Sechstes Massensterben der Erdgeschichte

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    Re: Sechstes Massensterben der Erdgeschichte

    infoshark - 26.12.2006, 12:04

    Sechstes Massensterben der Erdgeschichte
    Sechstes Massensterben der Erdgeschichte

    Die Kreaturen des Ozeans sind in Gefahr: Hunderte von Meeres-Arten stehen jetzt erstmals auf der Roten Liste, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Wissenschaftler vergleichen die Folgen der menschlichen Kurzsicht mit den fünf großen Massensterben der Erdgeschichte. Das Meer sieht rot.

    Schon einmal vom Sägefisch gehört? Er zählt zur Familie der Rochen, hat aber auch Verwandte unter den Haien, was man an seinem schlanken Hinterteil und den markanten Rückenflossen unschwer erkennen kann. Aus seinem Kopf ragt das knöcherne Sägeblatt, dem er seinen Namen verdankt. Einige Arten dreschen damit auf Fischschwärme ein, andere ziehen das martialische Werkzeug friedlich wie einen Rechen durch den Schlick am Grund, um ihre Beute aufzuscheuchen. Sägefische leben in tropischen Gewässern, allein fünf Arten sind an Australiens Ufern zu Hause, sie werden bis zu sieben Meter lang. Ansonsten wissen wir nur wenig über diesen außergewöhnlichen Fisch, was bedauerlich ist, da wir kaum noch eine Chance haben werden, ihn näher kennenzulernen. Denn er steht auf der Roten Liste, und zwar in der Kategorie CR wie "critically endangered". Die deutsche Übersetzung sagt es deutlicher: Er ist "vom Aussterben bedroht".

    Damit steht ihm das gleiche Schicksal bevor wie Zigtausenden Tier- und Pflanzenarten auf diesem Planeten, und wenn nicht die Weltnaturschutzunion regelmäßig ihre Rote Liste vorlegte, dann würde die Menschheit davon nicht einmal Kenntnis nehmen. Die offizielle Bezeichnung der Organisation lautet IUCN, International Union for Conservation of Nature and Natural Resources; sie hat ihren Sitz im schweizerischen Gland und versteht sich als eine Art UN der Flora und Fauna. Tatsächlich ist der Vergleich nicht weit hergeholt, denn die 1948 gegründete Union versammelt immerhin 82 Staaten unter ihrem Dach, 111 Behörden zählen zu ihren Mitgliedern und mehr als 800 Umweltorganisationen. An die 10.000 Wissenschaftler aus 181 Nationen arbeiten ehrenamtlich für die IUCN und tragen die Fakten zusammen, auf denen die Rote Liste basiert.

    Lange hat die Union nach dem Feuerwehrprinzip agiert: ausrücken, wenn es brennt. Sobald die Forscher den Hinweis hatten, dass eine Spezies in Gefahr war, wurden ihre Lebensumstände unter die Lupe genommen. Die Methode hatte einen Nachteil: Sie produzierte die Momentaufnahme eines kleinen Ausschnitts; die Rote Liste wurde mit jedem Jahr und jeder Begutachtung länger, ohne dass man daraus auf den Gesamtzustand der Artenvielfalt schließen konnte. Deshalb gehen die Naturschützer nun seit fünf Jahren "strategisch" vor, wie der IUCN-Biologe Craig Hilton-Taylor, der die Rote Liste führt, erklärt. "Wir nehmen uns jetzt nicht mehr einzelne Spezies vor, sondern ganze taxonomische Gruppen. 2012, das ist unser ehrgeiziges Ziel, soll jede Spezies der Wirbeltiere begutachtet sein."

    Für die aktuelle Liste wurden weltweit 40.177 Arten untersucht, 16.119 fallen unter die drei kritischen Kategorien "gefährdet" (vulnerable, VU), "stark gefährdet" (endangered, EN) oder "vom Aussterben bedroht" (critically endangered, CR). Wie kommt die Naturschutzunion zu ihrer Bewertung? Sie wendet sich direkt an die Spezialisten, die sich kontinuierlich mit den betroffenen Arten befasst haben und Auskunft über die Kriterien geben können, die zur Einstufung verlangt werden.

    Wer den Katalog der Alarmsignale gelesen hat, versteht, wie prekär die Lage der beschriebenen Spezies ist. Bekommt sie wie der Sägefisch die Stufe CR, "vom Aussterben bedroht", dann ist ihre Population in den vergangenen zehn Jahren oder drei Generationen um 90 Prozent zurückgegangen. Höchste Gefahr besteht auch, wenn das Verbreitungsgebiet auf weniger als 100 Quadratkilometer geschrumpft ist; oder wenn die Zahl fortpflanzungsfähiger Individuen unter die Marke von 250 gerutscht und in den vergangenen drei Jahren weiter gefallen ist.

    Die Stufen unterhalb des CR sind ebenfalls Kategorien der Gefährdung und dürfen keineswegs als "weniger schlimm" gelesen werden. Ein Rückgang von 70 oder 50 Prozent einer Population ist immer noch ein dramatischer Aderlass, der zu einem Phänomen führt, das Biologen als "genetischen Flaschenhals" bezeichnen: je kleiner die Zahl der Individuen, desto geringer die genetische Vielfalt des Genpools, desto geringer die Überlebenschance. Ein Fall von negativer Rückkopplung: Die Population schrumpft, der Flaschenhals verhindert, dass sie sich erholen kann.

    Dass solche Katastrophen auch in der Weite der Ozeane möglich sind, schien selbst den Experten von der IUCN lange nicht vorstellbar. Abgesehen von den "charismatischen Meeressäugern und Seevogelarten", wie die Union 2003 selbstkritisch schreibt, hätte sie kaum Meeresbewohner auf ihrer Roten Liste geführt. Mit der Umstellung der Systematik nahm die IUCN nun auch die ozeanischen Lebensräume in ihren Fokus - und prompt fand man auch dort 369 Arten, die vor dem Aus stehen. Außer den Sägefischen sind es vor allem Haie und Rochen, Seevögel wie Amsterdam--Albatros, Maskarenen-Sturmvogel oder Klippenmöwe, die Meeresschildkröten, Kalifornischer Schweinswal und Dugong, der Eisbär und etliche der Fischarten, die kommerziell gefangen werden wie Blauflossen-Tun, Atlantischer Heilbutt und Gemeiner Stör. Spezies aus unterschiedlichen Lebensräumen, mit Lebensweisen, die kaum verschiedener sein könnten. Wie sind sie alle an den Abgrund ihrer Existenz geraten?

    Das Aussterben ist ein natürlicher Prozess, die durchschnittliche Lebenserwartung einer Spezies liegt zwischen einer und zehn Millionen Jahren; lebende Fossilien wie Quastenflosser oder Pfeilschwanzkrebs, beide an die 400 Millionen Jahre alt, sind die Ausnahme. Statistisch betrachtet, lebt von 1000 Arten, die einmal den Planeten bevölkerten, heute noch eine einzige. Alle anderen haben den Konkurrenzkampf um die Nische im Lebensraum verloren, konnten sich an die Veränderungen ihrer Umgebung nicht anpassen. Der Prozess verläuft mit vorhersehbarer Geschwindigkeit: Bei Säugetieren etwa ist im Schnitt alle 200 Jahre mit dem Exitus einer Spezies zu rechnen. Tatsächlich aber gingen in den vergangenen 400 Jahren gleich 89 Säugetierarten zugrunde - das 45-Fache der bis dahin üblichen Rate. Weitere 169 Säuger stehen in der Kategorie CR der Roten Liste.

    Für die Mehrheit der Wissenschaftler lassen diese Zahlen nur einen Schluss zu: Wir erleben gerade ein Massensterben, wie es die Welt seit 65 Millionen Jahren nicht mehr gesehen hat. Damals kollidierte die Erde mit einem Kometen, 17 Prozent aller Familien der biologischen Systematik wurden ausgerottet, einschließlich sämtlicher Saurier. Nun hat es auch ein solches Massenaussterben in der Erdgeschichte schon mehrmals gegeben, fünf Mal genau, in der Folge großer Katastrophen oder abrupter globaler Klimaveränderungen.

    Jetzt also das sechste Massensterben, und nach Ansicht einiger Experten verläuft es sogar noch schneller als alle vorherigen. Bei einer Umfrage des American Museum of Natural History unter 400 Biologen erklären 70 Prozent der Befragten, sie rechneten in den kommenden 30 Jahren mit dem Untergang von einem Fünftel aller Arten.

    Die auslösende Katastrophe? Kein unvermeidbares Desaster wie bei den "großen Fünf", sondern vor 100.000 Jahren der Auftritt einer jungen Spezies namens Homo sapiens, die einen Sonderweg im natürlichen Gefüge einschlug. "Im Unterschied zu allen anderen Arten", sagt der Paläontologe Niles Eldridge, "lebt der Mensch nicht mit der Natur, sondern außerhalb von ihr. Und er hat das Gesicht des Planeten auf eine Weise verändert, die mit dem Aufprall eines Kometen durchaus zu vergleichen ist. ... So könnte man die Landwirtschaft durchaus als Krieg gegen die natürlichen Systeme bezeichnen. Äcker sollen nur eine Spezies produzieren, alle anderen Arten gelten dem Bauern als Unkraut oder Ungeziefer - und werden vernichtet."

    Auf dem Meer tobt eine vergleichbare Schlacht. 85 Millionen Tonnen Fisch werden jedes Jahr angelandet, womit 75 Prozent der Fischbestände entweder am Rand ihrer Belastbarkeit sind oder sogar schon überfischt. Auf das Konto der kommerziellen Fischerei gehen weitere 20 Millionen Tonnen an Beifang, der schon auf See wieder entsorgt wird - alles also, was nicht zur Zielspezies gehört, siehe Unkraut.

    Delfine, Schildkröten, Haie und Sägefische eint das Schicksal, zur falschen Zeit am falschen Ort ins Netz geschwommen zu sein. Albatrosse und Sturmtaucher? Ein Opfer der Langleinenfischerei. Die Vögel stürzen sich beim Ausbringen der Leine auf die Köder und werden mit den Haken in die Tiefe gezerrt. Zum regulären Krieg kommen illegale Auswüchse: Fischpiraten machen einen geschätzten Umsatz von 4,9 bis 9,5 Milliarden Dollar im Jahr; und dem grässlichen "shark finning" fallen Millionen von Haien zum Opfer, denen lediglich die Flossen abgehackt werden.

    Na und, könnte man einwenden, wer braucht schon Haie? Oder überhaupt diese Vielfalt der Arten? Geht es nicht auch mit ein paar tausend weniger?

    Die Überlegung lässt sich einerseits mit der ethischen Gegenfrage beantworten: Nach wessen Belieben oder welchen Prinzipien entscheidet sich denn, welche Spezies überleben darf? Andererseits gibt es auch pragmatische - man könnte aus der Perspektive des Menschen auch sagen: egoistische - Erwägungen. Intakte Fischbestände und Gewässer haben einen Wert, den man spätestens dann zu beziffern lernt, wenn man den Fisch nicht mehr fangen kann, sondern in Aquakulturen teuer produzieren muss. Und ein Lebensraum, das haben britische und amerikanische Forscher in den neunziger Jahren nachgewiesen, ist umso produktiver, desto mehr Spezies er zählt.

    Als sich die Menschheit erstmals mit dem Gedanken konfrontiert sah, dass sie dabei war, den Blauwal endgültig auszurotten, stellte der Ökonom Colin Clark ein Gedankenexperiment an. Was wäre profitabler: Die Wale schützen und nachhaltig bewirtschaften? Oder auch noch die letzten Wale zu jagen und die Profite an der Börse investieren? Clark empfahl - eine entsprechende Verzinsung vorausgesetzt - die finale Gewinnmitnahme und beging damit in den Augen des Harvard-Biologen Edward Wilson einen entscheidenden Denkfehler. "Welchen Wert", fragt Wilson, "hatte der Wal vor 1000 Jahren? Gar keinen. Und im Jahr 3000? Ist er potenziell unschätzbar wertvoll." Denn wer weiß heute schon, welchen Dienst er uns noch erweisen, welchen Rohstoff er uns noch liefern kann?

    Die Rote Liste führt zwei weitere Kategorien für Arten, denen nicht das Glück vergönnt war, rechtzeitig Fürsprecher zu finden. Wenn EW, "extinct in the wild", hinter dem Namen einer Spezies vermerkt ist, dann können wir sie noch im Zoo besuchen, aber einen solchen Fall gibt es unter den Lebewesen der See noch nicht. Dafür aber den finalen Eintrag, EX, "extinct", Ende. Die Labradorente fiel Jägern und Eierdieben zum Opfer, der Riesenalk, einst größter flugunfähiger Vogel der nördlichen Hemisphäre, wurde wegen seines Fettes und seiner Daunen geschlachtet, Stellers Seekuh von Robbenjägern ausgerottet, dito der Seenerz. Die Karibische Mönchsrobbe wurde 1952 das letzte Mal gesichtet, der Japanische Seelöwe seit 30 Jahren nicht mehr, den letzten Brillenkormoran erlegten Jäger vor 150 Jahren.

    Für die Täter können wir rückblickend mildernde Umstände gelten lassen. Sie wussten nicht, was sie tun. Seit die IUCN ihre Rote Liste schreibt, kann das niemand mehr behaupten.

    Quelle: Spiegel Online



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