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Re: Der Windflüsterer
Lee_Iminis - 07.09.2006, 20:17Der Windflüsterer
Wieder eine meiner neueren Geschichten. Ich hab sie schon in mehreren Internetseiten gepostet, also bitte nicht aufstöhnen, wenn ihr diese story schon wieder sehen müsst^^ aber bewertungen erhalte ich natürlich immer wieder gerne. hierbei gehts in unregelmäßigen abstanden auch immer mal wieder weiter. :cool:
Der Windflüsterer
Prolog
Nichts war zu hören außer dem leisen Rascheln des Windes, der in den grauen Blättern der Bäume spielte und dunkle Schattenmuster auf den moosigen Boden tief unter den Baumkronen warf. Zwar war es bereits dunkel, es ging auf die Mitternacht zu, doch der blutrote, runde Vollmond am östlichen Himmelszelt warf sein gespenstisches Licht auf die unwirkliche Szenerie, sodass man zumindest erahnen konnte, wo man sich befand. Es war nichts sonst zu hören. Keine Grille zirpte, kein Wassertropfen fiel auf den Boden, keine huschenden Tiere verkrochen sich im Unterholz.
Plötzlich wurde die anmutige Stille jedoch gestört. Ein lautes Knacken kam von einem besonders dichten Reisighaufen am nördlichen Waldrand und breitete sich über den gesamten Wald aus; das Blätterdach ließ das eigentlich leise Geräusch widerhallen wie einen Schuss. "Auaaa...". Stöhnend rappelte sich ein Blätterbündel auf, welches sich bei näherem Hinsehen als ein Mädchen entpuppte. Sie befreite sich fluchend aus dem Gestrüpp und strich ihre flechige Leinenhose glatt. Ihre runden, braunen Augen huschten erschreckt hin und her, doch sie konnte nichts erkennen. "Verdammter Yirr!", knurrte sie und rieb sich den schmerzenden Hintern, auf den sie soeben gefallen war. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass sie aus dem einfachen Volk stammte und sich eher wie ein Junge denn ein Mädchen fühlte. Ihre kurzen Haare standen widerspänstig ab und waren so dreckig, dass man die ursprüngliche Farbe kaum noch erahnen konnte. Das runde Gesicht war braun gebrannt von der Sonne und sie hatte keine Schuhe an. Offenbar war sie an den Barfußgang gewöhnt. Langsam stolperte sie auf die andere Seite des Haufens und zerrte vergeblich an einem rostroten Baumwolltuch, dass sich wohl versehentlich in den Ästen verfangen hatte. Schließlich seufzte sie und krabbelte in eine kleine Mulde, deckte sich mit Farnblättern- die sie durch bloßes Tasten erkannte- zu und fiel in einen unruhigen Dämmerschlaf.
Kurz vor dem Morgengrauen erwachte sie. Es dauerte einen Augenblick, bis ihr bewusst wurde, dass sie sich mitten im Wald befand und dort genächtigt hatte. Doch jetzt, da sie die Hand wieder vor den Augen sehen konnte, kam ihr alles gleich viel freundlicher vor als in der Nacht und sie malte sich schon in strahlenden Farben aus, wie viel Respekt ihr die anderen entgegenbringen würden- sie, die Einzige, die es jemals gewagt hatte, im Wald von Malasura zu übernachten...
"Du bist nicht die Erste. Vor dir wagten sich bereits hunderte, hier zu schlafen.". Erschreckt und mit pochendem Herzen fuhr sie herum. Zwei Meter neben ihr saß ein Mann. Er war auffallend gutaussehend, aber seltsamerweise hatte er nichts menschliches an sich. Mit dem schmalen Rücken an den Gestrüpphaufen gelehnt und mit ausgestreckten Beinen saß er da und musterte sie ruhig. Dem Mädchen kam es vor, als wäre seine Stimme der Wind selbst, der von weiten Reisen, verborgenen Geheimnissen, unerforschten Ländern und längst vergangegen Zeiten kündigte; der den Geruch von Holz, Pflanzen, teuren Stoffen und anderen verborgenen Schätzen in sich trug und ihr so oft schon spielerisch, bisweilen reißend durch die Haare geweht war und sie einlud, mit ihm zu fliegen. Doch als sie sekundenschnell blinzelte war der Bann gebrochen. Mit einem spitzen Schrei sprang sie auf und stob ängstlich davon. Die nächtliche Stille war nun durchbrochen von fröhlichen Vogelstimmen, die den Morgen ankündigten, vom Plätschern eines nahen Baches und vom Knarren der Bäume, die sich untereinander austauschten. Der geheimnisvolle Mann lächelte in sich hinein und war kurze Zeit später spurlos verschwunden, als hätte der Wind ihn fortgeweht.
Kapitel 1 - Die Stadt (Hellytherm am See, gegen Mittag)
Immer mehr Blicke, ob nun verwunderte, ängstliche oder empörte, folgten mir. Auf Schritt und Tritt. Und jedes Mal war es das selbe, wenn ich eine Stadt oder eine Siedlung der Menschen betreten wollte. Hellytherm war eine hübsche kleine Stadt, die auf der östlichen Seite vom großen Gebirge eingeschlossen wurde und auf der westlichen und nördlichen Seite an einen See von ungeheuren Ausmaßen grenzte, für den es bekannt war. Doch offenbar hatten diese Leute, zumeist Kleinstadtbauern, mittelständige Bürger und einige wenige Adlige, noch niemals ein anderes Wesen als ihresgleichen gesehen. Womit ich nicht ihre Tiere meinte. Bestimmt hatten die, die lesen konnten, in ihren schlauen Büchern einige Fabelwesen wie Elfen oder Harpyen entdeckt, wenn sie zufällig durch die Verzeichnisse blätterten, aber ich hätte schwören können, dass sie nicht um Geld um die Existenz solcher "Kreaturen" gewettet hätten. Nun ja. Es ist doch immer wieder amüsant, welchen Schock ich mit meinem plötzlichen Auftauchen bewirken kann. Zumindest, wenn ich es mit einfachen und unerfahrenen Leuten wie jenen hier zu tun habe. Langsam und gemächlich schlenderte ich durch die Gassen von Hellytherm, blieb hier und da stehen oder verneigte mich sacht vor mir entgegen kommenden Damen, die sich rasch ihre Fächer vor die gepuderten Gesichter hielten, um sich keine Blöße zu geben. Ich neige durchaus nicht zu Prahlereien und fand es tatsächlich überaus belustigend, wie mir ein Mensch, der in der Vergangenheit meinen Weg gekreuzt und mich ein Stück begleitet hatte, mir einst schilderte, was Ich für eine ungeheure Wirkung auf sein Volk habe. Ich glaube, er war ein Dichter; seinen Namen kenne ich nicht mehr und ich kannte ihn auch nur äußerst flüchtig. Doch seine Worte hallen noch immer in mir wider.
"Du hast elfenbeingleiche Haut, Haare, silbern wie Sternenlicht und sanft wie das Gefieder eines eben erst geschlüpften, aber schon trockenen Paradiesvogels. Deine Augen funkeln wie flüssiges, reines Silber und strahlen eine ungeheure Ruhe aus. Deine Statur ist nicht besonders breit, aber dennoch unsichtbar kräftig und wie ein Weidenzweig im Sommerwind. Auf andere Menschen magst du wirken wie ein Gott, zu Erde hinabgestiegen, um sie alle zu erretten. Vielleicht erscheinst du ihnen jedoch auch wie der Teufel höchstpersönlich, erschienen, um ihre Köpfe mit süßlichen Sünden zu erfüllen und sie hinab ins ewige Reich der Verdammnis zu ziehen.". Offenbar stimmten seine Worte. Wie sonst könnte man die Blicke erklären? Aber zurück zur Stadt. Ich halte im Allgemeinen nichts von diesen dreckigen, hässlichen Plätzen, die die Natur verdrängen, ihr jeglichen Lebensatem nehmen und ihre Schätze wie wertlosen Plunder unter sich begraben. Dennoch begebe ich mich ab und zu zu einer Siedlung hin, um zu testen, wie wertvoll die Natur für diese Wesen ist.
Gerade betrachtete ich die Auslagen in einem Geschäftsfenster. Manchmal verwundert es mich wirklich, wie größenwahnsinnig diese Menschen sich fühlen, aber eigentlich eher zum Primitiven hinneigen. Wie dem auch sei. Mittlerweile hatte sich eine regelrechte Menschentraube um mich gebildet. Sie hielten zwar einigermaßen Abstand, aus Angst vielleicht, aber es schien mir doch ratsam, so langsam der Luft zu weichen. Mit einem freundlichen Lächeln, das doch eher ins Weite als auf die Menschen gerichtet war, bahnte ich mir einen Weg zwischen ihnen hindurch und schlug zielstrebig den Weg in Richtung Stadtausgang ein. Wenigstens in dieser Siedlung hatten die Leute noch ein wenig Stil. Die recht breiten, rot gepflasterten Straßen wirkten allesamt sauber und aufgeräumt, die Schaufenster harmonierten mit ihren Farben und es gab reichlich Grün wie kleinere Bäume, Büsche oder ganze Blumenfelder, die das Gesamtbild deutlich aufhellten. Vielleicht war Hellytherm ein klein wenig penibel, doch darüber sahen die meisten wohl gnädig hinweg. Seltsam fand ich es nur, dass es hier keinerlei Armutszeichen gab. In anderen Ortschaften wäre ich längst über den einen oder anderen Obdachlosen gestolpert. Ich war noch mitten in meinen Überlegungen - gerade dachte ich mir, dass Hellytherm vielleicht ein zu unbedeutendes Kaff war und dass die Allgemeinverfassung hier einfach erst mit zwei Jahren Verspätung eintreffen würde - als mir jemand ganz frech ein Bein stellte. Es kam wirklich plötzlich, wie aus dem Nichts. Überrascht, wie ich war, sah ich nur den Boden immer näher kommen, schaffte es allerdings noch ganz knapp, die Arme hochzureißen und mich abzurollen, bis ich schließlich auf den Knien landete und mich nach dem Übeltäter umsah. Die Menschentraube, die eben noch einige Schritte hinter mir gewesen war, hatte sich verdichtet und wispernd standen überall Gaffer. Wenn ich mir vorstelle, was sie denken mussten, könnte ich wirklich noch immer lachen.
Gut drei Schritte hinter mir stand ein Junge. Ich schätzte ihn auf vielleicht 15 Jahre, jedenfalls starrte er mich breit und spöttisch grinsend an und rief dann zu seinen Kumpels über die Schulter: " Da habt ihr euren gefährlichen Waldgeist! Unfassbar, das ihr alle so einen Schiss vor ihm habt. Seht nur, wie er dahockt!". Erst mal war ich baff. Ich? Waldgeist? Gefährlich? Doch als ich mich nun umblickte, sah ich lediglich einige lange Gesichter, fast alle besorgt oder erwartungsvoll. Nun gut, wenn diese Leute eine große Schau meinerseits erwarteten, dann wollte ich sie nicht enttäuschen. Ihr werdet eure Schau bekommen. Langsam, immer bedacht, nicht loszuprusten, stand ich auf, strich mir langsam die Haare aus dem Gesicht und funkelte den jungen Mann mit ernster Miene an. Wie könnte ich ihnen am besten bieten, was sie sehen wollten? Probehalber versuchte ich es mit einer fremden, mystisch klingenden Sprache. Nymphisch erschien mir dafür gerade Recht. "Aêa vyer aen sume shesyr.", zischte ich und ein überraschtes Murmeln ging durch die staunende Menge. Heimlich lachte ich mir ins Fäustchen. Was die Menschen scheinbar für eine Drohung gehalten hatten, hieß übersetzt nicht mehr als "Ich bin jemand nicht- menschliches.". Zur Bekräftigung meiner Worte streckte ich den rechten Arm zu dem Jungen, der nun gar nicht mehr so vorlaut aussah, aus und blies sacht gegen meine Handfläche. Ein seichter Wind umspielte mich, erst sehr träge, dann etwas munterer, und schließlich flogen mehrere giftig aussehende Blätter zu ihm hinüber. "Es will ihn vergiften! Weich aus, Junge!", rief jemand in der Menge. Offenbar hatte der vorlaute Bengel nun wirklich genug, denn er lief ziellos und schreiend davon. Als ich mich herausfordernd zu den restlichen Leuten umdrehte, lösten sich auch diese auf. Wenige Sekunden später stand ich mutterseelenallein da. Mit zufriedenem Lächeln klopfte ich meine Kleidung ab und schlenderte gemächlich weiter.
Hinter der Stadt gab es nur einen einzigen Weg, begrenzt von nichts als Feldern. Grün grün grün und ab und an einmal gelb. Ich mochte Felder nicht, ich mag sie heute noch nicht und ich werde sie niemals mögen. Sie sind so künstlich, der Wind kann nicht richtig durch sie hindurchfahren und weil sie oft einfach zu flach gelegen sind, bietet sich keinerlei Rückzugwinkel. Wie dem auch sei - wir sind ja schließlich nicht hier, um uns meine Jammereien über Kornfelder anzuhören.
Ich setzte meine Erzählung also an anderer Stelle fort, nämlich exakt drei Tage später (Oder wollt ihr doch mehr über die Flder hören?). Ich erreichte die Landesgrenze, die ein gutes Wegstück hinter Hellytherm begann und quer über das Gebirge lief. Ich hatte mir fest vorgenommen, es einmal zu überqueren, um die dahinterliegenden Gefielde zu erforschen und die dortigen Wälder zu meiner vorrübergehenden Heimat zu machen. Die Felder waren nun entgültig gewichen - welch ein Segen - und waren durch endlos scheinende Geröllfelder ersetzt worden, die wenigstens etwas spanneder waren (Naja. Fast.). Meine Schritte knirschten gleichmäßig auf dem Schotter, der sich als graues Band zwischen den grauen, langsam größer werdenden Felsbrocken hindurchwandt und eher als Trampelpfad denn als Weg zu bezeichnen war. Stundenlang lief ich dem Band nach, witer auf die Berge, immer steiler hinauf, in immer höhere Luftschichten und an immer kahlere Orte. Unterwegs beschäftigte ich mich zumeist mit meinen Erinnerungen; ich erfand Geschichten, was wohl geschehen wäre, hätten sich diese oder jene wichtige oder unwichtige Person zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort getroffen. Die Folgen waren meist so fatal, dass es schon wieder morbide bis lachhaft wurde. Mir wurde also niemals langweilig.
Endlich, nach stundenlangem Marsch durch öde Steinwüsten, war ich an der Grenze angelangt.
Ich hatte nicht vermutet, dass es ein Pförtnerhaus gab. Wofür braucht man mitten in den Bergen, wo sich sonst niemals ein menschliches oder unmenschliches Wesen blicken lässt, ein Pförtnerhaus? Ich seufzte, überlegte, dass es am einfachsten wäre, einfach nur das beste zu hoffen und öffnete die klirrende Tür. Das Klirren, stellte ich fest, kam von einer kleinen, silbernen Glocke, die an der inneren Klinke hing und jeden Besuch lautsark ankündigte. Man hatte das Gefühl, in einem Wohnhaus zu stehen, welches einfach in der Mitte unterbrochen worden war, um Gelegenheitspassanten wie mich auf beiden Seiten den Durchgang zu ermöglichen. Die ersten Sinneseindrücke, die ich hatte, waren, dass hier naturerbundene Menschen hausen mussten; überall hingen getrocknete Kräuterbündel, vorwiegend Heilpflanzen, und es duftete stark nach Heu, Honig, frischer Milch und Brot. Rechts von mir befand sich eine kleine Wendeltreppe, eingebaut in die Wand, die nach oben führte. Es gab viel Holz; die Wandverkleidungen, die Böden, die Decken und Möbel. Das einzige nicht- hölzrne hier waren wohl Kamin und Kochstelle, beide aus gemauerten Ziegeln, die rußgeschwärzt aus den jeweiligen Wandteilen hervorstarrten.
Plötzlich ertönte über mir ein heftiges Rumpeln, gefolgt von einem lauten Schrei - der sich sehr wütend anhörte - und hastigen Stapfern, die das Kommen einer Person von oben ankündigten (Nun ja. Vielleicht sollte man erwähnen, dass ein heftiger Regen von Staub und Spinnweben von der Decke ebenfalls dazu beitrug, die Person zu bemerken.). Auf der Treppe erschien ein weibliches Wesen - ich nahm an, dass es weiblich war, vermutlich sogar menschlich, aber etwas anderes war ebenfalls denkbar -, dass sich empört die struppligen Haare aus der Stirn strich, den Mund zu einer Schimpforgie öffnete - und bei meinem Anblick sofort wieder schloss. Ich erwähnte doch bereits, dass Menschen sehr seltsam auf meine äußere Erscheinung reagieren, nicht wahr?
Merkwürdig ruhig kam sie die letzten paar Stufen herunter, blinzelte, starrte mich weiter an. "Seid gegrüßt, entschuldigt bitte, dass ich euch gestört habe, ich-". "Du!". Hä? Da versucht man mal höflich und einigermaßen menschlich zu klingen, wird aber mit einem einzigen, vulgären Wort unterbrochen? Entschuldigung?
"Du!!". Sie starrte mich immer noch an, ihre braunen Augen musterten mich intensiv. Irgendwie klang ihre Stimme triumphierend. Leicht irritiert, wie ich war, blinzelte ich und begann erneut zu sprechen. "Ich verstehe nicht ganz... kennt ihr mich? Ich erinnere mich nicht mehr an euch, verzeiht... Mein Gedächnis-". "- ist nicht das beste, wie ich sehe!". Die zweite Unterbrechung, diesmal energischer und irgendwie zynisch klingend. Langsam wurde mir dieses Wesen unheimlich. "Naja, ist aber kein Wunder, wir haben uns ja nur kurz gesehen und damals war ich ja noch klein. Warum siehst du eigentlich immer noch so aus wie früher?!". Sie schüttelte den Kopf und kramte in einem Bücherstapel herum. "Ich jedenfalls hab dich nicht ein einziges Mal vergessen.". Ah ja. Sollte das eine Liebeserklärung sein?
Als sie gefunden hatte, was sie suchte, drückte sie mir grinsend einen Lederfolianten in die Hand und kletterte die Treppe wieder hoch, ohne mich weiter zu beachten. Zögernd blieb ich stehen. "Setz dich irgendwo hin, wo Platz ist! Ich komm gleich!". Tja. Was sagt man dazu? Ich sah mich skeptisch um, schob ein paar gebrauchte Kleidungsstücke von einem Stuhl und wartete. So etwas hatte ich noch nie erlebt, aber bitte.
Zehn Minuten später kam die Frau wieder herunter, komplett umgezogen und offenbar mit Reisegepäck. "Wir können gehen!", erklärte sie fröhlich und öffnete die Tür auf der anderen Seite. Diesmal war ich wirklich baff, was man man offenbar sehen konnte. Unverschämterweise kicherte sie. "Na hör mal! Ich bin eine Frau und ich kann doch nicht allein reisen. Wenn dann schon mal ein Gast hier durchkommt, muss man das doch ausnutzen.". Ich war schon versucht, sie anzuschreien, zuckte aber dann mit den Schultern und folgte ihr. Irgendwo würde ich sie schon loswerden können. Ich würde sehr schnell feststellen, dass ich mich dieses Mal getäuscht hatte.
Kapitel 2 - Der Pass des Winters
Eisiger Wind wehte uns entgegen, als wir hinter der Anhöhe aus dem Wäldchen traten und auf den seitlichen Berghang blickten. Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, das Licht verschwand immer mehrund schon zogen sich die ersten Schatten über die Gerölllandschaft. "Puh!". Die junge Frau zog die Augenbrauen hoch und atmete gleichmäßig ein und aus, während sie sich hinhockte und ihr Bündel aufschnürte. "Ihr wollt hier pausieren?". Ich sah sie an, doch sie nickte nur und grinste. Ich hatte noch nie ein so frisches und gleichzeitig spöttisches Lächeln wie bei ihr gesehen. "Natürlich! Oder denkst du, mein schwacher, menschlicher Körper - nebenbei auch noch ein weiblicher, falls du es noch nicht bemerkt hast - hält das Tempo, das du vorlegst, ewig aus?". Sie strich sich die kurzen, fransigen Haare aus der Stirn und widmete sich wieder ganz ihrem Käsestück, das sie momentan malträtierte. "Ich hatte eigentlich nicht vor, jetzt bereits zu rasten. Madame, ihr werdet wohl doch auf den nächsten Reisenden warten müssen." "Aber nein! Dazu habe ich weder Lust noch Geduld. Deine Gesellschaft reicht mir vollkommen, danke." "Dann werdet ihr euch wohl wieder aufraffen müssen, denn ich gedenke nicht, ebenfalls hier zu verweilen.". Nun ruhten ihre tief braunen Teichaugen wieder auf mir und ich glaubtem, etwas wie Belustigung zu erkennen. "Wenn du mich hier allein lässt, dann werde ich wohl erfrieren oder von Räubern aufgeschnappt. Oder aber ich bring mich selbst um. Kommt also alles nur auf dich an.". Sie lächelte mich an. Wie kann man nur so etwas sagen und gleichzeitig ein Gesicht wie Fortunas Günstling persönlich machen? Ich meine... Sie war doch ein Mensch, oder? Ganz sicher war ich mir langsam jedenfalls nicht mehr.
Aber sie schien es ernst zu meinen. Ich überlegte kurz, fuhr mir über die Stirn - eine Geste, die ich sonst nur bei haltlos überforderten oder gestressten Wesen gesehen hatte - und hockte mich seufzend neben sie. "Ich habe noch nie einen Menschen wie euch getroffen, Mylady.". "Tatsächlich? Das sagt man mir oft." "Wenn ich mit euch reisen soll, wäre es äußerst hilfreich, euren Namen zu kennen, meint ihr nicht auch?". Forschend blickte sie mich an, doch in ihren Augen glitzerte wieder dieses gewisse Grinsen. "Das beruht dann wohl auf Gegenseitigkeit, wenn ich nur du sagen kann, langweile ich mich schnell!". In diesem Augenblick hätte ich das Wort Trauer benutzt, wenn ich menschlich gewesen wäre, doch für das, was ich fühlte, gab es kein Wort in einer menschlichen Sprache. Ich starrte in die Ferne und lauschte lange auf das Rauschen des tief unter uns liegenden Waldes, bevor ich mich wieder meiner Begleiterin zuwandte. "Ich habe keinen Namen in eurer Sprache, der mir etwas bedeutet. Sicherlich gab man mir in längst vergangenen Zeiten Namen, doch sie kligen in meinen Ohren hohl und aufgezwungen. Ich möchte nicht so genannt werden.". Sie schwieg einen Moment, als überlegte sie, was ich ausdrücken wollte, und blickte dann ebenfalls abwesend in die dunklen Baumspitzen. "Dann sag mir deinen richtigen Namen. Vielleicht ist meine Aussprache nicht ganz korrekt, aber-" "Nein. Verzeiht mir, aber ich fürchte, dies ist schon allein wegen dem Rassenunterschied unmöglich.". So langsam fing sie an, mir auf die Nerven zu gehen, muss ich gestehen. Nicht, dass ich etwas gegen neugierige Menschen habe, aber..."Na schön! Dann denke ich mir eben etwas aus, wenn du nicht mit mir sprechen willst." Als ich nicht antwortete, sprang sie ungeduldig auf. "Ach mensch! Jetzt sag mir doch wenigstens einen der Namen, wenn du doch so viele hast!!". Ich sah fast schon gleichgültig zu ihr auf und zuckte die Achseln. "Na gut, du haste s so gewollt.". Fast schon triumphierend streckte sie mir ihren Mittelfinger entgegen. Was für ein Glück, dass ich mit dieser Geste damals noch nicht vertraut war.
"Ab heute heißt du Scalan.". Das jedoch hatte gesessen, sodass ich auf einen Schlag wieder hellwach war. Nicht, dass Scalan seltsam klang, aber wer würde schon gerne freiwillig "Seltsamer Grauer" heißen? Zumal, finde ich, dieser Name unangenehm nach Hund klingt.
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