Krümels-Bücherwelt ...

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McEwan, Ian - Abbitte




McEwan, Ian - Abbitte

Beitragvon Pippilotta » 16.11.2007, 08:23

Wie alt muss jemand sein, um Richtig und Falsch zu unterscheiden?
Die jüngste Tochter der angesehenen Familie Tallis ist 13 Jahre alt, ihre ausufernde Fantasie und das eigene pubertäre Gefühlsdurcheinander lassen sie aus einer Beobachtung falsche Schlüsse ziehen und auf diese Weise zerstört sie das Leben von drei Personen nachhaltig.

Wer McEwans Stil kennt weiß, dass solche Geschichten vermeintlich beiläufig und harmlos beginnen. Unterschwellig allerdings erreicht den Leser die Botschaft des Tückischen, der subtilen Spannung die sich stetig steigert. Ist der erste Teil des Buches auf die Innenperspektive der Beteiligten gerichtet, so wird in den beiden anderen Teilen der Krieg mit all seinen Konsequenzen sehr realistisch, bedrückend und eindringlich geschildert.
Sehr berührend – und überraschend - ist für mich das Nachwort der mittlerweile 77-jährigen Briony, ihr Rückblick auf das gescheiterte Leben, die Erklärung ihres Versuches der Wiedergutmachung.

Ein absolut lesenswertes Buch! Ein genialer erster Teil, hervorragender 2. und 3. Teil.

Die Verfilmung läuft derzeit in den Kinos.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 16.11.2007, 08:23

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Beitragvon wolves » 16.11.2007, 10:02

Vielen Dank für deine Rezension. "Abbitte" wird eines meiner nächsten Bücher sein das ich lesen möchte. Ich bin schon ziemlich gespannt auf dieses Buch.
"Der Zementgarten" schlummert noch in meinem SUB.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon Krümel » 16.11.2007, 11:12

Holger hat das Buch vor einiger Zeit gelesen. Er fand es irgendwie interessant, aber auch mit großen Längen, durch die er sich durchboxen musste.
Na ja, bei mir subt es ja auch, vielleicht schaffe ich es 2008 :thumleft:
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Beitragvon Coco » 21.11.2007, 11:17

wolves hat geschrieben:"Der Zementgarten" schlummert noch in meinem SUB.



Beim "Zementgarten" wäre ich dabei ! Irgendwann nächstes Jahr vielleicht ?

Es ist Jahre her, dass ich den Film gesehen habe, er hat einen starken Eindruck hinterlassen, der mich sehr gespannt auf das Buch blicken lässt.
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon wolves » 21.11.2007, 15:58

Coco hat geschrieben:Beim "Zementgarten" wäre ich dabei ! Irgendwann nächstes Jahr vielleicht ?


Sehr gerne :D
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Beitragvon Krümel » 01.09.2009, 15:03

Hi, ich habe eben mal eure Rezis zum Buch gelesen (BT) und bin jetzt doch sehr erstaunt, dass ich mit meiner Meinung ja überhaupt nicht alleine dastehe :D Und ich hatte schon gedacht :shock: ... Rezi folgt dann :wink:

Übrigens habe ich mir "Zementgarten" bestellt :idea:
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Beitragvon Krümel » 11.09.2009, 10:04

Kann die pure Vorstellung Wirklichkeit werden?

England kurz vor den Ausbruch des 2. Weltkriegs auf dem Landsitz der Familie Tallis kämpfen die Bewohner des Guts mit einer unerträglichen Sommerhitze.
Emily Tallis bemerkt schon am Morgen, dass sich ihr Dämon meldet, und dass sie diesen Tag in der Dunkelheit ihres Zimmers verbringen sollte. Die Mutter, der drei Kinder des Romans, leidet an extremen Migräneanfällen, die sie oft dazu zwingen ihre Kinder, vor allem Briony die Jüngste, unbeobachtet zu lassen.
Briony möchte Schriftstellerin werden ihr neuestes Werk soll am Abend zur Feier des Tages, da ihr Bruder heimkehrt, aufgeführt werden. Der Besuch ihrer Kusine nebst ihren Zwillingsbrüdern kommt da gerade recht, sie werden direkt zu Darstellern in ihrem Stück auserkoren.
Die jüngste Tallis ist ein sehr aufgewecktes dreizehnjähriges Mädchen, welches genau „weiß wie die Welt funktioniert“. Den entscheidenden Punkt liefert an jenem heißen Tag eine Begegnung ihrer Schwester am Brunnen mit dem Sohn der Putzfrau, Robbie. Es kommt zu einer Auseinandersetzung der zwei, wobei sich Cecilia bis auf die Unterwäsche entkleidet und in den Brunnen springt. Danach verlässt ihre ältere Schwester den Schauplatz und zurück bleibt eine Wasserlache auf dem Boden, die sich allerdings bald verflüchtigt und nicht mehr sichtbar ist.
Mit diesem Ereignis im Gedächtnis vollzieht sich bei Briony eine fatale Wandlung in ihrer Vorstellungskraft. Ihre bunten Kindermärchen sind ihr plötzlich zu infantil, es wird auch nicht zur Theateraufführung kommen, die Irrungen und Wirrungen der Erwachsenen nehmen einen zu großen Einfluss auf ihr kindliches Gemüt, so dass sich am Ende des Tages für sie alles wie von selbst zusammenfügt.

McEwan schreibt diesen verhängnisvollen ersten Teil, der die Hälfte des Buches ausmacht, aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Reihe nach werden die Geschichten und Gedanken der Figuren vorgestellt, allerdings mit einer sehr großen Distanz, so dass zu der Hitze eine noch größere Kühle hinzukommt. Es liegt etwas in der Luft, was zu einem großen Unglück führt, doch der Autor nimmt sich sehr viel Zeit und lässt die schwere des Tages voll zum Ausdruck kommen. Düster und verkühlt ist dieser Abschnitt und erinnert dadurch ein wenig an die Atmosphäre in „Sturmhöhe“. Und genauso süchtig wie der Leser Emily Bronte liest, verfällt er auch in McEwans „Abbitte“ ersten Teil.

Was der Autor danach zu Papier bringt ist im Gegensatz zu dem davor nur noch eine gewollte Zusammenführung der Handlung. Das ganz kunstvoll gefertigte Kartenhaus fällt nach der Hälfte des Romans in sich zusammen und hinterlässt nur noch einen bitteren Beigeschmack.

Auffallend ist noch die Konstellation im zweiten Teil, in dem Robbie durch die feindliche Stellung zurück nach England flüchtet. Der Krieg ist ausgebrochen, doch der Leser vermag nicht heraus zu lesen was schrecklicher ist: Der Krieg oder die persönliche Situation?

Mir hat der erste Teil des Buches sehr gut gefallen. Nach dem man sich an die Kälte gewöhnt hatte, fühlte man sich herrlich von ihr umarmt und aufgefangen, bis der Autor seine Strategie wechselte und es zu einem enormen Bruch kam. Damit zerstört McEwan sein eigenes Werk.

Ian McEwan wurde 1948 in Großbritannien geboren. Er verlebte seine Kindheit u. a. in Singapur und Libyen, bevor er in ein englisches Internat kam und dort später Englische und Französische Philologie zu studieren. Sein Romandebüt „Der Zementgarten“ machte ihn bereits 1978 zu einem der besten Autoren der englischen Gegenwartsliteratur.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: / :stern:
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Beitragvon Pippilotta » 12.09.2009, 17:03

Ich fühlte mich von der 3-Teilung des Romans anfangs auch sehr vor den Kopf gestoßen. Vom ersten Teil wurde man so schön eingelullt, dieser heiße Sommer, die erwachende Pubertät. Da ist der Schnitt und der Versetzung in den Schauplatz "Krieg" fast wie ein Schlag ins Gesicht.

Trotzdem meine ich, dass diese Konstellation von McEwan sehr durchdacht ist und v.a. so gewollt ist. Der erste Teil beschreibt das Leben in der wohlhabenden Familie im englischen Landhaus, elegant und blumig ist der Erzählstil.
Der zweite Teil spielt im Krieg, genauer gesagt um die Schlacht von Dünkirchen, mit all den Kriegsgreueln und Grausamkeiten, die teilweise sehr detailliert beschrieben werden. Hier hat die die elegante, blumige Sprache des ersten Teiles nichts verloren, hier herrscht Realität!

bis der Autor seine Strategie wechselte und es zu einem enormen Bruch kam


was genau meinst du damit? Die Irre-Führung am Ende? Oder den oben beschriebenen Stil-Bruch?
Herzliche Grüße
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Beitragvon Krümel » 12.09.2009, 22:46

Pippilotta hat geschrieben:was genau meinst du damit? Die Irre-Führung am Ende? Oder den oben beschriebenen Stil-Bruch?


Das Zweite meinte ich.
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Beitragvon Krümel » 14.09.2009, 09:38

Pippilotta hat geschrieben:Der zweite Teil spielt im Krieg, genauer gesagt um die Schlacht von Dünkirchen, mit all den Kriegsgreueln und Grausamkeiten, die teilweise sehr detailliert beschrieben werden. Hier hat die die elegante, blumige Sprache des ersten Teiles nichts verloren, hier herrscht Realität!


So in der Art schreibt es Leserin in der LitCom auch.

Aber ist es denn wirklich so, dass der erste Teil in der Phantasie/Vorstellungskraft spielt? Die Vorstellungskraft wird da angesprochen, umrissen was sie vermag, aber letztendlich spielt auch dieser Teil in der Realität, es ist ein Stück Wirklichkeit und nichts anderes :wink:

Blumig fand ich den besagten Teil auch kein bisschen, alles andere als verspielt oder gar ein wenig verkitscht ist dieser Abschnitt, ganz im Gegenteil er wirkt düster und beklemmend.

In meiner Rezi/Aussage meinte ich auch gar nicht, dass mir die realitätsnäheren Passagen, so wie ihr sie empfunden habt, nicht zusagten, weil sie eher im Leben stehen und der erste Teil sich mit Vorstellung auseinandersetzt. Es war nicht aus diesem Grund, dass mir der weitere Verlauf nicht gefallen hat. McEwan muss ja die Handlung irgendwie zusammenführen, d. h. aus dem was entstanden ist in der Vorstellung soll nun eine neue Wirklichkeit entstehen.
Was mir nicht gefallen hat, ist, dass er an Qualität verliert. Die letzten drei Teile sind simpel und gewöhnlich, UND erzeugen bei mir auch keinerlei Atmosphäre. Das Buch wird platt.

Die Kurve geht ganz zum Schluss wieder etwas nach oben als der Autor den Leser wieder eins auswischt und noch eine Vorstellungskraft zum Zug kommen lässt. Das war dann wieder gelungen.
BildLiebe Grüße,
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