Im HB-Interview: Der indische Premierminister

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    Re: Im HB-Interview: Der indische Premierminister

    christopherus - 14.05.2006, 16:12

    Im HB-Interview: Der indische Premierminister
    Handelsblatt Nr. 078 vom 21.04.06 Seite 2


    MANMOHAN SINGH: Der indische Premierminister über die Wachstumsperspektiven seines Landes, das Verhältnis zum mächtigen Nachbarn China und den Ausbau der strategischen Partnerschaft mit Deutschland.

    "Wir brauchen riesige Investitionen"

    Handelsblatt: Herr Premierminister, Sie waren der Architekt weit reichender Reformen in Indien. Die Wirtschaft wächst seitdem rasant. Kann diese Entwicklung wirklich so weitergehen?

    Singh: Das Wachstum hat sich deutlich beschleunigt, ja. Unsere Wirtschaft wächst seit 1991 im Schnitt um sechs Prozent pro Jahr, zuletzt sogar mit 7,5 bis acht Prozent. In den nächsten fünf Jahren wollen wir das Wachstum auf zehn Prozent heben.

    Ist das denn realistisch?

    Es ist machbar. Indiens Sparquote ist auf 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Parallel dazu erhöhte sich die Investitionsquote auf 31 Prozent. Das ermöglicht acht Prozent Wirtschaftswachstum. In den kommenden Jahren wird die Sparquote weiter zulegen. Dafür sorgt das Altersprofil unserer Gesellschaft, durch das die Zahl der Beschäftigten anschwillt. Die Investitionsrate wird schon bald auf 35 oder 36 Prozent anziehen. Damit bewegt sich unsere Wirtschaft auf zehn Prozent Wachstum zu. Und das brauchen wir auch, um genügend Arbeit zu schaffen.

    Der Zustand von Indiens Infrastruktur ist die größte Sorge von Investoren. Wie schnell können sie Abhilfe schaffen?

    Wir brauchen riesige Investitionen, wenn wir die Engpässe beheben und die gleichfalls großen Herausforderungen im Energie- und Wasserbereich überwinden wollen. Dabei spielen ausländische Firmen eine wichtige Rolle. Aber es tut sich viel. Wir etablieren Regulierer in allen wichtigen Bereichen. Unser Straßensystem wächst, Häfen werden gebaut und Flughäfen modernisiert. Jetzt wird auch das Eisenbahnnetz erneuert. Wenn wir diesen Schwung halten, wird das Land bald anders aussehen.

    Restriktionen behindern Auslandsinvestoren aber noch immer. Allianz, Deutsche Bank oder Metro AG wollen mehr, als sie dürfen.

    Ausländischen Banken werden wir schrittweise eine größere Rolle ermöglichen. Versicherungen dürfen heute Anteile von 26 Prozent halten. Wir beabsichtigen, dieses auf 49 Prozent zu erhöhen. Aber dafür brauchen wir einen Konsens in unserer Koalition, und dieser ist derzeit nicht in Sicht. Langfristig wird die Liberalisierung des Banken- und Versicherungswesens weitergehen.

    Und im Einzelhandel, vor allem bei Supermärkten?

    Wir haben mit einer vorsichtigen Öffnung für Einzelhändler angefangen, die eigene Marken vertreiben. Aus dieser Erfahrung werden wir lernen. In unserem Land haben kleine Ladenbesitzer starken Einfluss auf alle Parteien, und sie haben Angst vor dem Unbekannten. Aber mit der Zeit sollten wir Ausländern eine größere Präsenz auch in diesem Bereich ermöglichen.

    In diesen Liberalisierungsfragen bremsen vor allem die Kommunisten, die ihre Regierung tolerieren. Wie stark hindern Sie diese realpolitischen Zwänge?

    Sie begrenzen unsere Optionen auf kurze Sicht. Es kostet uns viel Zeit, unsere Koalitionspartner zu überzeugen. Es gibt Differenzen über das Liberalisierungstempo, aber die grobe Richtung stellen auch die Kommunisten nicht in Frage ...

    ... die Kommunisten werden also pragmatischer ...

    ... sie sind vorsichtiger, als mir lieb ist, aber sie lernen schnell hinzu. Westbengalen wird von einer sehr progressiven kommunistischen Regierung geführt, die alles daransetzt, Investoren anzulocken, ganz besonders aus dem Ausland. Und sie haben Erfolg damit.

    Während Dienstleistungen blühen, fehlen Indien arbeitsintensive Industrien, die Jobs für Ungelernte schaffen.

    Da haben sie völlig Recht.

    Kann ihr Land eine zweite "Fabrik der Welt" werden wie China?

    Die Bedingungen dafür verbessern sich. Indiens Fertigungsbetriebe sind schlank geworden, effizient und in vielen Bereichen global konkurrenzfähig. Falls das Welthandelssystem nicht protektionistischer wird, wird Indiens Industrie weiter schnell wachsen.

    Aber das Risiko von Protektionismus steigt doch, weil die Globalisierung Länder wie Indien nicht länger benachteiligt.

    Das Welthandelssystem schadet Schwellenländern noch immer. Besonders im Agrarbereich raubt uns die Abschottung der EU und der USA Exportchancen. Aber wir sind realistisch. Wir wissen, dass Entwicklungsländer das Welthandelssystem nicht frei nach ihren Bedürfnissen umgestalten können. Daher müssen wir alle Chancen nutzen, die es uns bietet. Gleichzeitig muss aus der Doha-Runde wie versprochen eine echte Entwicklungsrunde werden. Dies ist der Lackmustest dafür, ob altmodischer Protektionismus sein Haupt erhebt. Das würde unseren Fortschritt behindern. Damit würde sich aber auch der Rest der Welt schaden.

    Wird Indiens Aufstieg die Welt denn so stark verändern wie der Chinas?

    Wenn Indien mit acht bis zehn Prozent weiter wächst, stimuliert das die Weltwirtschaft. Und je mehr wir exportieren, um so mehr werden wir importieren. Anders als andere Länder sind wir keine Merkantilisten. Wir wollen keine unbegrenzten Währungsreserven aufhäufen, und wir haben ein großes Handelbilanzdefizit. Wenn Europa und die USA Indien beim Erreichen seiner Wachstumsziele helfen, belohnen sie sich selbst.

    Zwischen Indien und China herrscht derzeit Tauwetter. Aber werden die beiden asiatischen Riesen langfristig nicht zu Konkurrenten?

    Im Moment ergänzen sie sich. Unser bilateraler Handel boomt. Das war vor fünf Jahren unvorstellbar. Wir sehen China nicht als Rivalen, sondern als Freund. Die Welt ist groß genug für die Wachstumsambitionen beider Länder. Es gibt noch Probleme wegen unserer Grenzen, aber auch in dem Punkt machen wir Fortschritte. Die Zusammenarbeit zwischen den zwei bevölkerungsreichsten und am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften ist wichtig für den Frieden in der Region und in der Welt. Und sie ist von entscheidender Bedeutung dafür, dass Asien zum politischen und wirtschaftlichen Epizentrum einer neuen Weltordnung wird.

    Im Gegensatz zu den USA verschläft Europa diese Entwicklung.

    Zwei große Länder, die so schnell wachsen wie Indien und China, haben enormes Potenzial, den Lauf der Welt zu verändern. Diese Erkenntnis wächst auch in Europa.

    Amerika reagiert jedoch entschlossener. Was sind die langfristigen strategischen Auswirkungen des Pakts mit Washington, der Indien de facto als Atommacht anerkennt und ihm Zugang zu ziviler Nukleartechnik verspricht?

    Zwischen den beiden größten Demokratien entsteht eine globale Partnerschaft. Ich sehe diese als positives Element, das unsere Welt gestalten hilft.

    Wird dagegen die strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Indien nicht entwertet, wenn sie nicht auch auf die Bereiche Verteidigung und zivile Nukleartechnik ausgedehnt wird?

    Unser Verhältnis beschränkt sich nicht auf ein Thema. Unsere strategische Partnerschaft wird ihre volle Bedeutung aber erst erlangen, wenn sie breiter wird und auch Indiens Optionen im Energiebereich anspricht. Ich hoffe wirklich, dass wir Deutschlands Unterstützung erhalten für das Abkommen im zivilen Nuklearbereich mit den USA. Großbritannien, Frankreich und Russland stehen schließlich auch dahinter.

    Wie wichtig ist denn die Option Kernenergie für Indien?

    Sie gibt uns mehr Möglichkeiten, unseren wachsenden Energiebedarf zu stillen. Das hilft auch Europa. Wenn unser Bedarf an Öl und Gas stark steigt, wird dies enormen Druck auf die Weltmarktpreise ausüben und die Konkurrenz um schwindende Reserven verstärken. Ich hoffe, wir können Deutschland überzeugen, dieses Thema wohlwollend zu betrachten.

    Im Verteidigungsbereich ist die indische Seite ebenfalls ambitionierter als die deutsche.

    Wir wollen die Lieferquellen unserer Rüstungsgüter diversifizieren. In der Vergangenheit hat Indien dabei bereits mit Deutschland zusammengearbeitet, aber es bestehen enorme Möglichkeiten zur Ausweitung der Kooperation.

    Was erwarten Sie noch von Ihrem Besuch in Deutschland?

    Ich hoffe, er schärft das Bewusstsein für Indien. Die deutsche Wirtschaft sollte stärker auf unser Land blicken, als sie es tut. Außerdem freue ich mich, Kanzlerin Merkel zu treffen. Wir haben denselben Hintergrund: Wie ich hat sie als Universitätsdozent angefangen.

    War der Wechsel für Sie persönlich schwierig?

    Ich fand ihn machbar. Aber schauen Sie mal in die Geschichte: Einer der besten Volkswirte, der sich je an der Politik versucht hat, war Schumpeter. Er wurde Finanzminister in Österreich. Die Konsequenzen waren katastrophal.

    Das Gespräch führten Albrecht Prinz Croÿ und Oliver Müller.

    Croy, Albrecht Prinz von
    Müller, Oliver



    21. April 2006



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