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Foer, Jonathan Safran - Extrem laut und unglaublich nah




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Foer, Jonathan Safran - Extrem laut und unglaublich nah

Beitragvon Pippilotta » 13.05.2006, 08:18

Inhalt

Der Vater des 9-jährigen Oskar Schell ist bei den Terroranschlägen vom 9.11. ums Leben gekommen. Mit dem Verlust kommt der Junge nur sehr schwer zu Rande, mit seinem Vater verband ihn eine ganz besonders enge, von Ritualen geprägte Beziehung. In den Hinterlassenschaften findet Oskar in einem Briefumschlag einen Schlüssel und er macht sich zur Aufgabe, das passende Schloss dazu zu finden und erhofft sich dadurch eine Erklärung für den unerwarteten Tod. Seine abenteuerliche Reise, begleitet von seinem Tambourin, führt ihn quer durch New York, er lernt viele sehr interessante Menschen kennen.
Parallel dazu wird die Geschichte seines Großvaters erzählt. Er verliert bei der Bombardierung Dresdens die von ihm über alles geliebte Frau und ein ungeborenes Kind. Von diesem Erlebnis traumatisiert verliert er die Sprache, wandert in die USA aus, wo er Oskars Großmutter, die Schwester seiner Geliebten kennen lernt. Doch er findet sich nicht zurecht und erst der Tod seines Sohnes am 9.11. führt die Familie auf eigentlich ungeahnte Weise zusammen.

Jonathan Safran Foer, geb. 1977, studierte in Princeton Philosophie und Literatur. Jobbte als Ghostwriter und Rezeptionist, eher er 2001 als Herausgeber der Sammelschrift "A Covergence Of Birds: Original Fiction and Poetry Inspired by the Work of Joseph Cornell" zu Ehren des 1972 verstorbenen New Yorker Künstlers Joseph Cornell fungierte.
Er lebt und arbeitet in New York, ist mit der Schriftstellerin Nicole Krauss verheiratet. („Die Geschichte der Liebe“)

"Alles ist erleuchtet" (2002, verfilmt 2005)
"Extrem laut und unglaublich nah" (2005)


Meine Meinung

Ich bin auf das Buch wegen seiner wunderschönen Aufmachung aufmerksam geworden. Nicht nur das schwarz-weiße Cover, auch das Innenleben präsentiert sich „künstlerisch-wertvoll“- würde ich mal sagen. Seitengroße schwarz-weiß Bilder, Fotomontagen, Rotstift-Anzeichnungen, Fotos von 9/11 wechseln ab mit verändertem Schriftbild, Schriftzeichen.

Das Buch liest sich sehr schön, ich würde sagen, es ist sehr intelligent geschrieben (soweit ich das beurteilen kann), viele Stränge laufen parallel und werden erst zum Schluss aufgelöst. Durch den laufenden Wechsel der Erzähler-Perspektive (Oskar, Großvater, Großmutter) gewinnt das Buch an Atmosphäre.
Ausgezeichnet sind die Schilderungen und Beschreibungen der unterschiedlichen Menschen, die Oskar auf seiner „Odyssee“ kennen lernte. Die Erinnerungen an den Vater waren für meine Begriffe etwas zu sentimental, ganz nahe der Tränendrüse! Die Beziehung zu seiner Mutter ist schwieriger, ist von gegenseitigem (gutmeinenden) Beschützen und Verschonen geprägt, jeder versucht selber und für sich, getrennt voneinander, mit den Geschehnissen fertig zu werden. Doch auch die so entstandenen Missverständnisse und Vorurteile werden am Ende ausgeräumt.

Die Schilderungen aus dem 2. Weltkrieg sind recht erschütternd und beklemmend. Sie machten allerdings für mich einen authentischeren Eindruck als die Schilderungen von New York.

Ein Kapitel ist dem Bombenabwurf von Hiroshima „gewidmet“ – es steht völlig zusammenhanglos (zumindest für mich) mit der übrigen Geschichte im Raum und ich frage mich eigentlich, was dieses Kapitel bedeuten soll. Irgendwo habe ich gelesen, es sollen die „menschlichen Gräuel“ aufgezeigt werden. Ich will hier keinesfalls Wertigkeiten vornehmen – aber 2. Weltkrieg bzw. Hiroshima und 9/11 in einem Atemzug zu nennen – es kommt mir doch ein bisschen anmaßend vor.

Von Anfang an hatte ich große Schwierigkeiten mit der Person des Oskar Schell. Er ist extrem altklug, großspurig und besserwisserisch, liest Stephen Hawkings, lernt freiwillig Französisch, macht sich Gedanken über Frauen (sexueller Art), kommentiert die Frauen in seinem Umkreis, trinkt Kaffee …. ? 8o – Ich weiß, amerikanische Jungs sind anders, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein 9-jähriger solche Gedanken denkt! ?(

Die Parallelen zu Günther Grass’ „Blechtrommel“ sind nicht nur wegen der Namensgleichheit („Oskar“) augenscheinlich, ich nehme an, es war von Foer so gewollt.

Ich bin restlos überzeugt vom schriftstellerischen Talent des Autors, glaube aber, dass er sich mit dieser Thematik etwas zuviel aufgehalst hat und kann aus den angeführten Gründen dieses Buch nur eingeschränkt weiterempfehlen!

:stern: :stern: :stern: bis :stern: :stern: :stern: :stern:

edit im November 2007 : da ich festgestellt habe, dass immens viel von diesem Buch auch noch fast 2 Jahre später in meinem Gehirn vorhanden ist, erhöhe ich aufgrund der Nachhaltigkeit meine Bewertung auf:

:stern: :stern: :stern: :stern: bis :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Zuletzt geändert von Pippilotta am 17.11.2007, 18:05, insgesamt 1-mal geändert.
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von Anzeige » 13.05.2006, 08:18

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Beitragvon Karthause » 25.09.2007, 16:25

Ich nutze diesen Thread bei diesem Buch, um meine laufenden Eindrücke zu schildern.

Jetzt habe ich gut 100 Seiten gelesen und weiß noch immer nicht, was von dem Buch halten soll. Auf der einen Seite macht sich der 9-Jährige Oskar Gedanken (vor allem über die Sexualität), die ich einem Jungen in dem Alter einfach nicht abnehme. Das macht das Buch unglaubwürdig. Andererseits bringt der gleiche Junge ganz tiefe Gedanken hervor, die zwar nicht realistischer für einen 9-Jährigen sind, die aber meinen eigenen Gedankengang anregen.

Hier zwei Beispiele:

1. Seite 52/53: Oskar spricht mit seiner Mutter über Ron und will von der Mutter wissen, ob sie Ron liebt. Die Mutter gibt ausweichende Antworten. Aber Oskar will ganz genau wissen.
"Ich hätte sie am liebsten gefragt, ob sie mit Ron poppe, und wenn sie Ja gesagt hätte, wäre ich weggerannt, und wenn sie Nein gesagt hätte, hätte ich sie gefragt, ob sie schweres Petting machten, eine Sache, über die ich Bescheid weiß." :shock: Mit 9 Jahren, der Junge steht wohl mit beiden Beinen im Leben, aber wohl eher in dem des Autors. :roll:

2. Seite 56: Oskar muss ja den Verlust seines Vaters, der ein Opfer des 11. September 2001 war, verarbeiten.
"Als ich abends im Bett lag, erfand ich einen ganz speziellen Abfluss. Er würde sich unter jedem Kopfkissen in New York befinden und wäre mit einem Reservoir verbunden. Die Tränen der Menschen, die sich in den Schlaf weinten, würden an denselbenOrt fließen, und am nächsten Morgen würde man die Pegelstand des Reservoirs erfahren, ..." Diese Vorstellung von Oskar finde ich auch nicht wirklich altersgerecht. Aber es ist ein schöner Gedankenansatz, wie kann man die Trauer einer ganzen Stadt zum Ausdruck bringen, welche Gedanken können ein Kind dabei bewegen.

Ich habe auch noch Bedenken, dass Foer in diesem Roman ein wenig zuviel hinein gepackt hat. Das ist der 11. September 2001, die Bombardierung von Dresden und der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Ich bin wirklich gespannt, wie es mir mit diesem Buch weiter ergehen wird.
Viele Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 25.09.2007, 17:59

Das finde ich jetzt aber klasse, dass du das Buch hier "begleitest". Es mir noch sehr präsent und ich freue mich auf Deine Eindrücke!

karthause hat geschrieben: Auf der einen Seite macht sich der 9-Jährige Oskar Gedanken (vor allem über die Sexualität), die ich einem Jungen in dem Alter einfach nicht abnehme. Das macht das Buch unglaubwürdig.


Das war eigentlich auch mein schärfster Kritikpunkt an diesem Buch. Dieser Junge war mir befremdlich, mit ihm konnte ich mich bis zuletzt nicht anfreunden. Schade eigentlich, denn die Gedankenansätze sind großartig, wie Du schon schriebst

Ich habe auch noch Bedenken, dass Foer in diesem Roman ein wenig zuviel hinein gepackt hat. Das ist der 11. September 2001, die Bombardierung von Dresden und der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima.


und das war mein zweitschärfster Kritikpunkt. Hier hat sich meiner Meinung nach der Autor total übernommen. Aber abwarten .....

Viel Vergnügen noch!
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 27.09.2007, 18:04

Nun habe ich mich schon bis zur Seite 295 gelesen und kann immer noch nocht sagen ob ich das Buch nun klasse oder super grottig (es wird wohl an keines der beiden Extremeherankommen) finde. Das ist mir bisher auch noch nicht passiert.

Über den Atombombenabwurf auf Hiroshima und die Bombennacht von Dresden habe ich mit Interesse gelesen. Beide Ereignsse sind so gut beschrieben, dass ich Gänsehaut bekam. Die Hirishima-Geschichte, bei der der Vater seine Tochter sucht, war so einfühlsam beschrieben, ich konnte richtig mitfühlen. Obwohl mir noch nicht klar ist wie diese mit dem Buch im Zusammenhang stehen, ich könnte ihn lediglich in der Katastrophe, die so viele Menschenleben forderte, finden.

Beim Bombardement von Dresden liegt der Zusammenhang ja deutlich näher.

Wenn ein neuer Abschnitt anfängt, dauert es manchmal ein paar Seiten, ehe mir klar ist, wer erzählt denn nun.

Ich würde dieses Buch als ein hervorragendes Buch bezeichnen, wenn der Protagonist, Oskar, nicht erst 9 Jahre alt wäre. Welches Kind in dem Alter macht sich solche (sexuellen) Gedanken oder stellt ebensolche Fragen? Auch das Gespräch mit dem Psychologen hat mich sehr verwundert.

Nun bin ich gespannt, wie die Fäden zusammengeführt werden.
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Beitragvon Karthause » 28.09.2007, 22:46

Inzwischen habe ich dieses Buch beendet. Es ist eines der ungewöhnlichsten Bücher, welches ich bisher gelesen habe, das betrifft nicht nur die Typographie, es betrifft auch den Protagonisten.

"Extrem laut und unglaublich nah" hat mich ziemlich schnell gepackt. Mit klugen und schön gesetzten Worten führte Foer den Leser förmlich in einen Irrgarten, der sich langsam zum Ende hin entwirrte.

Gefallen hat mir die Suche Oskars nach Mr. bzw. Mrs. Black. Die Personen, die Foer beschrieb, waren alle auf ihre Art einzigartig, teilweise waren sie skurril, andere waren wieder ganz normale Mitmenschen. Auch die Geschichte, die die Großeltern zu erzählen hatten, hat mich berührt, obwohl deren Beziehung schon äußerst merkwürdig war. Oft ertappte ich mich dabei, dass ich eigentlich immer von ihnen mehr erfahren wollte als von Oskar.

Mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch betrifft Oskar. Er ist für einen 9-jährigen nicht wirklich altersgerecht dargestellt. Besonders störten mich seine sexuellen Gedanken, Äußerungen und Fragen. Hätte mein Sohn in diesem Alter solche Gedanken geäußert, wäre ich hochbesorgt mit ihm zum Psychologen gegangen. Ehrlicherweise muss ich aber auch schreiben, dass mich dies in der 2. Hälfte des Buches nicht mehr so gestört hat. Vielleicht war es eine Art Gewöhnung. Ich habe leider nicht erkannt, was Jonathan Safran Foer bewogen hat, den Jungen dermaßen zu überzeichenen.

Pippis Rezi kann ich nur zustimmen. Hiroshima konnte ich am Ende auch nicht anders in diesen Roman einordnen als ich es gestern schon beschrieb. Nur einen Punkt sehe ich ein wenig anders:

Pippilotta hat geschrieben:Die Erinnerungen an den Vater waren für meine Begriffe etwas zu sentimental, ganz nahe der Tränendrüse!


Ja, die Erinnerungen waren sentimental und Foer drückte schon auf die Tränendrüse. Aber es ist der Vater eines 9-jährigen ums Leben gekommen. Dieser Vater wird für den Jungen immer auf einer Art Sockel stehen. Alles was den Vater betrifft, gerät ins Licht von etwas ganz Besonderem. Für mich war es nicht zu sentimental. Und als Oskar dem William Black dann erzählte, er konnte um 10.26 Uhr nicht ans Telefon gehen als sein Dad zum letzten mal anrief und er das was dann geschah wirklich live am Antwortbeantworter mithörte, musste ich auch mit den Tränen kämpfen.

Die Fotos haben das Buch abgerundet, nur die auf den letzten Seiten fand ich grausam, nachdem ich nicht umhin kam Daumenkino zu spielen. Das ging mir durch und durch.

Mein Fazit: "Extrem laut und unglaublich nah" ist ein ungewöhnliches Buch, das aus der Masse der Bücher herausragt. Es zählt für mich zu den Büchern, die mit jedem Lesen besser werden, weil man neue Details erkennt, die vorher einfach überlesen wurden. Dieser Roman ist vielschichtig und gut geschrieben. Er macht Lust auf weitere Foers.

:stern: :stern: :stern: :stern:
Viele Grüße
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Beitragvon tom » 07.11.2007, 22:27

Wie ich schon andersweitig schrieb, lese ich seit einigen Tagen an diesem Buch (anfangs eher so nebenbei), und ich will den Fred nützen, um nach und nach was dazu zu schreiben. Nun habe ich Eure Beiträge ja schon gelesen..., dabei bin ich bei Seite 100 (der französischen Ausgabe) noch nicht bei allen von Euch angeschnittenen Themen gelandet. Ich empfand das Buch aber von Anfang an als so stark und schillernd, dass ich es für mich angebracht finde, sofort mal was zu schreiben.

Direkt am Anfang (und ich finde das relativ wichtig) weiss man ja noch nicht, was da genau passiert ist: da ist dieser überschäumende Oskar-Ich-Erzähler. Ihr hattet Euch sehr bei der Überzogenheit aufgehalten. Mag sein. Mag aber auch nicht sein. Was jene sexuellen Bemerkungen anbetrifft, kann ich mich sehr gut an einen zehnjährigen Klassenkameraden erinnern, der (allerdings aus anderen Gründen) in ganz ähnlichen Termini sprechen konnte... Ob man allerdings WEISS, was dahintersteht ist doch was anders! Wörter sind heute soweit verbreitet: gewisse Ausdrücke werden von Kindern benützt (die sie irgendwo aufgeschnappt haben) und sie fühlen sich erwachsen damit. Aber von dieser Erklärungsmöglichkeit abgesehen, geht es in der einen von Karthause zitierten Passage (Mutter mit Freund Ron) für mich ganz eindeutig um was anderes: Der Junge fühlt sich von der Mutter in seiner Trauer um den Vater allein gelassen. Er sieht, wie diese sich anscheinend mit Ron amüsiert... Auf den selben Seiten fällt dann auch in einer Bemerkung die Feststellung: In dem Maße wie ich mich mit dem Vater verbunden fühlte, wuchs die Distanz zur Mutter! Sicherlich geht es in diesem Mutter-Sohn-Unterschied um die Frage der verschiedenen Trauerbewältigung? Oskar wirft es der Mutter ja vor (und das ist nun mal objektiv bei vielen Todesfällen oder auch Ehescheidungen und den darauffolgenden Neuorientierungen der Partner der Fall!), dass sie den Vater vergessen hätte oder gar nicht geliebt hätte, bzw. "betröge"!

Hinter dem vordergründigen Humor der ersten circa fünfzig Seiten taucht doch langsam aber sicher etwas Dunkles am Horizont auf: Der Leser hört von der Beerdigung... (fast nebenbei), etc. Dieses langsame Ineinanderübergehen von anscheinend Lustigem und abgrundtief Ernstem ist sehr beeindruckend, finde ich. Habt Ihr bemerkt, dass - wie der Grossvater in der ersten Zwischenpassage von seiner Kommunikation durch Hefte redet - Oskar mit seiner Mutter meist über Handy redet? (Oder ich übertreibe da ein wenig?)
Was aber den "Entdeckungsgeist" des Suchens und Spielens mit dem Vater anbetrifft, so halte ich das für wunderbar und eigentlich sehr möglich! Wer hat nicht als Kind (und auch noch als Erwachsener? Hoffentlich!?) versucht, die verschiednen Fäden von Gegebenheiten, Dingen, Personen miteinander in Verbindung zu setzen? Ich sehe darin eine ureigene menschliche Gabe...

Äh, ich glaube, das reicht für heute?! Was sagt Ihr?
tom
 

Beitragvon Pippilotta » 08.11.2007, 06:35

hallo Tom,
ich freue mich sehr, dass Du uns an Deinem Lesen teilhaben lässt! Ich habe mir gerade durchgelesen, was ich in meinem (privaten) Lesetagebuch dazu notiert habe, ach! Ein wirklich schönes Buch. Mit so vielen liebevollen Details, und sehr intelligent geschrieben.

Obwohl es jetzt doch schon länger her ist, ist mir das Buch noch sehr gut in Erinnerung, und ich erinnere mich sehr gerne (was sicherlich für die Qualität des Buches spricht).

Die Beziehung Mutter-Sohn ist sicherlich problematisch, der Umgang mit der Trauer, das Wissen, dass es "weitergehen" muss. Die Mutter will den Jungen "fernhalten", doch der Junge bräuchte echte Anteilnahme, er muss die Trauer zulassen können. Durch das Verhalten der Mutter fühlt er sich "verraten" - doch so viel kann ich wohl verraten, es hat seine Hintergründe. :wink:

Du hast Recht, die Gefühle, die Vorstellungen des Jungen sind sicherlich authentisch. Doch mir ging einfach seine altkluge Wortwahl, sein "Daherreden" unendlich auf den Wecker. Solche Kinder gibt es auch im Mitschülerkreis meiner Kinder und ich denke mir immer "zum Glück sind meine nicht so, ich würde es nicht aushalten". :oops:

Ich wünsche Dir noch viel Vergnügen mit diesem Buch und lass uns weiter teilhaben!!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon tom » 08.11.2007, 09:27

Danke, Pippi!

Gestern Abend habe ich dann noch ein paar Seiten weiter gelesen und fand dann auch um Seite 100 herum einen vielleicht sehr zentralen Dialog zwischen Oskar und seiner Mutter: Sind wir nicht alle allein?
Ich will hier nicht jammern, dass ja jeder sooo alleine wäre als ob das nur eine Strafe, ein Kreuz wäre. Aber ich glaube doch, dass hinter diesem Austausch eine Wahrheit steckt, die man nicht einfach hinter Masken vertseckn sollte. Wieviel Handeln/Sein der Menschen erhellt sich aus diesem Hintergrund heraus?
tom
 

Beitragvon Pippilotta » 08.11.2007, 16:25

Das Buch zeigt auf, auf welch vielfältige Art Trauerarbeit geleistet werden kann. Anhand des Jungen, anhand der Mutter (deren Verhalten auch einen Hintergrund hat, das kommt am Ende des Buches raus, soviel sei verraten), anhand anderer Personen, die der Junge im Laufe seiner "Suche" kennenlernt.

Jeder hat sein Päckchen zu tragen, und leider - ja - jeder, so scheint es, muss es "alleine" tragen. Oder doch nicht ganz?
Ich denke, dem Jungen hilft es, über das Schicksal, die Erfahrungen anderer zu hören.

Und wenn ich es mir so recht überlege, hätte ich dem Buch doch 5 Sterne geben sollen! :roll:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon tom » 08.11.2007, 17:33

Pippilotta hat geschrieben:Das Buch zeigt auf, auf welch vielfältige Art Trauerarbeit geleistet werden kann...

..Ich denke, dem Jungen hilft es, über das Schicksal, die Erfahrungen anderer zu hören.

Und wenn ich es mir so recht überlege, hätte ich dem Buch doch 5 Sterne geben sollen! :roll:


Beim jetzigen Stand meines Lesens kann ich beim Grossvater den Trauergrund noch nicht ersehen, doch das da was ist ist klar!
Inzwischen habe ich auch einen kleinen Teil der Geschichte der Großmutter gelesen, die wiederum in ihrem Brief von jenem Gefangenen erzählt (wie erhalte ich mir die Hoffnung?) und ihrem Onkel... Sehr beeindruckend.

Was ich als Möglichkeit einer Bewältigung des Todes des Vaters bei Oskar sehe ist sein beharrliches Suchen! Ist das nicht eine Weise, den Dingen auf die Spur zu kommen, den anderen nicht zu vergessen? Gleichzeitig hat es was "Kindliches" an sich...

Wenn Du, Pippi, jetzt überlegst, dass Du dem Buch vielleicht doch fünf Sterne hättest geben sollen, ist das eine tolle Auszeichnung! Das heisst nämlich, dass das Buch sich nicht einfach verloren hat, sondern eine innere Geschichte des Umgans damit weiter gegangen ist! Bei mir ist es eher oft andersherum :oops: : im ersten Augenblick gebe ich vielen Büchern hohe Noten und habe sie dann doch nach iniger Zeit ziemlich vergessen.
tom
 

Beitragvon Pippilotta » 11.11.2007, 09:25

ja, Tom , genau so ist es.

Es ist von diesem Buch unheimlich viel "hängen" geblieben. Immerhin ist es jetzt doch schon fast 2 Jahre (jänner 06) her, dass ich es gelesen habe. Aber der Eindruck ist immer noch recht frisch. (und das unterscheidet sich von Büchern, von denen ich bereits beim Lesen vollauf begeistert war und im Endeffekt bereits nach wenigen Wochen in Vergessenheit geraten sind)

Es haben mich nur während des Lesens die in meiner Rezension bereits kritisierten Punkte recht gestört.

Ich bin aber immer wieder erstaunt, wie toll und reif Foer schreibt. Bedenkt man sein fast jugendliches Alter - er war knapp über 20 als er "alles ist erleuchtet" schrieb - bekommt erst eine ungefähre Ahnung davon, mit welch tollen Büchern er uns vielleicht noch beglücken wird!

Ich kann dir nur von Herzen sein Erstlingswerk "Alles ist erleuchtet" empfehlen! Als "Russland (bzw. Ukraine-)-kenner und -interessierter" sicher ein absoluter Tipp für dich!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon tom » 11.11.2007, 12:04

Pippilotta hat geschrieben:Ich bin aber immer wieder erstaunt, wie toll und reif Foer schreibt. Bedenkt man sein fast jugendliches Alter - er war knapp über 20 als er "alles ist erleuchtet" schrieb - bekommt erst eine ungefähre Ahnung davon, mit welch tollen Büchern er uns vielleicht noch beglücken wird! Ich kann dir nur von Herzen sein Erstlingswerk "Alles ist erleuchtet" empfehlen! Als "Russland (bzw. Ukraine-)-kenner und -interessierter" sicher ein absoluter Tipp für dich!


Ja, DAS Theman interessiert mich immer und wie der Foer in DIESEM Buch hier schreibt, schließe ich mich ganz Deinem Vorgefühl an und erwarte noch einiges von ihm!

(IM MOMENT habe ich dieses Buch beiseite gelegt, da ich ja das Wanderbuch lese!)
tom
 

Beitragvon tom » 14.11.2007, 22:49

Seit gestern bin ich wieder bei Foer, und zwar sehr begeistert, sehr beeindruckt! Ich habe - allerdings liest es sich ja wirklich flüssig, bzw. sind manche Seiten von Dialogen und Bildern etc. geprägt - in 24 Stunden mehr als 120 Seiten gelesen, was für mich sehr viel ist.

Bislang bestätigt sich EIN Eindruck, dass es immer wieder um den Umgang mit Trauer und Tod, das Alleinsein geht. Inzwischen liegen die ersten Besuche bei verschiedenen Blacks hinter mir: Und überall der Eindruck (der mich an meine letztige Lektüre von Delecroix erinnerte "La chaussure sur le toit") von Menschen, die eine Einsamkeit annehmen müssen, mussten. Das ist für mich ein wichtiges Thema. Ich glaube, dass ein Stück "Einsamkeit", bzw. auch eben der Tod in diesem Leben, einfach da sind, ausgehalten werden müssen.

Doch bei Oskar, seiner Mutter, seinen Großeltern gibt es dieses absolut dramatische Element eines überpersönlichen, geschichtlichen Einschnitts. Ich stehe jetzt in einem Erzählstrang der Großmutter, der sehr beeindruckend aufgebaut ist (bei mir um Seite 230 herum): einerseits die bevorstehende Bombardierung Dresdens, andererseits, und erzählerisch gleichlaufend, das fast unvermeidliche Verlassenwerden durch den Großvater nach der Ankündigung der Schwangerschaft. Und wir wissen, erahnen schon, wie diese Ereignisse eng miteinander verbunden sind, das eine das andere bedingt. Gerade vorher war der Dialog zwischen Oskar und seiner Mutter, in der nun ganz klar Verlust- und Todesängste und die Erfahrung des Todes des Vaters im Attentat parallel geschrieben werden.

Das alles ist sehr beeindruckend. Teils findet man sehr schöne Aussagen...
tom
 

Beitragvon tom » 16.11.2007, 23:00

Olala, dieses Buch hat es wirklich in sich, und ich kann nur andeutungsweise ein paar Eindrücke vom Lesen wiedergeben...

Äh, jetzt frage ich mich natürlich, inwieweit ich da spoilern soll?

Nun, auf eine Anmerkung von Euch kann ich heute eingehen, da ich bei der entsprechenden Stelle gelandet bin. Ihr hattet die Hiroshima-Stelle ja kritisiert... Ich kann das verstehen.
Gleichzeitig will ich da etwas in ein anderes Licht rücken. Hiroshima erscheint NICHT als Erzählstrang der selbst betroffenen erzählenden Hauptpersonen, sondern wird im Schulunterricht von Oskar referierend vorgetragen. Befremdlich? Im Kontext des Verlusts des Vaters bei den Attentaten scheint mir dieses Erzählen Oskars irgendwie naheliegend..., wenn das Wort nicht so schrecklich wäre, würde ich sagen "stellvertretend und selbstverständlich". Er kann kaum sein eigenes wirkliches Erleben des 11.9. teilen (das kommt mehrmals rüber, oder?). Ist dann nicht "Hiroshima" eine Parabel des Unsäglichen? Die Erwähnung kommt in dem Sinne also zunächst nicht als ein Erzählstrang Foers NEBEN Dresden und NY, sondern quasi als eine der von Oskar erzählten Assoziation...

Es ist aber m.E. nicht angebracht, da irgendwie Wertungen zu legen, was "schrecklicher, unmenschlicher" war. In diesem Buch geht es weniger um geschichtliche Betrachtungen, Erwägungen etc. als um zutiefst persönlich erlebtes Leid, Trauer... Darin aber kommen die Opfer solcher Tragödien (und vielleicht darüber hinaus?) und ihre Angehörige einander nahe: z.B. die (mehrfach erwähnte) Abwesenheit des Leibes, das Verschwinden von Identität, Konturlosigkeit, die Kommunikationsschwierigkeiten uam.

Wenn hier aber ein Amerikaner (ich habe jetzt neben ukrainischen und jüdischen Ursprüngen noch nicht herausbekommen, wo er sonst noch Wurzeln hat?!) die Attentate mit zwei Greueln auf anderen Seiten vergleicht, überspringt er auch die Gefahr, dass man sich alleine als Opfer sieht und sieht irgendwie einen universaleren Aspekt. Das finde ich selber ziemlich "gut", auch wenn meine Worte jetzt sehr unbeholfen sind.
(Waren - ich weiß aber nicht, ob Foer SO gedacht hat - nicht in Hiroshima die Verursacher von einer gewissen anderen Nationalität?)
tom
 

Beitragvon tom » 16.11.2007, 23:16

Um noch mal auf das Thema der "sexuellen Gedanken" von Oskar zurückzu kommen, scheint mir im Laufe des Buches doch angedeutet zu sein, dass er letztlich sehr "unschuldig" ist. Als er z.B. das zweite Mal bei Aby auftaucht, und sie ihn also nun einlädt, sie zu küssen, geht es ihm doch eher um einen liebkosenden Trost, ein In-die Arme-Genommen-Werden". Und die Tränen laufen.

(Übrigens habe ich am Wochenende wirklich liebe Menschen mit vier tollen Kindern gesehen. Irgendwann erzählte mir eins der Kinder ein SEHR zweideutiges Wortspiel, wo es mir echt peinlich wurde. Ich hatte aber den festen Eindruck, dass sie selber gar nicht so recht verstehen, was sie da sagen... Im heutigen Kontext ist es fast unmöglich, dass Kinder nicht schon sehr früh eine anscheinend sehr auf- und abgeklärte Sprache sprechen. Etwas traurig, doch wohl Tatsache. Trotzdem kann man sich dahinter was ganz Feines, "Reines" bewahren.)
tom
 

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