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McEwan, Ian: "Saturday"




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

McEwan, Ian: "Saturday"

Beitragvon leseratte4 » 18.12.2006, 19:41

Henry Perowne hat eigentlich alles, was man sich wünscht. Er ist ein erfolgreicher Neurochirug, lebt in einer harmonischen Ehe und hat zwei tallentierte Kinder. Seine einzige Sorge an jenem Samstag ist zunächst die Weltpolitik. Es ist der 15.02.2003 und alle fragen sich ob es Krieg im Irak geben wird. Tief in seine Gedanken versunken rammt Perowne ein fremdes Auto und sein friedliches Leben gerät aus den Fugen.


Im ersten Drittel dachte ich noch, dieses Buch ist nur für Squashspielende Ärzte mit einem Faibel für Blues von Interesse. Eingelesen habe ich mich als der dichtende Großvater in`s Spiel kommt.
Ich meine damit, wenn man auf oben genannten Gebieten ein Laie ist, braucht man etwas Durchhaltevermögen. Das aber lohnt sich.
Es ist ein ungemein nachdenklich stimmendes wohl auch sehr gut recherchiertes Buch und eine hervorragende Persönlichkeitsstudie.

:stern: :stern: :stern: :stern:

Bild

Viel Spaß beim Lesen

Leseratte
leseratte4
 

von Anzeige » 18.12.2006, 19:41

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Beitragvon Pippilotta » 18.12.2006, 20:02

Ich habe das Buch vor gut einem Jahr gelesen, und mir hat es sehr gut gefallen!

Ian McEwan ist ein genialer Erzähler, bei dem sogar chirurgische Fachkenntnisse richtig spannend werden!

Mir hat die Person des Henry Perowne recht zugesagt. Sein absolut loyales Verhalten gegenüber seiner Familie (sowohl der Ehefrau, seinen Kindern als auch seiner senilen Mutter gegenüber), seine Ängste und das Bewusstsein, dass das irdische Glück vergänglich ist, machen ihn für mich zum absoluten Sympathieträger.

Die schwelende Terrorangst - irgendwie hat man das Gefühl, dass jede Minute etwas passieren muss - gibt der Geschichte etwas Beängstigendes, etwas Bedrohliches.

Ich habe das Buch in sehr, sehr guter Erinnerung!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Katia » 18.12.2006, 20:11

Von mir bekommt das Buch auch :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:, ist eine Kandidat für die Highlights des Jahres 2006 (wenn ich denn mal dazukomme, mir die auszusuchen). Ich glaube, ich habe im BT schon geschrieben, dass mich die Passagen über Squash nicht gestört habe, im Gegenteil, die Psychologie die er dabei beschreibt, kam mir sehr bekannt und genau beobachtet vor. Saturday ist ein klar konzeptioniertes, ambitioniertes Buch, manchmal einen kleinen Hauch zu konstruiert, von meine Seite eine unbedingte Empfehlung.

Katia
Zuletzt geändert von Katia am 09.01.2008, 18:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon leseratte4 » 18.12.2006, 20:17

Hallo Pippilotta,

Mir hat die Person des Henry Perowne recht zugesagt. Sein absolut loyales Verhalten gegenüber seiner Familie (sowohl der Ehefrau, seinen Kindern als auch seiner senilen Mutter gegenüber), seine Ängste und das Bewusstsein, dass das irdische Glück vergänglich ist, machen ihn für mich zum absoluten Sympathieträger.

Damit hast Du meine Meinung viel besser zum Ausdruck gebracht als ich.
Über die spannende chirugische Fachkenntnis könnte man sich allerdings streiten. Warum muss man schreiben, daß jemand einen Haarriß des Processus maxillaris erleidet hat. Reicht es nicht völlig aus, daß die Nase nicht gebrochen sondern nur gequetscht ist?
Wahrscheinlich ist es aber so realitätsnaher. Ärzte denken ja nun einmal so. :wink:

Gruß
Leseratte
leseratte4
 

Beitragvon tom » 09.01.2008, 00:38

Wir folgen Henry Perowne, einen Neurchirurgen, vom fruehen Samstagmorgen, dem 15. Februar 2003 ueber 24 Stunden. Die Ereignisse des Tages bieten dem Erzaehler die Gelegenheit, Rueckblicke auf die Leben der Familienmitglieder zu werfen. Seiner Frau, seines Musikersohnes Theo, der fuer den Abend aus Paris erwarteten Tochter Daisy, die ihre ersten Buecher veroeffentlicht, der Eltern etc. Insbesondere ein kleiner Autounfall und die darauf folgende Auseinandersetzung mit dem sichtbat angeschlagenen Baxter wird den Tag nahe an der Rand einer Katastrophe bringen.

Im Hintergrund des selben Tages steht eine Riesendemonstration in London gegen den nahe bevorstehenden Krieg gegen den Irak. Und obwohl an zeitweilig von zwei relativ unabhaengigen Erzaehlstraengen denken koennte, ist das regelmaessige Auftauchen dieses Themas doch ein Zeichen einer Verbindung, die McEwan herstellt. So steht dieser Roman ganz klar in der Folge des 9.Septembers 2001. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass der Autor zu sehr etwas sagen wollte ueber den Terrorismus und die unausweichliche militaerische Antwort durch die USA und den allierten Briten. So gab es fuer mich Passagen, denen ich in ihrer oberflaechlichen Unwiderlegbarkeit und einem gewissem Pessimismus nicht ganz traue, da die Wahrheit, bzw. Realitaet stets komplexer ist. Manchmal dann wiederum scheint McEan genau dieser Eindeutigkeit zu widersprechen und sieht das Fragwuerdige. Ja, im Verlauf des Romans ist es genau diese Komplexitaet und eine notwendige dauernde Infragestellung sener eigenen Sicherheiten, die die Oberhand gewinnen werden.

Ueber dem ganzen Tag, und dem anscheinend gut laufenden Leben des Perowne liegt stillschweigend eine Bedrohung, die der Autor meisteraft unterschwellig andeutet. Stets scheint der naechste Moment unerwartet und dennoch irgendwie lange vorbereitet: In jedem Augenblick – so vermeint man – mag ein Leben kippen.
Ich meine zwar. dass es McEwan insbesondere in den detailhaften Schilderungen der beruflichen Faehigkeien von Henry Perowne etwas uebertreibt, doch finden auch diese laengeren, sehr ausgefeilten Schilderungen ihren Platz im Werk. Insbesondere die ersten hundert, ja einhundertfuenfzig Seiten koennten etwas langgezogen wirken, doch es lohnt sich: Der Roman scheint seine Aufloesung in Fragen am Ende zu erhalten. Er steht darin in einer Reflexion, die in der Folge des 11.9.01 und in Grundfragen nach Sinn des Lebens und z.B. « notwendiger » Gewaltanwendung oder auch Vergebung den Autor stark bewegt haben muss. Nicht jeder muss allen Meinungen des Autors folgen, doch es ist es wert, ihm zuzuhoeren.

:stern: :stern: :stern: :stern: / :stern:
tom
 

Beitragvon Katia » 09.01.2008, 18:42

Das freut mich, Tom, dass Dir dieser McEwan mehr zusagt. Ich denke, Abbitte wird Dir auch (noch mehr?) gefallen!

Katia
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Beitragvon tom » 10.01.2008, 00:36

Katia hat geschrieben:Das freut mich, Tom, dass Dir dieser McEwan mehr zusagt. Ich denke, Abbitte wird Dir auch (noch mehr?) gefallen!

Katia


Auf jeden Fall hat mir dieses Buch mehr gefallen. Ich mus aber zugeben, dass ich immer wieder schwankte, besonders am Anfang, ob ich mich ueber manche Ausfuehrlichkeiten oder indirektem Pessimismus aergern sollte oder nicht. Man spuert bei McEwan doch eine Art existenzieller Bedrohtheit, die ich einerseits absolut teile, andererseits nicht im ersten Vordergrund sehen will.

Ja, laengerfristig wird Abbitte auch drankommen! :D Jenes Buch hat auch bei anderen Bekannten eindeutig die besten Reaktionen gehabt.
tom
 



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