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Blackwood, Caroline - Uroma Webster




Blackwood, Caroline - Uroma Webster

Beitragvon Dr.Who » 21.05.2008, 19:47

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Uroma Webster ist ein altes Fossil ohne näher benanntes Alter das Tag ein Tag aus in ihrem rückgradbrechenden Lehnstuhl im Salon sitzt und stundenlang nichts anderes macht als die gammelige braune Wand anzustarren und warten bis die Zeit vergeht. Wie ein alter Drache sitzt sie in ihrer zugigen und weder im Winter noch Sommer beheizten Hütte auf dem unermesslichen Familienvermögen von dem ihr aber noch kein einziger Penny ausgekommen ist um ihre Kinder, Enkel oder gar Urenkel zu unterstützen…auch wenn sie es manchmal wirklich mehr als nötig gehabt hätten.
In dieses düster morbide Idyll schneit eines Tages ihre nicht näher benannte Urenkelin hinein. Nach einer leichten Operation wurde sie aus der Stadt aufs Land zu ihrer Uroma geschickt um innerhalb von zwei Monaten leichter an der frischen Meerluft zu genesen.
Nach dem die beiden Monate endlich um waren, in denen wirklich rein gar nichts geschah, und das damals 14 Jahre alte Mädchen gerade im Begriff war in den Zug zu steigen machte ihre Uroma eine Bemerkung die sich in ihrem Kopf festsetzte:
…dein Vater war der Einzige der mich je besucht hat…
Anfangs nicht daran denkend beginnt die Urenkelin doch drüber nachzusinnen. Selber fragen konnte sie ihn nicht da er bereits vor einigen Jahren, als sie gerade 9 war, im großen Krieg, in Burma, gefallen ist.

Jahre später.
Die uns bereits bekannte Urenkelin der alten Webster sitzt bei ihrer Tante Lavinia im Zimmer und fragt sie ob sie vielleicht wisse warum ihr Vater (und Lavinias Bruder) seinen Fronturlaub während des Krieges dazu benutzte um seine Großmutter- ihre Urgroßmutter zu besuchen. Lavinia, die nach einem Selbstmordversuch erst gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, mutmaßte das ihr Vater vielleicht auf das Geld aus war das die Uroma hütete denn sonst sei es nicht zu erklären warum man freiwillig so eine alte Vettel besuchen sollte.

Noch einige Zeit später.
Die Urenkelin bekam die Gelegenheit eines Mittags mit einem alten Freund ihres Vaters zu essen und zu sprechen, Tommy Redcliffe. Auch an Tommy erging die selbe Frage:
Warum besucht ein Mann der mein Vater ist so eine alte Schabracke?
Tommy meint das es vielleicht für ihren Vater ein gewisser Ausgleich zum unberechenbaren Kriegsalltag war. Bei der Webster wusste er was ihn erwartet, er musste sich nicht anstrengen um ihr zu gefallen und über Besuch hat sie sich sicher immer wieder gefreut, auch wenn sie es nicht so offen zeigte.
Tommy, erst mal angefangen zu reden, erzählte dann immer weiter. Wie es war als einer der ganz wenigen von ihrem Vater auf den heimatlichen Landsitz in Irland eingeladen worden zu sein. Wie er ihren Großvater, den er gut leiden konnte, erlebte der sich Tag und Nacht im Kummer wegen der exorbitanten Schulden befand die er mit dem Anwesen damals geerbt hatte. Und das seine Frau dem Wahnsinn verfallen sei und später in die Irrenanstalt eingewiesen wurde. Wie er sich eine schwere Verkühlung in der Bruchbude mit undichtem Dach und ewigfeuchten Bettlacken geholt und die aufsässigen Dienstboten kennen gelernt hatte. Und dann auch noch auf die beiden bösen Tanten traf denen man eigentlich nie was Recht machen konnte.

15 Jahre später
Unsere Urenkelin ist nun fast 29 und weis noch immer nicht warum ihr Vater die Uroma so gerne besuchte. Nur eines scheint sicher, das ihre Familie nicht ganz normal gewesen sein kann, wie ist es sonst zu erklären das ihre Uroma Webster das ganze Familienvermögen der Gesellschaft für Euthanasie vermachte?


Caroline Blackwood (1931-1996) legt mit diesem gerade mal knapp 120 Seiten umfassenden Büchlein eine stramme Leistung hin. Nicht nur reicht die Erzählung über 4 ganze Generationen auch scheint die Autorin ein Familienopus auf ein Minimum eingedampft zu haben. Ausgehend von der Uroma Webster begibt sich die namenlose Urenkelin auf Spurensuche.
Nur an der Geschichte ihres Vaters interessiert offenbart sich ihr bald eine recht bewegte Geschichte einer etwas anderen aber dennoch erschreckend normalen Familie.
Ich ertappe mich gerade dabei auf meinen Schreibtisch umherzulinsen wo noch solche Schwarten wie Die Buddenbrooks oder auch Melnitz herumliegen.
Warum immer so dick und ausufernd wenn es denn auch so schön kompakt und handlich wie in Blackwood´s Roman geht?
Geschrieben mit leichter Feder, die auch schon mal zwischen Trauer und Ironie schwankt, bietet das Buch einen recht kurzweiligen Lesegenuss.
Natürlich bleibt vieles dabei auf der Strecke. Die Charaktere sind leider etwas blass geraten und so scheint auch das eine oder andere erzählerische Potenzial links liegen gelassen worden zu sein. Nicht nur einmal denkt man das mehr möglich gewesen wäre.
So wird auch das Schicksal von Tante Lavinia, sowie auch andere Begebenheiten, in nur einem einzigen Satz abgehandelt was ich als etwas störend empfand.

Dennoch ist der überwiegende Eindruck positiv. Es ist jetzt zwar kein Buch das man gelesen haben muss aber Fans tragisch/traurig/komischer Situationen sollten mal einen Blick riskieren. Denn besser hätte Tim Burton das Setting auch nicht hinbekommen und das letzte Kapitel sah man in ähnlicher Ausführung auch schon bei den Gebrüder Coen in ihrem Big Lebowski.
Dr.Who
 

von Anzeige » 21.05.2008, 19:47

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