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Enquist, Anna - Letzte Reise




Enquist, Anna - Letzte Reise

Beitragvon Siebenstein » 12.01.2007, 11:26

Anna Enquist - Letzte Reise

Autorin:
Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen, wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Inzwischen widmet sich Anna Enquist nur noch dem Schreiben.

Klappentext:
London 1775: Elizabeth Cook wartet in ihrem Haus auf die Heimkehr ihres Mannes James, der eben seine zweite große Weltreise beendet hat. Obwohl sie immer regen Anteil genommen hat an seinen Entdeckungen und wissenschaftlichen Forschungen, hofft sie, dass er nun endlich bei ihr und den Kindern bleibt und seinen wohlverdienten Ruhm genießt. Immerhin hat er es vom Bauernsohn bis zum Admiral der englischen Flotte gebracht und gehört zur gesellschaftlichen Elite des Landes. Trotz der Aussicht auf ein beschauliches gemeinsames Leben nagen auch Zweifel an Elizabeth: Wie wird es James ohne seine geliebte Seefahrt ergehen, und vor allem, wie wird sie, die sechs Kinder mehr oder weniger allein geboren und aufgezogen und selbständig gelebt hat, mit ihrer neuen Rolle fertig werden – als Frau eines ehrgeizigen, befehlsgewohnten Kapitäns an Land? Doch es kommt anders. Cook bricht das Versprechen, das er ihr gegeben hat, und läßt sich zu einer dritten Reise überreden, von der er nicht mehr zurückkehren wird. Wie Elizabeth damit umgeht, wie sie trotz des Widerstands der Admiralität die unklaren Umstände seines Todes aufdeckt und wie sie die schweren Schicksalsschläge meistert, die das Leben ihr auferlegt – sie überlebt alle ihre Kinder - , das erzählt Anna Enquist spannend und eindringlich, facettenreich und bewegend.

Meine Meinung:
Das Buch wird gelegentlich als Abenteuerroman bezeichnet, was ich für etwas irreführend halte. Für meinen Geschmack war der Abenteuergehalt gerade richtig, klassische Leser des Abenteuergenres werden wahrscheinlich eher nicht auf ihre Kosten kommen. Obwohl das Buch die berühmten Entdeckungsreisen Cooks zum Thema hat, bilden diese doch eher den Hintergrund. In erster Linie geht es um die Menschen James und Elizabeth Cook und um deren Kinder. Ich fand es beeindruckend über Elizabeths Gefühle ihren Kindern gegenüber zu lesen und zu versuchen nachzuempfinden was es bedeutet haben muss, Mutter zu sein in einer Zeit, in der es keine Seltenheit war, Kinder zu Grabe zu tragen. Gut gefallen hat mir auch der Abschnitt, in dem sich abzeichnet, dass Cook sein Versprechen nicht halten wird. Es ist spannend zu lesen, wie das Paar mit dieser heiklen Situation umgeht und wie beide bis zuletzt nicht wagen, den anderen offen mit der eigenen Erwartungshaltung zu konfrontieren. Interessant auch das Aufzeigen der zwei Seiten Cooks: Auf See der souveräne Admiral, der ganz in seinem Element aufgeht und alles fest im Griff hat und an Land der zögerliche, mit sich hadernde Mann, dem auf einmal seine einfache Herkunft zu schaffen macht.

Anders als man vor der Lektüre vielleicht vermutet, wird Elizabeth Cook nicht als reine Sympathieträgerin und Identifikationsfigur dargestellt, was ich sehr wohltuend fand. So bleibt dem Leser noch genügend Raum, sich sein eigenes Bild zu machen.

Dass Anna Enquist auch Psychoanalytikerin und Musikerin ist, merkt man dem Buch an, es verleiht ihm eine ganz eigene Tiefe. Für mich ein rundherum gelungener Roman, der mir wunderbare Leseabende beschert hat und den ich wärmstens weiterempfehle!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Herzliche Grüße
Siebenstein :wink:
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von Anzeige » 12.01.2007, 11:26

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Beitragvon Voltaire » 12.01.2007, 14:53

Tolle Rezi. Danke!
Hab das Buch gleich mal auf meinen Amazon-Wunschzettel gepackt. :D
Voltaire
 

Beitragvon Pippilotta » 12.01.2007, 15:09

Ich habe mir das Buch bei meinem letzten Bibliotheks-Besuch mitgenommen (es wurde gerade als aktuelle Neuerscheinung ins Regal gestellt). Ich hoffe, ich schaffe es noch vor dem Rückgabetermin (25.1.), Deine Rezi hat mich sehr, sehr neugierig gemacht!

Vor allem dieser Satz:
Anders als man vor der Lektüre vielleicht vermutet, wird Elizabeth Cook nicht als reine Sympathieträgerin und Identifikationsfigur dargestellt, was ich sehr wohltuend fand. So bleibt dem Leser noch genügend Raum, sich sein eigenes Bild zu machen.

Das klingt sehr vielversprechend und ich muss wohl die eine oder andere Nachtschicht einlegen!
Herzliche Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 22.02.2007, 19:10

Gleich vorweg: Ein ganz großartiges Buch, es hat mir sehr, sehr gut gefallen!

Wie Siebenstein schon erwähnte, ist die Genrebezeichnung "Abenteuerroman" sehr irreführend. Die Reisen des James Cook (auch seine wissenschaftlichen Erkenntnisse) bilden eigentlich nur den Hintergrund, verschaffen aber einen fasziniernden Einblick in die Welt des 18. Jahrhundert, gezeichnet von Umbruch, Krankheiten und neuen Erkenntnissen.

Wer sich einen "historischen Roman" im herkömmlichen Sinne wünscht, wird vielleicht auch ein wenig enttäuscht sein. Auch diese Aspekte bilden eher den Rahmen und den Hintergrund.

Für mich ist dieses Buch in erster Linie ein Psychogramm einer sehr starken Frau, die es nicht leicht hat im Leben, deren Lebensfreude und Energie nach und nach von unvorstellbaren Schicksalsschlägen untergraben wird und die am Ende völlig gebrochen ist.

Wie schon erwähnt ist sie keine "Heldin", sie hat ihre Fehler und befindet sich ständig in einem Zwiespalt von Verstand und Gefühl. Vielleicht macht gerade das sie so menschlich.

Auch von mir eine eindeutige Leseempfehlung!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 22.02.2007, 19:57

Ihr macht es mir aber auch nicht leicht, diesem Buch erst mal zu widerstehen. :wink:
Viele Grüße
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Beitragvon Krümel » 14.06.2007, 16:24

James Cook ist heute noch immer in aller Munde; ob es die „James Cook Reisen“ im TV oder im Reisebüro sind, oder seine Entdeckungen; sein Name und seine Reiseberichte sind allgegenwärtig.

Aber was durchlebte seine Ehefrau, Elizabeth Cook? Die im Hintergrund seine Reisen mit vorbereitete, und mit an seinen Journalen bzw. Büchern arbeitete.
Große Männer haben starke Frauen im Rücken, so heißt es. Und Elizabeth war eine ganze starke Persönlichkeit! Es ist nur gerecht, dass sich Anna Enquist dieses Themas annahm.

Anna teilt das Schicksal so vieler Frauen im 18. Jh.. Frauen von Seefahrern, die auf sich allein gestellt waren, und die Zügel über Haushalt und Kindererziehung inne hatten. Das weibliche Geschlecht, noch nicht gesellschaftsfähig und emanzipiert, musste ihren Mann stehen. Alle Verantwortung lag auf ihren Schultern, und wurde weder von der Admiralität des englischen Königshaus noch von der Gesellschaft so honoriert, dass die Last schwerer war als sie es hätte sein müssen.
Wenn man dann das Leben der Elizabeth im Einzelnen liest, welche Schicksalsschläge sie in der damaligen Zeit erleiden musste; den Tod ihrer Kinder, den Verrat ihres besten Freundes, das Hinsiechen ihrer Mutter, und den anrüchigen Tod von James Cook; dann ist man als Leser ergriffen wie diese Frau ihr Leben gemeistert hat.

Das Buch hat mir äußerst gut gefallen. Es beschreibt so eindringlich die Gefühle von Elizabeth. Den Schmerz, Kummer und ihre Sorgen erlebt man direkt mit. Keinen Ansprechpartner zu haben, die Einsamkeit, Verlorenheit und Verlogenheit, all das stellt ihr das Leben. Selten habe ich so viel Nähe gelesen. Wunderbar!

Meine Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:)
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Beitragvon Krümel » 14.06.2007, 18:55

Mal eine Frage, gehört der Roman nicht eher zu Biographien? Wenn auch das Leben der Elizabeth viel fiktiv erdacht sein kann, James Cook ist stimmig.
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Beitragvon Pippilotta » 14.06.2007, 20:01

Ich habe auch überlegt, aber ich denke doch eher nicht. Es geht in erster LInie um Elizabeth Cook, und da ist einiges fiktiv, wie du schon erwähntest. Das Buch passt meiner Meinung nach in keine Lade eindeutig, es hat von jedem Genre etwas!
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 14.06.2007, 21:07

Zwar habe ich es immer noch nicht gelesen, aber ich denke die Einordnung unter Historische Romane ist richtig. Da steht es auch in unserer Bib.
Viele Grüße
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Beitragvon marilu » 15.06.2007, 05:29

Waaahh... :-( Ich will es auch lesen! Ihr macht es mir wirklich schmackhaft!
Aber noch 1 1/2 Monate ohne Buchkäufe liegen vor mir. :-(

So habe ich wenigstens etwas worauf ich mích freuen kann.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
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Beitragvon Wirbelwind » 15.06.2007, 23:28

Hallo,
ich habe es auch gerade gelesen und fand es ganz großartig!
Da glaubt man von Cook alles schon gelesen zu haben, aber aus Sicht der Ehefrau - einfach ideal.
Wer es noch nicht gelesen hat, sollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Gruß Wirbelwind

:studie: Anne Tyler, Fast ein Heiliger
Ein Buch ist ein Sprengsatz, um die Phantasie freizusetzen. (Alan Bennett in "Die souveräne Leserin")
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Beitragvon wolves » 16.06.2007, 11:25

Das steigert meine Vorfreude auf das Buch immer mehr. Nach "Und Nietzsche weinte" werde ich es wahrscheinlich anfangen zu lesen. :D
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon wolves » 26.06.2007, 08:11

Heute habe ich die letzten 3 Seiten dieses Romans gelesen, meine Eindrücke sind also noch ganz frisch.

Mich hat dieses Buch ganz tief berührt und streckenweise richtig melancholisch gemacht. Manchmal fiel mir das weiterlesen deshalb schwer, nicht weil die Geschichte langweilig wäre, sondern weil es mir schwergefallen war mich von all den Schicksalsschlägen, die Elizabeth durchgemacht hat, nicht runterziehen zu lassen und wieder den nötigen Abstand zum Buch zu finden.
Es ist genauso wie Krümel geschrieben hat: "Es beschreibt so eindringlich die Gefühle von Elizabeth. Den Schmerz, Kummer und ihre Sorgen erlebt man direkt mit. Keinen Ansprechpartner zu haben, die Einsamkeit, Verlorenheit und Verlogenheit, all das stellt ihr das Leben. Selten habe ich so viel Nähe gelesen. Wunderbar!"

Für mich ist dieses Buch eine absolute Leseempfehlung und bekommt von mir
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
wolves


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