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Roth, Joseph - Kapuzinergruft




Roth, Joseph - Kapuzinergruft

Beitragvon Karthause » 27.08.2008, 19:13

Gebundene Ausgabe: 189 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-13: 978-3462036459

Der Ich-Erzähler Franz Ferdinand Trotta, Enkel des Bruders des Helden von Solferino und somit aus dem nicht geadelten Zweig der Familie, erzählt die Geschichte der Trottas weiter. Er beginnt kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges und endet mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Dieser Roman ist faktisch die Fortsetzung von Roths „Radetzkymarsch“.

War der Untergang der Donaumonarchie im „Radetzkymarsch“ das bestimmende Thema, greift Roth in „Kapuzinergruft“ weiter und die Zeit nach dem Ende der Monarchie wird als ein schwieriger Neuanfang mit melancholischen, teils traurigen, aber immer sehr schönen Worten beschrieben.

Franz Ferdinand erbte von seinem Vater ein nicht unerhebliches Vermögen, welches dieser während seiner Zeit in Amerika machte. Franz Ferdinand liebte das Leben, besonders die Freuden desselben. Er war leichtsinnig, genoss es, Geld zu haben und dieses ohne nachzudenken ausgeben zu können. So lebt er die Nacht und verschläft den Tag. Er nach dem Besuch seines Vetters, dem Maronibrater Joseph Branco Trotta, wird er etwas nachdenklicher. Als während seines Besuches in Zlotogrod der Krieg ausbricht, entschließt sich Franz Ferdinand, mit Joseph Branco und dessen Freund, dem Fiaker Reisinger, Seite an Seite zu kämpfen und sich von seinen alten Lebefreunden zu trennen.

Franz Ferdinand Trotta zeigt nie großen Elan, wenn es gilt etwas zu bewältigen. Aber nach seiner Rückkehr aus dem Krieg verharrt er förmlich in Erstarrung. Seine größte Tat scheint mir die Zeugung seines Sohnes zu sein. Auch sein gesamtes Umfeld wirkt verstört, ratlos, als hätte es den Boden unter den Füßen verloren. Alle diskutierten mehr als sie sich betätigen. Man versucht zwar einen Neuanfang nachdem das Kurzwarengeschäft missglückt war. In einem zweiten Anlauf wird mit dem Umbau des Hauses der Trottas zur Pension begonnen. Aber ständig hatte ich den Eindruck, alles geschehe halbherzig, eine gewisse Resignation und die Trauer um die gute alte Zeit, die so unwiderruflich vorüber ist, war spürbar. Recht sorglos wurden Hypotheken aufgenommen und Schecks ausgestellt. Glücksritter hatten ihre große Stunde und die Gutgläubigen zahlten drauf. So ganz kann man sich noch nicht von der dekadenten Lebensweise der Vorkriegszeit lösen, wo es ums Leben ging und nicht ums Geld. Von letzteren gab es genug, die Lebenszeit war schließlich begrenzt.

Eine ganz besondere Rolle kommt der Mutter des Franz Ferdinand zu. Sie lebt ihr Leben in festen Ritualen und Ansichten. Sie lebt die Tradition, das Althergebrachte. Sie darf ehrwürdig sterben, während eine hoffnungs- und ziellose Generation planlos zurück bleibt.

So steht auch die Kapuzinergruft, die letzte Ruhestätte der österreichischen Kaiser, für den Untergang des Reiches. Die ehemaligen Untertanen bleiben gefühlt führerlos zurück. Mit der neuen Republik können sie nicht anfangen. Alles ist im Zerfall begriffen. Kulturelle Werte und Traditionen gelten nicht mehr, sogar die Adelstitel wurden abgeschafft. Auch das Geld, von dem in früheren Zeit immer ausreichend vorhanden war, verliert unaufhaltsam seinen Wert.

„Kapuzinergruft“ empfand ich als noch melancholischer als „Radetzkymarsch“. Bei Letztgenanntem spürte ich noch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. So endet dieses Buch mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und für mich steht das gleich mit Hoffnungslosigkeit. Sehr deutlich wurde die Sehnsucht nach der Monarchie.
Wieder hat mich die sprachliche Gestaltung eines Joseph-Roth-Romans fasziniert. Die Emotionen, die er mit ein paar Sätzen zu erwecken vermag, finde ich bei manch anderem Autoren nicht in ganzen Büchern. Mit seinen Worten und den ausgefeilten, manchmal auch verschachtelten Sätzen lässt der Autor Bilder in meinen Gedanken entstehen und verleiht den Personen seines Romans Leben. Die von einer dichten Atmosphäre getragene Traurigkeit war für mich körperlich greifbar.

Ein wenig haben mich die Namensgleichheiten zu Personen aus „Radetzkymarsch“ irritiert, die aber personell nicht untersetzt waren. Einen Grafen Chojnicki und einen Diener namens Jacques gab es in beiden Romanen, es waren aber nicht die gleichen Personen. Mir ist nicht recht klar geworden, was Joseph Roth mit diesem Kunstgriff bezwecken wollte.

Mein Fazit: „Kapuzinergruft“ ist ein äußerst lesenswerter Roman, der ein anschauliches Sittenbild der jungen österreichischen Republik zeichnet. Joseph Roth ist mit diesem Buch nun endgültig in meinen ganz persönlichen Autoren-Olymp eingezogen.

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

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von Anzeige » 27.08.2008, 19:13

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Beitragvon Krümel » 27.08.2008, 19:34

Oh prima, dass dir dieser Roth auch so gut gefallen hat. Die Rezi kommt ins Blog, okay?
Zuletzt geändert von Krümel am 27.08.2008, 21:38, insgesamt 1-mal geändert.
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Karthause » 27.08.2008, 20:53

Ja, dieser hat mir auch gut gefallen und ich freue mich, dass ich noch einige Bücher von Roth vor mir habe.

Du kann die Rezi gern verwenden.
Viele Grüße
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