Kein Name

Indestructible Fantasy
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    Re: Kein Name

    Valbrouel - 21.08.2008, 08:08

    Kein Name
    „Die Suche“

    Ich suche. Natürlich suche ich. Aber die Welt wendet sich von einem ab, sobald man anfängt nach sich selbst zu suchen. Und bis man sich gefunden hat, ist man vollkommen einsam. Was verbirgt sich in einem? Wie ist man in Wirklichkeit? Ist man auf der Suche? Oder wird man nie fündig? Das kann sein. Aber ich muss weiter suchen.

    „Damian!“, klang es plötzlich in der Nähe. Ich schreckte auf und stieß mich an einer Stahlstange. Regionalexpress. Bald musste ich wohl oder übel aussteigen. Und in den nächsten Zug hinein. Manchmal hilft das Geratter der Züge, doch in den meisten Fällen hast du nur Kopfschmerzen davon. „Yo.“, knurrte ich nur leise und rappelte mich, nachdem ich wegen des Schrecks erst aufgesprungen war mich wieder hingelegt hatte. Es war Michael Medwedowitsch, ein Studienkollege aus Wien. Wir haben gemeinsam Komposition gehabt, während er seine künstlerische Profilierung in der Kunst der Violine gestellt hatte. Ich dagegen hatte bisher nur das Konzertdiploma für Gitarre erhalten, aber mich nicht endgültig entschieden, ob ich Komponist oder Künstler werden will. Scheinbar war das wichtig. Für diese „Arbeitswelt“. Mir wurde schon mehrfach der Posten als Militäroffizier in der musikalisch-psychologischen Einheit angeboten, vielleicht als stellvertretender Kommandant. „Beweg dich.“, knurrte Michael und stieß mich mit seinem Koffer in den Rücken. „He!“, knurrte ich und wollte ausholen, ließ es und trat ihm auf die Füße, indem ich aus dem Bett stieg. Er verkniff sich einen Kommentar und schleppte seinen großen Koffer durch die heran strömende Menge. Ich sollte meinen Koffer sowie die Instrumente schleppen. Wir beide sollten an unsere neuen Stellen fahren: Er würde einen Posten an der Fachhochschule Stuttgart erhalten. Ich? Das nächste Studium, während ich als privater Musiklehrer mein Geld verdiene, dass ich wahrscheinlich brauchen könnte. Der Zug hielt, ein gellendes Pfeifen ertönte. Wir schrieben zwar das Jahr 2012, aber viel hatte sich nicht verändert. Nur die Menschen waren verzweifelt, brutaler. Sie stießen einen einfach um. Ich schüttelte den Kopf und stieg als einer der letzten mit einem Sprung aus dem schon wieder abfahrenden Zug ab. „Mann… Nürtingen ist noch schäbiger, als du gesagt hast.“, meinte Michael und kratzte sich ratlos hinter dem Kopf. Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir zwar nicht so gleichgültig wie ich es immer vorgab. Aber ich konnte dagegen nichts tun. Ruinen zerfallen, so spielt die Zeit halt ihr trauriges Lied. Das Einzige was man tun konnte ist sich zu retten. In eine andere Welt. Die Fließen in der Eingangshalle waren zerfallen. Ein zerzauster, abartig stinkender Kerl schnarchte laut auf, das Echo hallte mit. Kein Laden mehr, nicht einmal mehr das Büro des Bahnhofes hatte offen. Ein Dauerzustand. Und wenn jemand kommen würde, wäre das nur der letzte Schrei vor dem Zerfall zu Staub. „Du bist so still.“, stieß mich Michael an der Schulter und grinste. Die Heimatstadt. Im Zerfall. Nur meine Erinnerungen und die schwachen Gefühle, die mich an wunderschöne und herzzerreißende Situationen erinnerten. Peinliche Momente, viel Lachen und auch Wehklagen. Ich hatte keinen Bachelorabschluss gemacht in meinem künstlerischen Fach, sondern nur eine Bescheinigung erhalten um das Studium theoretisch zu Ende bringen zu können.

    Mir fehlte nur noch ein Jahr insgesamt. Ich schulterte meine Gitarrentasche, in der sich zwei Gitarren befanden, ein recht neues Modell, aber schon weitgeläufig. Zusätzlich zum Koffer auf Rollen hatte ich nur eine Hand frei, mit der ich den kleineren Koffer der Violine von Michael hielt. Es war ein kühler Aprilmorgen, gegen acht Uhr morgens. Wir sind von Tübingen mit dem RE losgefahren und machten hier für drei bis vier Tage halt. Ich versuchte nicht meine Fantasie zu aktivieren und mir vorzustellen, wie alle die hier geblieben waren so geblieben sind wie sie sind. Oder auch nicht. „Gehen wir weiter.“, meinte ich kühl und trat aus der Bahnhofshalle. Es war kühl. Der Wind pfiff sein trauriges Lied und ich seufzte. Die Läden waren noch alle ganz, auch die Häuser. Nur alt und schäbig. Aber keine Vandalen hatten sich zu sehr an den Häusern der Bahnhofsstraße vergriffen. Wir schauten nicht uns um als wir die Hauptstraße überkehrten. „Ist es immer so still hier?“, fragte Michael ungeduldig. Ich schüttelte den Kopf. Nicht immer. „Früher nicht.“, hielt ich meine Antwort wieder einmal sehr kurz. Ich schaute mich andächtig um. Immer mehr Erinnerungen kamen auf. Es fiel schwer zu atmen. Entweder hatte sich alles verändert oder gar nichts. Beides tat weh. Beides ließ Erinnerungen aufsteigen. Schöne. Traurige. Das wollte ich nicht. Ich atmete schwer ein und aus. Wir gingen die Europastraße hinab. Zumindest hieß sie früher so. Es war ein langer Weg. Die Kampfsportakademie ist umgezogen. Wohin stand nicht da, scheinbar hatte jemand die Scheibe eingeschlagen. Vielleicht ist die Akademie auch einfach aufgegeben worden. Was ich aber nicht glauben konnte. Alle anderen Läden waren geschlossen.

    Es war Samstag am Morgen. „Wie spät ist es?“, fragte ich halb flüsternd, beinahe schon ehrfürchtig vor der unheimlichen Stille. Vielleicht war noch Veler, ein Kumpel aus der Jugend. Er hatte immer eine große Klappe gehabt, aber sich dann hinter mir versteckt. Aber er war meist aufrichtig und rechtschaffend. Wenn auch sehr „merkwürdig“ und mit einem Alkoholfetischismus. Er war auch schon mit vierzehn Jahren Kettenraucher gewesen und träumte davon „ein großer Verbrecher“ zu werden. Sozusagen. Aber er blieb klein und hatte kaum irgendwelche Sachen in Planung wie Diebstahl oder Mord. Wir waren auf dem Weg in einen Vorort. „Warum haben wir kein Taxi genommen?“, fragte Michael Medwedew. Ich schaute hoch vom zerfallenen Boden und schaute ihn an. „Gibt keine.“, sagte ich letztlich. „Was gibt es hier eigentlich überhaupt noch?!“, fragte Michael energisch. Er war müde, er hatte Wache über unser Gepäck halten müssen, da ich die letzten drei Nächte ständig aufgepasst hatte. Ich wollte mir nicht im Spiegel begegnen, sonst trifft mich der Schreck. – Das hat dich doch bisher auch wenig gestört? Bei der Visage… -

    Mich erinnern viele Dinge an „sie“. Aber das ist nur Nebensache. Meine Freunde. Alle einfach weg. Oder in ihren Löchern hier. Niemand ist draußen. Alles ist in Furcht. Weswegen? Was ist passiert in den letzten zwei Jahren? Wohin fliegen die Vögel? Was ist das nächste Ziel des Windes? Das weiß niemand. Aber eines hatte mich sehr überrascht: „Sie“ habe ich lange nicht mehr in meinen Tagträumen oder Gedanken gehabt. Ich dachte ich wäre darüber hinweg. Trotzdem frage ich mich intuitiv warum ich jetzt nach Tübingen fahre… um dort zu studieren… was zieht mich dorthin? Ich habe es vergessen. Lass mich mit meinen Träumen in Ruhe. Ich will nicht alleine sein, aber auch nicht verletzt werden.

    An der Neckarbrücke standen wir und beobachteten das Dreckwasser am fließen. Wo früher noch eine Art Kraftwerk stand, stehen nur noch rasch zerstörte Überreste davon, die durch Vandalismus, auch zu meiner Jugendzeit schon, mit allerlei Sachen beschmiert waren: „Anna liebt Viktor.“ „Viktor ist ein Arsch. Maria.“ „Wer is hier der King?“ Den Rest schaute ich nicht mehr an, sondern ging strikt weiter, während Michael erstaunt über solche „Kunstwerke“ es nicht ausließ jedes einzelne zu betrachten. Ich ließ ihn, er brauchte auch Zeit für seine eigenen Gedanken. Während ich mir diese Zeit einfach nahm, stahl und entwertete durch allerlei anderer Gedanken. Ich ging weiter. Und traf auf eine erste größere Überraschung. „Soldaten?“, fragte ich laut. Ich schaute ungläubig drein. Vor und im Gelände um das Schwimmbad waren schwere, gepanzerte Kraftfahrzeuge abgestellt, Kisten und ein Meer von größeren Zelten, welche ich dann hinter dem Gebäude des Schwimmbades nicht mehr erkennen konnte. Zudem hatte man eine Art Holzpalisade aufgebaut und erhöhte Posten.

    Ein Gewehr war kurz auf mich gerichtet, der Soldat schien keine größere Gefahr darin zu erkennen und drehte ab. – Was haben die dort gefunden? – Ich schüttelte den Kopf, während Michael sich von den Kunstwerken und dem gleichzeitigen Vandalismus gelöst hatte und einen ähnlichen Blick aufsetzte, sich aber schnell wieder fing. „Ich habe davon gelesen, dass Militärstreitkräfte auch für Ressourcenfindung verwendet werden.“, meinte Michael. Ich nickte. So etwas hatte ich gehört, aber ich glaubte kaum dass man am Schwimmbad irgendwelche Rohstoffe finden konnte. Was konnte man dort gefunden haben, was man dort erschließen konnte und auch für die Engpässe an Energie verwenden konnte. Ein Kohleaufkommen wäre schnell aufgefallen, Erdöl wäre irgendwann auch empor gekommen oder hätte ein Problem dargestellt für den Badebetrieb. „Gehen wir weiter, das geht uns ja nichts an.“, meinte ich und Michael nickte. Es ging uns indirekt schon etwas an, aber jetzt war es eher wichtig jemand anders zu finden und für einen Tag bei diesem unter zu kommen. Alles andere hatte eine eher geringere Bedeutung für diesen Moment. Wir gingen weiter, hielten uns möglichst nahe an den alten Mauern der psychiatrischen Anstalt und schleppten uns bis zum Vorort „Oberensingen“ weiter um dort einen Schulfreund und guten Bekannten zu treffen:

    Auch ein Michael, Michael Ioanis. Hat wahrscheinlich sein Abitur noch machen können ohne Probleme. In anderen Gegenden sah es wahrscheinlich weniger rosig aus. Zumindest waren wir eine größere, ehemals unbekannte Hochschulstadt. Damals vor zwei Jahren hatten wir eine Fakultät für Landwirtschaft. Oder so etwas. Zumindest hat sich kaum eine der im Gymnasium Lernenden für so etwas interessiert. Für was haben wir uns eigentlich interessiert? „Ioanis ruft an.“, meinte Medwedowitsch. Ich nickte und nahm ihm das dröhnende Handy ab. „Damian hier.“ Ich schüttelte den Kopf und fröstelte kurz. Der Wind wurde stärker und pfiff immer unheimlicher. „Wo bleibst du?! Hast du dich verirrt, he?“, kam es gedröhnt. Ich hielt den Hörer wieder etwas weiter weg von meinem Ohr. Sonst würde ich mein Gehör allmählich verlieren. „Ja, wir sehen uns gleich. Halt dich bereit.“, meinte ich locker und wir setzten den Weg fort und zogen in den Vorort, der sehr trostlos wirkte: Kinder saßen am Straßenrand und wussten nicht was tun. Dies haben wir einige Minuten angesehen. Ihre Gesichter waren bleich, beinahe schon wie der Himmel. Ihnen fehlte jegliche Freude. Wir gingen weiter und wurden allmählich müde vom Tragen. Die Hauptstraße führte an ein kleines Café und daran vorbei. Die restlichen Häuser waren grau bis schwarz, verschmutzt oder beschädigt. Medwedowitsch schaute mich nicht an, flüsterte mir aber direkt ins Ohr: „Ist das immer so hier?“ Wie früher?“ Mir stiegen Tränen in die Augen. Nein. Alles war anders. Die Menschen. Die Gegend. Und das wichtigste: Der Himmel.

    – Wo seid ihr nur? Meine Heimat ist zerstört. Wir haben sie zerstört. Wo ist meine Heimat? –



    Re: Kein Name

    Nicodemus Lux - 27.08.2008, 18:59


    hmm, hab nur quer gelesen, gefällt mir aber gut.



    Re: Kein Name

    Valbrouel - 11.10.2008, 19:33


    „Begegnung mit dem Schicksal“

    Wir hatten es uns im Obergeschoss eines alten Hauses bequem gemacht, die „Heimat“ von Ioannis. Sein Zuhause schon seit langer Zeit. Wir waren gute Freunde gewesen, doch in den letzten zwei Jahren war ich nie zu Besuch gekommen oder hatte einen Videochat mit diesem. Es war merkwürdig mit anzuschauen, aber er hatte sich bis auf den starken Bartwuchs kaum verändert. Er war auf der Suche nach etwas. Nur konnte er es im Internet zu Hauf finden. Medwedowitsch machte sich auf dem Bett breit, wenn auch ungefragt. Ich verschränkte die Beine zum Schneidersitz und setzte mich auf eine Matratze. „Warum hast du uns hierher gerufen?“, fragte ich dann laut. Ich hatte nur ein kurzes Telefonat mit ihm gehabt, das von jemand anderem weitergeleitet wurde. Also purer Zufall. „Du erinnerst dich sicher ganz genau. Dein Plan für später.“, sagte Ioannis geheimnisvoll und wandte sich erst jetzt zu mir. Es regnete draußen und die Blicke von Ioannis und mir begegneten sich. Ioannis war immer noch der gleiche Spinner gewesen. „Ich darf es nicht laut aussprechen. Wir werden belauscht.“, murmelte Ioannis und schaute wild um sich herum. Er hatte sich wirklich sehr verändert in der letzten Zeit. In den letzten Jahren hatten wir uns aus den Augen verloren. Er hatte Falten im Gesicht, obwohl er nur zwanzig Jahre alt war. Dunkle, schwarze Ringe waren wie tiefe Furchen unter seinen Augen. Die Frische und das „Coole“ ist scheinbar recht bald verschwunden. Woran kann es liegen, dass sich Menschen so verändern? „Ich glaube zu wissen was du meinst. Die Re…“ – „Genau!“, unterbrach Ioannis mich. Er schaute sich wie irre um sich und wandte sich an den Computer und tippte etwas. „Ja und? Was meint der?“, fragte Medwedowitsch. „Ich habe alles vorbereitet.“, meinte Ioannis und wandte sich ruckartig nach hinten.

    „Ich habe für uns alles vorbereitet.“, sagte er und scharrte mit seinen Armen nach etwas in einer Kleidungstruhe die aus dunklem, festem Holz bestand und wohl auch nicht unter meinem Gewicht ächzen würde. Es donnerte draußen. Den Blitz habe ich nicht sehen können. Interessanter war aber, was unser Ioannis aus der Truhe unterhalb seiner Schmutzwäsche, die er seit Monaten dort aufbewahrte und wohl nicht wusch: Gewehre und Revolver. „Was soll das Waffenarsenal? Ich spiele Musikinstrumente… Nervensäge zum Beispiel.“, sagte Medwedowitsch und lachte laut gellend auf und rieb sich den Bauch. Ich grinste nur. „Meinst du das ernst? Aber uns fehlt der Plan. Leute fehlen, alles einfach.“, meinte ich. „Einiges hat sich hier verändert, Damian.“, sagte er und hielt mir eine Flinte vors Gesicht. „M1014 Joint Services Shotgun.“, murmelte er und lächelte stolz. „Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Aber wir brauchen Leute, die unerbittlich an uns glauben. Und eigentlich will ich …“ – Du willst „sie“ wiedersehen und studieren. Dein Leid vergessen. – „… Ja. Schon in Ordnung. Komm einfach dann und sprich mich an.“, meinte Ioannis. Damit schien das Gespräch beendet. Ich bedankte mich bei Ioannis und wir wurden von einem Kollegen zurück zum Bahnhof gefahren. Es war bereits gegen Nacht. Jeder von uns hatte einen Revolver, eigentlicher Name „Glock 18“, ausgestattet. Ich hatte meine GLOCK Medwedowitsch abgegeben, der einen Waffenschein hatte und solche Waffen mit sich führen durfte. Scheinbar. Nur war das persönlich egal, ob er dann bei einer Waffenkontrolle erwischt wird. Das ist ja seine Sache. Ich beobachtete, wie die Beleuchtungen der Laternenmasten am Fenster vorbeizogen. Es war ruhig auf der Straße nach Nürtingen. Kein Ton war zu hören, außer den Motorgeräuschen des Wagens.

    Ich suchte nach der Wahrheit in der Welt und ihrer Ungerechtigkeit. Schon seit ich klein war. Warum schließt man jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Art aus? Warum ist jemand scheinbar besser und gehört dazu, wenn jemand anders ist dagegen ist man schlechter oder wie? Ich gehörte schon immer zur anderen Seite. Ich laufe einer endlosen Leinwand von Sternenhimmel entgegen und finde keinen Punkt um meinen Blick daran festzuhalten. Ich frage gleich: „Was ist dahinter? Wo geht es weiter?“ Aber es soll vielleicht kein „Dahinter“ geben. Vielleicht. Die Lichtschwaden rauschen vorbei und angenehme Farbtöne umgeben mich, bis sich mein Sichtfarbe sich von schwarz in ein hell gleißendes Weiß verwandelt hatte. Ich fragte mich nicht warum ich hier war. Sondern was wohl als nächstes kommen wird. „Du?“, fragte mich jemand. Es war eine hübsche Stimme, zuckersüß und als ob sie vom Himmel käme. Ich wollte meine Augen öffnen. Doch das war nicht mehr nötig.



    Wir saßen halb erfroren auf den Sitzen des Bahnhofes und warteten auf den ersten Zug, der uns nach Tübingen bringen würde. Mein Herz war am Klopfen. Noch. Allmählich verlor ich die Geduld und wollte flüchten. Ich hatte nämlich gehörig Angst. Wir hatten uns lange nicht mehr getroffen. Das war klar. Sie hatte sic sicherlich vollkommen verändert. Ioannis war das perfekte Beispiel. In der Ferne hörte ich ein Rattern. Ich blickte zur Tür die zur Bahnhofsstraße führte und sah, dass keine Automobile fuhren. Ich wandte den Blick wieder und ein kurzes Pfeifen ertönte gellend in der Ferne. Ich stand auf und ließ meinem Kameraden den Mantel und die Decke, die er ruckartig im Schlafe ergriff und umarmte. Ich streckte mich und zog das Jackett enger, schlang es enger um meinen Oberkörper. Es war kühl. Und der Wind wehte durch die Ritze der undichten Glastür, säuselte scharf am Boden und gab Pfeifgeräusche von sich. Ich lächelte schwach und hob den Blick nach oben. Zum Himmel. Ich hoffte auf eine wollweiße Wolke, die den Himmel insgesamt ein wenig aufhellen würde. Doch dem war nicht so. Die Schlieren von Grau in Grau bedeckten den gesamten Himmel. Das Rattern wurde immer lauter. „Aufwachen, Alter.“, sagte ich nur und schüttelte an Medwedowitsch. Der verpasste mir eine mit seiner Pranke gegen die Nase, leckte sich die Lippen und gähnte laut. – Der ist wirklich ein Bär… - „Was ist?“, maulte Medwedowitsch und streckte sich. „Die Reise geht weiter…“, flüsterte ich und schaute gen Himmel. Graue Schlieren. „Auch schon wach?“, rief jemand hinter uns. Ich wandte mich langsam um und senkte den Blick, bis ich auf das rasierte Gesicht eines alten Bekannten traf, welches mich anlächelte. Ich lächelte zurück. Er zog seine Flinte und schoss damit auf die Decke. „Es kann losgehen, Kameraden.“, meint dieser und verbarg die Flinte hinter seinem langen schwarzen Ledermantel. – Den Modestil hat sich Ioannis von mir abgeschaut. -

    Eine Sirene ging los und eine monotone Stimme begann uns davor zu warnen wegzulaufen, da dies sonst weitere Konsequenzen haben würde. „Schon wieder, verdammt!“, rief Ioannis und schlug gegen die Wand, zog seine Flinte und zerschoss eine Kamera. Ich lächelte nicht sondern packte meine gesamten Sachen und ging auf den verdreckten Bahnsteig hinaus um mich auf die Abfahrt vorzubereiten. Der Wind hatte uns bisher überall hin begleitet, hierhin auch. Vielleicht würden uns diese leichten Lüftchen uns empor heben und helfen und die Koffer in den nahenden Regionalexpress nach Tübingen zu tragen. Aber nichts da. Dafür hast du deine Arme und die Kraft, die du nicht gebrauchen kannst, aber die du auch noch nicht besessen hast. Ich griff meinen Koffer und meine Gitarrentasche geschultert. Medwedowitsch fluchte auf seiner Muttersprache, während sich Ioannis damit beschäftigte auf dem Boden auszuspucken und die Ausscheidungen mit den Schuhen über eine größere Fläche zu verschmieren. „Anfänger. Keine Spuren hinterlassen.“, murmelte ich Ioannis zu und grinste. Ich hatte das Jackett und den Mantel im Soldatenstyle wieder korrekt angezogen und zu Recht gezupft und der Zug kam mit unangenehmen Geräuschen und noch schlimmerer Lautstärke zum Stehen, sodass wir einsteigen konnten. Die Türen gingen quietschend auf und ich sprang als erster in den veralteten, mit Graffiti besprühten Regionalexpress, legte die Koffer an eine sichere Stelle und half den anderen. Denn der Zug würde nicht auf uns warten. Manchmal machen „die“ die Türen zu und fahren ohne Passagiere los. Aber dafür mit deinem Gepäck. Nachdem wir alle eingestiegen sind und uns in ein eigenes Abteil verflüchtigt hatten, konnten wir noch nicht so frei reden wie sonst. „Wen willst du überhaupt treffen?“, fragte Ioannis und traf mitten ins Schwarze mit seiner Frage. Ich schaute aus dem Fenster und wich so seinem fragenden, drängelnden Blick aus. „Ich will nach meinem Studium schauen.“, sagte ich nach einigen Minuten betretenen Schweigens. „Lass mich mal ans Fenster, ich muss eine Rauchen.“, sagte Ioannis und zitterte mit seiner Stimme ebenso wie mit den Händen.


    „Mach halt. Kiffer.“, erwiderte ich und tauschte mit ihm auf umständlichste Weise die Plätze. Er zündete sich den Glimmstängel an und machte einen tiefen Zug. Medwedowitsch, direkt gegenüber von Ioannis sitzend, öffnete das knarrende Schiebefenster. Beide begannen genüsslich oder mit zitternden Händen zu rauchen, wobei sich der eine immer mehr beruhigte, der andere hustete. Ich versuchte mich an einen anderen Ort zu denken, mir etwas Besseres als diesen Waggon, dieses Abteil vorzustellen. Ein Kaugummi klebte am Boden. Jetzt nicht mehr. Jetzt klebt er an meinem Schuh. Ich seufzte und lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Kein Licht mehr. Stille.

    „Nein! Nicht meinen Vater!“, schrie jemand und schluchzte dabei. Ich hatte mich vor Angst in die staubige Ecke zurückgezogen und hielt meinen Körper gegen die Wand gepresst. Schuss. Knall. Schreie. Noch ein Schuss. Blut. Keiner schrie mehr. „He. Da liegt einer. Ist der tot?“, hustete jemand laut. „Gib einen Sicherheitsschuss ab.“, war die prompte Antwort. Ich schloss die Augen. – Muss ich sterben?! Ich… ich… - Ich bewegte mich nicht, zitterte am ganzen Körper. Ich hatte unsägliche Angst. Vor dem Sterben. Was kommt danach? Ein Einschlag. „Sofort hoch kommen! Bazooka!“, schrie jemand von draußen und die vermummten Soldaten vergaßen mich. – Ihr müsst mich doch noch … Ich lebe? Warum ich? Und nicht alle? – Meine Hände fühlten etwas Feuchtes, Warmes. Ich konnte nicht hinschauen, aber die Hand bewegen? Nein. Ich konnte nicht. Ich hatte Angst. Ist es vorbei?

    Ich wachte auf, nachdem ich einen Schlag auf den Kopf erhalten hatte und das Gebrüll erhörte. „Was soll das?“, brüllte Ioannis. „Ihr seht wie Ausländer aus. Also werdet ihr jetzt zur nächsten Station abgeführt. Mitkommen.“, sagte der Soldat mit den schiefen Zähnen und der erhobenen Pistole. „Wir haben die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und mit unseren Ausweisen bestätigen wir diese.“, murmelte ich im Halbschlaf noch. Der Soldat schaute mich an und zog seine Mütze nach oben. „Und? Schert mich nicht. Zeig doch mal her, das Ding. Große Klappe hast du und hoffentlich auch was dahinter.“, ertrug ich die Pöbeleien des Soldaten, der mir immer noch die Pistole gegen den Kopf gezielt hielt. Ich zog vorsichtig meinen Ausweis und reichte ihn herüber. Meine Hand zitterte immer noch von dem Traum den ich hinter mir hatte. Schuss. Schreie. Ein zweiter Schuss. Blut an meinen Armen. Mein Atem wurde immer schneller. Ioannis rannte davon. Er hatte wirklich geschossen.

    ---



    Re: Kein Name

    Nicodemus Lux - 13.10.2008, 19:33


    Beeindruckend, wie du die Atmosphäre erzeugst und die Spannung aufbaust. Respekt!



    Re: Kein Name

    Valbrouel - 19.10.2008, 19:20


    „Fliegende Gedanken“

    Licht. Alles umströmt dich. Gekleidet und gewandet bist du darin. Dein Lächeln ist das eines Engels. Doch versucht schon einen Engel zu küssen in ihrer Unberührbarkeit und Reinheit? Wer würde solch ein Verbrechen begehen können? – Ein verliebter Mensch. – Ich nickte wegen der ehrlichen und eigentlich auch richtigen Antwort des Engels. Kann ein Verliebter oder eine Verliebte jedes Verbrechen der Liebe anbieten und tätigen? – Natürlich. Die Natur des schönen Wahnsinns. – Es war „ihre“ Stimme. Ich lächelte schwach. Alles verdunkelte sich plötzlich. Das Licht verzog sich hinter grauen Wolken. Der Engel wandte sich um und öffnete die Flügel, stieß sich ab mit einem gellenden, schmerzerfüllten Schrei. Schuss. Ein zweiter. Eine Detonation. Ein Regen von Bomben und Raketen fiel vom Himmel hinab. Die Erde unter mir war nicht mehr diese saftige Wiese. Sondern ein schwelender Berg von Asche, Staub und Verbranntem. – Regen im Sommer. Die Gedanken sind frei. -

    Wir hatten uns nach dem Dilemma in ein Dörfchen namens Wannweil zurück gezogen. Es war eine Gemeinde, die genau auf der Strecke Nürtingen-Tübingen lag. Eine hübsche Gemeinde. Wir standen nun vor dem Bahnhof und es war gegen zehn Uhr morgens. Wir hätten etwas zu essen besorgen können und dann den restlichen Weg nach Tübingen zu Fuß schaffen können. Aber irgendwie hatte ich kein Verlangen mehr dazu. Ioannis hatte seine Waffe beseitigt und die Teile seines Gewehrs im ganzen Dorf in einem Schnell-Verzweiflungs-Marathon versteckt. Es war eine kleine, saubere Gemeinde in der wir uns nun befanden. Aber sie war mindestens genauso leer wie die Nürtinger Innenstadt. Das Grau hatte sich ein wenig gelichtet und ließ ein zwei weiße Wölkchen und einen Schuss von blauem Himmel zu. Doch schienen die Schlieren von grau in grau immer noch zu obsiegen. Ich seufzte und wandte den Bick zu Medwedowitsch der ruhig und gelassen wirkte. „Vielleicht sollten wir etwas spielen? Um die Laune und den Bestand unserer Geldbeutel zu heben?“, fragte er. Ich schaute ihn an, wusste nicht was ich darauf erwidern konnte. „Bahnhof ist schlecht. Nehmen wir eine zumindest „bevölkerte“ Gegend wie das Rathaus, dann können wir weiter ziehen durch das ganze Dörfchen.“, rief Ioannis laut und schnaufend aus. Sein Gesicht war rot wie ein alter Londoner Doppeldeckerbus und er schnaufte als ob er gerade um sein Leben gerannt wäre. „Ist er tot gewesen?“, fragte ich ruhig und blickte Ioannis nicht an. „Nein. Ich hab ihm ins Bein geschossen. Der wird’s überleben. Ist ja ein kräftiges Kerlchen.“, murmelte dieser. Ich konnte mir bei dem Wahrheitsgehalt der Aussage nicht sicher sein. Ich hatte nicht auf den Angeschossenen nicht gesehen. Nur das Blut…

    „Das stimmt. Er hat ihm nicht auf die Brust oder den Kopf gezielt. Eher der untere Bereich war Treffpunkt des Schrots.“, formulierte Medwedowitsch gewählt. Ich schluckte und nickte. „Dann los. Versuchen wir uns ein Frühstück zu verdienen.“, meinte ich und lächelte. Ioannis ging als unser ungeliebter Streithahn voran und suchte uns beiden einen Platz. Es wurde allmählich recht warm und ich war sicherlich froh darüber, dass ich bald den langen Mantel ausziehen konnte. Medwedowitsch schaute sich nach Straßenschildern um und las diese besonders laut vor. Für mich waren die Häuser und der Himmel interessant. Der Himmel besonders. Hier war der Himmel heller. Natürlich war er heller. Es war nicht meine Heimat. Zu Hause trifft es einen mehr, wenn alles verrottet und Soldaten die Plätze deiner Erinnerung für Ressourcen vernichten. Erinnerungen voller Schmerz, voller Liebe und auch voller Glück. Was bleibt ist die Erinnerung. Schreie. Fröhliche. „E… Esel!“, rief Ioannis aus und legte einen schnellen Sprint hin der es sicherlich in sich hatte. Esel? Wieso Esel? Und wieso läuft er vor welchen weg? Esel-Phobie? Ich grinste breit doch dann sah auch ich den Schrecken: Esel auf zwei Beine. Manngroße Esel. Ich lächelte. Aufrichtig. Ich erkannte den sprachlichen Akzent. Und obwohl ich früher eine schwäbische Schule besuchte, verstand ich kaum sofort was die dort sprachen. Aber sie lachten. Also ging keine Gefahr aus.

    „Welches Datum haben wir?“, fragte ich schnell. „Den neunten April 2012.“, sagte Medwedowitsch ruhig und zündete sich eine seiner berüchtigten Zigarren an, die er nur zu festlichen anzündete. „Ostermontag!“, rief Ioannis aus und ging erfreut zu den Eseln herüber um ihnen die Kufen zu schütteln. Scheinbar hatte er seine Phobie besiegt und war nur durch den Schreck zum Sprinten veranlasst worden. – Angsthase. – Ich setzte mich auf den Boden ab und packte meine klassische Gitarre aus, streichelte sie zunächst und begann erst dann mithilfe einer Stimmgabel und meines Gehörs zu stimmen. Währenddessen beobachtete ich Ioannis, der versuchte durch zureden auf uns aufmerksam zu machen. „Hm… ich sollte mich auch fertig machen.“, sagte Medwedowitsch und zog seine Jacke aus und legte sie auf die Treppenstufen ab, wo wir spielen wollten. Direkt vor uns waren die Bahngleise, die uns nur wenig störten. Einige Esel gesellten sich zu uns. „Komm. Spiel schon mal was um die zu begeistern.“, meinte Medwedowitsch, während er seinen Bogen spannte und Korrekturen in den Tonhöhen seiner Saiten vornahm. Ich nickte. Asturias Leyenda würde ausreichen.
    Ich seufzte, wie jedes Mal und blickte ein letztes Mal gen Himmel. Der spanische Tanz der Gefühle. Rhythmik und Musik waren in einander verwoben und erzeugten das Feeling, welches man nur an einem sonnigen Tag kurz vor der Fiesta hatte. Doch hier in Wannweil sollte es vielleicht genauso sein. Ich begann und setzte das Stück fort mit immer lauter werdender Lautstärke. Scheinbar waren die Esel begeistert davon, zumindest wollte einer schon eine Art Kastagnetten-Tanz vorlegen, wurde aber kurzerhand von seinen Eselskollegen gestoppt. Der gesangliche Teil näherte sich und die Esel wollten schon klatschen. – Nein, ich werde euch die Melodie von der Sehnsucht spielen. – Ich lächelte kurz und während der Fermate blickte ich kurz gen Himmel. Das Blaue schien über das Graue zu siegen. Nein, es verschmolz. – Weiter. – Die Esel standen da, während ich das Stück beendete und wir noch einige Zugaben gaben. Nach einem schnellen Duo brauchten wir nicht mehr spielen: Man hatte uns in die Uhlandhalle eingeladen. Dort sollte es scheinbar etwas zu essen geben. Ich verneinte. „Vielen Dank. Wir werden aber erwartet.“, meinte ich lächelnd und packte meine Gitarre ein. „Wohin?“, fragte ein Esel mit silberner Mähne mich. „Universität Tübingen.“, meinte ich und Ioannis stieß mich mit der Faust in den Rücken. „Halt die Klappe.“, kam es prompt von Ioannis und er grinste mich breit an. Man hatte uns bereits ein Geleit zur Uhlandhalle von vielen Eseln zusammengestellt. Es war eigentlich kein Problem, wenn ich länger vom Ziel abweichen würde. Aber allzu lange durfte es nicht werden. Ich willigte mit einem Nicken zum silbermähnigen Esel ein und wir folgten der fröhlichen Runde zum Dorffest. Dort sollten wir ein weitaus größeres Publikum haben. Hoffentlich nicht. Aber das kann man sich eigentlich nicht aussuchen. – Eine eselsstarke Gemeinschaft ist das. Muss ich zugeben. Stark, auch wenn die Zeiten nicht rosig sind. –
    Tanz mit mir, Schöne! Lange sollen wir uns an den Früchten der Freude laben und den Genuss früher Liebe genießen. Die Sonne senkt ihr Haupt um dir zu preisen. Doch bin ich nicht bei dir… Winde und Berge zerren mich in einen tausendjährigen Kampf mit mir selbst. Meine Angst eine Antwort die mir nicht gefällt hält mich fest am Tartaros. Flehend schaue ich zunächst hinauf zum Licht. Doch vielleicht ist das alles vergebens? Dann ist das gesamte Leben vergebens! Tanz mit mir und lass mich vergessen. In Träumen ist alles möglich. Tanz mit mir, Tanz!

    Applaus umströmte meine müden Ohren. Wir hatten lange gespielt und ausdauernd auf jeden „Kurzauftritt“ warten müssen. Schon bot man uns für die Unannehmlichkeit die Möglichkeit in der Halle zu übernachten. Wir nahmen an. Es war gegen Mitternacht geworden. Länger durfte man nicht außerhalb der eigenen zwei Wände sein, sonst kämen die sogenannten Patrouillen und würden anfangen herumzuschnüffeln. Ich fragte nicht weiter nach diesen Patrouillen, aber ich dachte mir meinen Teil. Alles ging und ich wollte kurz alleine sein. Ein letzter Blick nach draußen auf den dunklen Himmel. Vielleicht würde das mich auf andere Gedanken bringen. Sirenen heulten auf. Scheinbar war jetzt eine Art Ausgangssperre. Schüsse. Mehrere. – Verdammt. – Ich konnte diesen Gedanken nicht unterdrücken, dass Ioannis sich draußen befinden konnte, da ich ihn nirgends drinnen mehr gesehen hatte. Ich versuche Medwedowitsch aufzuwecken und ihn dazu zu bringen die Pistolen herauszuholen. Vielleicht konnten wir diese ja gebrauchen. Auch wenn wir nicht im Kampf mit Schusswaffen beide nicht annähernd so gut wie die Soldaten da draußen ausgebildet waren. Ich hörte ein Rauschen des Windes, dann das Klatschen einiger Flügel. Am Dach war eine Fledermaus auf der Suche nach etwas Nahrhaftem. Sie störte es nicht, dass Schüsse fielen. Sie wurde ja nicht erschossen. Sondern unser Freund. Vielleicht. Was sollten wir tun?

    Gedanken fliegen. Wie die Fledermaus flattern sie auch einem davon ohne jegliche Rückkehr. Wie Vögel zu fliegen macht sie verwundbar in der Dunkelheit. Doch die fliegenden Mäuse verbreiten ihren Schrecken all denen, die sich vor der Nacht und vor dem Unbekannten fürchten. Vor dem Tod Furcht zu haben ist so wie Furcht vor einer Fledermaus zu haben. Genauso ist die Angst vor dem Leben und eine Entscheidung seines Herzen zu berücksichtigen, die Konsequenzen dafür zu tragen. Doch die Gedanken fliegen, frei wie der ungebändigte Wind, den es überall hinzieht.



    Re: Kein Name

    Valbrouel - 27.11.2008, 19:41


    „Die Ausgangssperre“

    Es war stockdunkel, als wir an die Eingangstüre der kleinen Sporthalle traten. Medwedowitsch warf mir die gesicherte Waffe und dann wenige Momente noch zwei Magazine. Ich sah nicht wirklich viel, sondern musste mich mit der Sicht durch ein Fenster über der Türe begnügen, wohin das Mond- und Straßenlaternenlicht hereinschien. Ich kniff die Augen kurz zusammen und öffnete sie danach nochmals um mich zu vergewissern, dass sich meine Sicht zumindest ein wenig verbessert hatte. Es war ein schöner Mond oben zu beobachten. Ich hielt dann Medwedowitsch dazu an sein Mundwerk zu schließen und nicht zu sprechen. Er hustete nicht sondern bis sich in den Unterarm um ein Husten zu unterdrücken. Draußen waren Schritte auf dem steinunterlegten Pfad zu hören. Ich leckte mir die Lippen, die sich wie die Sahara anfühlten. Der Mond schien mir hell entgegen und der Himmel war unbewölkt. Ein Wunder. Keine grauen Wolken am Himmel, die mir die Sicht auf den klaren, jungfräulichen Himmel verunschönerten. Aber dennoch war Gefahr in der Luft, ich konnte sie spüren. Und jetzt auch hören: Stampfende Stiefel mit harter Sohle, vielleicht auch mit verstärkten Stahlkappen, kamen immer näher, wurden lauter und schallender. Dazu eine Art Pfeif-Melodie. Fröhlich war sie, beinahe schon verliebt. Der Mond lachte uns mit seinem Licht entgegen. Medwedowitsch konnte ein Husten nicht mehr unterdrücken. Ich lud in diesem schnell meine Pistole und schaffte es dabei nicht sie zu entsichern. Meine Hand zitterte als ich versuchte die Waffe zu entsichern. Doch Medwedowitsch hatte zum Glück aufgehört zu husten. Ich hob die Faust und fuchtelte mit ihr. „Da ist was.“, murmelte eine jungenhafte Stimme mit Basstönen im Klang und wir hörten ein Klicken. Das Pfeifen der Selbstverliebtheit hatte scheinbar ein Ende gefunden. Es war Schluss mit lustig. Wir mussten bereit sein für einen Angriff. Ich schaute mich um. Nichts zum Deckung finden. Wir waren eins auf eins mit dem Soldaten, der einen entschiedenen Vorteil haben konnte: Sein Gewehr könnte eine stärkere Durchschlagskraft haben als unsere Pistolen. Könnte? Ich mache Scherze: Höchstwahrscheinlich. Und bei einem Schusswechsel gehen wir eher drauf. Ich an erster Front. Dabei wollte ich nie kämpfen, nur mich und andere verteidigen können. Mehr nicht.

    Die Dunkelheit umfing mich und nur wenig Licht war im Gehölz vorhanden, sodass meine Augen nicht lange brauchten um sich daran zu gewöhnen. Ich hustete, den Sporen waren durch meinen Aufprall aufgewirbelt worden. – Wo bin ich? – Die Frage war interessant. Aber banal. Ich sehe es ja. Ich wischte mir die Sporen aus dem Gesicht und fühlte, dass ich verschwitzt war und meine Augen feucht war vom natürlichen Tränen der Augen. Doch war es nur eine natürlich Reaktion tränende Augen zu haben? Oder weinte ich indirekt wegen etwas anderem? Vielleicht. Ich versuchte mich aufzurappeln und stieß auf Widerstand des trockenen Unterholzes. Ich schaute nach unten und sah, dass mein linkes Bein stecken geblieben ist im vielen Gestrüpp und aufgeschichteten Holz. – Hexenverbrennung? – Fehlte nur noch jemand, der das alles anzündet indem er eine Zigarette hineinwirft. Dann ist der Tag perfekt. – Doch was wäre danach? Die Frage die wichtiger war als alles andere für mich: Was kommt danach? Was passiert mit mir nach Handlung X? Welche Folgen? Aber ich lebte das Leben nicht. Ich genoss es nicht. Ich hatte schon immer Probleme gehabt mit dem anderen Geschlecht. Banale Probleme. Ich konnte nicht mit jeder so offen sprechen. Besonders waren Zeichen für mich schwer zu deuten. Was jetzt nur Flirt ist oder was wirklich etwas sein könnte. Das hat mir schon oft genug Schmerzen bereitet. Bis heute. Plötzlich viel ein Feuerpfeil vom Himmel. – Muss ich jetzt sterben? Ist dies das Ende? Was kommt danach? Fragen, die ich frage werden nicht beantwortet. Weil die Antwort so einfach ist. Der Sinn des Lebens ist… -

    Ich zuckte auf und stieß beinahe mit dem Kopf gegen die Wand. Es war so ruhig. „Er ist weg. Du bist plötzlich umgekippt, keine Minute später. Konnte dich noch auffangen.“, meinte Medwedowitsch. Er hatte einen Waffengürtel um. Ich bemerkte, dass ich nun auch einen trug. „Die kleine Misshandlung lass ich gelten.“, grinste ich schwach und hustete. „Ioannis! Wo ist der?“, fragte ich. „Weiß ich nicht. Das Handy gibt nichts her.“ Ich nickte auf diese Antwort nur. Mehr konnte man da auch nicht tun. Ich versuchte aufzustehen. Denn ich hatte eine Idee. „Wohin willst du?“, fragte Medwedowitsch laut und kratzte sich an seinem behaarten Kinn. Er hatte sich mehrere Tage lang nicht rasiert, also sah er schon ein wenig wilder aus als auf seinen Bewerbungsunterlagen. Zum Glück hatte es noch Zeit für eine Rasur. Und auch konnte mir eine genehmigen, sonst denkt man ich wäre eine Art „Che Guevara“-Anhänger. Vielleicht bin ich das. Aber eigentlich musste man nicht jemandes Anhänger sein um gewissen Motiven nachstreben zu können. Als ich kleiner war hatte ich von Heldentaten geträumt. Als ich größer wurde von der Revolution. In der Oberstufe war es nur noch etwas für die Nachwelt zu lassen. Aber bisher ist noch nichts dergleichen geschehen. Schicksal? Gibt es vielleicht. Aber nur vielleicht. „Wir können ein Telefonbuch benutzen und Leute aus dem Ort anrufen und fragen, ob jemand diesen bei sich hat oder draußen herumlungern gesehen hat.“, schlug ich vor nach reiflicher Überlegung, auch über dies und Gott. Und Nicht-Gott.

    Medwedowitsch nickte und wir suchten im Dunkeln die kleine Stube, wo man die Schlüssel sowie ein Festnetztelefonanschluss und Ortstelefonbuch finden konnte. Wenn wir diese Stube finden würden. „Klingt plausibel.“, war die Meinung von Medwedowitsch. Ich nickte knapp. Wir machten uns auf, die Beleuchtung unserer Handydisplays verhalf uns zu ein wenig Licht, sodass wir noch unerkannt hier in der Halle waren. Wenn wir das Licht der Halle einschalten würden, hätten wir wieder die Soldaten am Hals. Und sicher nicht nur einen, das war klar. Und so viel Munition und Glück gab es nicht um gegen mögliche Panzerfäuste anzukommen. Wir wären hier in der Halle, unter der Halle begraben. Ich schlich mich nach vorne, entdeckte im letzten Moment noch einen Tisch, sodass ich diesem ausweichen konnte. Medwedowitsch hatte da weniger Glück. Er stieß mit dem Kopf voran gegen etwas und fiel dumpf zurück. „Alles in Ordnung?“, fragte ich dann leise. „Hm… ja. Ich blute. Aber geht.“, meinte Medwedowitsch. Auch wenn sein Nachname einen „bärenstarken“ Wortstamm hat, war er selbst nicht so. Aber er hatte einen steinharten Willen. So hart wie eine Bärenpranke. Er rappelte sich hoch wie ich aus der Ferne hören konnte. Ich schlich weiter und tastete mich teilweise voran. Es war dunkel. Ich hatte keine große Angst vor der Dunkelheit selbst. Nur die Ungewissheit nicht zu sehen was auf mich zukommt, wenn es kommt ist erschreckend groß. Ich atmete schwer und die Fledermaus ruhte sich an der Decke aus und hieß die tiefe, schwarze Nacht willkommen.

    „Ich hab es gefunden!“, rief Medwedowitsch und schaltete eine kleine Tischlampe ein. Ich konnte jetzt das Ziel sehen und somit wusste ich ungefähr wo ich mich hinbewegen musste. Wie er es geschafft hatte war mir nicht wirklich klar gewesen, aber dies tat nichts zur Sache. Ich kroch weiter, vorsichtig um nichts umzuwerfen und somit Lärm zu erzeugen, auf allen Vieren durch die Gänge, die sich durch die Tisch- und Stuhlreihen gebildet hatten. Es war, als ob du um einen schlafenden Drachen kriechen müsstest um den Schatz bergen zu können. Aber solch ein großer Schatz war es wohl nicht. Nur ein altes Telefon, nicht einmal schnurlos. Medwedowitsch begann überall anzurufen. Er hatte mit den Leuten öfter geredet, besonders mit den Eseln. Ich dagegen war ruhig da gesessen in den Pausen, still in einer Ecke und habe einfach nur beobachtet. Richtige Konversation wollte ich mir nicht zwingend antun. Ich lehnte mich dann an die Wand und horchte, beobachtete die Fledermaus am davon flattern. Die Flügelschläge hallten in dieser scheinbar idyllisch unheimlichen Stille wieder. Der Applaus schallte in der dunklen Nacht wieder. Ich schluckte. Ich fürchtete um Ioannis. Wenn er alkoholisiert herumlief, konnte das schwere Folgen haben. Vielleicht sogar seinen Tod, da er bei Ausgangsverbot draußen herumlungerte und gleichzeitig voll und blau wie ein Walross war. Sind Walrösser eigentlich blau? – Glaubst du selber nicht und Mäuse können fliegen. -

    Medwedowitsch tätigte die Anrufe, während ich beide Pistolen hielt und Wache hielt, dass niemand durch die Türen eintreten würde, den wir hier nicht haben wollten. Ich konnte schwören, dass der Soldat sicherlich den Lärm gehört haben muss und Verstärkung holen würde. Also mussten wir schnell unseren Ioannis in den Armen einer Frau finden, sie beim Geplänkel stören und dann wieder nach getaner Bosheit wieder einschlafen. – Du bist natürlich besorgt. Aber deine eigene Haut kannst du selber kaum schützen… ohne deine Freunde wärst du aufgeschmissen. Total. – Da musste ich meiner inneren Stimme leider zustimmen: Alleine ist man oder bin ich nichts. Oder nichts Besonderes. Aber gemeinsam kann man viel mehr erreichen. Das hat alleine der heutige Tag bewiesen. „Man hat ihn gefunden? Ist er verletzt?“, fragte Medwedowitsch plötzlich und lockte meine Neugier zu sich. Medwedowitschs Telefonhand senkte sich kurz und Entsetzen machte sich auf seinem Gesicht breit. Es war still. Nicht einmal unser Atem oder Herzschlag war zu hören. „Er… stabil. Wird… gefahren von Soldaten. Festgenommen.“, stammelte Medwedowitsch. Ich nickte. „Lass… uns schlafen und morgen nach ihm suchen. Ein Versuch ist es wert, sonst können wir morgen nicht alle unsere Kräfte nutzen um Ioannis zu helfen.“, meinte ich und ging wieder in die Festhalle. Ich seufzte und schaute hinauf zum Mond. Draußen waren in der Weite Schüsse und Sirenen zu hören. Die Fledermaus ist dahin, geflohen vor dem scharfen Geruch von Kampf und Gefahr.



    Re: Kein Name

    Nicodemus Lux - 25.02.2009, 20:23


    Erwarte gespannt die Fortsetzung!



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