle 12.“ Sie schoss aus dem Bett und sammelte Papier und Stifte und Kinder. Sie saßen nun am Esstisch. Mehr oder weniger freiwillig.
    „Die älteste fängt an.“ Bestimmte Myrte und drückte der Schwester den Stift in die Hand. „Los, schreib!“

    Liebe Frau Marker,
    heute werden wir ihnen alle schreiben, alle 12. Soweit das geht. Viel Spaß beim Lesen, Hedwig
    Sehr geehrte Frau Marker.
    Hedwig erzählt immer so Viel über sie, dass wir Ihnen alle schreiben wollten. Mein Name ist Myrte und ich bin 12 Jahre alt, gehe auf die Montana – schule. Schreiben sie doch mal, was sie von Beruf sind. Mutter ist Apothekerin und Vater ist Manager von Rohrtec.

    „Das weiß sie doch schon alles, Myrte! Sie wird sich langweilen!“, maulte Hedwig, doch Myrte zuckte nur mit den Schultern.

    Bis Bald, Myrte Wilpert
    Hallo Frau Marker,
    ich bin Ursula, genannt Usch. Ich bin 11 und gehe auch auf die Montana – Schule.
    Tschüß, Ursula Wilpert
    Guten Tag Frau Marker.
    Sie haben einen schönen Namen. Vornamen, meine ich. Ich heiße Hendrik, das ist blöd. Friso ist aber noch blöder. So heißt ein Prinz aus Holland mit zweitem Namen. Seine Frau heißt Mabel. So wie unsere Mabel. Vielleicht heiraten Mabel und Friso, dann hätten wir ein Prinzenpaar.
    Hendrik Wilpert
    Hallo frau marker.
    Ich bin friso, aber nicht der Prinz und ich heirate Mabel nicht, die ist blöd und ist meine schwester und der hendrik ist auch doof. Sie sind nich doof.
    Friso Wilpert
    Hallo Frau Markt. Nein Marker,
    ich bin julius und ich hab eine schwesär die is Roxana. Si siht mir änlih aba wir sind nich das selbe.
    Schö, Julius wilpert
    Guten tag die dame,
    ich bin die schwässa von Julius, der i doof und wir ist nich das selbä.
    Roxana Wilpert
    (jetzt folgt der Text von Daphne)
    Hallo. Ich kann noch nicht schreiben, darum schreibt meine große Schwester für mich. Unsere Mutter heißt Marilu und so will ich auch heißen, aber ich heiß Daphne. Alle sagen, so heißen nur Gänse. In der Schule, wo ich bald hin geh, ärgert man mich nicht mehr.
    Daphne Wilpert
    (Tino will nicht schreiben)
    (jetzt folgt der Text von Mabel)
    Hallo!
    Das Baby schreit nur. Es sagt nichts.

    Clementine Marker lachte herzlich. Was für Kinder. Wenn Ruth und Dina nur auch so sind wie die Kinder der Wilperts. Sofort setzte sie sich an eine Antwort.

    Liebe Hedwig, Myrte, Ursula, Roxana, Daphne, Mabel, lieber Hendrik, Friso, Julius, Tino (der nicht schreibt), und Bengt!
    Was hab ich mich über eure Zeilen gefreut.
    An Myrte: ich war Lehrerin für Mathematik und Englisch. Aber jetzt bin ich Rentnerin in Berlin.
    An Hendrik und Daphne: Ich finde aber auch, dass Hendrik und Daphne schöne Namen sind.
    An Tino: Hei du, warum willst du denn nicht schreiben? Ich beiße nicht.

    Ihr seid eine wirklich liebe Familie. Ich möchte euch gerne einmal besuchen, aber ich warte besser erst einmal ab, wie es eurer Oma geht.
    Herzliche Grüße, auch an eure Eltern.
    Clementine A. Marker

    Der Brief an die Wilperts blieb unbeantwortet. Marilu hatte den Kindern die Briefmarken weggenommen. „Ihr könnt nicht alle drei Tage einen Brief schreiben. Das wird zu teuer.“, hatte sie gesagt und das Etui der Post in den Nachtischschrank ihres Bettes geschlossen. Hedwig und Myrte maulten eine Zeit lang, doch den Kleinen war es egal und so blieb Mutter hart.
    Dann kam der Vater nach Hause. Mabel, Tino und Daphne fielen schreiend über ihn her und es gab viele Tränen der Freude. Dann stand er auf und begrüßte seine Frau und die anderen Kinder. Ordentlich standen sie der Reihe nach an, um ihn zu umarmen und einen Lutscher, den er den Kindern mitgebracht hatte zu kriegen.
    „Hedwig, Myrte, bringt eure Geschwister nach unten. Passt aber auf, dass sie nicht auf die Straße laufen!“, befahl die Mutter und plumpste seufzend auf einen der alten Stühle.
    „Endlich bist du da. Ich schaff das einfach nicht mehr. Die Kinder und der Dienst und den Haushalt. Was machen wir nur, was machen wir nur? Niemand arbeitet umsonst bei einer Vierzehnköpfigen Familie. Und eine Hilfskraft können wir uns erst recht nicht leisten. Meine Eltern leben zu weit fort, die können wir nicht fragen. Und deine Mutter...sie wird so schnell nicht mehr, sagen die Ärzte.“
    Der Vater legte seiner Frau die Hände auf die Schultern und strich ihr beruhigend über die Wangen. „Wir werden schon einen Ausweg finden, Marilu. Weißt du noch, wie verzweifelt wir waren, als die Zwillinge noch klein waren und du den Unfall hattest? Du musstest wochenlang im Krankenhaus liegen und auch die Großeltern waren nicht da. Doch mein Chef hatte ein Einsehen und ich konnte die Kinder hüten.“
    „Du hast ja Recht. Herr Montag war wirklich sehr nett. Aber jetzt leitet sein Sohn die Firma und er ist kaltherzig und frech. Er wird dir keinen Urlaub geben. Nie.“
    Traurig nickte Herr Wilpert und setzte sich auf die Bank gegenüber seiner Frau.
    „Myrte und Hedwig sind eine große Hilfe, und auch Usch hilft fleißig mit. Aber alle anderen machen sich einen Spaß aus der Freiheit, die wir ihnen geben müssen. Die großen können die kleineren nicht erziehen, sie sind selber noch Kinder.“ Frau Wilpert stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und blickte aus dem Fenster. Ihr Mann griff sich in den Bart und dachte kurz nach.
    Dann brummte er und sprach leise: „Marilu, wir müssen umziehen. Rohrtec zieht um, Montag junior will nach Berlin. Wenn wir nicht mitziehen, bin ich arbeitslos.“
    Marilu Wilpert hob den Kopf erschrocken und blickte den Mann mit großen Augen an. Er scherzte doch nur, oder?
    Doch als sie die näheren Umstände hörte, glaubte sie nicht mehr an einen Scherz.
    „Lass uns die Kinder holen, dann werde ich es erklären. Es muss sein.“
    Er stand auf und winkte den Kindern aus dem Fenster gelehnt zu. Sofort sprangen sie in den Aufzug in der Empfangshalle des Hochhauses und fuhren hinauf in die kleine Wohnung.

    Als die Geschwister die Wohnung betraten, schauten sie schüchtern auf die weinende Mutter mit dem Baby auf dem Schoß und den nachdenklichen Vater am Fenster.
    „Setzt euch!“ Seine Stimme klang rauer als sonst.
    Hastig quetschten die Kinder sich auf die enge Eckbank und Mabel kletterte auf Vaters Schoss.
    Der Vater räusperte sich und fing an. „Kinder, es ist nicht leicht, es euch zu sagen, aber wir werden umziehen. Nach Berlin, in die Hauptstadt. Oder auch eine Stadt in der Nähe. Mal sehen. Rohrtec zieht um, ich muss mit. Arbeitslos werden können wir uns nicht leisten. Mutter wird dort in einer Apotheke anheuern können. Das schlimme ist, dass eure Großmutter uns nicht begleiten wird. Es geht ihr sehr schlecht. Sobald sie aus dem Krankenhaus kommt, wird sie in ein Pflegeheim in Köln ziehen. Sie wird es von ihren Reserven bezahlen.
    Das ist gut, wir haben kaum noch Geld. Ich weiß nicht, wie wir die Wohnung in Berlin bezahlen sollen. Wir bekommen keine Sozialhilfe, denn sowohl Mutter als auch ich arbeiten. Auch wenn wir das Geld bitter nötig hätten.“
    Zuerst starten die Kinder den Vater an. Dann blickte Friso an die Decke und zog immer wieder seine lange Nase hoch. Hedwig und Myrte sahen sich an und flüsterten sich zu: „Zu Frau Marker!“
    Nur das Baby lachte.

    Verflixte Großstadt
    Eine Woche später brach es wie ein Gewitter über die Familie hinweg. Oma war tot. Gestorben. Im Krankenhaus. Auch wenn der Vater zur Zeit Urlaub hatte, war er kaum zuhause. Ständig war er bei der Bank oder er fuhr irgendwelche Verträge unterschreiben.
    Spät abends, es war schon nach Zehn, kam er aus der Stadt zurück und besprach mit seiner Frau die neusten Ergebnisse.
    Hedwig hatte den Vater gehört und sie presste das Ohr an die geschlossene Zimmertüre.
    „Marilu, meine Mutter hat gar nicht so viel Geld gehabt, wie sie selber annahm. Vieles hat sie mit der Zeit ausgegeben. Für das Sankt Antonie Haus in Köln hätte es nicht gereicht. Selbst die Kosten ihrer Beerdigung werden nicht alle von ihrem Geld gedeckt werden. Wir werden einen Teil dazu bezahlen müssen.“
    Die Mutter fluchte unterdrückt und vor Hedwigs innerem Auge zogen die Bilder von Omas spartanischer Beerdigung vorbei. Wie konnte sie viel gekostet haben?

    An einem Morgen, es war etwa drei Wochen vor den Sommerferien, wirbelte Mutter durch alle Zimmer und durchsuchte alle Schränke und Schubladen nach unnötigen Sachen, die sich vielleicht zu Geld machen ließen. Dabei zog sie einen leeren Wäschesack hinter sich her, in der schon einige Dosen und Töpfe sowie Küchengegenstände schepperten. Mit der linken Hand hielt sie den Sack auf und mit der rechten warf sie Hedwigs Bärensammlung weg. Es waren keine wertvollen Teddys dabei, aber Hedwig hing sehr an ihnen. Als die Mutter mit gefüllten Taschen das Zimmer verlassen hatte und das nächste aufsuchte, fing sie an zu schluchzen und die kleine Daphne kletterte zu ihr ins Bett und versuchte die Tränen wegzuwischen. „Meinen Pinguin hat sie auch genommen. Und das Pixi-Heft von der Oma.“, wollte sie die Schwester trösten, die damit aber nicht sonderlich viel anfangen konnte.
    „Alles muss weg. Selbst wir müssen weg!“, jammerte sie nur.

    Hallo Hedwig,
    ich habe mich gewundert, dass ihr nicht auf meinen Brief antwortet! Gestern waren meine Tochter und Ruth und Dina da. Es war unheimlich schwer, mit den beiden zu reden, da meine Tochter selbst kein gutes Deutsch mehr spricht.
    Ruth ist groß und dünn und sie hat blonde Kringellöckchen. Dina ist klein und zierlich und hat ganz lang blonde Haare. Die beiden sind wahre Engel! Sie haben sich fein gemacht und saßen ganz ruhig, aber irgendwie waren sie mir zu träge. Ich brauch Leben in der Bude. Warum kann ich nicht euch als Enkel kriegen?
    Deine Clementine Marker

    Doch immer noch durften die Wilpert-Kinder nicht schreiben. Außerdem hatten sie auch gar keine Zeit, sondern mussten packen, alles so klein und platzsparend wie möglich. Sie hatten kaum Zeit gehabt, die Freunde und Freundinnen vor ihrem Umzug noch einmal zu treffen. Die Eltern schickten Abmeldungen an Kindergarten und Schulen los, sowie die Kündigung von Mutters Arbeitsvertrag und der Wohnung.

    Am Tag des Aufbruches wurde zuerst einmal um den Esstisch herum getagt. Alle Stühle waren schon in Einzelstücke zerlegt, denn einen größeren Umzugswagen als den, der die großen Elektrogeräte und einzelne sperrige Teile transportierte. Umzugswagen konnten sich die Wilperts nicht leisten.
    „Marilu, du fährst mit Hedwig, Friso, Usch, Roxana, Julius und dem Baby mit der Bahn, wir haben ein ermäßigtes Gruppenticket gekauft.“, beschloss der Vater. „Hendrik, Myrte, Mabel, Daphne und das sperrige Gepäck fahren mit mir im Auto.
    Leises Stöhnen und Gemurmel wurde laut, aber die Eltern achteten nicht darauf.
    Der alte, wackelige Kombi der Familie ächzte unter dem Gewicht der vielen Bretter, aus denen Betten, Küche ,Tisch und Stühle bestanden hatten.
    Die Bahnreisenden hatten alle einen dicken Wanderrucksack auf dem Rücken, außer natürlich dem Baby. Hedwig hatte den größten bekommen, das war typisch, schnaufte sie. Das Geschirr und der Proviant der Familie stachen ihr in die Rippen. Friso schob den Kinderwagen vor sich her und drückte dabei mit der anderen Hand das Gewicht der Lampen und Elektrogeräte von sich weg. Die Zwillinge teilten unter sich die Kissen und das Bettzeug auf. Sie hatten jetzt schon eine anstrengende Fahrt mit dem Bus hinter sich. Alle Leute starrten sie an, und die Mutter hörte zwei Jungen über ein Zigeunerpack flüstern.
    „Zug Dreihundertundzwanzig in Richtung Berlin auf Gleis Vier wird gleich eintreffen. Bitte zurücktreten.“, schallte die Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Die Kinder fingen an zappelig zu werden, als sie die rote Lok in die Bahnhofshalle einfuhr und Marilu nahm sie an die Hand. Alle Kinder, außer Hedwig, mussten der Mutter die Hand um ihre legen. Das gab immer ein großes Knäuel an Händen und Armen.
    Endlich stand der Zug und Marilu ging voran. Hedwig ließ Roxana und Julius voran, Usch und Friso folgten ihr. Der Zug war bereits rappelvoll und die Wilperts mussten die schweren Taschen auf die Gepäcknetze legen, damit für sie selber genug Platz blieb. Die Mutter musste stehen, deshalb nahm Usch Bengt auf den Schoß. Gedankenverloren betrachtete Hedwig die vielen hektischen Leute auf den Bahnsteigen und merkte überhaupt nicht, dass der Zug anrollte und aus dem Bahnhof fuhr. Die Landschaft zog an ihnen vorbei und es rauschte durch das offene Fenster auf der anderen Seite des Abteils. Ein Schaffner kontrollierte die Karten und Marilu zeigte auf ihre Kinder. Der Schaffner nickte und ging weiter.

    „Vater, mach doch das Radio an!“, rief Hendrik und versuchte gegen die lauten Fahrgeräusche des Kombis anzukommen. „Die Antenne ist kaputt!“, schrie der Vater zurück. „Singt doch was.“
    Keines der Kinder schien Lust auf Hausmusik zu haben. Vor allem nicht bei dieser Lautstärke.
    Kurz danach hielt der Vater an einem Rastplatz. „Myrte, du gehst mit Mabel und Daphne auf Klo, Hendrik und ich gehen zusammen und wir treffen uns dann am Bistro da vorne. Pass aber auf, dass keiner von euch überfahren wird.“, befahl der Vater Myrte und zog mit seinem Sohn los.

    „Nächster Halt: Brandenburg - Plaue. In den ICE Richtung Berlin bitte auf das Gleis 2 wechseln.“, röhrte eine freundliche Frauenstimme aus den alten Lautsprechern des Zuges.
    Marilu sprang von den Stangen, an denen sie sich festgehalten hatte weg und nahm Usch den kleinen Bengt ab. „Los, wir müssen hier aussteigen.“ Die Kinder versammelten sich mit den schweren Rucksäcken hinter der Mutter und sprangen aus dem Zug, als er hielt und die Türen sich zur Seite schoben.
    „Mutter, müssen wir nicht auf Gleis 2?“, fragte Hedwig vorsichtig. Doch die Mutter schüttelte den Kopf. Wir fahren nicht direkt nach Berlin. Wir werden in ein kleines Hotel gehen und uns dort mit Vater treffen. Wir haben schon gebucht. Dann suchen wir gemeinsam nach einer neuen Wohnung.“
    Die Kinder stapften die Treppen hinunter und drängten sich durch die vielen Leute darauf. Da es ja überall Ferienzeit war, war es ungewöhnlich voll hier. Die Lautstärke schüchterte sogar die sonst nicht leisen kleineren Wilperts ein und sie versuchten immer wieder, das hektische Treiben zu beobachten, wobei sie immer wieder den Geschwistern und der Mutter nachsprinten mussten, weil sie sie natürlich nicht verlieren durften.
    Die Zwillinge und Tino kannten große Bahnhöfe nicht, sie waren noch nie mit in Köln gewesen. Sankt Augustin hatte selber keinen sehr großen Bahnhof.
    Endlich hatten sie die stickige Luft hinter sich und Hedwig sog die frische tief ein. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie noch nicht am Ziel waren und es eigentlich jetzt erst richtig losging.
    Wieder mussten die jüngeren Kinder die Hand von Marilu nehmen, nur Usch und Hedwig liefen frei umher. Die Mutter übergab Bengt wieder der Tochter und faltete mit der linken Hand den Stadtplan von Brandenburg auseinander, den die alte Müller-Witwe ihnen geschenkt hatte. Er war schon reichlich zerfleddert und sicher nicht mehr auf dem neusten Stand. Doch schließlich hatten Marilus Augen die Gegend des Hotels auf dem Plan entdeckt und sie zogen los, entlang der lauten Straßen. Nach einer Viertelstunde erreichten sie eine Kreuzung, auf deren linker Seite, die einzige die noch nicht mit einer hohen Häuserfront bebaut war, sich eine staubige Baustelle befand. Die Mutter zeigte nach rechts und bog auf eine kopfsteingepflasterte, aber breite Straße, mit leerstehenden Geschäften und schäbigen Häusern. „Hier lang!“
    Direkt hinter einer abgebrannten Kirchenruine befand sich ein kleines schäbiges Häuschen, die Schindeln grün vom Moos, die Türe Graffiti beschmiert, die obersten Fenster zerbrochen und nur notdürftig beklebt. Hedwig schluckte, als die Mutter sich strahlend zu ihnen umdrehte. „Das Hotel.“ Sie verbeugte sich stolz davor und auch Usch betete verzweifelt, dass sie nie in so einem Haus leben würden. „Sicher gibt es auch schöne billige Häuser in Berlin und Umgebung!“, dachte sie.

    „Alle Mann wieder bereit zur Abfahrt?“ ,fragte der Vater fröhlich, während er mehrmals versuchte, den Kombi anspringen zulassen. Alle nickten und nach drei Versuchen jaulte der Motor auf und sprang an. Die Fahrt ging weiter, durch völlig ausgedörrte Wälder und über vertrocknete Felder. Im Auto stieg die Temperatur auf über 50°C und alle schwitzten wie verrückt. Doch niemand sagte ein Wort, alle starrten aus dem Fenster, bis auf den Vater natürlich. Hendrik, der vorne saß, kurbelte das klemmende Fenster hinunter und ein frischer Wind durchzog das Auto. Endlich fuhr Jost von der Autobahn ab und bog auf die Bundesbahn Richtung Brandenburg ab. Myrte, die die brennenden Augen fast nicht mehr offen halten konnte, entdeckte das Stadt als erstes. „Ist das Berlin?“, fragte sie aufgeregt.
    „Nein, das ist Brandenburg. Eure Mutter und die anderen sind wahrscheinlich schon dort. Wir sind dort an einem kleinen Gasthof verabredet. Gleich sind wir da.“ Das gab den Kindern wieder eine unentdeckte Frische und sie richteten sich auf und rutschten auf ihren Sitzen hin und her. Die Stadt sog sie in sich auf und der Wald lichtete sich. Kurz vor der nächsten Häuserschlucht musste der Vater noch einmal tanken.
    Doch endlich bogen auch sie auf die Kopfsteinstraße ein und Hendrik las die Beschreibung des Weges vor.
    Sie bogen auf einen Parkplatz ab und sprangen aus dem Auto. „Muss jemand noch etwas aus dem Auto mitnehmen?“, fragte der Vater bevor er es abschloss und Mabel auf den Arm nahm. Sie war eingeschlafen und sah unheimlich süß aus, wie sie den Kopf an des Vaters Schulter lehnte.

    „Da seid ihr ja!“, rief Marilu, als ihr Mann mit der kleinen auf dem Arm die Türe öffnete.
    Sie küsste ihn zur Begrüßung und strich jedem der Kinder kurz aber liebevoll über den Kopf. „Es ist nicht sehr groß hier und Hedwig und Usch sind bei der Gastwirtin, weil sie Bengt das Essen warm machen wollen, dass wir extra eingepackt haben. Ich überlege gerade, wie wir uns zum schlafen aufteilen sollen. Wir haben zwei Zimmer gebucht, und die Wirtin hat uns noch eins kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie sagt, sie liebe Kinder.“ Die Mutter setzte sich auf das schäbige Bett in der Ecke des Raumes und packte den ersten Rucksack mit Bettzeug aus. „Ich denke, wir beide nehmen dieses Bett hier, Bengt wird in seinem Kinderwagen, den hast du noch sicher im Auto, neben uns gestellt. Tino und Mabel legen sich in das kleine Kinderbett hier vorne.“ Sie deutete auf ein Bett neben der Türe zum Badezimmer. „Im Nebenraum werden dann Julius, Friso und Hendrik schlafen. Sie kriegen die Wohndecken, den das Rollo ist kaputt und die Sonne stand den ganzen Tag drauf. Da brauchen sie nicht ihre dicken Decken. Den kostenlosen Raum kriegen die Mädchen. Er liegt jedoch eine Etage höher, dort wo die Scheiben kaputt sind. Darum ist es schon gut, wenn dort die größeren wie Hedwig, Usch und Myrte aufpassen können. Roxana macht ja eigentlich keinen Quatsch, nur wenn ihr Bruder dabei ist.“ Jost nickte und ging um Bengts Kinderwagen aus dem Auto zu holen. Später am Abend riefen die Eltern die Kinder zum Essen und alle versammelten sich im Schankraum des Gasthauses. Die schwüle Luft flimmerte vor den Fenstern und die dicke Wirtin tropfte regelrecht. „Nix wie Hitze! Nur heiß. Nix schien! Mag ich nix. Zu heiß für alte Babuschka.“, schimpfte sie, während sie auf die verkratzten, teilweise gesprungenen Teller Braten und Kohl füllte. Normalerweise mochte Hedwig Kohl nicht so gerne und auch Friso aß es sonst nicht ohne Gemecker, doch heute hatten sie alle einen Heißhunger, sodass Babuschka bald wieder alle Teller auffüllte. „Gute Kohl, nix teuer, aber gute Kohl. Hat Babuschka von Händler an Markt. Markt isse voll von Kinstler, voll von Kinstler. Aber auch Kinstler mit Gemüse.“ brabbelte sie vor sich hin, während sie dem Vater ein dickes Stück Braten auftischte.
    „In Polen, wo ich mit meine Anatoll, mein Mann, herkomme bin, nix gute Kinstler, nix gut! Auch nix gut Kohl!“ Marilu nickte nur und schaufelte weiter das Essen in sich hinein. So gut hatte sie schon lange nicht mehr gegessen, das merkten alle. Sonst war es der ganze Stress, die ihr den Appetit raubten. Auch die Kleinen, Mabel und Bengt, die von Babuschka mit selbstgekochtem Gemüsebrei gefüttert worden waren, lagen pappesatt auf dem Teppich neben dem Esstisch und krabbelten nicht mal umher. Nur Tino, der ja bereits gehen konnte, lief Babuschka wie ein Hündchen hinterher und bestaunte ihre Arbeit.
    „Tinochen, gute Kind. Neugierig wie junges Füllen. Wird gute Mann!“, bestätigte Babuschka den Eltern.
    „Frau Anuschka,...“, fing der Vater an. Doch die energische Frau unterbrach ihn. „Nennt Babuschka Babuschka, nix da Frau Anuschka. Babuschka und Du bin ich.“
    „Gut. Vielen Dank erst mal, Babuschka. Du weißt nicht zufällig, wo man hier eine billige Wohnung herbekommen würde?“
    „Doch, Babuschka weiß! Gleich hier an die Ecke, wo ist kaputte Kirche, da kleines Wohnung. Nix teuer! Babuschka kennt Mann, wo gehört Wohnung. Kann Babuschka fragen, was kostet. Kann ich anrufen. Mann, Vitali, ist Sohn von Mann von Tante von Anatoll, mein Mann. Nix Problem!“
    Die Eltern nickten. „Wir können uns die Wohnung morgen ja mal ansehen. Hedwig, Myrte, Usch, ihr passt auf die jüngeren auf!“
    Doch wieder fiel ihm Babuschka ins Wort. „Nix Kinder alleine bleiben. Babuschka passt auf Kindchen auf. Babuschka auch hatte viele Geschwister. Babuschka war in gräße Familie! Gräßte von Dorf!“
    Hedwig sah die Mutter fragend an. Hoffentlich sagten sie ja. Sie mochte die Polin und es währe sicher lustig mit ihr. Die Mutter fing Hedwigs Blick auf und lächelte. „Eine gute Idee.“, sagte sie und stand auf. „Mabel, Tino und Bengt müssen ins Bett.“ Und sie nahm das Baby auf den linken, Mabel auf den rechten Arm. Tino folgte ihr wiederwillig und winkte Babuschka zum Abschied, bevor er auf der Treppe verschwand.
    „Tinochen gutes Junge! Wir alle werden haben viel Spaß mit alte Babuschka. Anatoll mag auch Kinderchen. Babuschka und Anatoll wollten auch Kinderchen haben, hatte nix geklappt.“ Sie hob bedauernd die Schultern.
    „Wir können ihnen welche abgeben!“, schlug der Vater lächelnd vor und Babuschka lachte laut und dröhnend über die strafenden Blicke der Kinder.
    Auch der Vater stand nun auf. „Nun kommt auch. Ihr hattet einen langen Tag. Ab in die Falle!“ Hedwig stand auf, Myrte und Usch hinter sich. Myrte drehte noch einmal um und nahm Roxana an die Hand, die keine Lust auf Zubettgehen hatte. Sie biss launisch nach Myrtes Hand, aber die drehte ihr nur die Hand auf den Rücken und trug sie die letzten Treppenstufen hoch. Dann begann ein Kampf um die Betten des Zimmers. Es standen nur drei Betten in dem Zimmer. Zwei müssten sich ein Bett teilen. Da öffnete sich die Tür und die Mutter schaute herein. Sie trug Decken und Kissen unter dem Arm und Waschzeug und Zahnbürsten in der Hand. Sie legte Hedwigs Bettzeug auf das vor dem zerbrochenen Fenster und das von Myrte auf das neben der Tür. Also sollten sich anscheinend Usch und Roxana das Bett am anderen Ende des Zimmers kriegen. Es wurde nicht diskutiert, denn wenn die Mutter das so wollte, dann war es besser, ihre Anweisungen zu befolgen. Stumm zogen sich die Mädchen bis auf Unterwäsche und T-Shirts aus und putzten sich an dem fleckigen Waschbecken auf dem Flurende die Zähne. Danach wuschen sie sich flüchtig und gingen noch mal auf das uralte Klo im DDR-Stil. Die Spülung rauschte wie ein Wasserfall, wenn man an der Schnur daneben zog.
    Endlich lagen alle im Bett und Ruhe kehrte in dem Haus ein. Draußen war es noch hell, Hedwig konnte die Lichtstrahlen neben dem Klebestreifen sehen. Sie schwitzte und zog sich das T-Shirt auch noch aus. So lag sie mit Unterwäsche bekleidet in ihrem Bett und dachte an die Oma, an ihre alten Schulfreundinnen und Lehrer, an Frau Marker, die Müller-Witwe, den Hauspförtner, die Kinder aus der Siedlung. Ob das alles ersetzbar war? Nein, die Oma würde nicht wieder kommen. So schlummerte Hedwig ein und begann unruhig zu träumen.
    In ihrem Traum holte Babuschka ihren Bekannten Vitali, der ihnen die Wohnung anbat, die jedoch genauso aussah wie ihre Schule. Der Pförtner kam hinausgelaufen und sagte, er und Frau Marker würden ein Kind bekommen, denn ihr Vater würde Hedwig und das Baby an sie verkaufen. Alles um sie herum verschwamm und verwandelte sich in den schäbigen Gasthof von Babuschka, die auf einmal eine alte Knusperhexe war, sie in das Haus hereinlockte und sie in das Zimmer der Eltern lockte, in dem die Oma starb. Hedwig warf sich zu ihr aufs Bett und schrie nach den Eltern. Doch zu spät, die Oma war tot und stieg auf zu einem Geist, der Hedwig ungeduldig schüttelte und immer wieder schrie: „Nix Hedwig-Kind! Du hast mich umgebracht. Überall diese Kinstler. Ruth und Dina, die Engel, sie haben viel mehr Kohl als du und der is nix teuer!“
    Hedwig schnellte senkrecht auf und fuhr sich mit der Hand über die schwitzige Stirn. Immer noch hallte die Stimme in ihrem Kopf. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag und Hedwig wagte einen Blick auf ihre alte Armbanduhr. Kurz vor Zwei. Hedwig ließ den Oberkörper wieder auf ihr Kissen zurückfallen und sie schubste die Decke von sich weg. Es war unerträglich heiß im Zimmer. So heiß war es noch nie im Sommer gewesen. Alles viel zu heiß! Dann schlief sie traumlos bis zum Morgen weiter.

    Neuer Anfang
    „Aufgewacht Kindchen. Eure Eltern sind schon weg. Weg zu Vitali. Aufstehen, Babuschka hat viel mit euch vor.“ Babuschka fegte in das Mädchenzimmer und zog Usch und Roxana die Decke weg. Hedwig fingerte nach ihrem T-Shirt und zog es rasch über den Kopf. Die blonden Haare klebten an ihrer Stirn.
    Babuschka schloss die Tür, doch öffnete sie sofort wieder.
    „Dusche isse links von Klo! Müsse dusche, isse sehr heiß. Dann zieht euch an und gebt Babuschka eure Sache, Babuschka isse gute Wäscherei!“ Sie lachte herzhaft und laut, dass es Hedwig in den Ohren schmerzte. Sie schwang die Beine aus dem Bett und klapste Myrte links und rechts auf die Wangen, die darauf muffig aufstand. „Ich habe geträumt, dass wir nach Amerika gezogen sind. So ein Mist.“, erzählte Myrte, während sie sich das kühle Wasser in der hintersten Waschkabine über den Körper laufen ließ. Hedwig, die die Kabine daneben hatte, blickte auf den handgeschriebenen Zettel auf der Eingangstür. „Nach dem Duschen bitte die Duschvorhänge zuziehen. Welche Duschvorhänge die wohl meinen?“, schnaubte sie und machte eine ausholende Bewegung mit dem rechten Arm. Tatsächlich hing kein einziger Vorhang vor den vier Kabinen. „Die Ossis haben schon immer gerne FKK betrieben!“, prustete Myrte durch das Wasser. Usch, Myrte und Hedwig lachten. Roxana hatte den Kopf so weit unter den Wasserstrahl gehalten, dass sie nichts hörte.
    Nach einiger Zeit trockneten sich die Schwestern ab und gingen mit Handtüchern umwickelt in ihr Zimmer zurück. Dann gab es Streit, weil Usch Roxana verdächtigte, ihre gute Bluse weggeben zu haben. Hedwig und Myrte mussten die beiden festhalten, sonst währen sie auf einander losgegangen. Später fand sich die Bluse bei den Babysachen.
    Alle hatten noch nasse Haare, als sie beim Frühstück erschienen. „Eure Eltern sind schon lange weg. Haben nix laut gemacht, sagten, Kindchen sollen schlafen. Hat Babuschka Kindchen lange schlafen lassen.“, verkündete Babuschka, als die Mädchen das Zimmer betraten. Auf ihrem rechten Knie hockte Tino, auf dem linken Mabel, mit der hand schob sie den Kinderwagen hin und her. Hendrik und Friso spachtelten Rührei in sich, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen. Julius kam gerade mit einem großen, haarigen Mann durch die Türe und schulterte stolz einen kleinen Tisch. „Babuschka, den hat Anatoll für dich gebaut.“, rief er. Der Mann nickte sanft. Dann wand er sich den Mädchen zu, die ihn verwundert ansahen. Sonst war Julius doch nicht so offen fremden Männern gegenüber. Der stellte währenddessen den kleinen dreibeinigen Tisch vor Babuschka Nase.
    „Ich bin Anatoll Anuschka. Babuschka Mann. Herzlich Willkommen.“ Er sprach besser Deutsch als seine Frau. Myrte, Hedwig, Usch und Roxana erwiderten den Gruß und Usch stellte sie vor. Anatoll wand sich ab und trug auf Anweisung von Babuschka den Tisch in die Küche, die an den Schankraum angrenzte. Dann setzte er sich zu ihnen und nahm eine große Portion Ei. „Lass für Kindchen über, Anatoll!“, befahl Babuschka und Anatoll nickte mit vollen Backen. Daphne rutschte von ihrem Stuhl und stellte sich neben Anatoll. „Baust du mit mir auch einen Tisch?“, fragte sie schüchtern. Der Mann nickte, ohne mit dem Essen aufzuhören.
    „Tino, Mabel, kommt von Babuschkas Schoß runter. Sie muss auch sicher mal was anderes tun, als euch zu betüddeln.“, befahl Hedwig streng, doch Babuschka sah sie erstaunt an. „Du nicht sein so bös zu kleine Kindchen. Babuschka hat sagt, sie kümmert sich um Kindchen von Marilu und Jost, dann Babuschka auch machen. Ich misse nichts anderes machen. Los, esst von Ei. Isse gute Ei! Von gute Hühnchen. Nix teuer, aber gute Hühnchen.“ Und sie hielt Tino mit der freien Hand am Bauch fest, da er auf die große Schwester zu wollte. Stumm mampfte Hedwig Brot mit Marmelade und packte sich noch eine große Schaufel Obstsalat auf den Teller. Sie verabscheute Eier. Schon der Geruch machte sie halb krank.
    „Myrtelein, tust du essen keine Obst? Isse gute Salat, gute Früchte. Nix teuer!“ Für Babuschka schien alles gut, nix teuer.
    Gerade als Hedwig den letzten Löffel Obst verspeiste, kamen die Eltern herein und die Mutter hatte strahlende Augen und rote Backen. Auch Vater sah zufrieden aus. „Vitali vermietet sie uns. Wir können sofort rein. Sie ist spottbillig, aber ganz gut erhalten. Los, Kinder, macht euch fertig, wir wollen anfangen.“, platzte die Mutter heraus und klatschte in die Hände.
    Hedwig, Myrte, Usch, Hendrik, Friso, die Zwillinge und Daphne stellten die Teller aufeinander und sprangen auf. Sie rannten mit der Mutter die Treppen herauf und fingen an die Habseligkeiten zusammen zupacken. Der Vater strich Bengt, Mabel und Tino über die Wangen und bat Babuschka, auf sie aufzupassen. Diese nickte und knuddelte die Kinder. Tino wurde von ihrem Busen beinahe erstickt. Anatoll lachte und schüttelte dem Vater die Hand. Dieser verzog kaum merklich das Gesicht, als die mächtige Pranke des Mannes sich um seine Hand legte.
    Kaum eine halbe Stunde später hatten die Kinder die Rucksäcke geschultert und die Mutter bezahlte für die Übernachtung. Trinkgeld wollte Babuschka nicht annehmen und sie versprach, sobald Vater die kleinen abholte, würde sie ihm frische Lebensmittel mitgeben. Anatoll versprach seine handwerkliche Hilfe und zwinkerte Daphne zu.

    Hedwig legte den Kopf in den Nacken und blinzelte hinauf an der Fassade des Altbaus. Das Haus war beige gestrichen und hatte schleifenartige Kontraste in einem warmen Orange unter den Fenstern. Auch an diesem Haus hatte der Zahn der Zeit genagt. Wie im Haus der Anuschkas waren Fenster zersprungen und die rote Fassade hätte dringend einen Anstrich gebraucht. Im Putz klafften große Löcher. Die Briefkästen des Hauses, es waren vielleicht drei von Zehn belegt, waren verrostet und quietschten, wenn man ihren Deckel hob.
    Doch die Eltern schienen sehr stolz auf ihre neue Wohnung. Sie stiegen mit den Kindern die Treppen bis in den dritten Stock hinauf, wo Marilu erfreut feststellte: „Schaut, Kinder, ihr seid noch nicht einmal auf die Technik angewiesen. Hier kann man Treppen laufen. Der dritte Stock ist doch wirklich angenehmer als der zehnte, nicht?“ Alle nickten und die Mutter ging weiter. Der Vater folgte ihr kopfschüttelnd. Hedwig hielt vor Aufregung die Luft an, als die Mutter mit der freien Hand nach dem Wohnungsschlüssel suchte. Sie hatte ihren Rucksack auf der Hüfte abgestützt. Endlich sprang die helle Türe knarrend auf und gab den Blick auf das neue Heim der Familie frei. Erst sahen die Kinder nur den Flur, dessen weißgetünchte Wände mit vielen dreckigen Striemen übersäht waren. Nach rechts, erklärte der Vater, ging es in drei kleinere Zimmer, dort sollten Kinderzimmer errichtet werden. Geradeaus kam man in die Wohnküche, die nach vorne hin lag, und durch deren staubige Fenster, sie waren tatsächlich noch heil, die helle Augustsonne schien. Marilu ging darauf zu und öffnete es, sodass die Küche wirklich hell und groß erstrahlte. Der Vater führte die Kinder weiter, in den Raum, in den es von der Küche aus nach links ging. Darin befand sich ein Zimmer, das wohl geringfügig kleiner war, als die Küche. „Hier werden eure Mutter und ich schlafen, zusammen mit den Kleinen. Auch von diesem Raum aus gab es eine Tür nach links, sie führte in das rosagekachelte Badezimmer mit den zwei Türen. Die Türe zur anderen Seite ging also wieder zum Flur zurück.
    „Und wer bekommt die drei Zimmer auf der anderen Seite des Flurs?“, fragte Hendrik aufgeregt. Der Vater zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich werden sich Hedwig, Myrte und Usch das größere teilen, Hendrik und Friso und die Zwillinge kriegen die anderen beiden.“, schlug er vor. Danach zogen sie alle noch einmal los, um die sperrigen Teile aus dem Wagen zu holen. In Gedanken hob Hedwig die Tischplatte des Esstisches dessen andere Seite Hendrik und Friso in den Händen hielten. Die neue Wohnung war sogar größer als die alte, staunte sie.

    Frau Marker ging wieder ungeduldig zur Türe um nach der Post zu sehen. Warum schrieb Hedwig denn nicht mehr? Als der junge Briefträger sein Rad abstellte, öffnete sie die Türe ihres Reihenhauses und fing ihn ab. „Post für mich?“, fragte sie hastig. Er nickte und gab ihr zwei Briefumschläge in die Hand. Frau Marker zog rasch die Brille aus der Hosentasche und setzte sie auf die Nase. Enttäuscht ließ sie die Brief in ihre Westentasche sinken. „Nicht dabei.“, seufzte sie und schlurfte verloren die Stufen zu ihrem Wohnzimmer hinauf. Der Briefträger, ein sympathischer junger Mann, schloss die Türe von außen und ging zurück zu seinem Fahrrad.
    Clementine Marker ließ sich in den Ohrensessel plumpsen. Sie hatte sich sehr auf einen Brief von den lustigen Wilperts gefreut. So griff sie nach der Fernsehzeitung und der Fernbedienung, und zappte sich lustlos durch die Kanäle.
    Schließlich griff sie wieder zu Stift und Papier.

    Liebe Hedwig,
    ich bin ein bisschen enttäuscht, dass du jetzt gar nicht mehr schreibst. Hast du keine Zeit oder hast du wirklich keine Lust mehr, einer langweiligen alten Frau zu schreiben? Bitte sei ehrlich. Es kann natürlich sein, dass du auch zu sehr im Stress bist. Oder darfst du mir nicht mehr schreiben? Hat eure Mutter Angst, ich könnte ein Verbrecher sein?
    Bitte Hedwig, antworte bald,
    Clementine Marker

    Zur gleichen Zeit bauten die Wilperts ihre Habseligkeiten auf und diskutierten heftig über die korrekte Aufstellung der Möbel. „Zuerst werden die Betten aufgebaut.“, hatte der Vater angeordnet. Tapfer werkelte Hedwig mit dem Schraubenzieher an Myrtes klapprigen Bett. Endlich, die Kopfteile saßen fest und Myrte sprang auch sofort auf das weiche Polster, das noch immer etwas nach Autoabgasen roch, weil die Matratzen während der Fahrt auf dem Autodach gelegen hatten.
    Nun schraubte Hedwig an Frisos Bett weiter, weil Hendrik noch Vater bei Bengts Wiege half und Friso selber an den Betten von Mabel und Tino baute. Myrte und Usch nahmen sich mutig Hendriks Bettgestell vor. Jeder packte also mit an, während die Mutter begann das Kochgeschirr auf dem zusammenklappbaren Campingkocher zu benutzen.
    Kurz vor sechs, die Betten der Kleinen, Myrtes, Frisos, Hendriks und das Elternbett waren schon bereit, ging der Vater noch einmal zur Gaststätte, um Tino, Mabel und Bengt abzuholen.
    Babuschka trennte sich nur schwer von den kleinen und gab dem Vater zwei Taschen voll Obst, Gemüse, Fleisch und Plastikflaschen voll Limonade und Wasser mit. Es dauerte lange, bis Jost Wilpert die Straße entlang wankte, sodass Marilu zuerst annahm, ihr Mann habe bei Babuschka etwas getrunken. Sie schickte Hedwig und Myrte hinunter, um ihm zu helfen, und die beiden erkannten, dass er vom Gewicht der kleinen und der Taschen taumelte. Hedwig nahm Tino auf den Arm und Myrte nahm Mabel, wobei sie auch noch den zusammengeklappten Kinderwagen die Stufen hochzogen. Der Vater hängte die schweren Taschen an seinen Arm und packte gleichzeitig das Baby. So kamen die drei verschwitzt in der Wohnung an. Marilu lachte und erzählte ihrem Mann von ihrem Verdacht. Auch er lachte und übergab ihr die Taschen.
    „Welche Betten stehen denn jetzt noch nicht?“, fragte er. „Jeder legt sich jetzt schon mal in seines, falls er eines hat.“ Die Kinder rannten wild durch einander, bis jedes sein Bett fand. Die Betten von Hedwig, Usch, Roxana und Julius waren noch nicht aufgebaut und alle packten erneut an. Nur Tino, Mabel, Daphne und das Baby wurden schon ins Bett gebracht.
    Mit nun schon geübten Händen schraubte der Vater mit Julius` Hilfe an Roxanas Bett und die Mädchen taten das selbe an Julius` Schlafgemach.
    Bald darauf konnten die beiden sich in ihrem Zimmer schlafen legen, denn die Eltern und die Mädchen schraubten noch im größeren der drei Zimmer die restlichen zwei Betten zusammen. Als alle Kinder schliefen, ließ sich der Vater auf den Küchenboden fallen. Marilu setzte sich neben ihn und streichelte ihn über die Wange. „Das hätten wir schon mal geschafft. Morgen kommen ja auch der Kühlschrank und der Herd. Das Geschirr müssen wir erst mal im Badezimmer spülen. Das müsste schon gehen.“ Seine Gattin nickte stumm. „Ich werde, sobald wir vom Einkaufen zurück sind, noch einmal zu Babuschka gehen. Vielleicht weiß sie, wo hier eine Apotheke ist.“ „Ich denke, sie weiß es. Wenn wir die Anuschkas nicht hätten. Sie sind uns schon jetzt eine große Hilfe!“ Dann erhob er sich und sie gingen zu Bett.

    „Aufstehen!“ Die Mutter rief laut und klopfte dabei unerlässlich mit dem Kochlöffel auf eine Bratpfanne. Hedwig war sofort putzmunter und strich sich das T-Shirt glatt. Dann hüpfte sie fröhlich in die Küche. „Wow, der Tisch steht ja schon!“, stellte sie erstaunt fest. „Wann habt ihr den denn aufgebaut?“ „Heute morgen. Es war noch nicht mal fünf Uhr, da sind dein Vater und ich aufgestanden und haben den Tisch und die Stühle zusammengewerkelt.“ Die Mutter stellte die Pfanne nun auf den Brenner und füllte Eier und Speck hinein. Nun trudelten auch Hendrik und die Zwillinge ein und setzten sich. „Mama!“, quakte Mabel aus dem Schlafzimmer. Marilu winkte Myrte, die gerade zur Tür hereinkam, dass sie weiter in der Pfanne rühren sollte. Dann eilte sie zur der kleinen. Mabel weinte wie am Spieß und ihr Gesicht war schon ganz rot und verquollen. „Sie kriegt die Backenzähne!“, stellte die Mutter fest und strich der kleinen durch die Haare.
    Aber es wurde und wurde nicht besser mit Mabels Zähnen und nach dem Frühstück hatte sie einen ganz heißen Kopf bekommen, sodass die Eltern beschlossen, etwas zu unternehmen. Hedwig und Usch wurden zum Kiosk geschickt, um Eis zu kaufen und der Vater eilte zu Babuschka, um sie nach einer Apotheke zu fragen.
    Nach Zehn Minuten war er schon wieder da und er sah zu, wie die Zwillinge Mabel mit Eis fütterten. Doch immer noch weinte Mabel herzzerreißend und alle standen um ihren Stuhl herum. Die Mutter packte die Medizin au und nickte zustimmend. „Paracetamol, sehr gut. Senkt das Fieber und wirkt schmerzstillend.“, schließlich verstand sie etwas von der Sache.
    Kreischend nahm die Kleine den Saft ein und dann legte die Mutter sie wieder schlafen. Selbst Tino war etwas bedrückt und wollte immer wieder nach seiner kleinen Schwester gucken. „Warum schläft Mabel?“, fragte er. „Weil sie krank ist.“, antwortete der Vater. „Willst du mit mir einkaufen fahren?“ Der kleine nickte und auch Daphne wollte unbedingt mit. So zogen die beiden solange an Vaters Armen, bis er endlich mit ihnen losging. Vorher rief er seiner Frau jedoch noch schnell die Adresse der Apotheke zu.
    „Und nun?“ Hedwig brannte auf den Augenblick, in dem ihre Mutter ihnen Freiraum geben würde. Dann würde sie schnell rüber zu Babuschka laufen und sie nach Briefpapier fragen. Doch die Mutter gab ihnen eine Menge anderer Aufgaben auf. So verbrachten Hendrik und Usch den Vormittag damit, das Badezimmer zu desinfizieren. Hedwig sortierte die Wäschestücke der Familie in 12 Umzugskartons, die der Vater noch in St. Augustin gekauft hatte. Sie waren sehr stabil und nun als Kleiderschrank zu benutzen. Natürlich konnte man sie nicht aufstellen, und die Wilperts würden nun erst mal „aus dem Karton“ leben müssen.

    Es war schon dämmerig geworden und draußen herrschte schwüle Gewitterluft. Alle hofften auf Regen, doch das Thermometer stieg nur unaufhaltsam. Frau Marker, die zwar nicht gerade alt, aber doch nicht mehr so jung wie früher einmal war, hatte sie sich ins Bett gelegt und die Fenster weit aufgerissen. Das Fliegennetz davor begann zu flattern, als ein warmer Wind in das Zimmer blies. Clementine Marker wachte auf, weil sie den ungewöhnlichen Luftzug nicht zuordnen konnte. Es fing an zu donnern, kurz darauf blitzte es. Schnell stand Frau Marker auf und ging ans Fenster. Mit Angst dachte sie an die ausgetrockneten Wälder, nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland. Sie lehnte sich leicht aus dem Fenster, soweit das gespannte Perlonnetz er zuließ. Direkt neben ihrem Haus begann der Berliner Tiergarten. Kein Wald, aber doch ein nettes grünes Fleckchen in der grauen Hauptstadt. Schon lange hielt sie nichts mehr hier, seit Ernst gestorben war und die Rebecca ausgezogen. Die grünen Wipfel der Tannen ihres Gartens bäumten sich auf, als würden die tiefen grauen Wattebäusche am Himmel sie erschreckt haben. Nun krachte es immer wieder und es begann leicht zu regnen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, und schon wieder hörte man die Sirenen der Feuerwehr. Es waren Stunden, wie diese, in denen die Dame herzlich gerne einen Brief ,wie den von Hedwig entgegennehmen würde. Wieder ging sie vergeblich zum Briefkasten. Schließlich legte sie sich wieder in ihr Bett und schlief wehmütig an vergangene Tage denken ein.

    „Jost, du bist schon wieder da? Ich hatte dich noch gar nicht erwartet!“ Herr Wilpert und seine Kinder betraten die Küche und er setzte sich auf die Eckbank. „Tja, Tino und Daphne haben mit mir schöne Sachen ausgesucht. Alles im Sonderangebot. Hätte gar nicht gedacht, dass man für so wenig Geld so gute Qualität bekommt.“ Er strahlte und seine Frau strahlte halbherzig zurück. „Toll!“, meinte sie nur und packte weiter Gewürze aus einem Rucksack. „Wie geht’s Mabel?“, fragte Tino nun. „Ihr geht es gut, oder, Mama?“ „Der Zahn ist bald da Tino, dann ist Mabel wieder ganz gesund.“, beruhigte seine Mutter ihn. Dann brachte sie die beiden Kinder ins Schlafzimmer, damit sie ihren Nachmittagsschlaf halten konnten. Mabel lag vorübergehend in Uschs Bett.
    Seufzend setzte sich Marilu an den Esstisch und stützte den Kopf in die Hände. „Geht es ihr wirklich besser?“, fragte ihr Mann sie.
    „Der Zahn ist wirklich bald da, und Schmerzen hat sie auch kaum noch welche. Aber das Fieber geht nicht runter. Heute Morgen hatte sie noch 39°, Jetzt ist es mittlerweile 39,5°. Falls es trotz Medikament und Wadenwickeln nicht runtergeht und noch auf 40° geht, müssen wir zum Arzt.“ , erklärte sie. Jost Wilpert nickte und stand auf, um seine kleine Tochter zu besuchen. Mabel war halt schon immer das Sorgenkind der Familie. Sie war eine Frühgeburt und hatte immer leicht gekränkelt, sobald etwas in der Luft lag. Ganz anders als zum Beispiel Myrte. Sie war sicher das einzige der Wilpertkinder, dass nicht krank wurde, auch wenn alle um sie herum es waren.
    Vorsichtig öffnete der Vater die Türe des Mädchenzimmers und zog der Kleinen die Decke etwas weiter nach unten. Er sah die roten Wangen und, als Mabel aufwachte, die fiebrig-glasigen Augen seines Kindes. „Papa!“, sagte es trotzdem fröhlich und streckte die Ärmchen nach ihm aus. Herr Wilpert setzte sich auf die Bettkante und nahm sie auf den Arm. Während er mit ihr Hoppe-Hoppe-Reiter spielte, legte er die Hand auf ihre Stirn. Sie glühte regelrecht und er empfand seine normalwarme Hand fast kalt dagegen. Schnell wurde Mabel müde und der Vater legte sie zurück in das Bett. Marilu kam mit ein paar Ladungen Handtücher, die teilweise in Essigwasser gelegt worden waren und einem Glas Wasser herein. Der Vater stand auf und ließ seine Frau die Wadenwickel anbringen und das Wasser einflößen. Dann gingen beide hinaus und lehnten die Türe nur an.
    „Sehr ungewöhnlich. Bis jetzt hat kein Kind von uns beim Zahnen gefiebert! Vielleicht sind es der Stress und die Hitze. Das wird schon wieder.“ Er umarmte seine Frau und küsste sie.
    „Nun leg dich mal was hin. Ich pass schon auf Mabel auf. Wo sind denn die anderen?“
    Die Mutter nickte. „Hedwig ist nachdem sie die Wäsche sortiert hat mit Hendrik zu Babuschka gegangen. Myrte und Usch sind draußen und spielen mit Roxana Springseil springen und Friso und Julius haben sich mit dem Sohn unserer Vermieter angefreundet und schauen mit ihm fern.“ Jost schob sie ins Schlafzimmer und schloss die Türe hinter ihr.

    Wieder wachte Frau Marker auf. „Diese Hitze!“, jammerte sie laut und stand wieder auf. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen und sie musste sich am Türrahmen festhalten. Doch dann blickte sie wieder klar aus den grünen Augen und ging an den Kühlschrank, setzte sich mit einem Becher vor den Fernseher und ließ sich von den vielen Stimmen einer frühen Talkshow berieseln. Dabei nahm sie wieder einen Schluck aus ihrem Becher. Eiskalter Orangensaft war jetzt genau richtig. Draußen rauschten die Tannen nicht mehr. Es war wieder Totenstille. Auch in den frühen Morgenstunden stand die Luft in alle Räumen, sodass Frau Marker auf dem Weg zur Toilette den Ventilator anstellte. Laut setzte sich der Propeller des uralten Gerätes in Gang. Kurz stellte sie sich davor und ließ das schweißnasse Nachthemd trocknen.
    Als sie wieder vor dem Fernseher saß, wurde ihr Kopf wieder schwer und sie schlief sitzend im Sessel ein.
    Am Vormittag, als Frau Marker den Kopf hob, brummte der Ventilator immer noch. Sie stand auf und stellte ihn aus, sodass er endlich Ruhe gab. Vergeblich suchte die Frau nach ihren Pantoffeln, doch sie waren unauffindbar, sodass sie barfuss über den gefliesten Flur taperte um den Briefkasten zu leeren. Wieder waren zwei Briefe darin. Der eine von einer Werbegesellschaft, die schon seit einiger Zeit ein Werbeplakat an ihren Gartenzaun anbringen wollte. Der andere war ihr eigener, den sie an Hedwig geschrieben hatte. Quer darauf hatte jemand Nicht zustellbar geschrieben. Frau Marker wunderte sich und nahm den Brief genauer in Augenschein. Mittlerweile wusste sie doch die Adresse auswendig, sodass sie sicher war, dass es die richtige war.

    Mabels Fieber sank nicht, aber es stieg auch nicht. Immer noch musste sie in Wadenwickel gebunden und in dicke Decken gepackt im Bett liegen. Der Zahn war in der letzten Nacht durchgebrochen und nun lag sie wieder im Schlafzimmer in ihrem normalen Bett.
    Immer musste einer der Familie bei ihr sitzen und die Geschichte von Pinoccio vorlesen, denn das war ihr Lieblingsbuch. Meistens waren es die Eltern. Doch bald danach, fing für die beiden der normale Arbeitsalltag wieder an. Der Vater fuhr mit dem Auto jeden Morgen nach Berlin, wo die Firma, bei der er angestellt war, mittlerweile angesiedelt worden war. Die Mutter war tatsächlich in der Apotheke zwei Straßen weiter angestellt worden. In fünf Tagen gingen



    Re: Bevor es Morgen wird

    Fleur - 04.12.2005, 11:41


    Wow, wann haste denn den geschrieben? Klasse. ^^
    Hier und da ein wenig unverständlich aber das wird einem beim genauem hinsehen klar...

    Hast du nur vergessen dich ein zu loggen oder was war los?



    Re: Bevor es Morgen wird

    Gini - 04.12.2005, 11:42


    Meine noch müden augen wehren sich jetzt ganz eindeutig diesen endlosen roman zu lesen, aber ich machs bei gelegenheit, sieht supah aus :wink: :mrgreen:



    Re: Bevor es Morgen wird

    Anonymous - 04.12.2005, 12:09


    @Gini lass dir Zeit
    @Fleur: Dankö... Bin noch gar net angemeldet... :-D Geschrieben hab ich das vor längerer Zeit, hatte es noch auf dem PC....



    Re: Bevor es Morgen wird

    Fleur - 04.12.2005, 12:10


    Registrier dich doch, ist viel schöner. ^^ Dann hat man mehr Rechte.



    Re: Bevor es Morgen wird

    Ninchen - 04.12.2005, 12:15


    Schon erledigt :bussi:



    Re: Bevor es Morgen wird

    Fleur - 04.12.2005, 12:18


    Super ^^



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