Der Weg

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    Re: Der Weg

    Yemenity - 11.07.2006, 03:35

    Der Weg
    Ich glaube, ich muss hier ein Gegenstueck zu Kaykays Erzaehlung veroeffentlichen.

    Erstmal eine kurze Vorstellung:
    Ich heisse Chaya, bin yemenitische Juedin aus Israel, wohnhaft in NRW - tja, es wird eben multikulturell hier :D - bin hier auf eine Einladung hier aufgetaucht. Eigentlich gedenke ich, hier zu bleiben. Sollte jemand an mich Fragen haben - hoffentlich freundlicher Natur, dann bitte FRAGT und geniert euch nicht! Ein paar Woerter auf Arabisch sind gerne willkommen - aber wirklich nur ein paar. Ich lerne noch 8) .
    --

    Eine Erzaehlung aus meiner Vergangenheit, erfunden, doch trotz allem eine traurige Realitaet...
    Hinweis: Niemand soll sich angesprochen oder beleidigt fuehlen. B"H .

    Chaya



    Re: Der Weg

    Yemenity - 11.07.2006, 03:38

    fortsetzung
    Hauptperson: der Junge Matzliach, zum Zeitpunkt des Geschehens 10 Jahre alt.
    Zeitbereich: 1948-1949

    Der Weg


    Lasst mich euch eine Geschichte erzählen. Es ist eine Geschichte, die so viele erzählen könnten und doch so wenige getan haben. Eine Geschichte, die sich oft wiederholte und doch nie die gleiche, war, da sie mit vielen geschah. Sie gehört vielen, diese Geschichte, denn sie war unser Schicksal.
    Doch lasst uns als Beispiel für sie meine Familie und mich nehmen.


    Wir lebten in einem kleinen Dorf, meine Eltern, meine acht Geschwister und ich und noch fünfzehn weitere Familien. Das Dorf war relativ groß, aber natürlich kein Vergleich zu der Hauptstadt Sana'a, welches man nach anderthalb Tagen Gehen oder halbem Tag Eselritt erreichen konnte, sofern man einen besaß. Ich war nur einmal in Sana'a , in unserem Viertel, als mein Vater von dort einige Blätter Pergament abholen ging. Damals kam mir allein das Viertel schon wie ein riesiges Dorf vor. Ich war auch erst acht Jahre alt. Aber in den Erzählungen der anderen blieb Sana'a immer noch erstaunlich groß, also konnte ich mir doch noch ein Bild von ihr machen.

    Meine Eltern lebten in diesem Dorf schon zwanzig Jahre, bis ich geboren wurde. Sie hatten hier geheiratet, ihr kleines Webe- und Silberschmuckgeschäft aufgebaut und uns neun Kinder bekommen, und das alles sogar in einigermaßen guten Bedingungen, ich meine, wir hatten ein festes Dach über dem Kopf, zwei Zimmer im Haus und zwanzig Schafe - und dazu noch zwei Esel. Wir galten als Mittelschicht. In der Synagoge hatte mein Vater die Aufsicht über die Thora - Rollen, was uns zusätzlich einen guten Ruf einbrachte. Und was fast noch wichtiger war: Obwohl wir kein eigenes, abgegrenztes Viertel hatten und sogar teilweise Haus an Haus mit den Muslimen lebten, galt unser Dorf als eines der sichersten im ganzen Gebiet Sana'a und Umgebung!
    Wir hatten nur zwei Mal Unruhen erlebt. Einmal, es war während einer großen Dürre, hatten die Armen der Araber unsere Synagoge angegriffen und wurden dabei von anderen unterstützt; und einmal wurden den Juden die Getreiderationen gestrichen - da war ich ungefähr sieben. Man sagte uns Kindern, es wäre eine Strafe, da wir zu viel essen würden.
    Was natürlich nicht stimmte! Aber wir waren ja noch Kinder, mit ein paar Heuschrecken und trockenen Brotfladen hatten wir es überlebt.
    Eigentlich, wenn ich jetzt nachdenke, haben wird damals einfach nur viel Glück gehabt. Glück, dass unsere Zeit nicht schon früher gekommen war. Mehr Glück als andere Familien, andere Gemeinden, andere Dörfer...

    Natürlich hörten wir viel von Fremden, die manchmal nachts oder tags zu uns kamen, oder vom Markt oder von Erzählungen der anderen aus dem Dorf. Ich bekam die meisten Geschichten von Pogromen, Ausweisungen, Überfällen und Enteignungen in der Synagoge mit, denn ich war zwar der Jüngste von neun Kindern, aber ich hatte nur einen Bruder und der Rest waren Schwestern und ich genoss die meisten Privilegien eines Jungen.
    Nach solchen Erzählungen pflegte ich meist zu dem Thora-Schrein zu laufen und betete dort lauthals auf Arabisch, da ich Hebräisch nicht gut konnte:
    „Herr, verschone uns doch vor anderen Fremden, die zu uns kommen! Lass sie kein Unheil zu uns bringen mit ihren Geschichten! Ich opfere dir auch meine beiden Esel dafür!“
    Und mein Vater schimpfte mich daraufhin immer aus und schrie, ich solle keinen Unsinn reden und mich nicht versündigen, sondern lieber beten lernen. Was ich auch dann tat, mit meinem Bruder Yechiá zusammen – und vielleicht half es auch.

    Aber nachdem wir so lange mit Sicherheit und Wohlstand verwöhnt worden waren, kamen auch wir an die Reihe zu spüren, was es wirklich hieß, in Yemen Juden zu sein.

    ---



    Re: Der Weg

    kaykay - 11.07.2006, 03:46


    Erschrenkt Reale Geschite die ich da Lese, aber um so interessanter wenn man sich vorstellt das dass wirklich passierte.



    Re: Der Weg

    Yemenity - 11.07.2006, 06:09

    fortsetzung 2
    Stimmt, Kaykay.

    ---

    ***

    Eines Tages kam Moshé der Schmied zu uns in die Werkstatt gelaufen. Er war schrecklich erschöpft, bekam kaum noch Luft und wäre sicher umgefallen, hätte mein Vater ihn nicht aufgefangen.
    „Was ist passiert?“, fragte er ihn besorgt, „warum musstest du so rennen? Welchen Grund hattest du dafür?“
    Moshe setzte sich schwer atmend hin.
    „Meister“, keuchte er, „Meister! Ich habe es gerade von dem Dorfverwalter gesagt bekommen, weil ich da wegen meines Silbers in der Nähe war!...“
    Er keuchte wieder. Nach einigen Sekunden setzte er fort:
    „Ich habe es von ihm gesagt bekommen! Eine schreckliche Sache!!“
    „Was?“, fragte mein Vater schroff. Auch Yechia und ich schauten ihn gespannt an.
    „Meister, die Juden – die Juden – wir müssen weg!“
    „Was? Ich verstehe nichts. Matzliach“, begann Vater und er wollte wohl gerade etwas zu mir sagen, denn ich heiße Matzliach, doch Moshe unterbrach ihn und sprang auf.
    „Der Verwalter hat gesagt, wir müssen weg! Übermorgen! Weg hier! Anordnung aus Sana’a!!“, rief er abgehackt und mit diesen Worten drehte er sich um, stolperte wieder aus dem Raum und verschwand hinter der Mauer.
    „G’tt bewahre ihn, vielleicht ist er verrückt geworden“, murmelte mein Vater. Doch dann drehte er sich zu mir um.
    „Geh zu deiner Mutter, Matzliach. Geh zu deiner Mutter, sofort.“
    Und er schritt ebenfalls hinaus.

    Ich ging nicht zu meiner Mutter, das tat schon Yechia. Meine Mutter war kein Mensch, der sich für die Geschehnisse außerhalb groß interessierte. Sie webte nur lieber alleine und sang vor sich hin, und wenn jemand ihr etwas über schlimme Ereignisse von außen erzählte, lächelte sie nur traurig und versuchte denjenigen mit irgendeinem Spruch zu vertrösten. Deshalb konnte ich von ihr auch keine Aufklärung erwarten. Ich rannte hinaus und folgte, wie schon oft, den Spuren meines Vaters, die er im Sand hinterließ.
    Ich sah meinen Vater in einiger Entfernung auf die Synagoge zueilen; ich hielt mich dicht hinter ihm, aber gedeckt durch zahlreiche Häusermauern. Als ich hinter einem Getreidespeicher hervor spähte, entdeckte ich, dass mein Vater stehen geblieben war. Er sprach mit dem Rabbiner. Je näher ich versuchte heranzukommen, desto leiser wurden sie. Schließlich schüttelten sie beide die Köpfe und gingen in Richtung unseres Gebetshauses.
    Ich lief hinterher. Immer mehr Männer gingen in dieselbe Richtung, offensichtlich hatte Moshe schon die meisten zusammengeschrieen. Nun kam ich an und versteckte mich an der Südwand des kleinen, engen Lehmgebäudes, das zwei Stockwerke hatte und, wie es schien, unzählige Fenster. Ich hoffte natürlich, etwas von dem erhaschen zu können, was die anderen drinnen besprechen würden. Über eine Stunde lag ich so da, mein Ohr dicht an die Wand gepresst, im Staub! Aber gehört habe ich kaum nennenswerte Bruchstücke. Ein neues Dekret sei ausgestellt worden, murmel, murmel.Übermorgen bei Sonnenuntergang, murmel. Irgendetwas mit Juden, Wüste, Tragödie. Dann fingen alle an zu beten und ich ging nach Hause.

    ----



    Re: Der Weg

    kaykay - 11.07.2006, 06:35


    Deine Kurzgeschiten sind eine Berecherung für unser Forum!!! Sidn gespannt auf deine weiteren Geschichten!!!



    Re: Der Weg

    Yemenity - 13.07.2006, 06:30

    fortsetzung 3
    Dankeschoen. :D Na dann... wenn man sie sich ehrlich durchliest...

    ------------------------------------

    ***

    Als ich zu Hause ankam, wollten natürlich mein Bruder, meine Schwestern, ja sogar meine Mutter von mir wissen, was geschehen sei. Sie waren es gewohnt, dass ich, der Kleine und Flinke, immer als Erster das Neueste raus hatte und es ihnen auch als Schnellster sagen konnte, denn, wie gesagt, ich folgte den anderen oft, sobald etwas geschah, und meistens auch ungesehen.
    Doch dieses Mal musste ich sie enttäuschen. Ich sagte, sie sollten meinen Vater fragen, wenn er zurückkäme, und verschwieg nähere Einzelheiten. Wozu hätte ich sie erzählen sollen? Mit meinen zehn Jahren konnte ich durchaus etwas falsch verstanden haben!

    Aber das hatte ich nicht. Es war alles wahr, alles, was ich gehört und was ich nicht gehört hatte. Unser Vater kam erst am Abend heim und was er uns zu sagen hatte, war schrecklich.
    „Das Schicksal hat uns erreicht“, begann er, als wir zu Abend gegessen und sich all um ihn versammelt hatten.
    „Das Schicksal, was schon so viele Gemeinden zuvor getroffen hatte, hat nun auch uns erreicht. Es ist ein neues Dekret ausgestellt worden. In Sana’a. Demnach haben wir alle aus diesem Dorf binnen zwei Tagen zu gehen. Alle. In die Wüste.“
    Stille trat ein, ein drückendes Schweigen.
    „Warum?“, flüsterte meine Mutter schließlich fast unhörbar, „warum? Was haben wir getan? Was haben wir ihnen jetzt getan?!“
    „Man sagt, die Wirtschaftslage habe sich verschlechtert. Es gäbe nicht genug Wasser, Essen, Häuser…“, antwortete Vater.
    „Das glaube ich nicht!“, brauste Yechia auf, „das ist nicht wahr!! Sie wollen uns bloß hier raus haben! Wie damals, als unsere Großmutter und die anderen hinausgejagt wurden! Nun machen sie es auch hier!“
    Yechia meinte eine ähnliche Tragödie vor acht Jahren, als die Juden des Dorfes, wo unsere Großmutter lebte, ebenfalls in die Wüste geschickt wurden. Einige hatten es damals von dort hierhin geschafft. Sie hatte es nicht überlebt.
    „Schweig!“, fuhr mein Vater ihn an. „Sprich keine Sünde. Sei froh, dass es jetzt geschieht und nicht schon viel früher. Wir waren zu lange die Glücklichen.“
    „Froh sein?!“, schluchzten meine Schwestern und rannten ins Schlafzimmer. Meine Mutter hielt sie nicht zurück.
    „Und was jetzt?“, fragte ich.
    „Jetzt? Warten. Nur warten. Wir versuchen es zu verhindern. Schon morgen früh werden der Rabbiner und einige andere Ehrenwerte sich nach Sana’a aufmachen, um eine mögliche Verlängerung zu erbitten. Steht das Gelingen für uns geschrieben, dann gelingt es. Wenn nicht – dann nicht.“
    Damit stand er auf, erklärte die Besprechung für beendet und ließ uns, die wir noch da saßen, allein.


    ***


    Am Morgen wachte ich früh auf. Erst ging ich zu den Schafen und wusch mich dort, dann lief ich auf die Hauptstrasse des Dorfes, um zu sehen, wie der Rabbiner mit den anderen nach Sana’a ritt. Sie tauchte auch schon bald auf, fünf Männer waren es und sie waren umringt von Kindern und Alten. Ich lief hinzu.
    „Möge das Schicksal mit euch sein!“, sagte ich ihnen, „G’tt wird euch nicht verlassen!“
    Sie nickten traurig, setzten sich auf die Esel und zogen los. Ich wartete ab, bis sie kaum noch auf dem Weg nach Sana’a zu sehen waren, und rannte hinterher.

    Ich rannte lange mit ihnen, an den Wegrändern, zwischen Büschen, kleinen Sand- und Steinhügeln, unter sengender Hitze, die immer höher anstieg, je mehr es Mittag wurde. Schließlich konnte ich nicht mehr, legte meinen Kopf unter einen großen, hervorstehenden Stein am Wegrand und sah der kleinen Prozession zu, die sich immer weiter in einer Staubwolke entfernte und im gleißenden Licht der Sonne langsam zu verschwinden schien. Ich wusste: Sie hatten noch lange zu reiten.
    Es dauerte ungefähr bis zum Abend, bis ich wieder zu Hause war. Meine Schwestern webten, meine Mutter hütete die kleinen Söhne von Sarit, der Zweitältesten; und ich ging zu Yechia, der voller Wut an einem Silberdolch schmiedete. Dort blieb ich den ganzen restlichen Tag, das weiß ich noch genau. Viel geredet haben wir nicht.

    ----------
    yem.



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