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Gordimer, Nadine - July's Leute




Gordimer, Nadine - July's Leute

Beitragvon marilu » 13.04.2008, 12:17

Originaltitel: July's People (1981)

Nadine Gordimer entwirft in ihrem Roman "July's Leute" ein fiktives Südafrika, in dem es zu einer "schwarzen Revolte" kommt. Im Mittelpunkt der Ereignisse steht die weiße Familie Smales, die von ihrem Diener July vor den Unruhen in Johannesburg in sein Dorf im Busch evakuiert werden.

Bam und Maureen Smales haben Anzeichen für den drohenden Umsturz ignoriert und müssen sich nun vor den Aufständischen verstecken und mit den neuen Gegebenheiten und unzähligen Unsicherheiten leben lernen. Ihre Kinder Gina, Royce und Victor passen sich schneller als die Eltern an die neue Umgebung an und finden Freunde unter den afrikanischen Kindern. Die Haltung von Julys Familie gegenüber den ehemaligen Dienstherren ist von Misstrauen und Distanz gekennzeichnet. Da die beiden Städter noch über Geld, einen Wagen und ein Gewehr verfügen, können sie dem Misstrauenn anfangs mit den begehrten Gütern begegnen und allmählich wird ihre Anwesenheit zu einer beunruhigenden Normalität.

Die neuen Verhältnisse haben große Auswirkungen auf viele Ebenen des Zusammenlebens: das Verhältnis der Eheleute Bam und Maureen ist von einer bedrückenden Sprachlosigkeit geprägt, deren Basis unter anderem in der neuen Einordnung der eigenen Personen begründet liegt.
Außerdem müssen July und seine Familie sich daran gewöhnen, viel Zeit miteinander zu verbringen. In ihrem alten Leben war es normal, viel Zeit getrennt voneinander zu verbringen. July und seine Frau Martha hatten sich eigene Lebensstile zu eigen gemacht, die nun aufeinanderprallen und gezwungenermaßen zu einem Kompromiss führen müssen.
Darüber hinaus wird auch das sich wandelnde Machtverhältnis zwischen July und den Smales thematisiert. Neue Strukturen führen auf beiden Seiten zu neuen Gefühlen und Verhaltensweisen.


"July's Leute" hat mich sehr beeindruckt. Nadine Gordimer versetzt den Leser in eine Umgebung, in der man sich ebenso fremd wie ihre weißen Protagonisten fühlt. Wechselnde Perspektiven eröffnen einen Einblick in unterschiedliche Welten. Vieles wird nur angedeutet und so bleibt Raum für eigene Gedanken und Interpretationen. Mir erscheint diese offene Form sehr passend für dieses Thema voller Aggressionen und fehlender Gewissheiten. Die Grundstimmung ist bedrückend und der Einstieg nicht unbedingt einfach, aber das Durchhalten hat sich für mich definitiv gelohnt. Das vorgestellte Gedankenexperiment, das zur Zeit seines Entstehens nur ferne Zukunftsmusik war, hat sich inzwischen durch die Abschaffung der Apartheid teilweise überlebt, ist aber dennoch beeindruckend zu lesen.

Nadine Gordimer ist eine Autorin, von der ich nun noch viel lesen möchte!

:stern: :stern: :stern: :stern:

Bild

PS: Ich fand es besonders interessant, den Roman nach der Lektüre von "Remains of the day" ("Was vom Tage übrigbleibt") zu lesen, da es in beiden zentral um Hausdiener uund ihr Selbstverständnis geht. Während "Was vom Tage übrigbleibt" zwar mit einer Neuordnung der politischen und gesellschaftlichen Begebenheit endet und zumindest für Stevens kein tatsächliches Umdenken bereithält, steht in "July's Leute" die Neuordnung für ein Umdenken und verändertes Handeln.
Für mich war der bestehende Kontrast eine zusätzliche Lesemotivation, die mich sehr fasziniert hat!
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Beitragvon Katia » 13.04.2008, 14:40

Danke für diese Rezi, Marilu. Vor Jahren habe ich "Niemand der mit mir geht" gelesen, fand es sehr gut, habe aus irgendeinem Grund trotzdem nie wieder etwas von Gordimer gelesen. Wird Zeit, das mal wieder zu ändern!

Was ich nicht verstehe: Was soll diese Apostroph im Titel? Im Deutschen gehört der da nicht hin und ein Verlag wie Fischer sollte Lektoren und Übersetzer haben, die das auch wissen! Oder hat das irgendeinen speziellen Grund, den ich so nicht sehe?

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Beitragvon tom » 13.04.2008, 15:15

Katia hat geschrieben:Was ich nicht verstehe: Was soll diese Apostroph im Titel? Im Deutschen gehört der da nicht hin und ein Verlag wie Fischer sollte Lektoren und Übersetzer haben, die das auch wissen! Oder hat das irgendeinen speziellen Grund, den ich so nicht sehe?

Katia


Vielleicht eine leichtfertige Übernahme aus dem englischen Originaltitel:
http://www.amazon.com/Julys-People-Nadine-Gordimer/dp/0140061401/ref=pd_bbs_sr_6?ie=UTF8&s=books&qid=1208096032&sr=8-6
tom
 

Beitragvon marilu » 13.04.2008, 16:05

Katia hat geschrieben:Was ich nicht verstehe: Was soll diese Apostroph im Titel? Im Deutschen gehört der da nicht hin und ein Verlag wie Fischer sollte Lektoren und Übersetzer haben, die das auch wissen! Oder hat das irgendeinen speziellen Grund, den ich so nicht sehe?


Über das falsche Apostroph habe ich mich auch geärgert und gewundert. Habe vor dem Erstellen des Titels auch mehrmals auf den Umschlag und die Haupttitelseite gestarrt, weil ich dachte ich hätte mich verlesen. Eine Antwort konnte ich allerdings auch nicht finden...

Ich habe vor Jahren die "Hauswaffe" gelesen und war danach völlig erschüttert vom Inhalt. So ein kaltblütiges, beängstigendes Thema hatte ich bis dahin selten gelesen. Es hat mich richtig geschüttelt und kalte Schauer über den Rücken laufen lassen. Danach wollte ich mehr von ihr lesen, aber ein wenig Angst vor den Inhalten war dann immer dabei. Als ich dann letztens "July's Leute" geschenkt bekam, nahm ich das als gute Gelegenheit war, mir einen zweiten Einblick zu verschaffen.
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