Christinas Abschied

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    Re: Christinas Abschied

    Compuexe - 15.03.2007, 01:12

    Christinas Abschied
    Hallo Thomas.
    Es ist vorbei!
    Ich werde für immer aus deinem Leben verschwinden.
    Und Sandra nehme ich mit.
    Nein, versuche nicht, uns zu finden. Es wird dir diesmal nicht gelingen!
    Auf Nimmerwiedersehen,

    Christina


    PS: Es gibt eine Verspätung!
    Eine halbe Stunde.
    Zeit, dir doch noch ein paar Erklärungen zu liefern, obwohl du sie eigentlich nicht verdient hast. Sandra liegt neben mir in ihrem Buggy und schläft friedlich. Zum ersten Mal seit Tagen kann sie wieder durchschlafen. Sie hört keinen Streit, keine Brüllerei von dir, keine Schmerzensschreie von mir, wenn dir wieder einmal „die Hand ausgerutscht ist“, wie du es immer so nett formuliert hast.
    Diesmal habe ich Hilfe, Thomas, professionelle Hilfe. Nicht wie vor drei Jahren. Erinnerst du dich? Ich war damals im neunten Monat. Aber das hat dich ja nicht gestört. Im Gegenteil.
    „Das Balg ist sowieso nicht von mir. Wer weiß, für welchen
    Kanaken du die Beine breit gemacht hast!“, hast du mir an den Kopf geworfen, bevor dir „die Hand ausrutschte.“
    Mein Versteck, St. Peter-Ording war sechshundert Kilometer weit weg, aber nicht weit genug entfernt für dich. Drei Wochen hat es damals gedauert, bis du mich gefunden hattest, weil Mama ihren Mund nicht halten konnte.
    „Mein Gott, Kind, er ist doch der Vater!“, hat sie mir am Telefon immer wieder vorgehalten.
    „Und ich will meinen Enkel oder meine Enkelin doch auch sehen, wenn das Kleine erst mal auf der Welt ist. Schließlich hab ich doch sonst niemanden mehr!“
    Und dann hat sie dir meine Adresse zugespielt. Weil sie es gut mit uns meinte. Weil ein Kind seinen Vater braucht, wie sie mir hinterher erklärte.
    Nach der Geburt von Sandra dann deine Schwüre, alles würde besser werden. Nie wieder würdest du mich schlagen. Natürlich sei das Kind von dir. Und Alkohol?
    Nein, nie wieder würdest du Alkohol auch nur anrühren.
    Gleich am nächsten Morgen wolltest du dich zu einer Therapie anmelden.
    Worte.
    Leere Worte.
    Lügen.
    Jetzt weiß ich das. Es hat damals nicht lange gehalten.
    Nur bis zum Wochenende.

    Letztes Jahr dann, als Mutter starb; du warst schon bei der Beerdigung betrunken! Wie konnte sie es dir auch antun, während der Meisterfeier deines Lieblingsvereins zu sterben?
    „Die alte Hexe ist abgetreten“, hast du gesagt und gelacht, als wir den Friedhof verließen. Und ich ... ich sei die Tochter der toten, alten Hexe.
    Und schon hattest du wieder einen Grund.
    Grund zu trinken.
    Grund, mich zu verprügeln.

    Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in den sieben Jahren unserer Ehe im Krankenhaus war. Falsch, in den verschiedensten Krankenhäusern, schließlich will man ja kein Gerede provozieren.
    „Ich bin die Treppe heruntergestürzt, Herr Doktor!“
    „Misshandlungen? Was meinen Sie mit Misshandlungen?“
    „Nein, natürlich schlägt mich mein Mann nicht. Wie kommen Sie nur auf diese absurde Idee?“
    „Das liegt nur an meiner Ungeschicktheit!“
    All die Ausreden, im Laufe der Jahre.
    All die Lügen.
    Und dann deine Auftritte, immer gleich am nächsten Tag.
    Geduscht, frisch rasiert, mit einem strahlenden Lächeln.
    „Mein kleiner, ungeschickter Schatz“, hast du mich immer genannt, wenn jemand in der Nähe war.
    Und Blumen. Immer hast du Blumen mitgebracht, meist rote Rosen.
    Dutzende davon.
    All das Misstrauen hast du eingewickelt mit deinem Charme.
    „Dieser Mann soll seine Frau schlagen? Aber nie im Leben!“, habe ich einmal gehört, als ich zwei Krankenschwestern belauschte, die dachten, ich würde unter meinen Verbänden schlafen.
    „Soll doch froh sein, dass sie einen so gutaussehenden
    und aufmerksamen Mann abbekommen hat, so ausgemergelt wie die aussieht. Und ein richtiger Tölpel ist sie auch!“
    Ja, Thomas, man sah es mir mit der Zeit wirklich an. Wenn man nah genug herankam und mich genauer beobachtete. Wenn man unter die Schminke sah, die ich dick über die blauen Flecken auftragen musste. Gott sei Dank konnte man die Verstauchungen und die vielen Knochenbrüche nicht sehen.
    Nur die Ärzte, die sahen sie. Auf den Röntgenbildern. Dann
    zogen sie kurz die Augenbrauen in die Höhe, sahen mir mitleidsvoll ins Gesicht und fragten: „Wie ist das denn passiert, Frau Neumann?“
    Und ich log: „Das war ein Motorradunfall, vor zwei Jahren.“
    Dabei bin ich nie Motorrad gefahren.
    „Und das?“ Wieder diese Augenbraue.
    „Ein Treppensturz, letztes Jahr.“
    „Und das hier?“

    Irgendwann gehen einem die Ausreden aus. Man wird patzig, gemein, böse.
    Dann überträgt sich das auch auf die Umgebung. Man ist nicht mehr der fröhliche, aufgeschlossene Mensch, der man früher war. Zuerst bemerken es dein Kind und leiden darunter. Dann Nachbarn, die Freunde.
    Vor zwei Jahren hatte ich davon gehört, dass es Leute gibt, die mir bei einer Flucht vor dir wirklich helfen könnten. Natürlich habe ich mich da noch nicht getraut.
    Aber dann, vor elf Monaten, weißt du noch?
    Dein „Arbeitswechsel“, wie du es nanntest. Dein Chef hat dich damals rausgeworfen, weil du immer öfter zu spät oder betrunken zum Dienst kamst.
    „Was soll’s ...“, hast du lachend gesagt, „... in einer Woche
    habe ich wieder Arbeit, wenn ich will. Ich wechsle einfach
    den Arbeitgeber. Aber erst mach ich mal ein paar Tage Urlaub! Hab ich mir schließlich verdient, nach der Schufterei die ganzen Jahre.“
    Aus den paar Tagen wurden Wochen, wurden Monate.
    Du hast nur noch zu Hause herumgelegen, hast getrunken, herumgebrüllt und einen Sündenbock für deine Misere gesucht.
    Wer war da wohl besser geeignet als ich? Ich war das schließlich gewohnt.
    Aber Sandra? Thomas ..., warum Sandra?!
    Vor drei Monaten hast du sie zum ersten Mal geschlagen.
    Richtig geschlagen. So, wie du mich, eine erwachsene Frau geschlagen hast.
    Thomas, eine Dreijährige!
    An diesem Tag wusste ich, diesmal würde ich für immer gehen.

    Du müsstest sie jetzt sehen, meine kleine Prinzessin. Sie hat ihren Daumen wieder im Mund, ihren Herrn Franz hält sie fest im Arm, als habe sie Angst, er könne davon laufen.
    Aber ... flauschige, braune Teddybären laufen nicht davon. Das tun nur misshandelte Ehefrauen.
    Sie wirkt so friedlich, so süß, so wunderschön, wenn sie schläft. Wie ein kleiner Engel.
    Ich werde gerufen, es geht jetzt endlich los.
    Thomas ... vielleicht war ich die ganzen Jahre über keine
    wirklich gute Ehefrau und Mutter. Sollen andere über mich richten. Das ganze Leid, das Elend aber hätte ich Sandra und mir ersparen können, ersparen müssen. Viel zu lange hat es gedauert, bis ich diese Entscheidung endlich getroffen habe.
    Auf keinen Fall darf ich zulassen, dass du sie noch einmal verprügelst.
    Darum werde ich, solange ich lebe, mit all meiner Kraft verhindern, dass du unsere Tochter jemals wieder sehen wirst.
    Das schwöre ich dir.

    Christina



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