Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Ishiguro, Kazuo - Als wir Waisen waren




Ishiguro, Kazuo - Als wir Waisen waren

Beitragvon alwin03 » 08.07.2007, 08:28

Titel: Als wir Waisen waren
Autor: Ishiguro, Kazuo
Verlag: Albrecht Knaus Verlag
Ausgabe: 2000
Seitenzahl: 349
ISBN: 978-3813501681


Der Autor:

Ishiguro wurde in Japan geboren und lebte dort bis 1960. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Familie nach England. Ishiguro studierte zunächst an der University of Kent Englisch und Philosophie (Bachelor 1978) und schließlich an der University of East Anglia (Master 1980). Er engagierte sich in den 1980er Jahren an zahlreichen sozialen Projekten. Dabei lernte er auch seine Frau kennen, die er 1986 heiratete. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner Tochter in London.

Kurzbeschreibung:

Aus der Amazon.de-Redaktion
Willkommen im Reich der postmodernen Narrativität ( Narri! Narro!). Nun gut, Scherz beiseite, wer Ishiguro kennt, wird, auch wenn es sich wie hier um eine Kriminalgeschichte handelt, ohnehin keinen Schlaf raubenden Reißer erwarten. Kunst darf (muss?) schließlich auch ein wenig anstrengen.

Was uns erwartet: Christopher Banks, der Protagonist des Romans, ist, nach erfolgreichem Universitätsbesuch, zum berühmtesten Londoner Detektiv der 30er Jahre geworden. Er ist ein Philosoph, ein Metaphysiker des Detektivischen. Doch was treibt ihn ins Investigative? Wir erfahren es mittels ausführlicher Rückblenden. Banks verbringt Kindheit und Jugend in Shanghai und muss erleben, dass eines Tages seine Eltern verschwunden sind. Er ist besessen davon, das Geheimnis dieses Verschwindens zu ergründen. Nach und nach wird jedoch deutlich, dass diese scheinbar präzisen Erinnerungen in den zahllosen Rückblenden nicht so sehr der Aufhellung der Vergangenheit, als der Konstruktion eines Idealbildes seiner Kindheit dienen. Wir hören, dezent, dezent, die postmoderne Nachtigall trapsen: Nicht die Geschichte als solche ist besonders wichtig, sondern die Beschreibung des postmodernen Ego im Prozess seiner Selbstfindung, seines Bemühens, Ordnung ins allgegenwärtige Chaos zu bringen.

In gewissem Sinne steht dieser Roman in einer Tradition des Kafkaesken ( nicht Kafkas!!): der Beschreibung des Unwirklichen und Unlogischen im vorgeblich Sinnhaften.

Lesbar und wider Erwarten unterhaltsam wird dieses Buch durch Ishiguros parodistisches Talent, auch wenn die manchmal unambitionierte bis fantasielose Übersetzung dem hohen literarischen Rang dieses Autors nicht immer gerecht wird. Trost und Versprechen zum Schluss: Das Mysterium des elterlichen Verschwindens wird tatsächlich enträtselt. --Dietrich Clausen

Meine Meinung:

Das Buch telit sich in zwei geographische Abschnitte. Das Leben aus Londoner Sicht, bzw. das Leben als Detektiv in Shanghai.
Es gibt im Buch nur zwei Orte, nämlich London und Shanghai, genauso wie fast alle Protagonisten an diesen beiden Orten auftauchen.

Der erste Teil liest sich sehr angenehm und weich, so wie ich Ishiguro kenne. Es ist angenehm seine Wortwahl zu lesen und die Zeilen fliegen dahin.
Leider ist nicht viel über seine Arbeit und daraus erfolgend, sein Ansehen in London zu erfahren. Der Autor macht sich nicht die Mühe auch nur einen Fall des bekannten Detektives bis zu Ende zu verfolgen, schade.

Im zweiten Teil geräht das Buch ins stocken. Als er beginnt in Shanghai seiner Lebensaufgabe zu folgen fängt das Buch an zu schwimmen. Es wirkt halbfertig und stolpernd, ohne Faden.
Für mich unverständlich der Sinneswandel von Banks. Er ist kurz davor (nach seiner Meinung) den Fall abzuschließen, da reichen ein paar Sätze einer engen Freundin aus, um all sein Lebenswerk hinzuschmeißen.
Wenige Augenblicke der nächste Wandel und er zieht in den Krieg zwischen die feindlichen Linien.
Später trifft er in einer Millionenstadt, natürlich seine verletzten Kinderfreund den er vor dem wütenden Mob retten kann.
Hier hat der Autor schnell noch mal eine gute Tat untergebracht.
Selbst am Ende hat Ishiguro noch einmal alles über den Haufen geworfen um einen eingigermaßen Abgang zu haben.

Ich bin leider sehr enttäuscht und die paar Seiten gelungene Schreibweise können den schlechten Eindruck nicht lindern.
Könnte natürlich auch sein das die Übersetzung nicht ganz so gelungen war.


:stern: :stern: :stern:

Bild
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
Benutzeravatar
alwin03
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 2305
Registriert: 31.05.2007, 19:14
Wohnort: Ostrand des Harz

von Anzeige » 08.07.2007, 08:28

Anzeige
 

Re: Ishiguro, Kazuo - Als wir Waisen waren

Beitragvon Krümel » 08.07.2007, 10:02

alwin03 hat geschrieben:Ich bin leider sehr enttäuscht und die paar Seiten gelungene Schreibweise können den schlechten Eindruck nicht lindern.
Könnte natürlich auch sein das die Übersetzung nicht ganz so gelungen war.


Wer hat denn die anderen Bücher übersetzt? Gib es da unterschiedliche Übersetzer?
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland

Re: Ishiguro, Kazuo - Als wir Waisen waren

Beitragvon tom » 08.07.2007, 11:54

Als "uneingeschränkter" Ishiguro-Fan lese ich mit Interesse Deine Eindrücke. Es sei von mir aus gesagt, dass ich diesen Roman auch als - ja als was? - schwersten, oder nicht besten des Autors einstufe. Nichts desto weniger fand ich Dein Zitat eines Rezensenten sehr treffend:

alwin03 hat geschrieben:... Nach und nach wird jedoch deutlich, dass diese scheinbar präzisen Erinnerungen in den zahllosen Rückblenden nicht so sehr der Aufhellung der Vergangenheit, als der Konstruktion eines Idealbildes seiner Kindheit dienen. Wir hören, dezent, dezent, die postmoderne Nachtigall trapsen: Nicht die Geschichte als solche ist besonders wichtig, sondern die Beschreibung des postmodernen Ego im Prozess seiner Selbstfindung, seines Bemühens, Ordnung ins allgegenwärtige Chaos zu bringen. In gewissem Sinne steht dieser Roman in einer Tradition des Kafkaesken ( nicht Kafkas!!): der Beschreibung des Unwirklichen und Unlogischen im vorgeblich Sinnhaften.


Man kann von Ishiguro nicht erwarten, was er zu geben nicht gewillt ist. Sein Schreiben bewegt sich oft nah am Absurden, am Kafkaesken. IN der Sprache selbst drückt sich das oft aus: manchmal "passiert" sprachlich nicht viel, einfacher Stil, einfache Worte, eine gewisse Leere..., doch dahinter verbirgt sich schon eine gewisse Diskrepanz, eine Verschiebung zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Ich kann mir vorstellen, dass ein gewisses Übersetzen durch solche Sprache eine "Langeweile" vermitteln kann. Dabei ist "metaphysische Spannung" ein passenderes Wort.

Von mir gäbe es auch nicht eine volle Punktzahl, doch unterschätzen tue ich den Ishiguro nie. Der hat noch viel zu geben... Mein absoluter Geheimtipp für die kommenden Jahre!
tom
 

Beitragvon Pippilotta » 08.07.2007, 14:10

Da bin ich ja mal gespannt, "Als wir Waisen waren" und "Was vom Tage übrig blieb" subben bei mir noch. Von "Alles was wir geben mussten" war ich jedoch tief beeindruckt! Werde wohl zuerst "Was vom Tage übrig blieb" lesen....
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon alwin03 » 08.07.2007, 16:44

@Tom, was mich iritiert hat, war nicht die Sprache, sondern der holprige bisweilen billige Inhalt.
Hatte ich noch bei "Was vom Tage ..." das Gefühl von Tiefe (besonders in der Szene, als man die Demokratie in Frage stellte), so erschien mir der Inhalt von den Waisen als eher holprig.

Beispiel gefällig?

Er trifft in diesem Moloch der unter Beschuß steht und tausende von Arbeiterschubfächern besitzt, seinen alten Schulfreund, den er 20 Jahre nicht gesehen hat.
Ihn wollte man gerade aufknüpfen und er rettet den verletzten vor dem Mob. Sehr unrealistisch. Dann versorgt er ihn provisorisch und schleppt ihn durch die Trümmerlandschaft um das Haus zu finden.
Nun kommen japanische Truppen und er verläßt sofort wieder die Protagonistebühne nach Ungereimtheiten in der Armee.

Wieso muss ich ihn ins Buch zurückholen, wenn er doch auch hier nur eine Nebenrolle spielt. Die hätte besser der Fahrer des Taxis gegeben.

Also enttäuscht war ich vom Inhalt, weniger von der Sprache, wobei selbst die im zweiten Teil des Buches abfällt.

@Pippilotta, Du kannst dich auf einen wunderbaren Roman freuen. Es ist das Buch welches die meisten "Bilder" in meinen Gedanken festgehalten hat.


Ich hab trotz allem nicht den letzten Ishiguro gelesen und kann mich mit etwas Abstand sicher wieder auf einen anderen freuen.
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
Benutzeravatar
alwin03
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 2305
Registriert: 31.05.2007, 19:14
Wohnort: Ostrand des Harz

Beitragvon tom » 12.07.2007, 17:23

Och, ich wollte eigentlich diesen Roman von Ishiguro nicht ganz nach oben stellen und auf Teufel komm' raus verteidigen... Ich stimme Dir ja voll zu, dass er nicht so "rund" ist wie "Was vom Tage...". Was mir aber dazu einfällt ist, dass manche Bücher von Ishiguro nicht denselben erzählerischen konkreten Faden haben wie "Was vom Tage...": irgendwie war jenes Buch viel "verständlicher" aufgebaut. Hier aber, wie auch in "Die Ungetrösteten" (The Unconsoled) kommen absurde, irreale Elemente hinein. Ich selber erwarte von Ishiguro z.B. kein "spannendes Leseerlebnis" oder eine gewisse Art "logischen, geradlinigen Aufbaus" wie bei einer normalen Erzählung oder gar einem Thriller. Der "Reiz" liegt bei ihm oft MEINES ERACHTENS ganz woanders.

Was bleibt und beeindrucken kann ist das bei Ishiguro immer wieder auftauchende Element des Gedächtnisses, der Erinnerung, der Erstellung einer Wahrheit durch persönliche Wahrnehmungsfilter: das scheint mir auch in diesem Buch EIN Thema zu sein: Banks konstruiert sich - wenn ich mich recht erinnere - ja ein Stück weit seine Geschichte, bzw. die seiner Eltern... Mein Lesen liegt aber schon Jahre zurück! Es war - und so ist's wohl auch - der un-gelungendste Ishiguro.
tom
 



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Belletristik/Unterhaltungsliteratur/Erzählung

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron