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Grushin, Olga - Suchanow verkauft seine Selle




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Grushin, Olga - Suchanow verkauft seine Selle

Beitragvon Krümel » 16.09.2007, 13:06

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Ein großartiges Werk! Ich bin auf der ganzen Linie begeistert, sprachlich, formell und von der Thematik her, ein absolutes Highlight in diesem Jahr!

Schon direkt auf den ersten Seiten fällt diese schöne umschreibende und gepflegte Sprache ins Auge. Grushin benutzt viele Adjektive um Dinge und Gefühle präzise zu beschreiben: “Die Straßenlampen wirken wie große orangefarbene, lautlos im Dunst schwebende Luftballons, und ihr Licht ließ die aus dem achtzehnten Jahrhundert stammende Fassade der alten Moskauer Universität hell erstrahlen, so dramatisch und wohlbekannt wie das Bühnenbild einer schal gewordenen staatlichen Inszenierung.” (Seite 10)
In dieser wohl ausgewählten Sprache erzählt sie uns von der Figur “Suchanow”. Eine Person, die dem Leser nicht sympathisch ist; denn er ist ein ziemlich oberflächlicher Mensch. Er ist angepasst in das sowjetische Regime, leitet eine Zeitung “Kunst und Welt”, und urteilt über die zeitgenössische Kunst wo die “Moderne” nicht einen Fuß fassen darf und kann. Auch privat lernt ihn der Leser kennen. Sein größtes Kunstobjekt ist seine schöne Frau, die er eher als Gemälde betrachtet, denn ihr Innenleben ist ihm fremd. Zu seinem Sohn fühlt er sich hingezogen, und seine revolutionäre Tochter kann er nicht begreifen. Seinen Fahrer, obwohl dieser ihn schon Jahrzehnte durch Moskau chauffiert, kennt er nicht mit Namen; und seine Haushälterin, ebenfalls schon sehr lange bei ihnen beschäftigt, wirft er kurzer Hand vor die Tür.
Ja, Suchanow ist ein richtiger Ekelpitter, und kommt im ersten Teil des Romans nicht gut weg! Doch dann wird Stück für Stück die Vergangenheit aufgedeckt, und nach und nach erfährt der Leser aus welchen Gründen Suchanow zu dieser Person geworden ist. Denn Suchanow hat irgendwann mal seine Seele verkauft. Sein Umfeld, sein Land und seine Familie ließen ihm keine andere Wahl, und so steht er nun in der Mitte seines Lebens vor einem Scherbenhaufen. Zwei Seelen leben in seiner Brust, und Mitte der 80 er, als in Russland alles wieder aufflammt, neue Kraft schöpft, meldet sich seine wahre innere Stimme zurück.

Und dies schreibt Grushin mit sehr viel Gefühl und großem Talent. Sie lässt ihrem Protagonisten aus zwei Perspektiven berichten: Als Erzähler erscheint das Erlebte von weit her und fremd; schlüpft er in die Rolle seines Selbst wird er zum Ich-Erzähler, verhaftet in seiner Mitte wenn seine Gedanken wirklich die seinen sind.
Auch vermischen sich Traum und Realität gekonnt im Roman. So kann eine Türe mit einem Schlüssel geöffnet werden, der Leser tritt ein, und befindet sich in einer anderen Handlung wieder.

Zum Schluss ist alles offen! Das Kartenhaus ist zusammengebrochen, eine wohlgewünschte Richtung ist angelegt, der erste Schritt gemacht …, aber wie sich die Handlung weiterentwickelt bleibt dem Leser überlassen.

Ich kann mich nur wiederholen, ein großartiges Werk! Dies ist Literatur in Kunstform! Olga Grushin kann nicht nur mit Worten und Sprache umgehen, sondern sie hat zudem auch noch ein hochinteressantes Thema verarbeitet! Absolut Spitze!

Dies ist ihr Roman-Debüt und in freudiger Erwartung begegne ich ihre weiteren Bücher!

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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